Es gibt einen internationalen Konzentrationsprozess und eine investorengetriebene Konkurrenz. Das wirkt sich sehr hart aus. Das Interessante am aktuellen Fall ist, dass Hachez, auch dieser Standort, wieder schwarze Zahlen schreibt. Trotzdem wird versucht, die Produktionskosten zu senken, und das geht in erster Linie über die Senkung der Arbeitskosten. Deswegen geht Hachez nach Polen. Man kann natürlich sagen: So funktioniert Kapitalismus.
(Abgeordnete Grotheer [SPD]: So! Und was kann der Senat denn nun tun? – Abgeordneter Schildt [SPD]: Nicht einen Satz hat sie dazu gesagt!)
Trotz stimmt es – das habe ich ja soeben schon angedeutet, Frau Grotheer –, dass Politik nicht ohnmächtig ist. Denn der rapide Stellen- und Betriebsabbau in der Nahrungsmittelindustrie ist durchaus eine Quittung für fehlende Wirtschaftsförderung beziehungsweise für eine Wirtschaftsförderung, die sich, das habe ich erläutert, nur an die Bundesförderprogramme kettet. Man kann auch regional etwas machen.
Frau Grotheer, der Senat kann sich in der Wirtschaftsförderung besser aufstellen und muss aufhören, nur in den Kategorien OHB oder Daimler zu denken. Im produzierenden Gewerbe in Bremen gibt es 40 Betriebe mit mehr als 300 Beschäftigten. 40! Zu diesen Unternehmen muss man Kontakt halten. Man muss auch die Wirtschaftspolitik überarbeiten, damit sie auf die Anforderungen des Strukturwandels besser antwortet und nicht nur die Anforderungen einer kurzfristigen Haushaltssanierung im Kopf hat.
Es ist schon ziemlich absurd, was die Förderprogramme des Bundes angeht: Unternehmen wie Zalando kommen in den Genuss von Wirtschaftsförderung, aber ein Bremer Schuhladen, der hier Arbeitsplätze generiert und vielleicht nur ein Problem mit der Digitalisierung hat, weshalb er eine Zuschussförderung für ein Online-Angebot braucht, ist in Bremen von der Wirtschaftsförderung ausgeschlossen. Deswegen sage ich, wir müssen auch einen Blick auf die Betriebe und Unternehmen im Bestand werfen, insbesondere auf die in der Nahrungsmittelindustrie. Dazu werde ich in der zweiten Runde noch ein paar Sätze sagen. – Ich danke Ihnen.
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Ihnen mitteilen: Der Senator für Wirtschaft hat sich heute offiziell bei uns krankgemeldet. – Damit ist Ihre Frage beantwortet, Frau Vogt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde das Bild, das Frau Vogt entworfen hat, ungenau, tendenziös und in den Schlussfolgerungen verkehrt.
Kehren wir an den Anfang zurück! Ich finde, die Entscheidung zu Hachez ist durchaus Anlass für eine solche Beratung. – Zunächst erklärt der hiesige Geschäftsführer seine Verbundenheit mit der Stadt. Er spricht von der Tradition der Marke und
der hohen Qualität der hiesigen Produktion. Nach ungefähr zweimal Ebbe und Flut an der Weser wird in Kopenhagen erklärt, in Polen gehe das besser. Das ist eine ganz bittere Anordnung von öffentlichen Positionierungen.
Das zeigt, dass wir uns sehr genau anschauen müssen, was Propaganda ist und welcher Trend tatsächlich deutlich wird. Wir müssen unterscheiden zwischen wirklicher Investitionstätigkeit, wirklichem Engagement und der Reklamesauce, die auf der Oberfläche verteilt wird.
Das war, so fand ich, eine Leerstelle in der öffentlichen Kommunikation. Besonders bitter ist dies, weil es Kolleginnen und Kollegen in der Vorderen Neustadt trifft, die – wie viele andere Kolleginnen und Kollegen auch – ihren Arbeitsplatz so sehr nötig haben; denn es ist nicht leicht, Ersatz zu finden. Auch das hätte an dieser Stelle eine Initiative, und sei sie symbolischer oder kommunikativer Art, nahegelegt.
Schauen wir zweitens auf das, was passiert. Frau Vogt hat Beispiele aus einer langen Liste großer, international handelnder Lebensmittelkonzerne genannt, die Zweigstellen in unserer Stadt unterhalten – einige haben sogar ihre Wurzeln in Bremen –, hier Unternehmen gekauft haben und jetzt Stück um Stück ihre wirtschaftlichen Aktivitäten bei uns herunterfahren. Dieser Befund ist unübersehbar. Das ist so. Die Beispiele reichen von CocaCola über Kellogg und Könecke bis hin zu Hachez. An dieser Feststellung kann kein Zweifel bestehen.
