Protocol of the Session on November 10, 2016

Herr Präsident, meine sehr geehr ten Damen und Herren! Wesentliches Ergebnis des neuen Länderfinanzausgleichs ist die Anerkennung Bremens als eigenständiges Bundesland. Die uns zuteilwerdenden Besserstellungen gegenüber dem bisherigen Länderfinanzausgleich machen eine eigen ständige und eigenverantwortliche Politik möglich, und das ist durchaus viel. Es geht hier schließlich darum, ob wir in unseren beiden Städten selbstständig entscheiden können.

Es bleibt in unserer Verantwortung, wie wir unsere Bildungspolitik gestalten, wie wir die Wissenschafts landschaft weiter fördern können, wie unsere bremi sche Hafenpolitik aussieht, welche wirtschaftlichen

Schwerpunkte wir setzen können, wie wir unsere Polizei einsetzen, welche Initiativen wir auch mit Landesmitteln fördern wollen, welchen eigenen Bei trag wir zu einer Arbeitsmarktpolitik leisten wollen.

(Beifall SPD)

Die Liste ließe sich noch fortsetzen.

Es gilt: Wir werden weiterhin selbst entscheiden können. Das machen die 487 Millionen Euro ab 2020 möglich, und es sind ja echte 487 Millionen Euro mehr. Gern werden die heutigen 300 Millionen Euro dagegengerechnet, aber das ist ja nur begrenzt richtig, wie vorhin auch schon ausgeführt worden ist. Diese 300 Millionen Euro konnten nur für Zins und Tilgung genutzt werden, standen also nur für einen Zweck zur Verfügung, und sie waren zeitlich begrenzt. Die 487 Millionen Euro aber sind zunächst einmal unbegrenzt, frühestens kündbar im Jahr 2030 mit der Vorgabe, dass innerhalb weiterer fünf Jahre eine Nachfolgelösung zu finden wäre, also maximal vielleicht 15 Jahre. Das bedeutet einen Planungszeit raum von mindestens zehn Jahren. Das ist in unserer schnelllebigen Welt, glaube ich, schon sehr viel, und hinzu kommt, dass die 87 Millionen Euro einer Dy namisierung unterliegen, also anwachsen werden.

(Beifall SPD)

Zudem – und das spielt in der Debatte bereits eine Rolle – können die 87 Millionen Euro struktureller Hilfe und die 400 Millionen Euro Belastungsausgleich frei eingesetzt werden. Sie stehen also auch für andere Zwecke als für die Zinszahlung oder die Kredittil gung zur Verfügung. Das ermöglicht die Setzung von Schwerpunkten in einer Haushalts- und Finanzpolitik. Wie wir sie setzen werden, darüber werden wir noch diskutieren, das zeichnet sich heute schon ab.

Dass wir erhebliche Bedarfe an investiven, aber auch an konsumtiven Ausgaben haben, ist, glaube ich, unstrittig. Wir haben eine Infrastruktur in allen Be reichen unserer Städte, die nicht optimal ist, und wir brauchen in einigen Bereichen auch zusätzliches Personal. Auch das lässt sich nicht leugnen,

(Beifall SPD)

seien es Lehrkräfte, Sozialarbeiter oder Polizisten.

Leider ließe sich diese Liste auch lang fortsetzen. Wir haben wegen der mehr als 20-jährigen Sparpolitik und verschärft auch durch die Notwendigkeit, das Land und die beiden Kommunen auf die Schuldenbremse einzustellen, selbstverständlich einen Nachholbedarf, das kann man nicht leugnen. Den werden wir auch so schnell nicht decken können. Wir decken ihn auch nicht im Jahr 2020. Es wird auch ab dem Jahr 2020 nur schrittweise gelingen können, dass wir mit vielleicht dann verlässlichen Programmen die Bedarfe in einer

mittelfristigen Perspektive werden decken können. Eine Lösung all unserer Probleme auf einen Schlag gibt es mit diesem neuen Länderfinanzausgleich für uns nicht.

