Protocol of the Session on December 14, 2016

Stimmenthaltungen?

(DIE LINKE)

Ich stelle fest, dass die Bürgerschaft entsprechend wählt. Damit sind folgende Personen als Mitglieder der Bundesversammlung gewählt: Dr. Carsten Sieling, Angela Geermann, Jörg Kastendiek, Lenke Steiner und Dr. Hermann Kuhn. Gemäß Paragraf 4, Absatz 4, Satz 1 des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten fordere ich die anwesenden Gewählten auf, binnen zwei Tagen schriftlich zu erklären, ob sie die Wahl annehmen. Sie können die erforderliche schriftliche Erklärung über die Annahme der Wahl auch gerne sofort unterzeichnen.

Ich bitte zudem die gewählten Listennachfolger, vorsorgliche Wahlannahmeerklärungen zu unterzeichnen, damit die Wahlannahme für den Fall des Eintritts der Listennachfolge nachgewiesen werden kann.

Jetzt bitte ich noch die gewählten Mitglieder in das Präsidentenzimmer, denn dort soll ein Foto gemacht werden.

(Zurufe: Oh!)

Damit haben wir diesen Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

Kinderehen in Deutschland und Bremen – Welche Handlungsoptionen hat der Staat? Große Anfrage der Fraktion der FDP vom 27. September 2016 (Drucksache 19/753) Dazu Mitteilung des Senats vom 29. November 2016 (Drucksache 19/858)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Ehmke.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen. Herr Staatsrat Ehmke ich gehe davon aus, dass Sie darauf verzichten.

Damit treten wir jetzt in die Aussprache ein, und als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Steiner.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste,! Das Thema Kinderehen ist ja ein ganz, ganz brisantes, und wir waren uns auch lange nicht einig, was wir genau dazu fragen können. Wir haben ja abgefragt, wie viele Kinderehen im Land Bremen geschlossen worden sind. Man kann auch über das Wort „Kinderehen“ trefflich streiten – was heißt das eigentlich? Im Prinzip sind die Antworten, die dort gegeben wurden, wirklich erschreckend. Ich finde es unglaublich zu sehen, dass 26 Ehen in Bremen geschlossen sind, die gelten, in denen Kinder beziehungsweise Jugendliche bis 18 Jahre alt verheiratet sind. Davon sind sogar acht Kinder verheiratet, die unter 16 Jahre alt sind, und das sind in diesem Fall wirklich noch Kinder, das lässt sich nicht leugnen.

Mich berührt noch besonders wirklich negativ, dass natürlich der minderjährige Ehepartner immer der weibliche Partner, das Mädchen, ist. Ich kann mir gar nicht vorstellen – –. Wenn Sie die Antworten gelesen haben: Der krasseste Fall ist ein 13-jähriges Mädchen aus Afghanistan, das hier wirklich in Bremen als verheiratet gilt und in Bremen auch verheiratet ist. Wenn ich mir vorstelle, wie ich mit 13 war, sage ich Ihnen ganz ehrlich: Ich habe, glaube ich, noch mit Autos gespielt. Mit 13 habe ich vielleicht angefangen, Jungs anzuschauen. Aber ich weiß auch noch, dass ich mich beim Flaschendrehen geekelt habe, wenn ich die Jungs küssen musste. Und dieses Mädchen ist verheiratet; dieses Mädchen hat sogar – davon kann man ausgehen – Sex mit diesem Ehepartner, und das lässt mir absolut den Schauer über den Rücken laufen. Das dürfen wir überhaupt nicht zulassen!

(Beifall FDP, LKR)

Das Mädchen ist heute vielleicht auch schon Mutter. Vielleicht geht das Mädchen auch – und das ist ein anderer Punkt, den wir groß abgefragt haben – nicht mehr zur Schule. Vielleicht ist es herausgenommen worden. Ich sage Ihnen ganz ehrlich – das ist so ein

Gedanke bei so einem krassen Fall –, da habe ich auch kein Verständnis mehr dafür, dass es abhängig ist vom Kulturkreis oder von einer anderen Tradition oder einer anderen Religion. Das ist in meinen Augen nur noch pervers, und das gehört hier überhaupt nicht hin!