Jetzt kommt es darauf an – das ist in diesem Haus sicherlich schnell möglich –, zu erklären, warum diese europa- oder sogar weltweit handelnden Konzerne eine andere ökonomische Strategie fahren als Familienunternehmen beziehungsweise
kleine und mittelständische Unternehmen, die eine stärkere Bindung an ihre Herkunftsregion haben. Ein großer Konzern wie Toms vergleicht seine Produktionsstandorte, untersucht seine Liefer- und Auslieferungsketten, betrachtet die relativen Vorteile des einen gegenüber dem anderen Produktionsstandort. Ein solcher Konzern arbeitet auf sehr hohem Zahlenniveau, und jedes einzelne Produkt hat eine sehr geringe Marge. Es sind andere ökonomische Konzepte beziehungsweise Regeln, die dort wirken und die einen Standort unter Druck setzen können. In diesem konkreten Fall hat der Vergleich offenbar zu dem Ergebnis geführt, dass Polen einen Vorteil gegenüber Bremen hat. Darüber kann man herzhaft lamentieren.
Wir sind der Auffassung, die europäische Integration ist ein riesiger Fortschritt. Sie kommt auch bremischen und anderen deutschen Unternehmen zugute. Das Handeln in einem größeren Markt ist ein Gewinn für die Menschen, die in Europa leben und arbeiten. Deswegen sagen wir nicht, dass diesen Konzernen à la Trump das Handwerk gelegt werden sollte.
Das sagen wir nicht! Aber wir glauben, dass eine Stadt sehr wohl ihre wirtschaftliche Struktur betrachten und sich um diese kümmern muss, und zwar unter den Gesichtspunkten: Welche Unternehmen, welche Erfindungen, welche wirtschaftlichen Strategien führen dazu, dass wir vor Ort Wertschöpfung, Bindung, Qualifikation und Arbeit organisieren können? Wie können wir Wertschöpfungsketten und Kombinationen aus diesen zustande bringen? Diesen Fragen muss sich jede Wirtschaftspolitik einer großen Stadt stellen. Das ist völlig klar.
Vor diesem Hintergrund ist es interessant, einen Blick auf die Zahlen zu werfen. Daraus lernt man einiges. Frau Vogt, den Zahlen, die ich mir angeschaut habe – ich muss zugeben, das Folgende beruht auf einem Gutachten, das noch nicht veröffentlicht ist –, liegen Daten des Jobcenters, nicht des Statistischen Landesamtes, zugrunde. Ich weiß nicht, ob Sie auch die Daten des Jobcenters genutzt haben. Das würde mich wundern; denn die Zahlen gehen etwas auseinander.
Ja, in Bezug auf Arbeitsplatzzahlen ist das Jobcenter eine gute Adresse. Denn das Statistische Landesamt muss immer berücksichtigen, dass es keine datengeschützten Informationen über kleine und mittlere Betriebe herausgegeben kann. Deswegen basieren diese Angaben des Statistischen Landesamtes auf Schätzungen beziehungsweise Hochrechnungen, während das Jobcenter die präzisen, tatsächlichen Zahlen vorlegen kann.
Was zeigen die Zahlen des Jobcenters? Diese Zahlen senden auch eine Botschaft an uns, die wir hier diese Debatte führen. Die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in den größeren, konzernabhängigen Betrieben mit mehr als 250 Beschäftigten tätig sind, nimmt deutlich ab. Die Zahl derjenigen, die in kleinen Betrieben mit bis zu 50 Mitarbeitern tätig sind, nimmt dagegen deutlich zu.
Das ist eine Beobachtung, die uns einen interessanten Hinweis liefert, obwohl ich hier nicht das der grünen Wirtschaftspolitik anhaftende Klischee, die Kleinen seien gut, die Großen böse, bedienen will. Man kann vermuten, dass die kleinen und mittleren Unternehmen eine stärkere regionale Bindung haben und mehr vom lokalen Markt, mehr von den lokalen Kombinationsbeziehungen leben.
Ein Detail ist noch wichtig: Die Zahl der Betriebe wächst. Es gibt ein gewisses Gründungsgeschehen. Die Zahlen bei uns sind noch etwas niedriger als in Hamburg und Berlin, aber die positive Entwicklung ist wahrnehmbar. Es passiert richtig etwas!