Wir kommen aber wahrscheinlich nicht in die Situati on, dass wir uns anders als heute kurzfristig gegen ein Projekt, das eigentlich schon geplant war, entscheiden müssen, weil andere Dinge dringender zu finanzieren sind. Das heißt, das Maß an Verlässlichkeit wird sich nach meiner Einschätzung erhöhen.

(Beifall SPD)

Welche Rolle dann Zins und Tilgung spielen, wird die Bürgerschaft in der nächsten Legislaturperiode letztlich über die Haushalte beschließen müssen. Die für Anfang 2017 angekündigte mittelfristige Finanz planung des Senats wird uns aber auch schon einen Ausblick geben können und geben müssen. Ich finde es richtig, darauf hinzuweisen, dass natürlich gilt, dass unser Schuldenberg durch die Vereinbarung von Bund und Ländern eben nicht weg ist. Er steht durchaus drohend und deutlich im Hintergrund. Ihn zu ignorieren, wäre fahrlässig.

Es ist einfach so, dass ein Prozent Zinserhöhung bei 20 Milliarden Euro Schulden 200 Millionen Euro mehr bedeuten. Das stimmt wegen der Bindungsfristen der jeweiligen Kredite nicht so ganz, aber für die ganz grobe Rechnung muss man es einfach sagen. Das macht auch deutlich, dass wir mit dieser Belastung, die wir haben, nach wie vor rechnen und sie mit einbinden müssen. Daher ist die Frage, ob man die 400 Millionen Euro Belastungsausgleich in die Til gung steckt oder wie man das Geld verwendet, für mich zum heutigen Zeitpunkt noch offen. Für mich gibt es auch Möglichkeiten, einen Teil der Mittel in die Tilgung zu stecken und einen anderen Teil in Maßnahmen, die die Wirtschafts- und Finanzkraft unserer Städte stärken. Genau das muss überlegt werden, und genau das müssen wir gegeneinander abwägen. Ich bin dagegen, dass wir uns frühzeitig festlegen zu sagen, die 400 Millionen Euro wollen wir in die Tilgung stecken.

(Beifall SPD)

Es ist uns leider nicht gelungen, den Solidaritätszu schlag für eine Altschuldenregelung für ganz Deutsch land zu nutzen. Ich habe die Vorschläge dazu – Herr Bürgermeister Dr. Sieling war daran in einer anderen Funktion auch beteiligt – für in der Sache völlig rich tig gehalten. Man hätte über die Konditionen noch einmal reden können, aber dass es eine Lösung für die Altschulden in ganz Deutschland – für die Länder, für den Bund und für die Kommunen – hätte geben können, war eine gute Aussicht. Ich glaube, dass das Thema insgesamt im Augenblick zwar nicht mehr auf der Tagesordnung steht, aber da die Schuldenberge

vorhanden sind, wird es uns irgendwann wieder erreichen, wir werden neu darüber reden müssen.

Noch einmal zurück zu den 487 Millionen Euro! We sentlich ist, dass es bei der notwendigen rechtlichen Ausgestaltung des neuen Länderfinanzausgleichs bei der Bindungsfreiheit dieser Gelder bleibt. Das Einigungspapier der Ministerpräsidenten der Länder und des Bundes sieht keine Bindung vor, und das muss auch so bleiben.

(Beifall SPD)

Man weiß aber nie, der Kollege Röwekamp hat auch darauf hingewiesen, was Detailverhandlungen an den Tag bringen. Ich kann auch für meine Fraktion zusichern: Der Senat hat bei den Verhandlungen zur Umsetzung der Bindungsfreiheit dieser Mittel unsere volle Unterstützung.

(Beifall SPD)

Der Senat hat unseren Dank, dass es gelungen ist, die oftmals sogenannte Einwohnerveredelung – so wird sie ja genannt – der Stadtstaaten zu verteidi gen. Das ist das Anerkenntnis der anderen Länder und des Bundes, dass die Stadtstaaten oberzentrale Funktionen wahrnehmen. Das ist ein eindeutiges und gutes Bekenntnis für den Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland!

(Beifall SPD)

So nehme ich auch das Ergebnis, dass das Koope rationsverbot zugunsten notleidender Kommunen im Bereich der Bildung aufgebrochen wird, als ein Zeichen, dass auch der Bund anerkennt, dass ohne leistungsfähige Kommunen der Gesamtstaat nicht wirkungsvoll arbeiten kann.

