Protocol of the Session on April 26, 2018

Die Vielfalt des Antisemitismus, die Frau Dr. Müller allerdings sehr richtig angesprochen hat, ist genau das AfD-Thema. Es ist genau das, was wir von morgens bis abends predigen, vielleicht mit etwas zu großer Intensität, aber es ist ja nun einmal das aktuelle Problem, das wir selbst geschaffen haben, und zwar auch durch eine fehlgeleitete Zuwanderungspolitik.

Der Historiker Michael Wolffsohn sagte in einem Interview der „Neuen Züricher Zeitung“ am 27. Februar 2018 auf die Frage: „Die deutsche Kriminalstatistik“ – und zum Teil geht es dabei ja auch um die bremische Kriminalstatistik – „hat vergangenes Jahr knapp 1 500 antisemitische Straftaten erfasst, 90 Prozent davon sollen Rechtsradikale verübt haben.“ Antwort Michael Wolffsohn: „Dieses Bild ist völlig verzerrt. Viele Vorfälle landen unter dem Stichwort „Palästina-Israel-Konflikt“ in einer anderen Statistik, der für politisch motivierte Kriminalität. Freundlich formuliert, könnte man von Verschleierung sprechen.“ Soweit Michael Wolffsohn! Genau das ist das Thema der AfD.

Die „neue Vielfalt des Antisemitismus“, wie Frau Dr. Müller es formuliert hat, gefällt mir in der Tat sehr gut. Die unsinnigen Angriffe auf die AfD verbitte ich mir hingegen auf das Entschiedenste. – Danke schön!

Als nächste Rednerin hat das Wort zu einer Kurzintervention die Abgeordnete Frau Vogt.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin in dem Fall sehr dankbar, weil wir eine Redezeit von fünf Minuten für die Große Anfrage vereinbart hatten. Ich finde, der letzte Wortbeitrag kann in diesem Parlament nicht unkommentiert stehen bleiben.

Herr Schäfer – ich komme einmal auf Sie zurück –, wir haben diese Große Anfrage gestellt, weil es um die Straftaten gegangen ist, die zugenommen haben. Die Thematik haben wir allerdings in diesem Parlament des Öfteren beraten. Wir haben auch als Abgeordnete mit der Jüdischen Gemeinde darüber gesprochen – und wir fahren auch nach Israel –, wie verbreitet der Antisemitismus in der Gesellschaft ist. Ich komme damit auf den letzten Wortbeitrag mit seiner Geschichtsklitterung und der Realitätsverzerrung, die wir gerade hören mussten, zurück.

Wir wissen, und zwar nicht nur durch die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung oder durch die Studie von Heitmeyer, wie breit verankert der Antisemitismus, ich sage einmal, in der urdeutschen Gesellschaft ist, und zwar wirklich in der Mitte und nicht an den Rändern, nicht unter den sozial Abgehängten, dort auch, aber eben tief in der Mitte. Das haben wir oft debattiert.

Ich finde das, was Sie gesagt haben, völlig richtig, dass man sich damit anders auseinandersetzen muss, als nur über Straftaten zu reden. Trotzdem haben wir diese Große Anfrage gestellt, weil auch die Straftaten zugenommen haben und weil wir schauen müssen, ob wir damit richtig umgehen. Denn es ist unbefriedigend, wenn nur eine geringe Zahl der Täter gefasst werden.

Abschließend möchte ich noch einmal festhalten, dass ich den Versuch, den zunehmenden Antisemitismus nur den Migrantinnen und Migranten zuzuschieben extrem zurückweisen muss, denn dazu muss man sich nur die Studien anschauen. Sie belegen sehr eindeutig, wie fest bei in Deutschland Geborenen antisemitische Vorstellungen verankert sind. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Staatsrat Ehmke.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Debatte haben wir mehrfach das Wort ratlos gehört. Im Moment bin ich, ehrlich gesagt, ein bisschen ratlos, ob ich auf die letzten Beiträge noch einmal aus politischer Sicht eingehe oder ob ich sie unkommentiert lassen soll. Ich will es vielleicht einmal in aller Kürze sagen.

Ich finde, es ist doch auffällig, dass es auf der ganz äußersten rechten Seite des politischen Spektrums

in letzter Zeit eine besondere Neigung zum Feminismus, Antisemitismus und Anti-Antisemitismus immer dann gibt, wenn man den richtigen Gegner identifiziert hat.

