Meine Damen und Herren, Sie dürfen raten, wen die Verfasser mit dem Land gemeint haben könnten, das die größten Kompetenzabstände zu den vordersten hat. Es ist unser Bundesland, für das wir, insbesondere aber Sie Verantwortung tragen. Schülerinnen und Schüler in Bremen erreichen damit in der neunten Klasse ein Kompetenzniveau, das in den erwarteten Fähigkei ten der sechsten und siebten Klasse entspricht. Das Schlimme ist nicht nur die Situation, das Schlimme ist, dass sich gegenüber den vorangegangenen Studien in Wahrheit nichts verbessert hat!
Eine typische Reaktion zum Ersten: der Verweis auf die soziodemografische Struktur Bremens! Ja, die hat einen Einfluss – für Sie aber offenbar schicksalhaft, nicht zu ändern, Rechtfertigung tendenziell für fast alles. So kommt es, dass Sie für sich und die Öffentlich keit einen politischen Zirkelschluss organsiert haben:
Diskutieren wir hier über Bildung, verweisen Sie auf die Armut in Bremen und Bremerhaven. Sprechen wir über Armut, wird die Bildungsferne von vielen oder viel zu vielen zu Rate gezogen.
(Abg. Güngör [SPD]: Darauf verweisen nicht wir, sondern die Bildungsforscher in der Studie! Das sagt die Studie!)
Spätestens jetzt, auch durch das gute Abschneiden Hamburgs, wissen wir, dass es eben auch anders geht, dass es eben kein zeitloses Schicksal ist, wenn man in beiden Bereichen erfolgreich ist. Ja, es besteht ein Zusammenhang, aber Sie sind eben in beiden Bereichen erfolglos. In Wahrheit ist das Bedrohliche, dass wir überall den Anschluss verlieren, und darin liegt Sprengstoff für unsere Gesellschaft.
Eine verbreitete Reaktion zum Zweiten: Schließlich gebe es ja auch positive Tendenzen, etwa im Fach Englisch, und es fehle eben das Geld.
(Abg. Güngör [SPD]: Wer hat das gesagt? – Abg. Röwekamp [CDU]: Die Senatorin! Nicht heute, aber öffentlich!)
Ja, es ist richtig, es fehlt an Geld und Personal. Mich stört aber das Reflexhafte, der Eindruck, nur mit mehr Geld wäre alles gut. Das überdeckt nämlich, dass es durchaus eigenen Gestaltungsspielraum gibt. Auch hier will ich Ihnen ein Beispiel geben: Bereits bei der Vorstellung der letzten Studie haben wir über fachfremd erteilten Unterricht gesprochen und darauf hingewiesen. Ein Blick in die Langfassung der Studie fördert auch da Erhellendes zutage: im Fach Deutsch Platz zwei, im Fach Englisch mit Abstand Platz eins beim Vergleich der Häufigkeit fachfremd erteilten Unterrichts. Auch dazu ein Zitat aus dem Bericht: „Es kann angenommen werden, dass Lehrkräfte, die fachfremd eingesetzt werden, nur über ein ein geschränkt fachliches und fachdidaktisches Wissen im Unterrichtsfach verfügen, was sich wiederum auf die Qualität der fachlichen Lerngelegenheiten und die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schüler auswirken sollte.“ Meine Damen und Herren, wir halten Ihnen nicht nur das Ergebnis vor – wir werfen Ihnen vor, dass Sie Ihren Steuerungsmöglichkeiten, wie im Beispiel des fachfremd erteilten Unterrichts, nicht gerecht werden. Wir werfen Ihnen nicht nur vor, dass Sie erfolglose Politik betreiben, sondern wir werfen Ihnen vor, dass Sie in Wahrheit mit Verbesserungen noch gar nicht angefangen haben.
Was ist zu tun? Ich glaube, dass zunächst die Qualitäts diskussion wieder mehr als bisher in den Mittelpunkt
der bildungspolitischen Diskussion gerückt werden muss. Dazu bedarf es auch der bildungspolitisch richti gen Signale. Ihre Kommunikation in die Öffentlichkeit aber ist immer die gleiche: Leistung, Anstrengung und Differenzierung werden relativiert. Sie schleifen zum Beispiel die Bewertung durch Ziffernoten. Sie reden von einer Schule für alle. Redet man über Gymnasi en, erfolgt inzwischen fast reflexhafte Skepsis oder offene Ablehnung. So etwas wie Begabtenförderung kommt bei Ihnen bezeichnenderweise gar nicht erst vor. Ihre fatale Kommunikation und Ihre seit Jahren unisono gesandten Signale sind Nivellierung. Wir brauchen dagegen endlich ein sichtbares Bekenntnis zum Fördern und Fordern, eine Kultur, die eben auch Begabungen wertschätzt.
