Protocol of the Session on July 15, 2015

All diese Investitionen stehen übrigens nach wie vor an, sie sind nicht vom Tisch, aber in den nächsten Jahren und spätestens ab dem Jahr 2017 wird es sehr schwer werden, den Konsolidierungspfad überhaupt noch einzuhalten. Das weiß auch der zukünftige Senat, und nicht wenige in diesem Bundesland fragen sich, ob der Senat, der heute gewählt wird, aus diesen Gründen überhaupt vier Jahre Bestand haben wird, und wenn, zu welchen Bedingungen.

Frau Linnert und der ehemalige haushaltspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Herr Dr. Kuhn, stehen beziehungsweise standen wie kaum jemand anders in diesem Bundesland hinter der sogenannten Austeritätspolitik. Sinkende staatliche Einnahmen durch Steuersenkungen werden durch sinkende staatliche Ausgaben und damit allerdings auch schrumpfende staatliche Leistungen kompensiert. Dass dies ökonomisch nicht sinnvoll ist, merken inzwischen viele in Europa, dazu muss man nicht nach Griechenland schauen, dass dies auch sozialpolitisch und somit letztendlich auch volkswirtschaftlich großer Unsinn ist, das merken in diesem Bundesland immer mehr Menschen, und inzwischen werden wir für unsere Kritik dafür nicht mehr nur belächelt, sondern auch gewählt, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall DIE LINKE)

Wir wissen mittlerweile, dass die Verhandlungen über die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen ziemlich festgefahren sind. Es ist schön, dass Herr Dr. Sieling ein ausgewiesener Haushaltsexperte ist – das weiß auch ich zu schätzen –, aber die Ergebnisse oder vielmehr fehlenden Ergebnisse, die man bislang in Berlin erzielt hat, sind eher dürftig. Ja, man sei sich einig, dass Bremen Zinsbeihilfen verstetigt erhalten muss. Die vom designierten Bürgermeister genannte Zahl, dass 300 Millionen Euro nicht ausreichen, sondern es mindestens 500 Millionen Euro sein müssen, diese Ansicht teilen wir, hierin findet er unsere vollste Unterstützung.

(Beifall DIE LINKE)

Allerdings fällt auf, dass niemand mehr von einer Lösung für die Altschulden spricht, und ich muss sagen, dass ich vor vier Jahren hier mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen habe, als Herr Dr. Güldner verkündete, im Rahmen dieser Art der Haushaltskonsolidierung könne Bremen auch anfangen, zukünftig seine Schulden zu tilgen. Nein, das ist eine Illusion! Wer das heute noch behauptet, der belügt sich selbst und macht den Menschen in diesem Bundesland etwas vor, das dürfen wir nicht. Wir brauchen

natürlich auch eine Regelung für die Altschulden, sonst kommen Bremen und auch einige andere Bundesländer nicht voran.

(Beifall DIE LINKE)

Herr Dr. Sieling hat die Bildung zum künftigen Schwerpunkt der nächsten vier Jahre ausgerufen. Gut, das haben wir im Jahr 2007 auch schon vernommen, und wo wir heute stehen, braucht nicht mehr betont zu werden. Der Koalition ist bewusst, dass sie insbesondere wegen des fehlenden Personals an den Schulen bei den Wahlen so abgestraft wurde.

Jetzt erleben wir einen erneuten Senatorinnenwechsel, nachdem die ursprüngliche Bildungssenatorin der rot-grünen Koalition im Jahr 2012 wegen der chronischen Unterfinanzierung ihres Ressorts den Rücktritt eingereicht hatte. Auf Frau Professor Dr. QuanteBrandt folgt nun Frau Dr. Bogedan. Sie ist ebenso wie ihre unmittelbare Vorgängerin bislang nicht durch bildungspolitische Akzente aufgefallen, ob das ein gutes Signal für Bremens jahrzehntelange und auch oft verspottete Dauerbaustelle ist, darf bezweifelt werden.

(Abg. Senkal [SPD]: Man muss nicht immer Lehrer sein!)

Im Koalitionsvertrag gibt es eine große Entscheidung zur Zusammenlegung der Bereiche Bildung und Kinder in einem Ressort. Es sind sich seit geraumer Zeit alle einig, dass eine engere institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen diesen Bereichen notwendig ist. Die Zusammenfassung in einem Ressort muss nun nicht zwangsläufig die Lösung sein – wir haben hier in der Debatte um den Ausschuss zur Bekämpfung und Prävention von Armut und sozialer Spaltung vorgeschlagen, ein gemeinsames Referat einzuführen –, aber man muss auch einmal festhalten, dass die Entscheidung, wenn man sich die Koalitionsvereinbarung durchliest, zunächst einmal nur eine Form darstellt. Darüber, wie diese Form ausgestaltet und gelebt werden soll, sagt die Koalitionsvereinbarung leider sehr wenig aus.

