Protocol of the Session on December 10, 2015

Das Schicksal der Uiguren ist – jedenfalls in Deutschland vielen – nahezu unbekannt. In Deutschland lebt eine Community von mehreren Hundert Uiguren in München, die sich dort zusammengeschlossen haben. Ihr Verein firmiert als Weltkongress der Exil-Uiguren. Sie sind eine muslimische Minderheit in der chinesischen Provinz Xinjiang mit ungefähr zehn Millionen Menschen, auch das hat Herr Öztürk schon gesagt. Die chinesische Zentralregierung geht in der Region gegen alle Autonomiebestrebungen dieser Minderheit mit großer Härte vor. Ähnlich wie in Tibet wird versucht, die kulturelle Identität der Uiguren durch die systematische Ansiedlung von Han-Chinesen strikt zu untergraben. War im Jahr 1949 nur einer von 15 Bewohnern dieser Provinz ein Han-Chinese, hat sich das Verhältnis heute auf eins zu drei reduziert. Infolge dieser Besiedlungspolitik wurde der Ruf der Uiguren nach mehr Autonomie natürlich lauter: Das kann man gut nachvollziehen. Das Vorgehen gegen diese Volksgruppe wird von der chinesischen Regierung als Kampf gegen den Terrorismus deklariert, um der Bekämpfung einen scheinbar guten Grund zu geben.

Wenn wir also über Uiguren sprechen, sind Massenverhaftungen und massive Menschenrechtsverletzungen für diese Volksgruppe in China kein seltenes Phänomen. Die Vorsitzende des uigurischen Weltkongresses, Rebiya Kadeer, die bereits mehrfach für den Friedensnobelpreis nominiert worden ist, hat eine mehrjährige Haftstrafe hinter sich. Folgen dieser Menschenrechtsverletzungen waren in den letzten Jah

ren auch immer wieder Flüchtlingswellen von Uiguren nach Südostasien und eben auch nach Europa. Auch wenn die Bundesregierung sich im Rahmen des deutsch-chinesischen Menschenrechtsdialogs immer wieder für den schnellen Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und die Einhaltung der Menschenrechte in China – natürlich auch gegenüber den Uiguren – einsetzt, ist die Situation für alle bis heute nicht zufriedenstellend. Auf diesen Punkt gehen die Punkte drei bis fünf in dem gemeinsamen Antrag ein. Ich bin froh, dass unsere Bundesregierung und die Europäische Union es immer wieder aufs Schärfste verurteilen, wenn Staaten in Südostasien, wie zum Beispiel Thailand, Uiguren nach China abschieben, wo sie an Leib und Leben bedroht sind.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Nun zum aktuellen Bezug! Erst am 24. November dieses Jahres, also vor mehr als zwei Wochen, gab es ein Treffen des Vizepräsidenten des Weltkongresses der Uiguren mit dem Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Menschenrechte, unserem CSU-Parteifreund Michael Brandt. Der Menschenrechtsausschuss plant nämlich für das Frühjahr 2016 eine Delegationsreise nach China, bei der auf die Initiative auch unserer Fraktion ein Besuch der Uiguren in der bewohnten Provinz Xinjiang vorgesehen ist. Das zeigt, dass das Thema auch der Bundesregierung sehr bewusst ist und der Dialog mit der chinesischen Regierung fortgeführt wird. Schön ist am Ende aller dieser Beiträge, dass wir jetzt alle den Volksstamm der Uiguren kennen und – das ist mein wirklich ernstes Anliegen – wir an den Tag der Menschenrechte erinnern. – Vielen Dank!

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Professor Dr. Hilz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wir haben natürlich sofort Ja gesagt, als Herr Öztürk mit der Idee, diesen Antrag hier und heute zu debattieren, auf uns zugekommen ist. Auch wir sind eine Partei, die sich immer weltweit dafür eingesetzt hat, Minderheiten zu schützen und auf die Menschenrechte von Minderheiten einzugehen.

(Präsident Weber übernimmt wieder den Vorsitz.)