Wir wissen, dass am Ende entscheidend ist, was im Klassenraum passiert. Mich würde deshalb mehr denn je interessieren, was andere Bundesländer anders ma chen, warum die Hamburger zum Beispiel mit ihrem Ergebnis den Anschluss ans Mittelfeld halten und in den vergangenen Jahren offensichtlich sehr viel mehr Aufholgeschwindigkeit aufnehmen konnten, und dieses trotz einer Bremen zumindest vergleichbaren soziodemografischen Struktur. Ein offener, notfalls selbstkritischer Benchmark mit anderen ist deshalb ein weiteres Gebot der Stunde. Die Evaluation des Bildungskonsenses muss dieses und die Qualität als wesentliches Merkmal dringend berücksichtigen. „Läuft!“ oder „Machen wir längst!“ oder sonst üb liche Rhetorik zieht meist nicht wirklich, in diesem Fall schon gar nicht.
Wir müssen aber auch mehr über die Ursachen wissen. Wir brauchen endlich und schneller die Umsetzung dessen, was längst angekündigt und Kenntnisstand ist. Wir brauchen flächendeckend und schneller die engere Verzahnung von Kita und Schule. Wir brauchen flächendeckend und schneller die Ganztagsschule mindestens im Primarbereich. Wir brauchen mehr Eigenständigkeit bei den Schulen. Wir brauchen eine intensivere und zukunftsbezogene Ausbildung und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Wir brauchen mehr Zeit der Lehrerinnen und Lehrer für individualisierte Förderung und tendenziell nicht größere, sondern kleinere Klassen, denn wir sind nicht nur Schlusslicht in der Qualität, sondern wir haben auch ein Gerechtigkeitsproblem. All das wissen wir. Wir kennen auch einige notwendige und wichtige Schlussfolgerungen. Tun Sie es! Beschleunigen Sie
Zur Wahrheit gehört aber auch: Bildung lässt sich nicht als Einbahnstraße organisieren. Dem Bildungs angebot muss die Erwartung gegenüberstehen, das Bildungsangebot auch zu nutzen. Man darf gele gentlich auch von Elternpflichten sprechen und, wo notwendig, müssen wir Schulen in einer aufsuchenden und nachhaltig intensivierten Elternarbeit stärken. Das gilt zum Beispiel auch und insbesondere in der Sprachförderung, die elementar für den schulischen Erfolg ist. Sprachkenntnisse sind nicht nur ein Wert an sich, um nicht missverstanden zu werden. Unter richtssprache ist von Anfang an Deutsch. Auch hier ein Zitat aus dem Bericht, das meines Erachtens zu denken gibt:
„Die zuwanderungsbezogenen Disparitäten lassen sich teilweise auf die sozialen Herkunftsmerkmale und auf die Häufigkeit, mit der in der Familie Deutsch gesprochen wird, zurückführen.“
Dies zeigt, Schule und Staat werden es nicht allein schaffen. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, und wir müssen Mitverantwortung auch ansprechen, wenn wir die Ergebnisse insgesamt nachhaltig verbessern wollen.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Die Bildungs misere in Bremen ist nicht nur sozialer Sprengstoff oder relevant für die lokale Nachwuchsgewinnung in der Wirtschaft! Das wiederholte und ständige schlechte Abschneiden in Bremen im Vergleich zu allen anderen Bundesländern unterminiert inzwischen nicht unmaßgeblich das Vertrauen und Zutrauen der Menschen in ein selbstständiges und eigenständig handlungsfähiges Bremen insgesamt. Es ist nicht nur individuell für unsere Schülerinnen und Schüler nachteilig, es kann sich zu einem Standortnachteil entwickeln, und das ist geradezu beschämend für ein Land, das aktuell den Vorsitz in der KMK innehat und diese Ergebnisse auch noch vertreten muss.