Wie soll die Zusammenarbeit aussehen? Auch dazu wird nichts erklärt. Es wird eine Senatskommission gebildet, die bis zum Jahr 2016 die Übertragung von Zuständigkeiten, Personal- und Haushaltsmitteln organisatorisch umsetzen soll, und dann würden auch die entsprechenden Gesetze geändert. Das ist erst einmal ein technokratischer Prozess. In der Vereinbarung ist zunächst einmal nicht sehr viel davon zu erkennen, dass es einen neuen Ansatz geben soll, bei dem zwei unterschiedliche Bereiche zusammengeführt werden, voneinander lernen und auf Augenhöhe – getragen von gegenseitigem Respekt – etwas Neues entwickeln. Im Interesse des Bundeslandes Bremen wünschen wir uns, dass dieser Neuanfang gelingt, haben aber unsere Zweifel.

Im Koalitionsvertrag gibt es keine institutionelle Kreativität, die auf irgendwelche Bemühungen zur Armutsbekämpfung hinweisen würde. Nur zum Vergleich: Namibia hat seit März 2015 ein Ministerium für Armutsbekämpfung und soziale Wohlfahrt, und in Nordrhein-Westfalen gibt es seit Mai 2015 wenigstens eine Fachstelle für sozialraumorientierte Armutsbekämpfung, die zwar mit einem lächerlich kleinen Betrag von 4 Millionen Euro für die Armutsbekämpfung der Kommunen ausgestattet ist, aber immerhin, es gibt sie. In vielen Ländern und Kommunen wird darüber nachgedacht, wie sie die Ganzheitlichkeit von Armutsbekämpfung und sozialstaatlichen Aufgaben auch institutionell besser zum Ausdruck bringen können, und die neue rot-grüne Regierung tut das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall DIE LINKE)

Stattdessen gibt es auf der Ebene des Ressortzuschnitts und der Senatsbildung eine weitere Degradierung des Bereichs Arbeit. Vor acht Wochen wurde darüber spekuliert, ob der Bereich Arbeit möglicherweise zur Chefsache erklärt und direkt beim Bürgermeister und der Senatskanzlei angesiedelt würde, denn – ich zitiere – „sozialer Zusammenhalt durch gute Arbeit“ war der erste Punkt in dem sogenannten Sieling-Papier.

Uns verwundert nicht einmal so sehr, dass der Bereich Arbeit dort bleibt, wo er bisher war, nämlich beim Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, diese Diskussion haben wir hier schon vor vier Jahren geführt. Uns verwundert, dass sich dies auch überhaupt nicht in den Personalentscheidungen in dem Ressort ausdrückt. Einer der wenigen neuen Akzente im Koalitionsvertrag ist, dass die Vertretung der Trägerversammlung des Jobcenters zukünftig auf Staatsräteebene angesiedelt wird. Allerdings gibt es gar keinen Staatsrat für Arbeit mehr, sondern nur einen Staatsrat für Wirtschaft und Häfen, der den Bereich Arbeit nur nebenbei hat. Das sind die Punkte, an denen der Koalitionsvertrag sich selbst nicht ernst nimmt.

(Beifall DIE LINKE)

Kreative institutionelle Lösungen hätte man aber finden können. Für die Bereiche Kinder und Bildung, soziale Stadtteilentwicklung und Armutsbekämpfung, Arbeit und Arbeitslosigkeit hätte man durchaus einen ressortübergreifend zusammengesetzten Fachausschuss mit externen Fachleuten, Vertreterinnen und Vertretern der Initiativen und anderen Akteuren unter Führung des Bürgermeisters bilden können. Das hätte einen gewissen Willen demonstriert, in diesen Bereichen weiterzukommen und sie nicht in den üblichen Ressortegoismen untergehen zu lassen. Das hätte ich tatsächlich als Aufbruch empfunden, aber diesen Weg versuchen Sie nicht einmal zu gehen!

