Protocol of the Session on February 25, 2016

Ich habe die Hoffnung, dass es vielleicht doch am Ende aus Vernunftgründen schneller geht, als Sie es in Ihrem Antrag beschreiben. Ich will in keinem Staat leben, in dem sich 160 Flüchtlinge, unbegleitete minderjährige Ausländer, aus einem Bremer System verflüchtigen und niemand weiß, was aus ihnen geworden ist, und wo sie geblieben sind. Ich will auch in kei

nem System leben, in dem Hunderte von Straftaten begangen werden, ohne dass der Staat in der Lage ist, als Vater und Mutter, als Erziehungsberechtigter dieser Kinder zu reagieren.

Ich sperre meine Kinder zu Hause nicht weg, aber wenn ich wüsste, dass sie jeden Abend losziehen, um Drogen zu konsumieren und Straftaten zu begehen, dann würde ich dafür sorgen, dass sie abends das Haus nicht mehr verlassen. Ich würde ihnen keine Straßensozialarbeit anbieten und auch keine sozialpädagogischen Hilfen, ich würde einfach sagen, heute Abend geht’s mal nicht heraus! Das ist die Antwort, die diese Menschen brauchen, meine Damen und Herren.

(Beifall CDU – Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/ Die Grünen]: Und dann bleiben die Frauen zu Hau- se! – Zuruf von der CDU: Und wir als Väter und Müt- ter von unseren Kindern werden behandelt wie der gute Onkel! – Abg. Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Herbergsvater Röwekamp!)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte noch etwas zu dem einen oder anderen Punkt sagen. Es wurde gesagt, ich hätte die Worte „keine echten Verfahren“ erwähnt. Das ist völlig absurd. Als Rechtsstaatler gehe ich natürlich auch davon aus und weiß davon, dass unsere Jugendrichter in Bremen ein rechtsstaatliches Verfahren abhalten, und ich weiß auch, dass Untersuchungshaft den rechtlichen und rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Damit bin ich völlig d’accord.

Darum geht es aber nicht. Hier geht es darum, dass wir seit über einem Jahr Kriminalität in großem Ausmaß haben, und wenn sich dann Parlamentarier oder Personen aus der Bevölkerung Gedanken darüber machen, wie wir dieses Verfahren verbessern und beschleunigen können – –. Die Jugendrichter sagen ja selbst, bei der Vielzahl von Verfahren sind sie überlastet, und auch bei der Polizei und der Staatsanwaltschaft ist es so. Dort brauchen wir einfach etwas mehr Personal, und wenn man mehr Personal hat und dem Gedanken des Jugendstrafrechts mehr Rechnung tragen will, bedeutet das nicht Untersuchungshaft, sondern zügige Verfahren, nach einer Straftat schnell ermitteln, schnell anklagen, und dann muss die Strafe quasi auf dem Fuße folgen. Das ist richtiges, konsequentes Jugendstrafrecht, und dafür haben wir plädiert.

(Beifall FDP)

Des Weiteren bin ich darüber erfreut, was die Senatorin sagte. Ich habe vorhin ebenfalls extra ausgeführt, dass wir das auf zwei Beine stellen müssen. Wir benötigen nicht nur das Jugendstrafrecht, das ja freiheitsmäßig erst im späteren Verfahren oder bei er

heblichen Delikten sofort eingreift, sondern wir brauchen das interdisziplinäre Vorgehen, das gemeinsame Abstimmen der verschiedenen Möglichkeiten, und auch das vormundschaftsrechtliche und familiengerichtliche Verfahren mit der intensivpädagogischen Betreuung muss eingearbeitet werden. Die Mosaiksteine, die sich aus den vielen Anträgen ergeben haben, sind grundsätzlich richtig, aber es kommt darauf an, das zügig und zeitnah zu kombinieren und umzusetzen.