(Beifall SPD)

Selbst wenn kritische Stimmen sagen, die Länder machten sich jetzt immer mehr vom Bund abhängig – so eine Debatte gibt es ja auch –, ist die Wahrheit doch eine andere: Man muss doch einfach nur einmal einen Blick auf die Einnahmen der Gebietskörperschaf ten werfen! Da sind die Kommunen in eindeutigem Nachteil, um es umgangssprachlich zu sagen, ganz am Ende der Nahrungskette. Länder und Bund profi tieren am meisten. Die meisten Probleme liegen aber vor Ort, und ich hoffe, dass sich diese Entwicklung, die Einnahmen für die Probleme vor Ort einzusetzen, auch tatsächlich fortsetzt. Das gilt im Übrigen auch im Verhältnis der Kommunen zu ihren Ländern, das gilt auch für Bremen, für das Verhältnis des Landes Bremen zu den beiden Kommunen Bremen und Bremerhaven. Das werden wir im innerbremischen Finanzausgleich auch noch bewerten und finanziell hinterlegen müssen.

Ausgesprochen erfreulich ist auch, dass die GVFGMittel erhalten bleiben, das hilft uns sehr. Gleiches gilt auch für die Beibehaltung der Unterstützung in der Frage der Häfen, wenngleich ich keinen Hehl daraus machen will: Ich halte es nach wie vor für unzureichend, was andere Länder und der Bund den Städten mit Häfen und Hafenanlagen zur Verfügung stellen, aber es ist schon ein Erfolg, dass diese elf Millionen Euro weiterhin fließen können.

(Beifall SPD)

Meine Damen und Herren, der neue Länderfinanz ausgleich bringt Bremen Vorteile. Er ist ein Erfolg für das Land Bremen, aber rosig wird der weitere Weg dadurch nicht. Er ist zumindest eröffnet. Der Weg ist begehbar, aber es werden noch genügend Steine auf diesem Weg liegen.

Was bedeutet der neue Länderfinanzausgleich für den Zeitraum bis zu seinem möglichen Eintritt? Wir sind bis einschließlich 2019 an die Vereinbarung mit dem Bund und mit den Ländern gebunden. Das ist eindeutig. Klar ist auch, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, den Konsolidierungspfad einzuhalten, auch die Sanierungsziele einzuhalten. Ich komme im Hinblick auf den aktuellen Haushalt gleich noch einmal darauf zurück.

Das strukturelle Defizit ist abzubauen, und das Land und seine Kommunen sind so aufzustellen, dass sie die grundgesetzliche Regelung der Schuldenbremse einhalten können. Das ist die Aufgabe bis einschließ lich 2019. Das bedeutet, den Konsolidierungspfad weiterzugehen, und verlangt vor allem im nächsten Doppelhaushalt auch drastische Einschnitte – das will ich nicht verhehlen – bei gleichzeitig bekannten unabweisbaren Bedarfen, über die zum Beispiel in dieser Woche wieder diskutiert worden ist.

Zu den wunderbaren Worten, die in der Presse im mer wieder auftauchen, es könnten Partys gefeiert werden, sage ich Ihnen, dass keine Partys gefeiert werden können.

(Bürgermeister Dr. Sieling: Das ist wohl wahr!)

Sie werden haushaltstechnisch in Bremen schon lange nicht mehr gefeiert, es gibt nichts zu feiern. Die Zeiten werden in der Wirklichkeit noch härter.

