Deshalb wundert es mich, dass wir nicht darüber sprechen, was wir dafür getan haben, damit sich die Arbeitslosigkeit und die Langzeitarbeitslosigkeit in Bremen und Bremerhaven verbessern. Wie viele Menschen haben wir zusätzlich in Arbeit gebracht? Bei wie vielen Leuten haben wir die Arbeitslosigkeit beendet? In der Deputation waren Vertreter der Agen tur für Arbeit anwesend. Wir haben dort die Frage gestellt, wie viele Leute für eine Maßnahme geeignet sind oder sich eine Maßnahme wünschen, aber keine bekommen, weil wir die Mittel nicht richtig ausschöp fen. Das wäre für mich ein Parameter, bei dem wir sagen können. Da haben wir etwas, das wir verbessern können. – Die Antwort der Verantwortlichen in der Deputation „Wirtschaft und Häfen“ war: Eigentlich gar keine; jeder, der sich für eine Maßnahme eignet und eine Maßnahme möchte, bekommt auch eine.
An dieser Stelle sage ich: Prima, dann haben wir die Aufgabe mit weniger als 100 Prozent der Mittel zu 100 Prozent erfüllt! Das ist eigentlich ein Erfolg. Ha ben wir die Aufgabe aber zu 100 Prozent erfüllt? Wir müssen einmal darüber nachdenken, was eigentlich dazu geführt hat, dass die Mittel seitens des Bundes so eklatant erhöht wurden.
Es ging darum, dass wir Programme finanzieren kön nen, die sich ganz spezifisch an Flüchtlinge wenden. Dort sehen wir nach wie vor große Defizite. Wir wissen, dass Flüchtlinge häufig nicht die Grundlagen für eine klassische Ausbildung, wie wir sie hier haben, oder gar für einen Studiengang erfüllen. Sie haben aber sehr wohl das Interesse daran, sich zu qualifizieren oder Dinge zu lernen. Wir wissen auch, dass viele Flüchtlinge aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten zu uns geflohen sind und womöglich, sobald sich die Situation in ihrem Heimatland gebessert hat und die Konflikte beigelegt sind, in ihre Heimatländer zurückkehren möchten und zurückkehren können.
Das heißt, wir sehen hier einen Ausbildungsbedarf, der im Moment überhaupt nicht gedeckt wird. Wir werden zeitnah einen eigenen Antrag zu diesem Thema einreichen, der eine Art Basic Reconstruction Competence Training umfassen soll. Damit wollen wir – nicht unbedingt in deutscher Sprache, sondern in englischer Sprache, womöglich mit muttersprachlichen Übersetzern – Flüchtlingen die Gelegenheit geben, einfache Kompetenzen zu erwerben, die sie auch in
ihren Heimatländern anwenden können, damit sie sich beim dortigen Wiederaufbau hilfreich betätigen und als Nucleus für die eigene wirtschaftliche Ent wicklung fungieren können.
Wir sollten uns daran erinnern, wofür diese Mittel wa ren. Sie waren eigentlich für diese Sonderentwicklung der Flüchtlinge gedacht. Wenn wir sagen, alle Maß nahmen, die wir für unsere Langzeitarbeitslosen als sinnvoll erachten, sind schon getroffen, sollten wir die Mittel dafür nicht zweckentfremden. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Schäfer, es stimmt ja nicht, dass wir hier ausschließlich eine qualitative Be trachtung vornehmen. Ich habe sowohl an dieser Stelle als auch in der Wirtschaftsdeputation darauf hingewiesen, dass es genauso um eine quantitative Betrachtung geht.
Wenn Sie oder Frau Steiner sagen, alle Arbeitslosen bekämen alle Maßnahmen, die sie für richtig hielten, oder wenn jemand einen Bildungsgutschein benötigt, bekäme er diesen, dann stimmt das nicht. Wir wissen sehr genau, dass insbesondere bei den Langzeitar beitslosen die sogenannte Zwei-in-Fünf-Regelung oder jetzt die Drei-in-Fünf-Regelung gilt. Sie bedeutet, dass sie lediglich zwei Jahre – jetzt aktuell drei Jahre – gefördert werden. Weiter geht es nicht. Wir wissen von den Menschen selbst und von den Trägern, die damit zu tun haben, dass das die Menschen häufig in ein noch tieferes Loch stürzt. Wenn sie innerhalb ihrer Maßnahme Qualifikationen erworben haben, dann ist häufig noch nicht der Schritt da, gleich im ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Es braucht dann etwas anderes.