Es kommt jetzt zu linken Demonstrationen für die Rechte der Frauen, wenn sichergestellt ist, dass die Aggression von einem Ausländer ausgegangen ist. Wir haben große Aktivitäten gegen den Antisemitismus, wenn es sicher ist, dass es die Flüchtlinge trifft. Dass die Ausrufung des Endes des Schuldkultes und die 180-Grad-Wende bei der deutschen Geschichtsschreibung allerdings ein besonderes Verständnis dafür ausdrückt, dass man die historische Verpflichtung verstanden hat und es mit seinem Beitrag gegen den Antisemitismus ernst meint, das, finde ich, lässt doch das eine oder andere Fragezeichen groß werden. Deshalb lohnt es sich vielleicht eigentlich auch gar nicht, sich hier vertieft mit dieser Frage weiter auseinanderzusetzen, sondern schauen wir doch einfach noch einmal auf die Antworten, die uns die Große Anfrage gibt oder auch nicht gibt.

Es ist in der Tat so, dass die Zahlen, die wir hier liefern, zwar ein Stück weit einen Hinweis darauf geben, dass es vermehrt zu Delikten gekommen ist. Sie sind aber, und das ist bei der Polizeilichen Kriminalstatistik ja häufig so – und das muss man sagen – immer nur eine Annäherung an die Realität. Das ist im Bereich der politisch motivierten Kriminalität noch einmal insbesondere so.

Wir haben jetzt noch einmal nachgeschaut, ob wir in unseren Systemen irgendeine Spur auf eine antisemitische Gewalttat in den letzten Jahren in Bremen finden konnten. Wir haben keine gefunden. Das heißt, bei uns gibt es nirgendwo eine Straftat, eine Körperverletzung, die angezeigt worden ist, die wir eindeutig einem antisemitischen Hintergrund zuordnen können. Das heißt nicht, dass es sie nicht gegeben hat, das heißt auch nicht, dass es sie nicht morgen geben kann, und das heißt auch nicht, dass wir uns deshalb beruhigen können.

Wir haben auf der anderen Seite eine deutliche Zunahme von anderen Delikten mit antisemitischen Hintergrund gehabt. Das waren insbesondere Volksverhetzungsdelikte, die bei uns zur Anzeige gebracht worden sind. Das heißt nicht zwingend, dass wir vorher weniger Delikte hatten. Es kann durchaus sein, dass sie aufgrund einer besonderen Sensibilität stärker zur Anzeige gebracht worden sind. Es kann aber auch sein, dass sozusagen die statistische Erfassung genauer geworden ist, weil

es eine andere Sensibilität in den letzten Jahren gegeben hat. Das wissen wir schlicht und ergreifend aufgrund dieser Zahlen noch nicht so genau.

Deshalb sind wir in der Tat dabei, uns den Bürgerschaftsantrag aus Januar noch einmal anzuschauen. Wir besprechen auch auf der Bundesebene, wie wir näher an die Erkenntnisse kommen können und wie wir ein genaueres Bild der Realität erzeugen können, als über diese Systeme.

Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie gut das gelingen wird. Wenn man sich die Erfassungssysteme im Bereich der politisch motivierten Kriminalität anschaut, dann wird man feststellen, dass sie bereits heute ausgesprochen differenziert und unglaublich, aber kaum noch aussagekräftig sind. Die erste Fassung der Antwort auf die Große Anfrage, die wir erarbeitet hatten, sah im Prinzip mit weniger Erklärungen und weniger Tabellen genauso aus, wie die vorgelegte. Sie war sozusagen für jemanden, der sich in dem Sachverhalt nicht auskennt, überhaupt nicht lesbar. Es war überhaupt nicht erkennbar, was mit den Daten, die in der Tabelle gestanden haben, zum Ausdruck gebracht werden sollte. Deshalb ist das schwierig.

Ich möchte einfach noch einmal darstellen, um zu erklären, warum die Einordnung bestimmter Delikte nicht so einfach ist. Anfang des Jahres ist es in Deutschland zu einer Reihe von Straftaten gegen Moschee-Gemeinden gekommen: eingeworfene Fensterscheiben und Brandstiftungen. Das ist ein klassisches Thema, das man früher tendenziell wahrscheinlich mit einem Bezug zur rechten Szene vermutet. Ob man das in die Statistik entsprechend aufgenommen hätte, das ist eine andere Frage.

Bei einer eingeschlagenen Fensterscheibe kann man sagen: Ja, das wissen wir nicht so genau. Aber man könnte auch sagen, es sei mit Bestimmtheit ein rechter Hintergrund zu vermuten, gerade dann, wenn es den einen oder anderen Vorgang gegeben hatte. Wir haben viele Vorgänge der jüngeren Zeit aber eher im Bereich des Ausländerextremismus oder zum Teil des Linksextremismus eingeordnet, weil sie sich gegen DITIB-Moscheen gerichtet haben und damit eine Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat bedeuteten.