(Beifall DIE LINKE)

Außer dem designierten Bürgermeister Herrn Dr. Sieling, Frau Linnert, Frau Dr. Bogedan und Herrn Günthner stehen hier heute aber auch noch andere Senatorinnen und Senatoren zur Wahl. Fangen wir wegen der Aktualität einmal mit dem heute zu wählenden Innensenator an! Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat sich eben selbst zitiert, ich hätte das sonst auch getan. Es wird Sie überraschen, aber ich werde es einmal genauso wenig ideologisch versuchen.

Was ist die Bilanz von Herrn Mäurer? Er hat im Gegensatz zur 17. Legislaturperiode Beschlüsse der Bremischen Bürgerschaft im Bereich des Aufenthaltsrechts umgesetzt. Das zu loben wäre allerdings ein wenig absurd, denn die Exekutive muss eigentlich Beschlüsse der Legislative umsetzen, faktisch hat sie das allerdings in den vorherigen vier Jahren viel zu wenig getan. Muss man einen Innensenator dann dafür loben, der es ausnahmsweise einmal tut? Man könnte, aber eigentlich müsste man im Sinne der Gewaltenteilung erwarten können, dass Beschlüsse, die wir hier fassen, umgesetzt werden.

Kommen wir zu den immer noch unideologischen Kritikpunkten! Innensenator Mäurer hat eine – ich drücke es einmal vorsichtig aus – politische Nähe zur Fernsehkamera. Ich gebe zu, dass es der Vorsitzende der SPD-Fraktion war, der den Senat bezüglich der Frage der DFL-Gebühren vor sich hergetrieben hat, aber unser Innensenator hat den Ball auch nicht flach gehalten. Kaum war der Vorschlag – damals noch, dass Werder zahlen soll – im Raum, durften wir Bundesligaspiele erleben, bei denen alles aufgefahren wurde, was aufgefahren werden konnte. Der neue Wasserwerfer 10 000 wurde einmal vorgeführt,

(Abg. Senkal [SPD]: Der sanfte Riese!)

zum Stadion wurde man auf einmal durch Polizeispaliere geführt und kam sich vor wie eine Schwerverbrecherin, und die Polizeikosten für vergleichbare Bundesligapartien lagen in Bremen immer noch um ein Drittel über den Kosten in anderen Städten, in denen diese Partien auch ausgetragen wurden.

Vollends absurd wurde es dann, als Werder-Spiele auf Platz 11 – Werder war bis zum Ende der letzten Saison noch nicht einmal in der dritten Liga vertreten – von einer ganzen Hundertschaft begleitet wurden. Man muss sich das einmal vorstellen: Fünf ältere Herren in Gummistiefeln kommen aus Meppen, steigen aus dem Bus, und eine Hundertschaft oder eine halbe Hundertschaft schützt die Pommesbude!

(Heiterkeit)

Kolleginnen und Kollegen, hier wäre weniger einmal mehr gewesen! Ich habe hier oft die Anzahl der unbezahlten Überstunden bei der Polizei kritisiert, aber in den Bereichen, wo der Innensenator sich der öf

fentlichen Aufmerksamkeit sicher war, wurde nicht gegeizt. Dass die Beamten im Einsatzdienst unterbesetzt sind und bei gleichzeitig auflaufenden Meldungen von häuslicher Gewalt teilweise aus dem Bauch heraus entscheiden müssen, welche Einsatzlage eine höhere Priorität hat, steht in keiner Zeitung und kommt auch nicht in die Tagesschau, aber hier wäre ein Handeln einmal angezeigt gewesen.

(Beifall DIE LINKE)

Den fragwürdigen Höhepunkt haben wir beim sogenannten Anti-Terror-Einsatz Ende Februar/Anfang März erlebt,

(Glocke)

und ich möchte jetzt hier nicht über die bekannten Pannen reden, sondern über die Frage, die bald einen Untersuchungsausschuss beschäftigen wird, dann komme ich auch zum Schluss, Herr Präsident! Hat der Innensenator aus politisch motivierten Gründen drei Monate vor der Wahl Einfluss auf den Polizeieinsatz genommen? Nach Durchsicht der Akten und der Schmallippigkeit der Verantwortlichen auf meine Fragen in dieser fragwürdigen Aufklärungskommission, die in der Stadt schon spöttisch als Untersuchungsausschuss für Kassenpatienten bezeichnet wurde, würde ich fast in Versuchung kommen und sagen: Ja, hat er! Auch hier akzeptiere ich aber bis zum Beweis des Gegenteils, dass die Unschuldsvermutung für jeden gilt. Diese Unschuldsvermutung befindet sich aber auf sehr dünnem Eis. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie wären gut beraten gewesen, sich zu überlegen, wen Sie für das Innenressort ins Rennen schicken,

(Abg. Tschöpe [SPD]: Haben wir!)

und vielleicht von diesem Innensenator Abstand zu nehmen.