(Beifall FDP)

Sie haben dies über viele Monate nicht gebracht, und bei Ihrem Antrag, der darauf zielt, sich noch einmal vier Monate Zeit zu geben, bin ich ebenfalls noch nicht sicher, ob Sie es in vier Monaten geschafft haben werden, sondern dann hören wir wahrscheinlich kurz vor der Sommerpause hier wieder einen Bericht, es müsse noch dieses und jenes getan werden. Wir brauchen einfach mehr Elan in dieser Debatte und in der Umsetzung. – Danke schön!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Schaefer.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Röwekamp, ich weiß gar nicht, warum Sie in den ersten Sätzen dieser zweiten Runde schon wieder so in Wallung gekommen sind. Sie tun so, als ob irgendeine Rednerin, irgendein Redner in der ersten Runde die Anzahl oder die Art der Delikte infrage gestellt oder so getan hätte, als ob uns der Opferschutz oder die Gesellschaft egal sei.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Genauso ist es! Genau der Eindruck wird erweckt!)

Ich denke, wir waren uns alle einig – und das hat auch jeder Einzelne betont –, dass der Opferschutz ganz weit vorn steht.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Nur bei den Delikten, die Sie aufgezählt haben – und das sagen auch die Juristen –, kommt oftmals das Jugendstrafrecht überhaupt nicht zum Zuge, weil es nämlich juristische Vergehen und keine Verbrechen sind. Das zeigt auch dieses Dilemma, deshalb weise ich, wie in meinem ersten Redebeitrag, noch einmal darauf hin: Die geschlossene Unterbringung ist kein „Knast light“. Sie unterliegt nicht dem Jugendstrafrecht, sondern dem Jugendhilferecht, und deswegen ist es auch so, dass zum Beispiel für ein Gebäude sehr hohe Standards gesetzt werden. Es ist eben nicht irgendeine Justizvollzugsanstalt, deshalb ist es auch

so schwierig, eine Jugendhilfeeinrichtung einmal eben so zu errichten. Wenn man sich anschaut, wie lange das in anderen Bundesländern dauert, es gibt ein Beispiel aus Niedersachsen, dort hat es Jahre gedauert.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Warum ist dann das Gebäu- de errichtet worden? Was ist mit unserem Gebäude eigentlich los? Warum haben wir es denn gebaut?)

Ja, es ist eben nicht geeignet. Herr Röwekamp, ich habe Ihnen jetzt auch zugehört, vielleicht schaffen Sie es auch einmal.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Ja, wir bekennen uns zu Zwischenlösungen; aber dass alle immer denken, die Zwischenlösungen müssten zwangsläufig hier in Bremen sein, verstehe ich nicht. Wir haben jetzt – Sie werfen ja der Sozialsenatorin vor, sie würde gar nichts tun – delinquente Jugendliche auch schon in anderen Einrichtungen, so wie es Hamburg mit Bremen zusammen tun will, in anderen Bundesländern untergebracht,

(Glocke)

dort, wo es nämlich geeignete Zwischenlösungen und Einrichtungen gibt, als hier irgendetwas übers Knie zu brechen, was juristisch nicht standhält. Sie sagen, Sie wollen nicht in einem System leben wie hier in Bremen. Wissen Sie, was? Ich lebe lieber hier in Bremen als in Berlin, wo ein CDU-Senator völlig überfordert ist und es noch nicht einmal schafft, die Flüchtlinge in Unterkünfte zu bringen, wo aber im Übrigen genauso viele oder noch mehr Kinder und Jugendliche verschwunden sind. Ich möchte das nicht so verstanden wissen, dass man das schönredet. Ich finde, das ist ein riesiges Problem hier in Bremen, aber auch in anderen Bundesländern und auch in Europa, und dafür müssen wir Lösungen finden. Wir haben eine Fürsorgepflicht für diese Kinder, und diese müssen wir ernst nehmen. Deshalb halte ich es für richtig, dass man nach den vermissten Kindern und Jugendlichen sucht. Aber, Herr Röwekamp, Ihr letzter Satz hat mich echt noch einmal verwundert. Sie sagten, Sie sperren Ihre Kinder, wenn sie Mist bauen, nicht weg, aber Sie sorgen dafür, dass sie zu Hause bleiben.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Das habe ich nicht gesagt!)