Ich sehe allerdings ein Problem, und das sehe ich etwas anders als der Kollege Röwekamp: Ab 2020 eröffnet sich für uns eine neue Perspektive für die Gestaltung des Haushalts, bis 2020 gilt eine strikte Haushaltsrestriktion. Für mich passt das nicht zu sammen. Wir haben den Übergang von einem alten System zu einem neuen System. Ich glaube, dass dieser Übergang sinnvoll gestaltet werden muss.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, wie die mit telfristige Finanzplanung aussieht. Sie wissen, dass

sie heute bereits Deckungslücken für das Jahr 2019 ausweist und noch erhebliche Anstrengungen er forderlich sein werden. Sie könnten, um das zum Beispiel einmal extrem zu sagen, darin bestehen, dass wir im Jahr 2019 keine Investitionen tätigen, um im Jahr 2020, wenn uns das Geld zur Verfügung steht, alles nachzuholen. Das, finde ich, ist volkswirt schaftlicher Unsinn.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir brauchen eine Übergangsregelung, eine Anglei chung der Systeme. Auf welche Weise eine Über gangsregelung gestaltet werden kann, wird in den Verhandlungen des Landes Bremen mit den anderen Ländern und dem Bund diskutiert werden müssen, und zwar erst zu dem Zeitpunkt, an dem wir tatsächlich durch die Veränderungen der Gesetzgebung an den einzelnen Gesetzeswerken die Sicherstellung haben, dass der neue Länderfinanzausgleich tatsächlich gesichert ist.

Jetzt lassen Sie mich noch ein paar Worte zu laufenden Haushalt sagen! Der Senat und die ihn tragenden Fraktionen sind kritisiert worden, weil wir einen – ich will es einmal so nennen – Sonderhaushalt Flüchtlinge ausgewiesen haben, im Übrigen wohlbegründet, aber ich will die Debatte jetzt nicht erneut führen! Es ist hier ja schon vom Untergang des Abendlandes die Rede gewesen, aber wie auch immer.

Wenn Sie sich das zentrale Finanzcontrolling, das im Haushalts- und Finanzausschuss in der letzten Sitzung vorgelegen hat, ansehen, dann werden Sie feststellen, dass der Senat die ihm erteilten Kredi termächtigungen nicht ausschöpft, die Ausgaben für Flüchtlinge dem Bedarf angepasst und deutlich zurückgefahren hat und zusammen mit den erhöh ten Steuereinnahmen – rechnen Sie es sich einfach einmal zusammen – tatsächlich die Chance besteht, die Kreditobergrenze nicht zu erreichen.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Das wäre schön! – Abg. Eckhoff [CDU]: Das hätten Sie zu Beginn des Jahres schon sagen können! Dann hätten wir die ganze Diskussion nicht gehabt! – Abg. Fecker [Bündnis 90/ Die Grünen]: Wir haben keine Glaskugel! – Zuruf Dr. vom Bruch [CDU])

Das, Herr Kollege Eckhoff, Herr Kollege Röwekamp, bleibt nach wie vor das Ziel. Es war ja nie der Wunsch von uns zu sagen, wir wollen die Kreditobergrenze bewusst überschreiten, weil es uns Freude macht, das zu tun, sondern weil wir besondere Ausgaben für den Bereich der Flüchtlinge geltend gemacht haben. Wenn es jetzt gelingt, dass wir diesen Schritt nicht gehen müssen, dann ist es für uns alle umso besser.

(Beifall SPD – Abg. Röwekamp [CDU]: Da hat sich der ganze Popanz nicht gelohnt!)

Lassen Sie mich am Ende meiner Rede dem Senat für das vorliegende Ergebnis der Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich ausdrücklich danken! Mit diesem Ergebnis hat der Senat unseren beiden Städten Chancen eröffnet. Es hat eine – ich will es fast pathetisch sagen – Überlebensperspektive eröffnet, die über das Überleben schon weit hinausgeht. Er hat es ermöglicht, dass Eigenständigkeit und Gestaltung in Bremen auch weiterhin möglich bleiben.

Der neue Länderfinanzausgleich, den man zukünf tig wohl wegen seiner grundsätzlich veränderten Struktur irgendwie anders wird nennen müssen, ist ein wichtiger Schritt zur Sicherung unseres Landes. Er ermöglicht, dass Bremen auch in Zukunft seine Geschicke in die eigenen Hände nehmen kann. Er ist tatsächlich, wie der Bürgermeister in seiner Rede gesagt hat, historisch.

Diese historische Chance müssen wir, meine Damen und Herren, nutzen, wenn es geht, gemeinsam, wenn nicht, dann aber mit dem gemeinsamen Ziel, unser Bundesland weiterhin selbstständig und verant wortungsvoll zu gestalten. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)