Protocol of the Session on May 26, 2016

Wie gesagt, das ist eine Altersarmut, die überwiegend weiblich ist. Auch das wurde hier schon einmal gesagt. Natürlich brauchen wir mehr Mut zur Ehrlichkeit. Eigentlich müssten wir den Mut haben und sagen: Leute, aufgrund ganz vieler Entwicklungen wirtschaftlicher, demographischer und sonstiger Art müssen wir das ganze System umstellen.

(Beifall ALFA)

Wir wissen alle, welche Schwierigkeiten wir dann kriegen, aber diese Diskussion müssten wir eigentlich führen. – Sie sehen ja gleich, ob wir zustimmen oder nicht!

(Heiterkeit)

Es wäre aber durchaus richtig gewesen, zu sagen: Okay, wir setzen uns dafür ein, dass zumindest das Rentenniveau wieder angehoben wird. Dann ist da noch die Frage mit dem Landesmindestlohn. Natürlich haben Sie recht, und wir sagen ja auch zu Recht, dass wir einen Mindestlohn wollen, der aus der Grundsicherung herausführt. Aber hier geht es um die Landesebene. Was kann man hier machen? Kann man den Menschen hier helfen? – Das war der Stufenantrag. – Ich danke Ihnen!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Schäfer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine Unwucht in unserem System, und ich weiß gar nicht, ob es ausreicht, an der einen oder anderen Stelle diese Unwucht nachzujustieren, oder ob wir grundsätzlich darüber nachdenken müssen, ob unser System noch so funktioniert, wie es funktionieren sollte.

(Zuruf Abg. Dr. Buhlert [FDP])

Ich glaube, mehr als 50 Prozent der weltweiten Literatur zum Thema Steuern ist in deutscher Sprache verfasst. Deutschland allein hat ein Steuersystem, das komplizierter ist als die Steuersysteme aller anderen Länder weltweit kumuliert. Da frage ich mich, ob das so in Ordnung ist. Wir haben Ausgaben, die astronomische Ausmaße annehmen. Das gesamte Sozialbudget liegt bei 900 Milliarden Euro im Jahr. 900 Milliarden Euro sind mehr, als wir durch die Einkommensteuer einnehmen. Wie können wir das finanzieren? Wie können wir diese 900 Milliarden Euro an Ausgaben im Jahr finanzieren? Das können wir in Deutschland deshalb, weil wir in einem sehr großen Bereich, in dem wir Abgaben abschöpfen können, nämlich bei den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern, zwei Abgabensysteme haben. Wir haben

die Steuer, die einer Progression unterliegt, und wir haben die Sozialabgaben. Das sind die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmersozialabgaben, die jeweils 20 Prozent ausmachen. Das heißt, jeder Arbeitnehmer erwirtschaftet im Grunde genommen erst einmal 40 Prozent Sozialabgaben, bevor er überhaupt anfängt, Steuern zu zahlen. Dann wundern wir uns, warum es unter Umständen mit gering qualifizierter Beschäftigung oder mit Niedriglohn nicht möglich ist, im Laufe eines Lebens Rücklagen zu bilden, die es erlauben, Altersarmut zu bekämpfen.

Wir haben ganz große Bereiche unserer gesellschaftlichen Aufgaben – ich nenne einmal Mütterrente und andere Dinge – einseitig ausgelagert und Lasten für Arbeitnehmer und Arbeiter geschaffen, und das ist falsch. Natürlich können wir darüber nachdenken und sagen: Wir reformieren jetzt das Rentensystem, wir definieren eine Mindestrente. Ich glaube allerdings, dass wir eine grundsätzliche Unwucht in unserem System haben. Wenn wir 40 Prozent Grundlastabgabe auf Arbeit haben und der durchschnittliche Steuersatz bei 22 Prozent oder so etwas liegt, dann ist das eine Unwucht.