Das hat mich gestern schon in der Fragestunde ein wenig verwundert, weil immer so getan wird, als ob man die Jugendlichen in die Einrichtungen bringt und sie dann irgendwie wegsperren könnte. Das ist eben nach dem Jugendhilferecht juristisch nicht so. Ich wundere mich schon ein wenig. Vielleicht haben Sie gut erzogene Kinder, wenn Sie sagen: Ihr seid vor

hin ausgerückt, jetzt dürft ihr nicht ausrücken; und sie bleiben zu Hause. So richtig entspricht dieser Vergleich eben nicht der Realität mit den Jugendlichen. Frau Senatorin Stahmann ist darauf eingegangen, dass wir es mit einer neuen Qualität von delinquenten Jugendlichen zu tun haben. Ich sage als Grüne noch einmal: Ja, wir haben uns zu der fakultativ geschlossenen Einrichtung bekannt. Man kann es aber nicht übers Knie brechen, denn dann passiert das, was in anderen Bundesländern auch passiert: dass sie nicht optimal funktionieren.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Von „übers Knie bre- chen“ kann mittlerweile kaum die Rede sein!)

Wir müssen doch aus den Fehlern anderer Einrichtungen lernen, damit es bei uns besser gelingt. Aber dass Sie das immer wieder negieren und sagen, dass diese intensivpädagogischen Maßnahmen nicht sinnvoll seien, kann ich nicht verstehen.

Es sind sinnvolle Maßnahmen, und das zeigen Erfahrungen aus Jugendhilfeeinrichtungen und von Jugendhilfeträgern aus anderen Bundesländern. Ich bin auf Beispiele aus Hamburg eingegangen. Deswegen ist es doch richtig – und das hat Frau Aulepp auch gesagt –, wenn man sich zu dem einen bekennt, dann heißt das noch lange nicht, dass man das andere nicht macht.

Für uns sind die intensivpädagogischen Maßnahmen sehr sinnvolle Bausteine, um die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie sind. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich ein paar Dinge in der Debatte nicht so ganz verstanden habe.

Herr Röwekamp, Sie haben eben den Grünen vorgeworfen, sie würden auf das Strafrecht setzen, und das könnten Sie nicht nachvollziehen. Ich habe mir eben noch einmal das neue Konzept zur Nachsteuerung im Jugendstrafvollzug für den männlichen Bereich angeschaut. Ich muss sagen, natürlich, Frau Dr. Schaefer, ein Großteil der Delikte, die Herr Röwekamp hier eben gerade genannt hat, fällt nicht unter eine Strafe nach dem Jugendstrafrecht, die zu einer Verurteilung führen würde, aber viele Delikte fallen unter das Jugendstrafrecht. Es sind bereits Jugendliche verurteilt worden, namentlich diejenigen, die durch besonders aggressive Delikte aufgefallen sind.

Es wird hier suggeriert, als ob das Strafrecht für Jugendliche überhaupt nichts mit der Jugendhilfe zu tun hätte. Es hat sehr wohl etwas mit der Jugendgerichtshilfe zu tun, weil sich das Jugendstrafrecht vom

regulären Strafrecht dadurch unterscheidet, dass nicht nur der Sühnegedanke und der Bußegedanke bei der Verhängung einer Strafhaft im Vordergrund stehen, sondern natürlich auch die Hilfe zur Erziehung. Das ist das eine.

