Protocol of the Session on September 20, 2017

Wenn wir an die großen Herausforderungen unseres Bundeslandes denken, dann ist es immer sinnvoll, sich auch die Ausgangslage zu vergegenwärtigen. Wir reden in diesen Tagen und Wochen, eigentlich schon seit zwei Jahren, von der Idee des Bürgermeisters einer wachsenden Stadt. Gewachsen ist einiges in Bremen, beispielsweise die Schulden und die Kinderarmut. Die Spaltung zwischen Wohlhabenden und Hilfebedürftigen hat sich entsprechend verstärkt.

Herr Bürgermeister, in diesen zwei Jahren hat sich von der wachsenden Stadt noch nicht allzu viel gezeigt. Nehmen wir zum Beispiel die Einwohnerentwicklung, eines Ihrer großen Ziele. Vergleichen wir die Einwohnerentwicklung Bremens mit der vergleichbarer Großstädte, stellen wir fest: In Stuttgart gab es von 2008 bis 2015 ein Plus von knapp vier Prozent und in Düsseldorf im gleichen Zeitraum ein Plus von knapp fünf Prozent. Leipzig verzeichnete im gleichen Zeitraum ein Plus von knapp neun Prozent und Dresden im gleichen Zeitraum knapp acht Prozent Steigerung.

Was ist mit Bremen? Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Bremen ist die Einwohnerzahl im gleichen Zeitraum nur um zwei Prozent gestiegen. Die Tatsache, dass Bremen im Jahr 2015 mehr Einwohner hatte als im Jahr 2014, haben wir allein einem Sondereffekt, dem Zuzug von Flüchtlingen, zu verdanken. Bremens Bevölkerung ist in diesem Zeitraum überhaupt nicht gewachsen. Das ist nicht nur ein statistisches Problem.

(Abg. Frau Aulepp [SPD]: Die Flüchtlinge ge- hören nicht zur Bevölkerung, oder was?)

Ich habe gesagt: Die bremische Bevölkerung ist aus eigener Kraft in diesem Zeitraum nicht gewachsen. Im Übrigen wissen Sie auch, Frau Aulepp, dass dieses Wachstum allein durch Flüchtlinge wegen der zurückgegangenen Flüchtlingszahlen künftig nicht mehr möglich sein wird.

Wo ist denn die Strategie des Bürgermeisters einer wachsenden Stadt? Woher sollen die neuen Einwohnerinnen und Einwohner für Bremen kommen? Wo sollen sie eigentlich

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wohnen? Wo sollen sie in den beiden Städten unseres Landes leben? Was wollen wir ihnen für eine Zukunft geben? Wie wollen wir im Wettbewerb mit den anderen Ländern sagen, es lohne sich, in Bremen und Bremerhaven zu wohnen?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu all diesen Themen geben weder der Bürgermeister noch der vorliegende Haushalt auch nur eine einzige Antwort. Die Statistik, ob wir wachsen oder nicht, ist für sich genommen, noch kein Wert. Mit dem Einwohnerwachstum entscheiden sich für unsere Gesellschaft ganz wesentliche Fragen, beispielsweise die Fragen, wie es mit der demografischen Entwicklung in Bremen und Bremerhaven aussieht, welche Arbeitsplätze wir eigentlich in Zukunft in den beiden Städten unseres Landes benötigen, wie eigentlich der soziale Wohlstand in den beiden Städten unseres Landes gewährleistet wird. Wer nicht auf Wachstum setzt, verspielt die Zukunft unseres Landes. Der Senat ist dabei, dies zu tun.

(Beifall CDU)

Wie hat sich das wirtschaftliche Wachstum entwickelt? Die Senatorin ist stolz darauf, dass es in den letzten beiden Jahren im Vergleich mit dem Bund überdurchschnittlich gestiegen ist. Ja, jeder fälscht die Statistik, die er braucht.

(Abg. Gottschalk [SPD]: Und jetzt Sie!)

Jetzt ich! Die Wahrheit ist - Arbeitskreis volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder - -:

(Zuruf Abg. Gottschalk [SPD])

Wollen Sie das bemängeln? Wissen Sie es besser, Herr Gottschalk? Nein!

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Sie haben doch gerade vom Fälschen von Statistiken gespro- chen!)

Das weiß er bestimmt besser, ja.

(Abg. Güngör [SPD]: Das ist auch nicht schwer bei Ihnen!)

Da hat er seine eigene Statistik.

Im Zeitraum von 2008 bis 2016 ist das Wirtschaftswachstum bundesweit um acht Prozent gestiegen, in Bremen um gut die Hälfte, um 4,9 Prozent.

Wie hat sich eigentlich die Erwerbstätigkeit in Bremen im Vergleich zu anderen Städten entwickelt? Hier wird immer von den vielen neu geschaffenen Arbeitsplätzen geredet. Ja, meine Damen und Herren, in Bremen ist die Beschäftigung von 2008 bis 2016 um 3,2 Prozent gestiegen. Wie sieht es aber bei unseren Wettbewerbern aus? In Berlin gab es im gleichen Zeitraum ein Plus von zwölf Prozent, in Hamburg ein Plus von fast neun Prozent. Berlin und Hamburg sind wachsende Städte. Da wächst die Zahl der Arbeitsplätze. Da wächst die Zahl der Einwohner. Da wächst der Wert des Bruttoinlandsprodukts. Da wächst die Wirtschaft. Bremen ist das Gegenteil von Wachstum. Im Gegensatz zu vergleichbaren Städten schmelzen wir bei all diesen wichtigen Kennziffern für die Zukunft unseres Landes ab.