Wir haben zuletzt im Mai dieses Jahres auf dem Parteitag ein Leitbild verabschiedet, in das wir explizit Freiheit und Menschenrechte in der Welt aufgenommen haben, weil uns Freien Demokraten dieses Thema ein wichtiges ist.

(Beifall FDP)

Das gilt in diesem Fall selbstverständlich auch für die Minderheit der Uiguren in China und den angrenzenden asiatischen Ländern. Deswegen ist es gut und richtig, hier in der Bürgerschaft ein Zeichen zu setzen, insbesondere weil, wie schon mehrfach gesagt, heute der Tag der Menschenrechte ist. – Vielen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße es sehr, dass wir uns mit dem Schicksal der uigurischen Bevölkerung in China befassen. Die Situation der Uiguren hat viele Ähnlichkeiten mit der Lage der Tibeter. Sie ist aber derzeit deutlich schlechter. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Unterdrückung der Tibeter weltweit bekannt ist, während die wenigsten Menschen davon wissen, dass die Uiguren verfolgt werden. Wo es um Menschenrechtsverletzungen geht, ist die Rolle der Weltöffentlichkeit von großer Bedeutung. Solidarität ist eine Waffe! Das sind keine leeren Worte, sondern ist eine Verpflichtung für uns alle.

(Beifall DIE LINKE)

Man muss anerkennen, dass die Fraktion der Grünen im Bundestag bereits 2007 die Situation der Uiguren in China thematisiert hat. Der vorliegende Antrag lehnt sich teilweise eng an diesen Antrag an.

Die Repression gegenüber den Uiguren ist 2009 noch einmal deutlich schlimmer geworden. Die Pressefreiheit wird unterdrückt. Es gibt willkürliche Verhaftungen. Es gibt Fälle von Folter. Es gibt eindeutige politische Justiz. Die Polizei geht teilweise mit hoher Brutalität gegen Demonstrationen vor. Es gibt willkürliche Polizeikontrollen. Militär patrouilliert auf den Straßen. Menschen verschwinden oder werden ermordet, ohne dass diese Verbrechen aufgeklärt werden. Die uigurische Sprache wird unterdrückt. Gerade Vertreter der Zivilgesellschaft, die offen die staatliche Repression kritisieren, aber sich für einen friedlichen Weg der Reformen aussprechen, sind für die Polizei, die Justiz, die Armee und inoffizielle Einheiten zum Abschuss freigegeben. Das sind massive Menschenrechtsverletzungen, gegen die wir uns hier offen und gemeinsam aussprechen müssen.

(Beifall DIE LINKE)

Alle das aber, was ich gerade aufgezählt habe, gibt es in der Türkei auch. Ich will die Liste nicht noch einmal durchgehen, aber wir alle wissen genau: Diese Verletzungen der Menschenrechte finden heute in der Türkei statt. Deshalb habe ich größte Probleme mit der Darstellung der Türkei in diesem Antrag. Darin

wird der Eindruck erweckt, die türkische Regierung sei eine Verteidigerin der Menschenrechte. Das kann man so nicht stehen lassen.

(Beifall DIE LINKE und ALFA)

Wie auch immer man die derzeitige Situation in der Türkei bewertet, eins ist die Türkei heute mit Sicherheit nicht: Ein Bollwerk der Menschenrechte! Das muss man in aller Deutlichkeit so sagen!

(Beifall DIE LINKE)

Sonst instrumentalisiert man die Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Uiguren, um von den Menschenrechtsverletzungen abzulenken, die in der Türkei begangen werden: gegenüber den Kurden, den Aleviten, den Aramäern, den Armeniern, gegenüber Journalisten, Staatsanwälten, Oppositionellen und jeder kritischen Öffentlichkeit.

(Unruhe SPD)

Eine solche Einäugigkeit geht nicht, schon gar nicht am Internationalen Tag der Menschenrechte, meine Damen und Herren!