(Beifall FDP, LKR)

Das Thema Kinderehen ist natürlich insofern brisant, als es natürlich auch bedenkenswerte Umstände gibt, sei es gerade im Bereich der Flucht, wo sich Menschen in Kriegsgebieten auf den Weg machen und zu uns kommen, wie es auch jetzt gerade der Fall ist. Dass auf diesen Wegen ganz, ganz schlimme Tatbestände passieren, dass es zu Vergewaltigungen kommt und dass zum Teil Eltern ihre Kinder auch wirklich aus Angst lieber verheiratet wissen, als dass sie allein, ledig auf den Weg geschickt werden, um eben auch dieser Massenvergewaltigung zu entgehen, ist sicher ein Tatbestand, über den wir nachdenken sollten. Das kann man vielleicht sogar – ich bin nun keine Mama – aus Muttersicht in dieser schlimmen Situation irgendwo nachvollziehen. Aber ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn jemand dann Mädchen hier ankommen, wenn sie den deutschen Boden betreten, dann sind wir auch in der Pflicht, unsere schützende Hand über sie zu halten, und dann ist es eben nicht mehr möglich, dass diese Kinder hier als verheiratet gelten.

(Beifall FDP und Abg. Röwekamp [CDU])

Es bleibt ja nicht nur bei den 26 Fällen in Bremen, sondern es sind noch viel mehr: Es sind 1 500 Kinderehen in ganz Deutschland bekannt, und das sind nur die offiziellen Zahlen. Sie wissen selbst: Es gibt sehr viele religiös geschlossene Ehen, wo Sie die Dunkelziffer überhaupt nicht greifen können, wo auch in Moscheen kurzfristig Mädchen verheiratet werden. Es ist unglaublich, wie hoch die Ziffern sind; man kann es überhaupt nicht greifen. Aber ich denke, das darf kein Grund sein, die Augen davor zu verschließen.

Wenn wir überlegen, was mit so einem Mädchen passiert, das mit 13 verheiratet ist – ja, das ist der krasseste Fall. Aber trotzdem: In diesen konservativen und sehr männerdominanten Kulturkreisen ist doch klar, was dann passiert. Wer erst einmal verheiratet ist, darf dann die eheliche Pflicht ausfüllen, und das ist dann im Zweifel eine Moschee – Küche und Kinder statt Klassenzimmer. Aber das Mädchen ist 13, das Mädchen ist 14, das Mädchen ist 15, und de facto gibt es eine Schulpflicht. Wir sollten auch in der Verantwortung sein, diese Kinder dazu aufzurufen, ihrer Schulpflicht nachzukommen. Denn Schulpflicht heißt auch, ein unabhängiges Leben führen zu können, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können und zu wissen, was Recht und gegebenenfalls auch Unrecht ist.

(Beifall FDP, LKR)

Es ist nicht bekannt – auch das stand in der Anfrage –, ob es in diesen Ehen zu Gewalttaten kommt. Das kann man nicht greifen. Aber ich frage Sie ganz ehrlich: Wenn es da steht – ist das jetzt das K.o.-Kriterium dafür, dass es nicht vorkommt? Oder ist es einfach, dass es nicht erfasst wird, weil es einfach nicht angezeigt wird? Ich befürchte, dass es leider auch dazu führt, dass viele Mädchen Angst vor den gewissen Folgen haben, dass sie Angst vor noch mehr Gewalt haben und eben gar nicht erst bereit sind, sich danach zu erkundigen, welche Beratungsstellen es gibt, denn das stand darin. Es gab keine Nachfrage in den Beratungsstellen. Aber das ist ja eben die Frage: Gibt es wirklich keinen Bedarf, oder trauen sie sich einfach nicht, hinzugehen?

