Protocol of the Session on December 9, 2015

Wir haben in der ganzen Verwaltung frei werdende Stellen nicht wiederbesetzt. Die Konsequenz ist, dass wir einen Generationengap in der Verwaltung, bei den Feuerwehrleuten, bei den Polizistinnen und Polizisten und bei den Lehrerinnen und Lehrern haben. Ich weiß nicht genau, was schlimmer ist, Kündigung oder nicht. In der Tat haben wir heute zu wenig Leh

rerinnen und Lehrer, zu wenig Feuerwehrleute und zu wenig Polizistinnen und Polizisten.

(Beifall DIE LINKE)

Daran leidet die ganze Stadt. An allen Ecken und Enden knirscht es doch mittlerweile.

Bei vielen Debatten fragen wir uns doch, warum das nicht klappt. Eine Hauptursache ist, dass wir in den letzten fünf oder sogar zehn Jahren immer nur diese Personalentwicklungsquote hatten und viele Stellen gestrichen haben. Wir haben fünf Jahre lang versucht, hinter dieser Schuldenbremse herzurennen. Wir haben fünf Jahre lang versucht, die Vereinbarung einzuhalten. Wir wissen mittlerweile, wir sind an vielen Stellen an einem Punkt angelangt, an dem es so nicht mehr weitergeht.

Jetzt kommen wir zu einem zweiten Punkt. Wir wissen, in diesem Jahr haben wir schon mindestens 150 Millionen Euro mehr ausgeben müssen, um Menschen, die aus anderen Ländern zu uns fliehen, unterzubringen und zu integrieren. Diese Summe kommt im nächsten Jahr wieder auf uns zu. Das wird nicht die einzige Summe bleiben. Wir müssen im nächsten Jahr also wahrscheinlich mit 200 bis 250 Millionen Euro Mehrausgaben rechnen.

Jetzt komme ich zu dem Punkt, den ich unvernünftig finde, das sage ich einmal vorsichtig: wenn ich für einen Augenblick sage, im Jahr 2020 kommen wir ohne Neuverschuldung aus, dann müssen wir bis zum Jahr 2020 auf einen Punkt hinarbeiten, der um ungefähr 500 Millionen Euro höher liegt als bisher. Gleichzeitig haben wir eine Vereinbarung, die uns zwingt, genau das nicht zu tun. Ist es angesichts der Armut in unserer Stadt und angesichts der Tatsache, dass wir dreistellige Millionenbeträge für Menschen ausgeben wollen und müssen, die zu uns fliehen, nicht etwas widersinnig, uns zu zwingen, die nächsten vier Jahre in einer Weise zu kürzen, die gar nicht zur Einhaltung der Schuldenbremse nötig ist? Empfinden Sie das nicht alle als etwas widersinnig? Das ist so, als ob Sie gezwungen werden, um acht Uhr am Bahnhof zu sein, und sich wie doof abhetzen, wissend, der Zug fährt erst um zehn Uhr. Ich finde, das ist widersinnig.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sind also in einer doppelten Falle. Obwohl wir im Jahr 2020 deutliche Mehreinnahmen haben, zwingt uns die Schuldenbremse vor dem Hintergrund von Mehrausgaben für die Folgen von Flucht und Ähnlichem zu weiteren massiven Kürzungen. Wir müssen dringend auf eine Haushaltspolitik hinarbeiten, die den gesellschaftlichen Verhältnissen in dieser Stadt und in diesem Land Genüge tut, die den Notwendigkeiten Genüge tut. Wir können uns einfach nicht mehr hinsetzen und sagen, wir haben das so vereinbart und können nicht anders.

Wir sind verpflichtet, den Menschen in diesem Land gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen. Es ist die Aufgabe von Politik, die Regeln und Verträge, die man gemacht hat, daraufhin zu überprüfen, ob man das damit eigentlich erreichen kann. Wenn man das nicht kann, dann müssen wir Regeln und Verträge eben noch einmal neu diskutieren und gegebenenfalls auch ändern.

