Protocol of the Session on November 10, 2011

Zu ganz vielen anderen Themen aber auch, denn eines müssen wir an der Stelle ja feststellen: Es gibt eine hohe Dunkelziffer, das haben meine Vorrednerinnen schon genannt, aber auch die Hellziffer hat sich in den letzten Jahren nach oben entwickelt. Waren es im Jahr 2006 noch 1 764 Verfahren, sind es im Jahr 2010 1 931 Verfahren, die beim Sonderdezernat Gewalt gegen Frauen in der Staatsanwaltschaft bearbeitet werden mussten. Viel zu viele Fälle!

Wenn man feststellt, dass wir im gesetzlichen Rahmen in den letzten Jahren eine ganze Menge getan haben, um dort beim Schutz vor häuslicher Gewalt weiter voranzuschreiten beispielsweise durch die Aufnahme des Nachstellungsparagrafen in das Strafgesetzbuch, durch die Verbesserung des Opferschutzes in der Strafprozessordnung, das Kinderschutzgesetz, das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, und wenn man sich den Aktionsplan des Jahres 2011 zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung der Bundesregierung anschaut, stellt man fest, dass hier neben der Sensibilisierung von Eltern, der Qualifizierung von Fachpersonal, Prävention und Intervention maßgebliche Forderungen aus diesem Bericht sind, die jetzt natürlich auch in Bremen umgesetzt werden müssen. Genau vor diesem Hintergrund ist es auch wichtig, sich an dieser Stelle das gesamte System anzusehen und hier zu schauen: Was haben wir alles? Ist das an der Stelle ausreichend? Erreichen wir tatsächlich alle Frauen?

Lassen Sie mich einen kleinen Teilaspekt, der hier auch schon aufgegriffen wurde, die Beratung von Frauen mit Migrationshintergrund, aufgreifen: Wir haben mit dem Notruf für vergewaltigte Frauen in der Sommerpause gesprochen, und dort ist uns deutlich gemacht worden, dass es hier zusätzliche Bedarfe gibt. Sie haben 17 Prozent mehr Hilfesuchende, es gibt seit einem Jahr Wartelisten, und sie haben große Schwierigkeiten, Beratung von Frauen mit Migrationshintergrund, die über keine guten Sprachkenntnisse verfügen, auch tatsächlich umsetzen zu können, weil es um einen so sensiblen Bereich geht, dass man natürlich ungern noch einen Dolmetscher als dritte Person dabei hat, sondern sich gern an der Stelle auch in seiner Muttersprache austauschen möchte, weil man sich einfach sicherer fühlt.

Sie wissen selbst, wenn die Sprachkenntnisse nicht hervorragend sind, ist es teilweise auch sehr schwer, genau das tatsächliche Wort in der Übersetzung zu finden, weil in anderen Sprachen ein Wort sehr unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Um vor diesem Hintergrund diese Frauen an der Stelle wertzuschätzen und auch abzuholen – denn es ist nicht einfach, sich zu offenbaren, das muss man ja auch einmal ganz deutlich sagen –, glaube ich, dass wir hier einen Beratungsbedarf haben, für den wir Lösungen finden müssen. Da erwarte ich auch in dem Bericht eine Antwort, und ich glaube auch, dass der Bericht

der ZGF, den wir in der nächsten Sitzung des Gleichstellungsausschusses haben werden, diesen Bedarf ebenfalls noch einmal deutlich machen wird.

Vor diesem Hintergrund freue ich mich – jetzt komme ich einmal zum Lob –, dass wir es in der letzten Legislaturperiode auf Antrag der CDU gemeinsam geschafft haben, das Kriseninterventionsteam, das Stalking-KIT in eine Regelfinanzierung zu überführen. Es war ja nicht selbstverständlich, dass Sie da einem Antrag der Opposition gefolgt sind, aber wir haben alle gemeinsam festgestellt, dass die eine so gute Arbeit machen, dass das über die ESF-Finanzierung, über die europäische Finanzierung, hinaus ein zu verstetigendes Angebot ist.

Das zeigt, dass wir im Bereich des Opferschutzes, Gewalt gegen Frauen, hier in Bremen gemeinsam voranschreiten und schon viele Verbesserungen erreicht haben.

Das zeigt sich im Bewusstsein der Bevölkerung. Es gibt eine höhere Bereitschaft, dass Opfer auch tatsächlich Anzeige erstatten. Das ist gut so, und jetzt müssen wir den zweiten Schritt auch noch schaffen, dass es möglichst gar nicht mehr dazu kommt, dass viele Frauen Opfer von Gewalt werden. Vor diesem Hintergrund erhoffen wir uns sehr viel von dem Bericht, der jetzt kommt und der sich in einer Bestandsaufnahme alle Punkte ergebnisoffen anschaut.