Wenn wir uns anschauen – diese Zahl ist wirklich wahnsinnig erschreckend –, wie stark mittlerweile die Schulmeiderquoten geworden sind: Die Anzahl der verhängten Bußgelder ist seit dem Schuljahr 2009/2010 um ganze 460 Prozent in Bremen gestiegen.

(Glocke)

Es ist schon so weit, nicht?

Ja!

Habe ich noch einmal fünf Minuten?

Ja!

Ach so, das ist gut! Dann sage ich den letzten Satz dazu: Wir würden wir uns wirklich wünschen, dass hier eine Art Frühwarnsystem eingerichtet wird, um eben sofort die zuständigen Behörden einzuschalten, wenn Schüler mehrfach oder dauerhaft gar nicht mehr zur Schule gehen.

Und dann nenne ich gleich noch einmal einen zweiten Punkt und erläutere es: Ich finde es erschreckend, denn wenn auch Leute hier wegziehen, dann bedeutet das, dass die Kinder eben nicht in Niedersachsen, Bayern oder wo immer sie hinziehen, erfasst werden, sondern dann kann es passieren, dass sie durch das Raster fallen. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen.

(Beifall FDP, LKR)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren! Wir sprechen heute über Kinderehen, die für Millionen von Minderjährigen weltweit Elend, Angst und schreckliche Zustände bedeuten. Es gibt

sie auf der ganzen Welt, auf jedem Kontinent, in jeder Kultur und Religion. Am verbreitetsten sind sie in Entwicklungsländern, denn einer der wichtigsten treibenden Faktoren ist die Armut. Die Kinderehe ist nicht nur in muslimischen Ländern vorfindbar – Frau Steiner hat ja eben versucht, das so darzustellen; das möchte ich deshalb hier betonen, auch dort gibt es leider Kinderehen –, aber auch in anderen zahlreichen Ländern mit christlicher und hinduistischer Mehrheitsbevölkerung, wie zum Beispiel in Indien, in Bangladesch und der Dominikanischen Republik gibt es leider Kinderehen, und das ist ein Symptom der Krise. Meiner Meinung nach gehören Kinder und Jugendliche nicht in eine Ehe, sondern in Schulen, um ihnen Lebenschancen zu eröffnen. Deshalb denke ich, ist es sehr wichtig, dass man darüber auch weltweit diskutiert, nicht nur in Deutschland.

Die Zahl der Frühverheiratungen ist gestiegen, was nicht nur mit den Wertvorstellungen der Menschen zu tun hat, sondern mit der prekären Lage in den Herkunftsländern. Die Angst vor Missbrauch in den Ländern oder auf der Flucht ist eine Hauptmotivation der Eltern, die Kinder zu verheiraten. Vor dem Krieg in Syrien waren nur 13 Prozent jünger als 18 Jahre; nun sind es leider 51 Prozent der Minderjährigenehen. Vor allem in den Flüchtlingscamps hat sich die Zahl im Libanon, im Irak, in der Türkei und in Jordanien sehr erhöht. Unsere grüne Bundestagsabgeordnete Katja Dörner hat Mitte des Jahres eine Anfrage im Bundestag gestellt, wie viele Minderjährige hier in Deutschland leben, um sich einen Überblick über die Sach- und Rechtslage zu verschaffen. Die Antwort hat deutlich gemacht, dass von den 1 475 in Deutschland lebenden verheirateten ausländischen Minderjährigen 994 älter als 16 Jahre alt sind. Das lässt auch jetzt das geltende Recht in Deutschland in Ausnahmefällen zu.

Aus der Antwort ergibt sich auch eine hohe Anzahl von verheirateten Minderjährigen aus EU-Staaten, was mich, ehrlich gesagt, sehr verwundert hat. Dass 370 minderjährige Jungen verheiratet sind, zeigt, dass die Bilder, die wir von Kinderehen vor Augen haben, korrigiert werden müssen, das heißt: Auch Jungen sind davon betroffen. Fassungslos war ich über die Anzahl der Minderjährigen, die unter 14 Jahren alt sind. Das war in Deutschland eine Anzahl von 361. Die Rechtslage ist in Deutschland ganz klar: Diese Ehen sind ungültig.