(Beifall DIE LINKE)

Machen wir das nicht, müssen wir Personal unterhalb der Grenze der Aufgabenerfüllung abbauen, das wissen wir. Machen wir das nicht, wissen wir, müssen wir auf notwendige Investitionen verzichten. Wir hatten gestern eine Debatte darüber, ob es eigentlich richtig ist, weiterhin in den öffentlichen Nahverkehr zu investieren und ob man dafür gegebenenfalls auch Schulden machen muss oder darf. Ich habe mich dafür eingesetzt, es als eine Aufgabe anzusehen, die man dringend lösen muss und für die man dafür notfalls auch Kredite aufnehmen kann, weil es sich am Ende rechnet. Wenn wir aber so weitermachen wie bisher und immer noch auf einen Punkt im Jahr 2020 sparen wollen, der gar nicht nötig ist, werden wir diese Investitionen nicht leisten können.

Wir werden Wohnungen bauen. Betrachten Sie die Haushalte, betrachten Sie die Zwänge, die Sie sich selbst auferlegt haben! Glauben Sie im Ernst, dass wir in der Geschwindigkeit Wohnungen realisieren können, wie wir sie benötigen? Ich sage, das wird nicht funktionieren. Das ist physikalisch nicht möglich. Deswegen sind wir gut beraten, den Pfad bis 2020 neu zu justieren. Sonst werden wir unserer grundgesetzlichen Aufgabe, gleiche Lebensverhältnisse auch hier in unserer Stadt herzustellen, nicht nachkommen können. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Schierenbeck.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Kompromiss der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten gibt Bremen eine Perspektive und gibt uns mehr Planungssicherheit für die Zeit nach dem Jahr 2020. Er ist ein Erfolg der Bremer Verhandlungslinie, und, ich finde, er ist auch ein Erfolg unserer grünen Finanzpolitik.

Die bremische Finanzpolitik ist heute wesentlich transparenter als vor acht Jahren. Wir haben die Schattenhaushalte eingedämmt und sind ein verlässlicher Partner des Stabilitätsrats. Die Schritte zur Konsolidierung konnten wir einhalten, auch wenn der Sicherheitsabstand zum Konsolidierungspfad zunehmend schrumpft, das alles mit einem, wie ich finde, eher moderaten Stellenabbau, mit einer im nächsten Jahr voraussicht

lich größer werdenden Anzahl an Polizistinnen und Polizisten, mehr Lehrerinnen und Lehrern und mehr Feuerwehrbediensteten.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Es muss uns klar sein, das wurde hier auch schon angesprochen, dass auch nach dem Jahr 2020 wegen der Schuldenbremse eine äußerst sparsame Haushaltspolitik geboten bleibt. Durch die Einigung wird Bremen ab dem Jahr 2020 unter dem Strich etwa 500 Millionen Euro mehr einnehmen. Das ist eine gute Nachricht, denn dadurch wird die zukünftige finanzielle Leistungsfähigkeit und somit die Selbstständigkeit unseres Bundeslands überhaupt möglich.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

400 Millionen Euro davon sind Sanierungshilfen, die ab dem Jahr 2020 an Bremen und das Saarland jeweils gezahlt werden. Wir hätten uns eine Lösung für die Altschulden gewünscht, darauf hat Herr Bürgermeister Dr. Sieling schon hingewiesen.

Der Länderfinanzausgleich im engen Sinne wird ab dem Jahr 2020 wohl abgeschafft werden. Das dient dann vielleicht dem politischen Frieden, dass die Landespolitiker nicht mehr länger auf die Tabellen von Nehmer- und Geberländern schauen. Im Grundsatz aber bleibt der Finanzausgleich erhalten, er wird nur nicht wie bisher in zwei Stufen, sondern in einer Stufe erfolgen. Es wird also keinen horizontalen Ausgleich mehr geben, sondern mehr vertikal vom Bund zu den einzelnen Ländern stattfinden.

Ich war aber ein bisschen erschrocken, als ich am Freitag in die „Süddeutsche Zeitung“ sah und dort las, dass der bayerische Ministerpräsident jubiliert. Bayern erhält 1,3 Milliarden Euro mehr, mindestens 1 Milliarde Euro hatte man sich vorgenommen. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident freut sich über 1 Milliarde Euro an Entlastung.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Welche Partei?)

