Protocol of the Session on May 11, 2017

Schön, dass Sie es doch noch einrichten konnten!

(Heiterkeit)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Bei einigen Reden kann man den Eindruck gewinnen, außer im kleinen Bremen würde niemand über die Alterssicherung reden. Die Debatte im Bund und im Bundesrat ist eine andere.

Mehrere Gesetze zur Reform der Rente, Gesetze, die das SGB XII verändern, sind Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens und damit Gegenstand der Befassung im Bundesrat gewesen. Der Bundesrat, der vor allem die Funktion hat, die Positionen der Länder im konkreten Gesetzgebungsverfahren aufzunehmen, hat sich als Arbeitsgremium in der Ausschussberatung mit diesen Gesetzen auseinandergesetzt. In diese Beratungen sind auch die Anliegen des Antrags eingebracht worden.

Bei der Vermögensanrechnung hat es im letzten Jahr eine deutliche Verbesserung im Rahmen der Reform des SGB XII gegeben. Wir sind allerdings noch nicht bei den Sätzen des SGB II. Die etwas schwammige Formulierung hat aber auch einen Hintergrund, weil sich die Rechtskreise nicht nur in der Höhe der Beträge unterscheiden, sondern auch in der Frage, wofür dieses Vermögen einzusetzen ist.

Landtag 3306 44. Sitzung/11.05.17

Das Beispiel Mietkautionen! Während im SGB II mit den deutlich höheren Beträgen für eine Mietkaution das eigene Vermögen heranzuziehen ist, besteht im SGB XII der Anspruch, dies erstattet zu bekommen. Das heißt, bei einer vollständigen Angleichung sind alle Regelungen anzupassen, aber nicht nur die Beträge. Ich glaube, dass die Beträge im SGB XII zu niedrig waren. Darüber bestand hier Konsens. Man muss auch weiter überlegen, ob die 5 000 Euro der Weisheit letzter Schluss sind, denn der Senat hat durchaus Zweifel. Die Frage einer Einszu-eins-Anpassung muss man sich noch einmal ansehen.

Der zweite Punkt des Hinzuverdienstes ist einer, den wir uns anschauen. Wir teilen die Auffassung des Parlaments. Ich denke, es ist aber etwas, das man in das laufende Gesetzgebungsverfahren einbringen muss.

Der dritte Punkt ist auch Teil eines laufenden Gesetzgebungsverfahrens, nämlich die Anrechnung der eigenen Leistungen oder Ansparungen für die Altersvorsorge. Ich glaube, es ist ein großer Konstruktionsfehler sowohl der Einführung der privaten Vorsorge als auch der betrieblichen Renten, gewesen, dass es gerade denen mit dem geringsten Einkommen im Alter, nämlich denen, die auf SGB-XII-Leistungen angewiesen sind, durch Anrechnung nicht zur Verfügung steht. Hier gibt es dringenden Nachbesserungsbedarf.

Die generelle Reform! Es gibt nach der Auffassung des Senats und auch nach der Auffassung der Kollegen des Gesundheitsressorts, die für das Sozialversicherungsrecht zuständig sind, in einer Debatte, in der mehrere Gesetzentwürfe von der Großen Koalition im Bund und insbesondere von Frau Nahles eingebracht und diskutiert werden, genug Möglichkeiten, die Punkte dieses Parlaments einzubringen, sodass es zu diesem Zeitpunkt keines eigenständigen Antrags bedarf. - Ich bedanke mich!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mitteilung des Senats mit der Drucksachen-Nummer 19/1001 Kenntnis.

Ich schlage vor, dass wir jetzt in die Mittagspause eintreten.

Ich unterbreche die Sitzung bis 14.40 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung 13.01 Uhr)

Vizepräsident Imhoff eröffnet die Sitzung wieder um 14.40 Uhr.

Die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Mitglieder des Integrationskurses des Paritätischen Bildungswerks.

Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall)

Die Türkei nach dem Referendum: Europäische Union muss Konsequenzen ziehen Antrag (Entschließung) der Fraktionen DIE LINKE und der FDP vom 4. Mai 2017 (Drucksache 19/1050)

Wir verbinden hiermit:

Beziehung zur Türkei neu ordnen - Beitrittsverhandlungen aussetzen Antrag (Entschließung) der Fraktion der CDU vom 9. Mai 2017 (Drucksache 19/1052)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Ehmke.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 16. April ist das geschehen, was zu befürchten war: Der türkische Präsident Erdogan konnte ein Evet, ein Ja, zum Referendum verkünden, das offizielle Ergebnis lautete 51 zu 49 Prozent. Ob die Mehrheit wirklich eine Mehrheit war, darf man bezweifeln. Die Wahlbeobachter der OSZE und des Europarats haben viele Verstöße gemeldet, am Wahltag sind bis zu drei Millionen ungestempelte Stimmzettel nachträglich zugelassen worden. Das kann das Ergebnis gekippt haben, der Unterschied zwischen Ja und Nein betrug nur eine Million Stimmen.