(Beifall CDU - Zuruf Abg. Gottschalk [SPD])

Das hat nichts mit Geld zu tun, Herr Gottschalk. Es hat etwas damit zu tun, wie man das vorhandene Geld gut investiert. Lassen Sie mich auch dazu an dieser Stelle eine Vergleichszahl nennen. Frau Bürgermeisterin, wir beide sind schon lange dabei, übrigens auch in unterschiedlichen Rollen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass Sie hier in der Zeit der Großen Koalition von 1995 bis 2007 die Verschuldungspolitik des Senats gegeißelt haben. Sie haben keine Haushaltsdebatte ausgelassen, um darauf hinzuweisen, dass Schulden die Zukunft unseres Landes verbauen.

(Zuruf Abg. Frau Dr. Kappert-Gonther [Bündnis 90/Die Grünen])

Hören Sie doch erst einmal zu!

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das fällt schwer!)

Die Große Koalition hat von 1995 bis 2007 rund vier Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Ihre Finanzsenatorin hat keine acht Jahre gebraucht, um diesen Rekord einzustellen und zu übertreffen. Wenn Sie, Frau Linnert, im Jahr 2019 als Finanzsenatorin dieses Landes endlich aus dem Amt scheiden, werden Sie diesem Land mehr als fünf Milliarden Euro Schulden hinterlassen. Zukünftige Generationen werden Jahrzehnte brauchen, um die Folgen dieser katastrophalen Verschuldungspolitik wieder aufzuholen. Das ist keine Zukunft für unser Land, das ist Vergangenheitsbewältigung.

(Starker Beifall CDU)

Ich erinnere mich noch, dass Herr Dr. Kuhn als damaliger haushaltspolitischer Sprecher hier

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gesagt hat, die Party der Großen Koalition sei zu Ende. Meine sehr verehrten Damen und Herren, worin hat die Große Koalition eigentlich damals investiert?

(Zuruf: In Schulden!)

Vielleicht könnten Sie sich, bevor Sie dazwischenrufen, bei Herrn Gottschalk darüber informieren, wer damals zur Großen Koalition gehört hat.

(Abg. Frau Sprehe [SPD]: Er war Wirtschafts- senator! - Heiterkeit SPD)

Nach meiner Ansicht besteht eine Große Koalition immer aus zwei Parteien. Wahrscheinlich waren Sie dabei. Es werden sich nicht mehr alle daran erinnern, aber ich vermute - der Präsident nickt -, es ist nicht auszuschließen, dass auch Sozialdemokraten in diesem Bundesland einmal regiert haben, meine Damen und Herren. Ich gebe zu, es ist lange her, und man merkt es heute nicht mehr.

(Heiterkeit und Beifall CDU)

Sie haben es verstanden!

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Sie nicht?)

Sie haben regiert. Gut, das war der erste Teil! Der zweite Teil ist aber die Frage, wofür wir das Geld ausgegeben haben. Sehr geehrte Frau Grotheer, wofür haben wir dieses Geld ausgegeben?

(Abg. Frau Grotheer [SPD]: Erklären Sie es!)

Wir haben den Löwenanteil für die Verbesserung und für die Ausstattung der wissenschaftlichen Infrastruktur unseres Landes ausgegeben.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das habe ich gemerkt, als eines nach dem anderen gekürzt worden ist!)

Das war das größte Großprojekt, das in Bremen in dieser Großen Koalition geschaffen worden ist, und es hat dazu geführt, dass die Universität von der roten Kaderschmiede zur Exzellenzuniversität geworden ist.

(Beifall CDU)

Es hat dazu geführt, dass unsere Hochschulen gut aufgestellt sind.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Waren Sie eigentlich jemals an der Uni?)

Es hat dazu geführt, dass wir Einwohner gewonnen haben. Es hat dazu geführt, dass wir neue Baugebiete ausgewiesen haben. Es hat dazu geführt, dass wir überproportionale Steuermehreinnahmen hatten. Es hat dazu geführt, dass wir überproportional lange über dem Bundesdurchschnitt gewachsen sind, meine Damen und Herren. Das war Wachstum in den beiden Städten unseres Landes. Wir haben sie mit Schulden bezahlt, aber wir haben eine Rendite darauf bekommen. Das ist der Unterschied zu dem, was Sie machen.

(Beifall CDU)

Was bleibt von den Schulden, die Sie gemacht haben, wenn Sie im Jahr 2019 aus dem Amt scheiden, Frau Senatorin Linnert? Was haben Sie denn eigentlich mit dem Geld erreicht, das Sie auf Kosten der künftigen Generationen ausgegeben haben? Wir haben dann noch immer die höchste Armutsquote.