Geht es jetzt um Parteien? Nein! Wir müssen als Bremerinnen und Bremer bei aller Freude über den Erfolg der Verhandlungen anerkennen, dass von diesem Kompromiss auch und gerade die reichen bisherigen Geberländer profitieren, und wir müssen uns fragen, wie die verfassungsrechtlich gebotene Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auf der Grundlage dieses Verteilungsmechanismus gewährleistet werden kann.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Mit der vorgeschlagenen Neuordnung der BundLänder-Finanzen wird wohl eine Änderung des Grundgesetzes nötig werden. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass sichergestellt wird, dass das Ziel der

Herstellung von gleichwertigen Lebensverhältnissen auch weiterhin grundgesetzlich abgesichert bleibt, denn es handelt sich ja nicht um Entwicklungshilfe, sondern um einen notwendigen und solidarischen Ausgleich unter den Regionen Deutschlands, in denen die Wirtschafts- und Finanzkraft aus historischen und strukturellen Gründen unterschiedlich stark ausfällt. Die Angleichung der Finanzkraft der Länder muss weiterhin das zentrale Prinzip des Finanzausgleichs bleiben.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Ein Erfolg der Verhandlungen – das wurde schon angesprochen – ist die Möglichkeit der Prolongierung der bremischen Kredite mit dem Zinssatz des Bundes. Damit trägt der Bund immerhin einen Teil dazu bei, das Zinsrisiko für Bremen und andere Haushaltsnotlageländer in der Zukunft abzusichern. Es ist solidarisch und ökonomisch sinnvoll, wenn der Bund und die Länder gemeinsam Kredite aufnehmen. Durch solche gemeinsamen Anleihen werden wir bei der Verlängerung der alten Kredite in Zukunft Zinsen sparen können.

Dieser Punkt berührt allerdings auch ein Manko der erzielten Einigung, denn falls die Zinsen in den nächsten Jahren steigen sollten, könnten die jährlichen Zinszahlungen Bremens sich deutlich erhöhen und die aktuelle Marke von derzeit etwa 600 Millionen Euro erheblich übersteigen. An der Stelle bin ich übrigens anderer Meinung als mein Kollege Herr Gottschalk. Das sich selbst lösende Schuldenproblem auf der Basis einer steigenden Inflation bei bleibend niedrigen Zinsen halte ich für ein volkswirtschaftliches Perpetuum mobile, an das nur wenige Ökonomen glauben.

(Beifall CDU, FDP)

Die Anleihen mit dem Bund können den Zinsanstieg abmildern, aber nicht aufhalten. Auch die besonderen Hilfen für Bremen und das Saarland werden sich nicht erhöhen. Dieses Risikos müssen wir uns bewusst sein.

Ein letzter Punkt! Der Stabilitätsrat wird zukünftig nicht nur in Bremen, sondern auch in den anderen Bundesländern mitreden, was sich ein Land leisten darf und was nicht. Ich halte es im Sinne des Föderalismus für erforderlich, dass der Einfluss des Stabilitätsrats begrenzt und der politische Gestaltungsspielraum der Landesparlamente erhalten bleiben. Dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Herr Rupp, Sie haben die Jahre bis 2020 angesprochen, die ja eigentlich heute nicht das Thema sind. Natürlich unterstützen wir dem Grunde nach Ihre Forderung nach gleichwertigen Lebensverhältnissen auch in Bremen und Bremerhaven sowie in den ein

zelnen Stadtteilen. Ich bin aber der Meinung, dass wir die notwendigen Mehrausgaben nicht ohne mehr Steuereinnahmen schaffen und dass wir im Moment nicht darüber reden – –. Also, Sie haben ungefähr gesagt, es sei gar nicht erforderlich, den Konsolidierungspfad einzuhalten, und das sind ja zwei unterschiedliche Dinge. Wir haben jetzt einen Vertrag abgeschlossen, der bis zum Jahr 2020 gilt, und wir brauchen natürlich den Bund, um mehr Steuereinnahmen zu bekommen. Das heißt, wir müssen uns an unseren Vertrag halten, die nächsten Sanierungsschritte vornehmen, und dann können wir darüber reden, was ab dem Jahr 2020 passiert.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Das bedeutet, wir müssen uns natürlich bei dem nächsten Doppelhaushalt und auch darüber hinaus an die jetzt geltenden Regeln halten. – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Steiner.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bremen als Stadtstaat hat selbstverständlich einen Sonderstatus und benötigt auch besondere Regelungen, darüber sind wir uns sicherlich alle einig. Es ist absolut richtig und wichtig, das diese Neiddebatte jetzt auch ein Ende findet und somit die Verantwortung zum Bund übergegangen ist.