Platz 16 ist kein Relegationsplatz, sondern der letzte Platz, sozusagen der Abstiegsplatz. Deshalb müssen wir Kleinheit endlich dazu nutzen, schneller als die anderen zu werden. Ich fürchte, das trauen Ihnen, sehr geehrte Vertreter des Senats, selbst die Koali tionsfraktionen in Wahrheit offenbar kaum noch zu, sonst hätten sie Ihnen nicht zum Beispiel die Ganz tagsschulplanung faktisch aus der Hand genommen und für die Kita-Gebührenordnung nicht „Fünf, setzen und durchfallen!“ gesagt. Wer es am Ende des Tages auch bewegt, wir müssen endlich vor die Entwicklung kommen. Nehmen Sie Geschwindigkeit bei diesen Veränderungen auf, meine Damen und Herren!
Einige von Ihnen waren vor Kurzem bei der Verab schiedung des langjährigen Leiters des LIS anwesend. Er charakterisierte das Funktionieren bremischer Bildungspolitik unter anderem mit folgendem ein fachen Satz: Semantische Veränderung bei gleich bleibender Praxis!
Recht hat der Mann! Etwas deutlicher könnte man auch sagen: Das Kind bekommt einen vielleicht etwas anderen Namen, in der Praxis ändert sich allerdings nichts, es bleibt alles, wie es ist. Genau das darf nicht weiter die Blaupause bremischer Bildungspolitik bleiben, wenn wir uns nicht immer weiter von Ent wicklungen rund um uns herum abkoppeln wollen; denn ein „Weiter so!“, das ist die unmissverständliche Botschaft dieser Ausgabe des „IQB-Bildungstrends“, darf es im Interesse unserer Schülerinnen und Schüler so nicht weiter geben. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich nicht nur die entspre chenden Reaktionen auf ähnliche Studien in den letzten Jahren, sondern auch einmal bundesweit die Reaktionen auf diese IQB-Studie anschaut, dann muss man doch ein paar grundsätzliche Vorbemerkungen machen. Es ist ein die Schüler der jeweiligen Länder nicht besonders voranbringendes Ritual, dass immer die eine Seite politisch sozusagen der anderen Seite vorwirft, schuld an den Ergebnissen dieser Bildungs monitoringstudien zu sein. Ich will einmal, das ist sonst nicht meine Gewohnheit, ein paar Zitate aus der Debatte nach der Vorstellung der IQB-Studie zitieren, damit Sie merken, was ich meine.
Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Brit ta Ernst kommentiert die schleswig-holsteinischen Ergebnisse so:
„Ja. Zum einen haben wir rechtzeitig begonnen, unser Schulsystem zu einem Zweisäulenmodell umzubau en. Das heißt, neben dem Gymnasium gibt es nur noch eine Gemeinschaftsschule. Da diese Diskussion abgeschlossen ist und es einen Schulfrieden gibt, konnten wir uns stärker auf die Qualität von Schule und Unterricht konzentrieren.“
Die Einführung des Zweisäulenmodells hat also die guten Ergebnisse von Schleswig-Holstein hervor gerufen!
Zum Fall Baden-Württemberg kommentiert Thomas Vitzthum in der „Welt“ vom 28. Oktober 2016 wie folgt:
Das heißt, dasselbe Strukturmerkmal, nämlich dass man eine Gemeinschaftsschule eingeführt hat, wird von dem einen als Grund für die großen Erfolge und von dem anderen als Grund für das desaströse Abschneiden angeführt. Wenn wir ehrlich sind und uns die Studien anschauen, die sich damit befassen, was eigentlich wirklich schulischen Erfolg ausmacht, hat weder das eine noch das andere zentral mit dem schulischen Erfolg zu tun. Das ist die Quintessenz aus diesen Kommentaren aus den beiden Bundesländern.
Ich möchte Ihnen ein drittes Zitat vortragen, das es, wie ich finde, sehr gut auf den Punkt bringt. Der Sprecher des Landeselternbeirates in Baden-Württemberg, Dr. Carsten Rees, erinnert daran, dass Neuntklässler getestet worden seien und dass Jahre vergingen, bis neue bildungspolitische Entscheidungen ihre Wirkung bei den Schülern entfalten. „Einfluss auf die Ergeb nisse der aktuelle IQB-Studie haben also die letzten 10 bis 15 Jahre der Bildungspolitik“, so Rees weiter. Dieser Elternvertreter sagt, Politiker missbrauchten die „desaströse Situation der Bildung“ in BadenWürttemberg für einen „politischen Grabenkrieg“. Es müsse aber endlich mit allen Beteiligten nach Lösungen gesucht werden. – Recht hat er!