(Abg. Senkal [SPD]: Ich finde Uli gut!)

Ich melde mich dann in der zweiten Runde noch einmal. – Danke!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Steiner.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Wahl des Senats ist ja eigentlich ein feierlicher Augenblick, den wir heute hier erleben dürfen, denn wir werden gemeinsam als Vertreter der Bremerinnen und Bremer darüber abstimmen, welchen Senatoren wir unser Vertrauen schenken und wem wir vor allem zutrauen,

das Land Bremen in eine bessere Zukunft zu führen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, wir sind natürlich auch bei einigen Personalien äußerst skeptisch.

An Herrn Dr. Sieling gerichtet möchten wir Folgendes sagen: Sie sind zurück in Bremen, was natürlich schön ist, herzlich willkommen zurück! Sie streben aber das Amt des Bürgermeisters an, und bei der letzten Bürgerschaftswahl am 10. Mai haben wir leider eine Katastrophe erlebt, und zwar dahingehend, dass wirklich wir alle und gerade auch unsere Demokratie verloren haben. Angesichts dieser Wahlbeteiligung kann sich niemand von uns noch herausreden, sie ist einfach desolat. Die Frage ist, woran das liegt.

Die SPD hat in den letzten Jahren immer wieder mehrfach das Wahlrecht diskutiert, es wurden Marginalien geändert, das Wahlberechtigungsalter wurde verändert, und es wurden andere Aspekte diskutiert, wie etwa die Wahlperioden zu verlängern und so weiter, offensichtlich aber ohne Erfolg. Wir können doch kaum glaubwürdig von einer demokratischen Entscheidung sprechen, wenn gerade einmal 50,2 Prozent der Bürger zur Wahl gehen.

Ich glaube, das Hauptproblem, das die starke Politik- und vor allem auch die Politikerverdrossenheit auslöst, ist die fehlende Echtheit, die wir hier erleben. Nach dem Rücktritt einerseits von Jens Böhrnsen, der rund 100 000 Stimmen erhalten hat, andererseits aber auch nach dem nicht erfolgten Amtsantritt von Elisabeth Motschmann, die rund 50 000 Stimmen erhalten hat, sind einfach einmal 150 000 Stimmen weg. Sie sind quasi im Kosmos verdunstet.

Jetzt kann man sagen, Herr Dr. Sieling, Sie als designierter Präsident des Senats standen nicht auf dem Wahlzettel. Ich weiß, das kann man machen, aber ich glaube, für den Wähler ist kaum noch nachvollziehbar, was hier passiert. Ich glaube, viele fühlen sich tatsächlich betrogen.

(Beifall FDP)

Ich möchte an Sie, lieber Herr Dr. Sieling, appellieren, die Glaubwürdigkeit in Bremen auch wirklich wiederherzustellen, damit wir gemeinsam das Vertrauen der Wähler wieder zurückgewinnen, denn das ist etwas, was wir alle als Gemeinschaftsprojekt verfolgen sollten, und nicht jeder sollte sein eigenes Süppchen kochen.

(Beifall FDP)

Sie gelten als Gewächs der linken SPD, und alles, was ich von Ihnen und über Ihre Personalie bisher gelesen habe, die Ideen, die Visionen betreffen leider nahezu ausschließlich die Arbeitnehmerrechte. Als Beispiele nenne ich die Verschärfung des Bremischen Mindestlohngesetzes, die Verteufelung von Leiharbeit, das betrifft natürlich auch die Ausbildungsgarantie, statt massiv eine Bildungsoffensive zu betreiben.

(Beifall FDP)

Kein Wort wird über die Arbeitgeber verloren, aber vor jedem Arbeitnehmer steht nun einmal auch ein Arbeitgeber, und die Wertschätzung der Unternehmen findet überhaupt nicht statt. Insbesondere unser Mittelstand, der auch noch inhabergeführt ist, ist das Rückgrat unserer heimischen Wirtschaft. Als Unternehmerin sage ich Ihnen: Wir Unternehmer haben Werte. Wir denken generationenübergreifend. Wir haben eine starke Bindung an unsere Mitarbeiter – und da unterscheiden wir uns von großen Konzernen –, sie haben für uns nämlich einen Namen, sie haben eine Geschichte. Sie sind nicht irgendeine Nummer im EDV-System, und vor allen Dingen sind wir standorttreu.