500 Millionen Euro mehr für Bremen sind gewiss ein gutes Ergebnis, das wir auch brauchen, um die Eigenständigkeit Bremens langfristig zu sichern, zumindest erst einmal vorerst, und daran lässt sich auch auf den ersten Blick fürs Erste überhaupt nicht rütteln.

Ich weiß, lieber Herr Bürgermeister – Sie haben es angesprochen –, aber wir sehen es auch so, leider feiern wir den Erhalt von Geld, das auf dem Konto noch gar nicht angekommen ist. Wir wissen, dass dafür die Zustimmung vom Bund noch aussteht, und können uns eigentlich nur vorstellen, dass es noch harte Verhandlungen im Nachhinein geben wird. Sie sagten, Sie könnten es nicht ganz nachvollziehen, dass es Kritiker gibt, die darauf hinweisen, dass 16 Ministerpräsidenten nun beschlossen haben, ein bisschen mehr Geld aus der Schatztruhe auszugeben, ohne den Schatzminister Schäuble selbst gefragt zu haben. Wir als Freie Demokraten können das sehr gut nachvollziehen, denn es ist ungefähr so, als wenn sich Beschäftigte selbst eine Gehaltserhöhung zugestehen, ohne dabei den Chef zu fragen. Das wird so wahrscheinlich nicht funktionieren.

(Abg. Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grünen]: Was ha- ben Sie denn für ein föderales Verständnis?)

Bei diesem Ergebnis bleiben uns noch eine ganze Reihe von Fragen offen.

Herr Bürgermeister, Sie betonen immer wieder, dass wir ab dem Jahr 2020 500 Millionen Euro mehr auf dem Konto verbuchen können. Sie haben des Weiteren erklärt, wie Sie darauf kommen. Für uns sieht es ein wenig anders aus, denn die Konsolidierungshilfe in Höhe von 300 Millionen Euro, das sagten Sie selbst, gibt es ja nur, wenn wir die Neuverschuldung abbauen. Ob jedoch im Jahr 2018 oder 2020, Zinsen müssen wir immer zahlen, und deshalb ist es eigentlich nicht richtig, hier an der Stelle Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Wir haben aber das Gefühl, dass genau das hier tatsächlich geschieht, denn in diesem Jahr erhält Bremen knapp 1,2 Milliarden Euro aus dem Länderfinanzausgleich, der Bundesergänzungszuweisung und der Konsolidierungshilfe des Bundes.

Ja, die Konsolidierungshilfen laufen im Jahr 2019 aus, stattdessen gibt es circa 1,4 Milliarden Euro vom Bund. Der Sanierungsbedarf ist damit schon in den Zahlungen inbegriffen, und die Differenz zwischen 1,2 Milliarden Euro und 1,4 Milliarden Euro sind aber nun offensichtlich eigentlich nur 200 Millionen Euro und nicht 500 Millionen Euro, deswegen bleibt die Frage, wie man eigentlich dann immer von 500 Millionen Euro ausgehen kann und wie man da so sicher sein kann.

Mit dem Abbau der Neuverschuldung sieht es, ganz ehrlich, auch eher schlecht aus, wenn die Senatorin für Finanzen jedes Jahr einen Nachtragshaushalt vorlegen muss. Wir sind trotzdem gern bereit, uns auf diese Sicht der Dinge einzulassen und von diesen 500 Millionen Euro auszugehen, davon auszugehen, dass die Steuereinnahmen weitere 15 Jahre sprudeln, und auch davon auszugehen, dass die Zinsen auf einem niedrigen Niveau bleiben. Alles schön und gut! Es bleibt die Frage, was wir dann mit dem ganzen Geld machen.

Frau Linnert, für Sie sind die Aussagen der Ministerpräsidenten offensichtlich jetzt schon Commitment genug, um hier den Sparkurs zu verlassen. Das halten wir als Freie Demokraten für völlig unverantwortlich.