Es ist kein Anlass, diese Studien zu nehmen, um nun mit vordergründigen Begründungen – das sieht man vor allen Dingen in Ländern, in denen die Regierung des Öfteren gewechselt hat – der einen oder anderen Schulstruktur, der einen oder anderen im Überbau befindlichen bildungspolitischen Maßnahme die Ur sache für diese Ergebnisse zuzuschreiben, sondern es ist Zeit, sich mit den Themen zu beschäftigen, die nach allen internationalen Studien wirklich zu einem guten oder eben einem weniger guten Schulerfolg beitragen, und das sind letztendlich die Lehrer und Lehrerinnen und der Unterricht, den sie in der Klasse tatsächlich halten. Das ist der entscheidende Faktor, und darüber müssen wir uns unterhalten.
Was trägt also zu einem guten Ergebnis bei? Hier haben wir eine Liste von Punkten, zu denen wir uns in Bremen jeweils fragen müssen, ob wir tatsächlich das Beste aus unserem Bildungssystem herausholen. Ich teile die Einschätzung des Kollegen Güngör – die meines Erachtens hier nicht so gewürdigt worden ist, wie er das vorgetragen hat –, dass sich die Regie rungsfraktionen in der Tat sehr kritisch sowohl die Leistungen, die in den Studien abgebildet sind, als auch die Gründe, die zu diesen Leistungen führen, anschauen und wir genau mit diesem Geist daran gehen, dass sich die Dinge verändern müssen, sei es qualitativ wie auch quantitativ.
Was sind die Punkte? Wir müssen frühzeitig in den Schulen für den Lehrerberuf werben, um tatsächlich
nicht wie in Zeiten, in denen kaum ausgebildet und kaum eingestellt worden ist – die besten Talente, diejenigen, die nicht nur die intellektuellen Voraus setzungen, sondern auch die Berufung zum Lehrer beruf haben, auswählen zu können, um sie dann in die Schulen schicken zu können. Der entscheidende Erfolg, der hier gemessen wird, ob es Lesen, Englisch, Mathematik oder was auch immer ist, hängt daran, ob Lehrer und Lehrerinnen in den Schulen einen guten oder einen weniger guten Unterricht machen. Das ist der zentrale Punkt, und dafür brauchen wir die Motivation der besten Köpfe in diesem Land, die dann auch bereit sind, in den Lehrerberuf zu gehen.
Wir brauchen ein qualitativ hochwertiges Studium, das auf dem neuesten Stand ist, und wir brauchen einen ebensolchen Vorbereitungsdienst im Refe rendariat. Die Ausbildung unserer Lehrerinnen und Lehrer hat hier einen ganz entscheidenden Stel lenwert, und hier beschäftigen wir uns mit Qualität und nicht vordergründig mit Quantität, denn Sie können ganz viele Lehrer schlecht ausbilden, und Sie können etwas weniger Lehrer und Lehrerinnen gut ausbilden. Qualität kommt für mich persönlich in der bildungspolitischen Debatte dieses Landes von verschiedenen Akteuren viel zu selten vor. Qualität ist aber der entscheidende Einfluss auf die Ergebnisse, über die wir heute sprechen.
Des Weiteren geht es um regelmäßige Fort- und Weiterbildung. Auch das ist ein Faktor, der in der Studie immer wieder benannt wird. Bundesländer, die in ihren Ergebnissen Fortschritte gemacht haben, führen das, wenn sie Erklärungen suchen, darauf zurück, wie hoch die Rate derjenigen Lehrer und Leh rerinnen ist, die sich regelmäßig auf qualitativ hohem Niveau fort- und weiterbilden, das heißt, die nicht bei dem, was sie irgendwann einmal, teilweise vor Jahrzehnten, gelernt haben, stehen bleiben, sondern die das in der sich rasch wandelnden Gesellschaft, in der sich rasch wandelnden Wissenschaft immer wieder erneuern und die Schülerinnen und Schüler auf dem neuesten Stand unterrichten.
Wenn wir fragen, was Einfluss auf diese Ergebnisse hat, geht es im Weiteren konkret um Zusatzanstren gungen in Bereichen, in denen wir besonders schwach sind. Frau Vogt sagte, wir sind überall schlecht und überall am Ende. Das trifft ja auf das Englische nicht zu, das hat mein Kollege Güngör schon gesagt.