Wir wissen auch aus den Erfahrungen – es gibt Menschen, die aus dieser Tätergruppe verurteilt worden sind –, dass in dem Moment, in dem sie eine Jugendstrafhaft antreten müssen, zum Beispiel eine Therapie angeordnet werden konnte. Herr Röwekamp, man muss nicht spätabends auf den Bahnhofsvorplatz gehen, die Jugendlichen sieht man dort auch am Tage. Man sieht ihnen oft auch schon von Weitem an, dass sie stark unter Drogen stehen. Diese Situation ist für keinen Menschen auf der Welt irgendwie beruhigend, weil man einfach nicht weiß, wie sie reagieren.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Es ist aber auch keine Situation, um Ängste zu schüren!)

Am Dienstag hat mich ein völlig unter Drogen stehender Jugendlicher angegangen. Das Problem ist, wenn sie nicht verurteilt worden sind – ich möchte das nur kurz erklären –, dann kann man keine Therapie gegen ihren Willen anordnen. Bei den Verurteilten ist die Durchführung einer Therapie die Auflage des Gerichts gewesen. Die Auflage ist eingehalten worden. Wenn man mit den Beschäftigten in der Jugendgerichtshilfe redet, dann haben die Beschäftigten der Jugendgerichtshilfe durchaus einen Zugang zu den Verurteilten herstellen können. Sie haben es erreicht, dass ein Entzug durchgeführt worden ist und dass sie im Anschluss an die Haftstrafe einen Platz in einer Einrichtung erhalten haben, die ihnen weitergeholfen hat.

Ich verstehe deshalb nicht, dass Sie den Grünen vorwerfen, dass, wenn es zu strafrechtlichen Verurteilungen gekommen ist, diese auch vollzogen werden. Das heißt eben nicht, dass die Jugendlichen damit alleingelassen werden.

(Beifall DIE LINKE)

Das andere ist, dass Herr Zenner gesagt hat, dass die Verhängung von U-Haft genau das verhindert, weil die Jugendgerichtshilfe nicht zuständig ist. Das sehe ich genauso.

Ich komme noch einmal zu einem anderen Punkt! Wir haben uns als LINKE gegen die fakultativ geschlossene Unterbringung ausgesprochen, weil es gute Gründe dafür gibt, dass sie nicht funktioniert.

Ich komme jetzt noch einmal auf meine an Frau Aulepp gerichtete Zwischenfrage zurück. Die Jugendnothilfe und die Träger der Jugendhilfe sind überlastet. Frau Senatorin Stahmann hat es eben zu Recht gesagt, es sind über 1 000 Jugendliche in Obhut genommen worden, die über keinen Flucht- oder Migrationshintergrund verfügen. Die Träger sind vor allen

Dingen mit den delinquenten Jugendlichen überlastet, weil die Jugendlichen von der Polizei oft nachts nach der Festnahme in die Einrichtungen gebracht werden.

Herr Kollege Möhle hat es hier schon einmal gesagt, die Jugendlichen stehen dann unter Drogen, und es ist bereits vorgekommen, dass Erzieher tätlich angegriffen worden sind. Sie beklagen zu Recht, dass in Bremen seit zwei Jahren zu wenig Personal vorhanden ist und dass Bremen in diesem Bereich zu wenig unternimmt.

Dies gilt nicht nur für die delinquenten Jugendlichen, sondern für die Jugendlichen insgesamt. Die Erzieher fühlen sich alleingelassen. Wenn Sie einmal mit einem Erzieher geredet haben, der mit einem Stuhlbein verletzt worden ist, dann wissen Sie, aus welchen Gründen sich die Erzieher überlastet fühlen. Sie wissen dann auch genau, aus welchen Gründen diejenigen, die in der Jugendhilfe arbeiten, vehement fordern, dass im Vorfeld einer Strafhaft und einer geschlossenen Unterbringung mehr passieren muss. Genau das kritisiere ich.

Herr Röwekamp, in diesem Fall gebe ich Ihnen recht, es ist in diesem Bereich in den letzten Monaten nichts passiert, und das darf wirklich nicht sein, liebe Kolleginnen und Kollegen!