Diese Maßnahmen gibt es nicht. Das heißt, wir haben eine Menge von Menschen, die nicht das bekommen, was sie qualifizieren würde, um erfolgreich in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. Das hängt aber wiederum an Rahmenbedingungen, die verändert werden müssen, und zwar nicht unbedingt dadurch, dass wir jetzt mehr Geld hineinbringen, sondern auch dadurch, dass wir die Beschreibungen dessen, was förderfähig ist, verändern. Dabei bleibt noch eine ganze Menge zu tun. – Danke schön!
Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 19/911, Neufassung der Druck sache 19/743, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen!
Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft von der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Kenntnis.
Meine Damen und Herren! Die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet. Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Mitglieder des Arbeitskreises „akaté“ des Flüchtlingsrates Bremen und des Weiteren eine Frauengruppe von Romas aus Bremen-Nord.
Keine Abschiebungen von Roma und anderen Minderheiten aus dem Kosovo und anderen Balkanstaaten während der Wintermonate Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 2. November 2016 (Drucksache 19/815)
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Vor zwei Wochen hatten wir im Europaaus schuss eine spannende und auch sehr ergreifende Anhörung zur Situation der Roma in Europa. Einige Kolleginnen und Kollegen waren anwesend. Frau Cesmedzi von der Roma-Frauengruppe Bremen-Nord, die ich wie auch die anderen Gäste von hier aus sehr herzlich begrüßen möchte, stellte eine einfache, aber auch sehr elementare Frage: Wo sind wir Roma zu Hause? Roma wird es leider immer noch nirgends gestattet, sich zu Hause zu fühlen und zu Hause zu sein. Sie sind die größte Minderheit Europas und gleichzeitig die am meisten verfolgte. Die „RomaDekade“, die von der EU 2005 ausgerufen wurde, hat daran wenig verändert – nur, dass die lange ver steckte und verneinte Schande in das grelle Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde, wie einer der Autoren eines Fazits resümierte.
Das Europäische Parlament hat in seiner Resolution von 2005 die Kommission und die Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Roma als europäische Minderheit anzuerkennen. Die aktuelle Welle von Rassismus und Rechtspopulismus führt derzeit jedoch eher zu einer Verschärfung der Diskriminierung von Roma in den Balkanstaaten. In der Slowakei gibt es Kommunen, in denen Romasiedlungen mit Betonmauern und Zäunen von der Gemeinde abgetrennt werden. In Ungarn werden Roma von Rechtsradikalen ermordet, wie Dardo Balke vom Landesverband der Bremer Sinti und Roma im Ausschuss erwähnte, und vor wenigen Tagen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Ungarn verurteilt, weil die Polizei bei rassistischen Übergriffen von Jobbik-Mitgliedern auf Roma tatenlos zuschaute. In Bosnien-Herzegowina gibt es immer wieder Berichte über Misshandlun gen und Folter der Staatsorgane an Roma, und in Serbien leiden 67 Prozent der dort lebenden Roma an Unterernährung, fast jeder zweite Roma lebt dort in Elendsvierteln, ohne Sanitäreinrichtungen, Ka nalisation, Stromversorgung oder Heizung, wie die Berichte der Bremer Recherchegruppe auch noch einmal verdeutlicht haben.
Es gibt kaum oder nur erschwert Zugang zu Bil dung, Arbeit, Gesundheit in allen Balkanländern. In keinem der Länder Südosteuropas ist die Situation für Roma heute sicher. Das Einzige, dessen sie sich nahezu sicher sein können, ist eine systematische Diskriminierung. Hass und Rassismus gegen Sinti und Roma ist keine neue Erscheinung, sondern hat eine lange und tragische Geschichte, die im Porajmos, dem Völkermord durch die Nazis, gipfelte. Das EUParlament forderte 2005, den von den Nazis began genen Völkermord an den Roma anzuerkennen und sich der besonderen Verantwortung für das Schicksal der Roma in Europa zu stellen. Ähnlich äußerte sich auch der Ehrengast der letzten Bremer Nacht der Jugend, Petra Rosenberg. Sie ist Tochter von Roma, die Auschwitz überlebt hatten. Sie beschrieb, was
es mit einem Kind macht, mit ihrer Trauer, mit ihrer Ohnmacht aufzuwachsen, und sie klagte an, dass auch heute noch kein Schutz und keine Sicherheit für Roma existiert und dass Länder Europas Roma im Elend leben lassen oder sie ins Elend abschieben. Sie kritisierte in diesem Zusammenhang die Politik der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, die Verfolgung in diesen Ländern negiert und zu mehr Abschiebung dorthin führt.