(Beifall DIE LINKE)

Die Politik der türkischen Regierung, aus China geflohene Uiguren bevorzugt aufzunehmen, entspricht nicht wirklich dem Einsatz für Menschenrechte. Das ist Teil eines nationalistischen Kalküls. Es ist Teil des Plans der Türkei, sich als Staat der Turkvölker und als muslimischer Staat zu definieren, und zwar auf Kosten aller in der Türkei, die anderer Herkunft sind und anderen Religionen angehören. Andere Flüchtlinge werden in der Türkei keineswegs derart willkommen geheißen wie die Uiguren. Für die Uiguren werden Wohnungen freigemacht, die Syrer kommen in Flüchtlingslager,

(Zuruf Abg. Özdal [Bündnis 90/Die Grünen])

und die Situation in den Flüchtlingslagern ist katastrophal, das muss hier auch einmal gesagt werden.

Auch die Menschenrechte von Geflüchteten sind unteilbar. Das gilt in der Türkei genauso wie hier, meine Damen und Herren.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Wir haben deshalb Einzelabstimmung beantragt. Wir werden den ersten Punkt ablehnen und den anderen Punkten zustimmen. Wir sind nicht dagegen, dass die Türkei geflüchtete Uiguren aufnimmt. Der eigentliche Skandal aber, dass Thailand, Kambodscha und andere Staaten geflüchtete Uiguren nach China ab

schieben, wird im Beschlussteil nicht einmal kritisiert, sondern stillschweigend hingenommen und akzeptiert. Sich mit einem Antrag für die Menschenrechte der Uiguren einzusetzen, ist eine sehr gute Initiative. Ihr schließen wir uns gerne an. Ich bedauere es aber sehr, dass gleichzeitig versucht wird, über diesen Antrag die Menschenrechtssituation in der Türkei weißzuwaschen. Das haben die Uiguren nicht verdient, das hat die Opposition in der Türkei nicht verdient, das hat die Bürgerschaft nicht verdient. – Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE – Abg. Frau Grotheer [SPD]: Das ist eine infame Unterstellung, Herr Tuncel!)

Zur Kurzintervention, Herr Kollege! Das können Sie vom Saalmikrofon aus machen.

Kollege Tuncel, ich bin, ehrlich gesagt, über Ihren Redebeitrag extrem irritiert.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, FDP)

Zumindest der zweite Teil wird dem Charakter unseres Antrages nicht gerecht, was Sie merken, wenn Sie ihn aufmerksam gelesen haben. Sie haben den Tag der Menschenrechte inszeniert, um hier massive Angriffe gegen die Türkei zu starten. Das weise ich zurück. Das ist nicht in Ordnung.

(Abg. Tuncel [DIE LINKE]: Das stimmt nicht!)

Wenn Sie den Antrag und auch den Beschlussteil ausführlich gelesen hätten, dann würden Sie wissen, dass wir das in keiner Weise so hineingeschrieben haben, wie Sie es soeben vorgetragen haben, Kollege Tuncel. Erstens: Wir haben uns dafür stark gemacht – das steht im Beschlussteil –, dass die Türkei in ihrem Bemühen, Uiguren aufzunehmen, unterstützt wird.

Zweitens, Kollege Tuncel – und dann komme ich gleich zum Schluss –, Sie können der Türkei an dieser Stelle nationalistische Bestrebungen vorwerfen,

(Abg. Tuncel [DIE LINKE]: Das ist so!)

aber Sie implizieren damit, dass dieses Haus, dass die Mehrheit dieses Hauses, die diesen Antrag gleich beschließen wird, ein Teil dieses Planes ist, und das weise ich zurück!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD, CDU, FDP)

Zu einer Kurzintervention hat das Wort der Abgeordnete Özdal.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe eine ganz kur

ze Frage, Sie haben den Antrag missbraucht, um einen Totalangriff auf die Türkei vorzunehmen, und das verurteile ich auf das Schärfste. Werden Uiguren in der Türkei als Flüchtlinge aufgenommen, ja oder nein?

Fragen werden im Rahmen einer Kurzintervention eigentlich nicht gestellt, aber wir lassen das jetzt einmal laufen.

Zu einer Kurzintervention hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.