Aus der Antwort auf die Anfrage der FDP geht hervor, dass wir in diesem Jahr drei Ehen von Minderjährigen in Bremen haben: Alle drei Personen sind 17 Jahre alt, zwei davon sind deutsche Staatsbürger und eine ist polnischer Staatsbürger, was nach unserer geltenden Rechtslage auch möglich ist. In Bremerhaven haben wir in diesem Jahr einen Fall von 16 Jahren und syrischer Herkunft. Sie sehen anhand der Zahlen der letzten sieben Jahre aus der Antwort auf die Anfrage, dass die Zahl der minderjährigen Ehen hier im Land aus meiner Sicht noch sehr gering ist:

jährlich entweder ein Fall oder höchstens fünf Fälle. Ich hoffe, dass sich diese Anzahl nicht erhöht.

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Jeder ist zu viel!)

Genau! Dahin wollte ich, Herr Dr. Buhlert, das finde ich sehr wichtig: Jeder Fall von Minderjährigenehen ist einer zu viel, und das weltweit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, FDP, LKR)

Diese Zahlen zeigen aber auch deutlich, dass im Land Bremen durch den Flüchtlingszuzug die Zahlen nicht höher geworden sind. Wenn man die Nationalitäten derjenigen anschaut, wird deutlich, dass die Minderjährenehe auf verschiedene Nationalitäten verteilt ist. Für uns Grüne – ich weiß, dass das auch für alle anderen demokratischen Parteien gilt – sind Ehen, die unter Zwang erfolgen, inakzeptabel.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, FDP, LKR)

Sie verstoßen nicht nur gegen Grundrechte, Menschenrechte, Frauenrechte, sondern auch gegen unser Strafgesetzbuch, da dies eine Straftat ist.

Im Zuge der Flüchtlingsbewegung kommen immer mehr Mädchen in Deutschland an, die auf der Flucht von ihren Eltern verheiratet wurden. Auch wenn die Eltern dies vor dem Hintergrund auf der Flucht arrangiert haben, um die Tochter vor sexuellen Übergriffen zu schützen, damit der Ehemann ihr Kind auf der Flucht beschützt, ist dies aus meiner Sicht ein gewaltsamer Übergriff für jemanden, der minderjährig ist. Natürlich hätten die Eltern – das haben die Zahlen, die ich eben nannte, verdeutlicht – das nicht gemacht, wenn dort kein Krieg gewesen wäre. Wie gesagt: In Syrien gab es vor dem Bürgerkrieg Minderjährigenehen nur in Höhe von 13 Prozent, und seit dem Ausbruch des Krieges hat sich diese Zahl leider auf 51 Prozent erhöht. Wir Grüne sind auch der Ansicht, dass jetzt in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz nicht nur das Mündigkeitsalter diskutiert werden soll, das ständig in der öffentlichen Debatte ist, sondern vor allem auch der Umgang mit schon bestehenden Ehen. Dazu gibt es aus meiner Sicht sehr viele Stellungnahmen von Organisationen und Verbänden, die berücksichtigt werden sollten. Zum Beispiel gibt es eine Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte, die ich sehr gut fand bei der Vorbereitung auf diese Debatte. Der Gesetzgeber sollte sich von den Interessen der betroffenen Mädchen und Jungen statt von emotionsgeladenem Populismus leiten lassen. Diese sollten im Mittelpunkt der neuen Regelung stehen. Zentraler Maßstab ist für uns bei jeglichem Gesetzentwurf das Kindeswohl gemäß Artikel 3 der Kinderrechtskonvention. Ich möchte auch auf eine Gefahr hinweisen.

(Glocke)

Oder das mache ich gleich, denn ich darf ja noch ein zweites Mal. – Erst einmal bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Yazici.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle sieben Sekunden heiratet irgendwo auf der Welt ein Mädchen unter 15 Jahren einen wesentlich älteren Mann – das ist das Ergebnis einer Studie der Kinderschutzorganisation „Save the Children“.