Die Opposition hat eine Überprüfung des Ergebnisses beantragt, die Regierung weigert sich. Allein das zeigt, wie es um die Demokratie

Landtag 3307 44. Sitzung/11.05.17

in der Türkei heute bestellt ist, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Die Volksabstimmung fand unter Bedingungen statt, die das Gegenteil von fair sind. Die freie Presse ist massiv unterdrückt, Parlamentarier der Opposition sitzen im Gefängnis, und es wurde eine Stimmung der Angst und des Fanatismus aufgebaut mit der von Erdogan ausgegebenen Formel, wer nicht für Ja stimmt, steht auf der Seite von Terroristen und Kriminellen. Es zeigt die Stärke des demokratischen Willens in der türkischen Bevölkerung, dass trotzdem beinahe die Hälfte der Türkinnen und Türken gegen das Referendum gestimmt hat.

(Beifall DIE LINKE)

In Istanbul, Ankara und Izmir hat die Mehrheit mit Nein gestimmt, mit Hayir. Ich möchte von dieser Stelle aus all denen meinen höchsten Respekt ausdrücken, die trotz Gewalt und Unterdrückung den Mut hatten, Nein zu sagen zum Referendum, das heißt, Ja zur Demokratie.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Das Land ist tief gespalten. Der Wille, die Demokratie zu verteidigen, ist durch das Referendum eher gestärkt worden. Die Gegenseite, die auf ein autoritäres Ein-Mann-Regime setzt, verfügt allerdings über das Militär, die Polizei und den Ausnahmezustand. Sie werden diese Macht einsetzen, und sie machen es auch.

Erdogan hat klargemacht, dass es kein Signal zur Versöhnung geben wird. Es hat nach dem Referendum keine zehn Tage gedauert, bis türkische Militärjets in der Luft waren, sie bombardierten Stellungen der kurdischen und jesidischen Miliz in Nordsyrien und im Nordirak. Erdogan hat wiederholt, dass er die Todesstrafe einführen will. Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel sitzt weiterhin in Haft, genau wie all die anderen Journalisten, Politiker, Wissenschaftler und Demokraten, die nichts anderes getan haben, als Kritik zu äußern. Die Türkei entfernt sich nach dem Referendum mit großer Geschwindigkeit von der Demokratie und von der Europäischen Union. Es kann in dieser Situation kein „Weiter so“ geben, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Die einzige Chance, die die demokratische Opposition in der Türkei derzeit hat, liegt in der internationalen Solidarität, und deshalb ist die internationale Reaktion so wichtig. Diejenigen, die unter höchstem persönlichem Risiko für die

Demokratie in der Türkei kämpfen, dürfen wir jetzt nicht alleinlassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Die Beitrittsverhandlungen zur EU müssen jetzt offiziell ausgesetzt werden, es muss deutlich werden, dass der Weg in den Ein-Mann-Staat ein Weg in die Isolation, in die Isolierung ist. Es darf keine widersprüchlichen Signale aus Deutschland und aus der EU an Erdogan geben, heute ein bisschen Kritik, und morgen wieder finanzielle Unterstützung. In Brüssel liegen 4,5 Milliarden Euro Wirtschaftshilfen für die Türkei bereit. Würde dieses Geld ausgezahlt, dann wäre das praktisch eine Prämie für Menschenrechtsverletzungen, deshalb darf das nicht passieren.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Gerade wir in Bremen sind sehr eng mit der Türkei verbunden. Natürlich schockiert es mich deshalb, dass so viele in Deutschland für das Referendum gestimmt haben, und über das, was da genau passiert ist, müssen wir reden. Das Referendum hat deutlich gemacht, dass eine Hälfte der Bevölkerung in der Türkei ganz nah an Europa ist, im besten Sinne, sie hat nur nicht die Macht. Ich finde es wichtig, dass wir das sehen. Es gibt in der Türkei die Entfernung von Europa, aber es gibt in der Opposition dazu auch die Annäherung. Wenn wir dieser Seite, der demokratischen Seite, helfen wollen, dann müssen wir Farbe bekennen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Farbe bekennen heißt: Wir fordern die Freilassung derer, die aus politischen Gründen im Gefängnis sind.

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Wir kritisieren die Missachtung der Menschenrechte, beenden die Tätigkeit des türkischen Geheimdienstes in Deutschland und setzen die Beitrittsverhandlungen aus.

(Beifall DIE LINKE, FDP)