Gerade als Bundesland Bremen, gerade mit einer linken Mehrheit in der Bürgerschaft müsste es uns möglich sein, größer zu denken als über eine Reform des Rentenrechts. Wir müssen über eine grundsätzliche Reform und eine grundsätzliche Vereinfachung des Steuerrechts nachdenken – bis hin zu einer Flatrate –, und wir müssen über so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen nachdenken, was von der Wiege bis zur Bahre die notwendigen Ausgaben deckt, die jemand braucht, um ein existenzwürdiges Minimum zu erwirtschaften. Alles andere können wir den Menschen selbst, ihrer Verantwortung und ihrer Lebensplanung überlassen.

Allerdings müssen wir uns vor Augen halten, dass diese 900 Milliarden Euro, die uns unser Sozialsystem heute kostet, ein Äquivalent von circa 1 000 Euro pro Bundesbürger pro Monat ist. An dieser Stelle könnten wir Bremer etwas mehr Mut beweisen, und wir könnten versuchen, Trailblazer für eine Entwicklung zu sein, die mittlerweile 60 Prozent der Europäer als richtungsweisend ansehen, und weggehen von der einseitigen Belastung von Einkommen aus Arbeit und hingehen zu einer grundlegenderen Betrachtung: Was kann die Gesellschaft leisten? Was soll sie leisten? Was hat die Gesellschaft dem einzelnen Individuum zur Verfügung zu stellen, und was kann das einzelne Individuum in seiner persönlichen Verantwortung für sein Leben gestalten? – Vielen Dank!

(Beifall ALFA)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Grönert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe vorhin gesagt, dass

die SPD Altersarmut in Bremen durch eine andere Arbeitsweise hätte schrumpfen lassen können. Ich verstehe nicht, wie Sie aus dieser Aussage solche merkwürdigen Konstrukte stricken können.

(Abg. Güngör [SPD]: Wir verstehen Sie auch nicht!)

Das muss ich aber letztlich Ihnen überlassen.

Zweitens möchte ich festhalten, dass ich inhaltlich zur Rente und zur Rentenreform gar nichts gesagt habe, und das hätten Sie merken können, wenn Sie aufgepasst hätten. Ich habe nur gesagt, dass wir die Bundesregierung in Frieden arbeiten lassen, damit sie erst einmal etwas vorlegen kann, und dass es selbstverständlich Vorschläge sein sollen, die an der Situation etwas verbessern und nicht verschlechtern. Das war im Grunde meine Aussage!

(Beifall CDU – Zuruf Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen])

Drittens: Frau Vogt, Sie haben eben an Ihrem Lebensbeispiel dargestellt, dass es sein kann, dass jemand am Ende nur 300 Euro Rente bekommt, wenn er 20 Stunden gearbeitet hat.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Ich habe 25 oder 30 Stunden gearbeitet!)

Ja, dann eben 25 Stunden! Dann hätten Sie vielleicht vier Kinder kriegen sollen, so wie ich. Ich bekomme ein bisschen mehr.

(Beifall CDU – Zuruf Abg. Frau Vogt [Die LINKE] – Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]) : Was ist das denn für ein Niveau, Frau Grönert! Das ist ja unglaublich, wie hier Debatten geführt werden! So etwas habe ich hier noch nicht erlebt! Mann! Da bin ich echt sprachlos über so etwas!)

Nein, das tut mir jetzt leid! Frau Vogt, ich habe höchstwahrscheinlich weniger Jahre als Sie eingezahlt. – Ist schon gut! Ich kriege auch nicht viel mehr als Sie! Nur durch die Mütterrente kriege ich vielleicht 100 Euro mehr, aber das müssen wir jetzt auch nicht vertiefen. Ich will damit nur sagen: Wenn Sie sagen, dass Sie am Ende 300 Euro Rente kriegen und nicht auf die Grundsicherung angewiesen sein möchten, und wenn das hier allgemeiner Tenor ist, dann kann man sich am Ende nur bei dem wiederfinden, was eben Herr Schäfer gesagt hat. Ich finde, man sollte grundsätzlich einmal eine Lanze für die Grundsicherung brechen.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Frau Grönert, lassen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Schaefer zu?

Ich möchte nur sichergehen, dass ich das gerade richtig verstanden habe.

(Zurufe von der CDU: Ja, haben Sie!)