Es ist also nicht ohne Weiteres und immer sofort erkennbar, von einer eingeschlagenen Fensterscheibe immer direkt auf das Motiv schließen zu können. Es ist deshalb auch schwer, die Täter zu identifizieren. Das macht es in diesem Bereich durchaus schwierig.

Sie haben in Ihrem Antrag die Fatih Moschee erwähnt. Im März ist ein erneuter Anschlag mit Schmierereien auf die Fatih Moschee durchgeführt worden. Unter den vielen Schmierereien befanden sich wohl zwei rechtsradikale Äußerungen und zwei ausländerfeindliche Schriftzüge. Die breite Mehrheit der Schriftzüge hatte jedoch überhaupt keinen politischen Inhalt, sondern es sind zum Teil irgendwelche Buchstabenfolgen, Namen und zum Teil Smileys.

Das bedeutet, dass es allein aufgrund des Delikts schwierig ist, eine Zuordnung zu den Kategorien, die vorhanden sind, vorzunehmen, Gleiches gilt für die Tätersuche. Trotzdem, glaube ich, dass wir in der Verantwortung stehen, so gut zu dokumentieren, so gut zu erfassen und so gut wie möglich aufzuklären, um dann konsequent die Strafverfolgung zu betreiben.

Ich finde aber den Hinweis, der verschiedentlich genannt worden ist, dass wir nicht nur auf die Straftaten schauen dürfen, sehr richtig. Ich habe gestern im Autoradio ein Interview mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Bremerhavens gehört. Er sagte, das, was den Alltag schwierig mache, seien nicht immer die Straftaten, sondern es sei die Art und Weise, wie man zum Teil herablassend, zum Teil vermeintlich komisch in Gesprächen mit Jüdinnen und Juden reagiert, das sei die Herabwürdigung, die Distanzierung, die Ausgrenzung, die oft nicht die Schwelle zur Strafbarkeit überschreitet, die aber das Leben schwer macht, die verhindert, dass man sich hier heimisch und aufgehoben fühlt, die bei den Leuten, die hier zum Teil seit Generationen leben oder die hier geboren worden sind, die Frage aufwirft, gehöre ich eigentlich wirklich dazu.

Frau Dr. Müller, ich bin ganz Ihrer Meinung, wenn Sie sagen, dass es die Aufgabe dieser Gesellschaft sei, das Signal zu geben: Ja, selbstverständlich gehört ihr dazu, nein, wir sind als Gesellschaft nicht bereit, diese Herabwürdigung und Ausgrenzung zu akzeptieren. Das, würde ich sagen, macht am Ende den Bogen zu den Straftaten aus, denn diese Ausgrenzung, diese Herabwürdigung, dieses verächtlich Machen und diese Art und Weise, sich vermeintlich humorvoll über jemanden zu erheben, ist ja der Boden, auf dem am Ende die Straftaten geschehen. Das legt den Grundstein dafür, dass man meint, in Gesellschaft den einen oder anderen Schritt gehen zu können und dafür gegebenenfalls auch noch Applaus zu bekommen, aber zumindest nicht die engagierte Gegenwehr der Gesellschaft zu erhalten.

Deshalb ist es über den unmittelbaren Bereich der Strafverfolgung hinaus sehr wichtig, dass man ein klares gesellschaftliches Bekenntnis abgibt, um erstens, den Menschen das Signal zu geben: Ihr gehört dazu, wir werden eine solche Form von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nicht akzeptieren. Und gleichzeitig denen, die möglicherweise als Täter in Betracht kommen, deutlich entgegenzutreten und in den Arm zu fallen. Insofern ist es sinnvoll, auch einmal auf die Straftaten zu schauen, aber die Debatte, die wir führen müssen, geht weit darüber hinaus. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung des geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 19/1506, auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Kenntnis.

Mülltourismus im Land Bremen Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 19. Dezember 2017 (Drucksache 19/1453)

Dazu

Mitteilung des Senats vom 20. Februar 2018 (Drucksache 19/1544)

Dazu als Vertreter des Senats Senator Dr. Lohse.

Wir treten in die Aussprache ein.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Janßen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir kommen jetzt zu einem etwas technischeren Thema, aber es ist trotzdem ein Thema, das uns schon seit einiger Zeit bewegt und voraussichtlich noch einige Zeit bewegen wird.