Jetzt sollten wir genauer hinschauen. Diejenigen, die sich auskennen und Trends beobachten, bestätigen die Alltagswahrnehmung. Wenn unsereins in den Supermarkt geht, stellt man auf einmal fest, dass sich die Produktpalette ausdifferenziert. So war es früher selbstverständlich, dass im Getränkeregal nur die großen Limonadenhersteller zu finden waren. Wir alle kennen das Beispiel Bionade. Ein kleiner Unternehmer mit Innovations- und Marketinggeschick entwickelte sein Produkt zu einer großen Marke, die er später verkaufte, um in den Ruhestand zu treten. Solche Unternehmensbiografien nehmen zu, wir können immer mehr davon beobachten.
Da ich Jan Saffe dort sitzen sehe: Es ist Dehlwes, eine kleine Molkerei am Deich im Blockland, die mittlerweile eine ausgezeichnete Performance zeigt und erhebliche Bedeutung für die Versorgung der Bremer Bevölkerung mit guter Milch hat.
Sie wird schlecht – das gilt für beide Milchsorten –, wenn sie zu lange ungekühlt bleibt. Die eine Milch wird dann allerdings dick; das ist auch nicht schlecht.
Wir beobachten einen Trend. Die Menschen suchen als Gegenbewegung zu den großen, industriell hergestellten, weltweit vertriebenen Nahrungsmitteln nach lokalen, ökologischen, originellen, wiedererkennbaren Nahrungsmitteln. Es gibt eine Reihe von Geschäftskonzepten, die dort aufsetzen. Die entsprechenden Unternehmen wachsen. Sie nutzen die urbane Umgebung mit ihren vielfältigen Märkten als Voraussetzung für ihren Geschäftserfolg.
Die Union Brauerei hat es gerade vorgemacht. Den Bremerinnen und Bremern war es irgendwann „dicke“. Bei allem Respekt vor Beck’s: Die Menschen bei uns sahen, was dort passierte. Sie sahen, welch merkwürdige Namen auftauchten; einige konnte man kaum noch aussprechen. Man war glücklich darüber, dass irgendwann jemand angefangen hat, die alte Bremer Brautradition wieder in Wert zu setzen. Übrigens hat die Wirtschaftsbehörde das Vorhaben unterstützt.
Auch die Gründung von Reishunger haben Sie sicherlich wahrgenommen. Pfiffige Absolventen unserer Universität haben sich gesagt: Wir importieren Reis aus aller Welt nach Bremen und nutzen die Möglichkeiten des Netzes für den Vertrieb, um die gesamte Vielfalt des Reisangebots, Stichwort Globalisierung, an die Konsumenten zu bringen. Wir gehen davon aus, dass jemand, der in Thailand, Indien, China – oder New York – gewesen ist, weiß, wie Reis auch schmecken kann, wenn man sich nicht nur bei Uncle Ben‘s bedient. Deswegen hat sich dieses Unternehmen etabliert. Das ist nicht alles „bio“, aber alles ist gut begründet und lecker. Zu dem Reis gibt es den Herkunftsnachweis. Die Firma dieser Unternehmerinnen und Unternehmer ist verknüpft mit dem lokalen Standort.
verantwortliche Senator wird sich auch um die Dependancen der großen Konzernbetriebe kümmern. Selbstverständlich kümmert man sich darum, dass Beck hier gut brauen und abfüllen kann. So klug dies ist, so sollten wir auch ins Auge fassen, was plötzlich gewissermaßen aus den Ritzen der Gehwegplatten wächst, was im urbanen Umfeld an unternehmerischer Aktivität, Erfindungsreichtum, Markenkreation und sonstigem Engagement entsteht. Auch das müssen wir starkmachen. Es gibt also so etwas wie einen versteckten Schatz.
Warum interessiert das die grüne Programmatik ganz besonders? Um auch das noch einmal auszusprechen: Wir glauben, dass die Versorgung der sieben – später elf – Milliarden Menschen auf diesem Globus eine Herausforderung ist, deren Bewältigung viel mit Lebensmittelkompetenz zu tun hat, mit dem Wissen darum, wie man sicherstellt, dass Böden auch langfristig fruchtbar bleiben. Wir müssen versuchen, so gut und so umfangreich es geht, lokale Versorgungs- und Produktionszusammenhänge zu organisieren. In diesem Zusammenhang spielen die lokalen Kompetenzen eine große Rolle, weshalb wir nicht die größten Sympathisanten von Monsanto sind.
(Beifall Bündnis 90/Die Grünen – Abgeordnete Vogt [DIE LINKE]: Aber Sie regieren hier schon ir- gendwie mit? – Abgeordneter Röwekamp [CDU]: Sie würden gern!)
Angesichts all dessen sind wir der Meinung, dass die Bremer Wirtschaftspolitik diese Entwicklung mehr ins Auge fassen muss, als sie es in der Vergangenheit getan hat. Deshalb hat Frau Vogt genau an der richtigen Stelle die Frage aufgeworfen. Auch ich glaube, hier ist eine Korrektur notwendig.