Sie schlagen vor, dass Frauen erst mal viele Kinder kriegen sollen, damit sie ihre Rente gesichert bekommen. So klang zumindest der Vorschlag, den Sie gerade gegenüber Frau Vogt abgegeben haben.

(Unruhe – Abg. Frau Ahrens [CDU]: Unterste Schub- lade! – Abg. Frau Dr. Kappert-Gonther [Bündnis 90/ Die Grünen]: Andersrum wird ein Schuh draus!)

Ich wollte sagen, dass Frau Vogt wahrscheinlich mehr als 300 Euro Rente bekommt. Dadurch, dass sie ein Kind hat und sie ihr Leben lang 25 bis 30 Stunden gearbeitet hat, werden das mehr als 300 Euro sein.

(Abg. Frau Vogt [Die LINKE]: 350 Euro!)

Ich habe stundentechnisch wahrscheinlich nicht so viel gearbeitet wie Sie, habe halt drei Kinder mehr und bekomme auch nur 100 Euro mehr. Ich habe mich nur auf die Mütterrente bezogen.

Wenn Sie jetzt aber nicht auf die Grundsicherung angewiesen sein wollen und wenn das auch hier allgemeiner Tenor ist: Die SPD und die Grünen schreiben in ihrem zweiten Punkt, dass sie eine Bundesratsinitiative initiieren wollen mit dem Ziel, das Rentensystem umfassend zu reformieren und sicherzustellen, dass auch Geringverdienende – da können wir uns wiederfinden – und Erwerbstätige – –.

(Unruhe – Glocke)

lch bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit für die Rednerin! – Bitte!

Mit dieser Bundesratsinitiative wollen Sie also sicherstellen, dass auch Geringverdienende und Erwerbstätige in Teilzeit oder mit unterbrochenen Erwerbsbiografien als langjährig Versicherte im Alter nicht auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sind. Was ist die Konsequenz? Was möchten Sie denn? Die Grundsicherung liegt bei ungefähr 900 bis 1 000 Euro. Wenn niemand, der eine unterbrochene Erwerbsbiografie hat oder lebenslang in Teilzeit gearbeitet hat, darauf angewiesen sein soll, dann möchten Sie alle Renten, die irgendwie unter 900 oder 1 000 Euro liegen, also bei 300 oder 400 Euro, automatisch schon im Vorfeld auf eine bestimmte Summe aufstocken. Das kann ich nicht nachvollziehen, denn das passt irgendwie

nicht. Dann müssen Sie wirklich das ganze System umkrempeln, und dann hätten Sie das auch hier hineinschreiben können.

Sie haben keine Redezeit mehr, und deshalb können Sie mir vielleicht nicht mehr darauf antworten, aber vielleicht kann das jemand von der Senatorenbank machen. – Vielen Dank!

(Beifall CDU)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Fries.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Grundsicherung im Alter und für Erwerbsunfähige hat die Funktion, allen ein ausreichendes Einkommen zu gewährleisten, die das selbst aus Einkommen und Vermögen nicht sicherstellen können. Das ist genau der Punkt, auf den Sie, Frau Grönert, gerade hinaus wollten. Dafür muss man das System nicht umkrempeln. Das ist erst einmal die Grundfunktion eines nachrangigen Sozialsystems. Ich glaube, wir sind froh, dass wir dieses System haben.

(Vizepräsidentin Dogan übernimmt wieder den Vor- sitz.)

Die Besonderheit bei Altersarmut – ich glaube, wir dürfen nicht den Fehler machen, Armut verschiedener Alters- oder Bevölkerungsgruppen gegeneinander auszuspielen –

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

besteht darin, dass die Möglichkeit, darauf noch Einfluss zu nehmen, fast nicht mehr gegeben ist, weil die Einflussfaktoren im Erwerbsleben liegen, das bekanntlich, sonst wäre man nicht im Alter, schon hinter einem liegt und auch kein zweites Mal durchlaufen werden kann. Deswegen ist die Solidarität der Gesellschaft hier besonders gefordert, und die politische Frage ist, in welchem Maße eine Gesellschaft diese Solidarität erbringen will

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)