Müllimporte und Müllexporte! Wir haben eine Große Anfrage gestellt und eine wirklich erhebliche Datenmenge zur Verfügung gestellt bekommen. Es sind sehr viele Anlagen vorhanden, und es ist nicht ganz einfach sich einen Überblick zu verschaffen und die Bewertung der vorgelegten Un

terlagen vorzunehmen. Ich werde trotzdem versuchen, einige Daten zu problematisieren und zu bewerten.

Aus welchen Gründen interessieren uns eigentlich die Müllexporte und die Müllimporte? Müll ist ein Wertstoff, jedenfalls kann er es sein, wenn er gut aufbereitet wird und wenn es zu einer stofflichen Verwertung kommt. Müll wird auch thermisch verwertet, sodass wir daraus Energie gewinnen können, die immer noch besser in dieser Form produziert wird, als über Kohlekraftwerke. Gleichzeitig haben wir angesichts einer weiteren Internationalisierung des Müllgeschäfts auch ökologische Fragen zu klären, die die Fragen der Logistik und des CO2-Ausstoßes betreffen.

Deshalb glauben wir auch, dass dieses Thema für eine Hafenstadt wie Bremerhaven und auch für ein Land wie Bremen mit einem relativ hohen Anteil bei der Müllverbrennung relevant ist und dass wir das deshalb hier diskutieren müssen.

In den Jahren von 2013 bis 2016 wurden jährlich zwischen 220 000 und 330 000 Tonnen Müll aus dem Ausland nach importiert, dazu kommen weitere enorme Mengen in Höhe von über 700 000 Tonnen Müll, die aus anderen Regionen Deutschlands in Bremen angeliefert werden. Damit kommen wir zu einer Größenordnung, die bei jährlich über einer Million Tonnen liegt. Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist eine extreme Menge. Hinter dieser extrem hohen Menge steht auch ein extrem hoher Logistikaufwand, der mit einer großen Menge CO2-Ausstoß einhergeht. Klar ist auch, nicht jedes Dorf in Niedersachsen kann eine eigene Müllverwertungsanlage haben, klar ist auch, nicht jeder Müll, der transportiert wird, hätte besser nicht transportiert werden müssen, aber die Dimensionen sind gerade für Bremen doch erheblich.

Vier bis fünf Prozent der importierten Abfälle aus dem Ausland sind als gefährliche Stoffe bezeichnet, während 20 bis 25 Prozent der Stoffe, die aus Deutschland importiert werden, aus anderen Bundesländern importiert werden, als gefährlich gelten. Richtig ist, dass es keinen Sinn macht – das hatte ich schon erwähnt –, alle Stoffe am Standort zu verwerten, trotzdem macht es Sinn, gerade bei Ausschreibungen zu beachten, dass man hier nicht immer nur den Marktmechanismen den Vorrang gibt, sondern durch eine kluge Steuerung versucht, mögliche Transportwege zu beschränken und hier regionale Verwertungsketten zu stärken.

(Beifall DIE LINKE)

Ich finde, die Fragen 15 bis 18 – wenn Sie sich diese Fragen anschauen – sind symptomatisch. Bei diesen Fragen geht es uns noch einmal verstärkt um Ausschreibungsmodalitäten, um die Frage der BioMüllvergabe und um die Frage der Transportwege nach Osnabrück. In der Antwort des Senats heißt es, dass man nicht die Möglichkeit gesehen habe, ein anderes Ausschreibungsmodell zu wählen. Es sind zwei verschiedene Lose gebildet worden, bei denen der Grünabschnitt getrennt vom Biomüll ausgeschrieben wird.

Gleichzeitig hat dieses Haus vor einigen Jahren die Errichtung einer Biogasanlage geführt. In Bezug auf die Biogasanlage heißt es in der Antwort des Senats dann etwas später, nachdem die Ausschreibung erfolgt ist, müsste keine Biogasanlage gebaut werden.

(Abgeordnete Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das hat ja keiner hinbekommen!)

Ja, das ist richtig! Die Biogasanlage hätte vorher errichtet werden können. Das wäre möglich gewesen. Es gab ja auch die Zustimmung von Beiratsgebieten, die sich dafür ausgesprochen haben. Es ist ja nicht so, dass wir heute die gleichen Proteste wie seinerzeit gehabt haben. Deshalb finde ich schon, dass man sich hier der politischen Verantwortung und auch des politischen Entscheidungsrahmens bewusst sein muss, um Lösungen vor Ort zu finden.