Bisher wurde in Bremen der Forderung nach einem Winterabschiebestopp entgegnet, dass aus Bremen ja kaum Abschiebungen stattfänden. Das hat sich jetzt geändert, die Abschiebungen und auch der Druck zur sogenannten freiwilligen Ausreise nehmen zu. Im September schob Bremen eine Roma-Familie nach Serbien ab, obwohl die Mutter zuvor wegen eines Suizidversuchs in stationärer Behandlung gewesen war. Viele Reisegruppen der Bremer Recherchegruppe belegen, dass die Situation der Abgeschobenen dra matisch ist. Mir wurden Fotos von Familien gezeigt, die in Bauruinen ohne Fenster und Türen und ohne Heizung leben, weil sie keine Unterkunft haben. Zur gleichen Zeit haben wir in den Nachrichten Berichte über Serbien mit meterdicken Schneedecken und -20 Grad gesehen. Wir saßen dabei allerdings auf dem warmen Sofa.
Wer Menschen in eine solche Situation zwingt, nimmt ihre Gefährdung wissentlich in Kauf. Der Bremer Rat für Integration, der Bremer Landesverband der Sinti und Roma, der Flüchtlingsrat, Betroffene und mittlerweile auch die Grünen fordern deshalb den Winterabschiebestopp als humanitäres Mindestmaß. Dabei muss eines klar sein: Der Winterabschiebestopp ist eine bloße Akutmaßnahme, um Notsituationen ab zuwenden. Auch Abschiebungen im Sommer werden Minderheitenangehörige im Balkan spätestens im darauffolgenden Winter vor existenzielle Probleme stellen. Wir halten es vor dem Hintergrund der aktu ellen Situation und der historischen Verantwortung für nötig, dass eine dauerhafte Bleiberechtsregelung eingeführt wird.
Die Bundesregierung ist mit ihren Asylrechtsverschär fungen leider den entgegengesetzten Weg gegangen. Trotzdem können sich die Länder nach wie vor für Abschiebestopps für drei Monate entscheiden. Bremen ist in der Vergangenheit positive Schritte gegangen, unter anderem durch den sogenannten Kosovo-Erlass. Daran anknüpfend stünde es Bremen gut zu Gesicht, einen Winterabschiebestopp zu beschließen, auch als Signal gegenüber den Roma, dass man ihre Situation im Balkan und die strukturelle und systematische Verfolgung anerkennt.
Herr Präsident, meine sehr ge ehrte Damen und Herren! Es ist richtig, dass nach 2010 annähernd jedes Jahr Wintererlasse verfügt wurden. Auch ich habe das befürwortet und begrüßt.
Was hat sich also verändert? Verändert haben sich in erster Linie die geopolitische Lage und die Situation angekommener Geflüchteter hier in Deutschland und hier in Bremen, und beides hat sich eben nicht zum Besseren verändert. Das muss ich hier niemandem erzählen. Allerdings muss man klar sagen, dass mit dem Wintererlass bisher nur eine Verzögerung, ein Hinausschieben der rechtlich klaren Sachlage erreicht wurde. Mit dem Frühling kam auch die Umsetzung der Abschiebung oder die freiwillige Ausreise als integraler Bestandteil eines negativ beschiedenen Asylverfahrens. Jeder Aufenthaltstitel, jede Maß nahme, jede Duldung, jeder Asylantrag und, und, und – alles unterliegt dem Gesetz, den rechtlichen Vorgaben. Am Ende werden auf dieser Grundlage aber eben nicht alle Anträge positiv beschieden, und für ein funktionierendes Verfahren führt kein Weg daran vorbei, am Ende eines Verfahrens die Ausreisepflicht und, wenn keine freiwillige Ausreise erfolgt, die Abschiebung umzusetzen.
Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ein derartiger Winterabschiebestopp, wie er hier nun gefordert wird, ist in diesem Jahr, genau wie in allen übrigen Bundesländern, nicht vorgesehen. Nach einer Verständigung der Ministerpräsidenten vom Herbst 2015 ist Bremen regierungsseitig daran gebunden. Selbstverständlich bleibt es der Bremischen Bürgerschaft unbenommen, die Entscheidung völlig unabhängig und frei davon zu treffen.