Wir werden das Ganze dann ja, denke ich, sowohl im Gleichstellungsausschuss als auch noch einmal hier im Parlament beraten. Ich freue mich über die dann aufgezeigten Lösungswege. – Danke schön!

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Nur noch kurz drei Punkte. Es ist ja richtig, dass wir dringend eine bundesweite Regelung brauchen. Ich habe ja beispielsweise gehört, dass Schleswig-Holstein kürzlich ein Frauenhaus geschlossen hat, unter anderem mit der Begründung, es würden so viele aus Hamburg kommen. Das ist ja ein absurder Zusammenhang. Das geht einfach nicht.

Außerdem möchte ich auch noch einmal sagen, dass wir nicht immer warten können, bis der Bund reagiert, irgendetwas macht, und solange legen wir das hier auf Eis. Das geht einfach nicht. Insofern finde ich es durchaus dringlich, sich darum zu kümmern. Ich möchte mit Nachdruck darauf hinweisen, dass es hier tatsächlich um eine Zeitschiene geht, die nicht wieder heißt, wir prüfen, dann schauen wir, und dann ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

prüfen wir noch einmal, und dann schauen wir immer noch. Das möchte ich vermeiden.

Insofern finde ich es richtig, dass wir dieses Thema auch weiterhin auf die Tagesordnung setzen und auch darauf bestehen, dass Handlungen daraus folgen.

Ich bin eigentlich sehr dankbar dafür, dass man auch sagt, wir müssen das mit der ambulanten Beratung in den Blick nehmen. Das stimmt, neue Wege haben zu wenig Geld und Möglichkeiten, und es ist ein großes Defizit an der Stelle, was migrantische Beratung anbelangt. Dort gibt es ein großes Loch, und das ist etwas, das wir auf Landesebene durchaus lösen können. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Stahmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Gewalt gegen Frauen ist nicht tolerierbar, ganz egal, ob sie auf der Straße oder – was ich auch als sehr schlimm empfinde – in den eigenen vier Wänden stattfindet.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Mich hat es gestern sehr betroffen gemacht, als ich in einem Bericht im „Weser-Kurier“ im Lokalteil gelesen habe, ganz prominent gesetzt, dass eine junge Bremerin, 22 Jahre alt, mit der Straßenbahn in Bremen gefahren ist, ein Mann ihr wiederholt in die Haare gegriffen hat, sie um Unterlassung gebeten hat, dann nach der Hand des Mannes gegriffen hat, aber keiner der Anwesenden Partei für sie ergriffen hat. Sie hat sich gewehrt, hat ihre Stimme erhoben, ihre Freundin hat versucht, ihr beizustehen, und der Mann, den ich nicht kenne, ein armes Würstchen aus meiner Sicht, hat ihr das Knie unverhohlen ins Gesicht gestoßen. Ich finde, so etwas darf in Bremen in keiner öffentlichen Straßenbahn passieren.

(Beifall)

Es ist kaum sechs Wochen her, da gab es eine Aktion auf dem Marktplatz – mitgemacht haben die BSAG und Werder Bremen – für mehr Zivilcourage. Das Thema hat auch damit zu tun. Wie geht eine Gesellschaft mit Gewalt um? Schauen Nachbarn hin, wenn Frauen um Hilfe schreien? Hört man die Schreie von Kindern, wenn Väter oder auch Mütter zuschlagen? Häusliche Gewalt ist ein ganz schlimmes Vergehen, und ich möchte, dass den Opfern geholfen wird. Ich glaube auch, dass man den Tätern helfen muss. Wenn ich soeben armes Würstchen gesagt habe, dann sind ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

das auch Menschen, um die wir uns Gedanken machen müssen, damit sie aus so einer Gewaltspirale herauskommen. Vielleicht haben sie als Kinder auch gar nichts anderes erlebt, wenn es ganz dumm im Leben gelaufen ist.

Nicht alle Frauen, die häusliche Gewalt erleben, kommen in unseren Frauenhäusern und in unseren Beratungseinrichtungen an. Viele empfinden es als eigenes Versagen, dass sie und ihre Kinder geschlagen werden. Manche stellen sich auch dem Schläger in den Weg, um ihre Kinder zu schützen, werden dann fast krankenhausreif geschlagen, laufen über die Straße mit einem blauen Auge und erzählen die Lüge vom Herunterfallen von der Treppe oder dass sie einen Fahrradunfall hatten. Das Thema ist immer noch ganz stark tabuisiert.

Mein Ressort kämpft in Bremen darum, dass Frauen unsere Hilfsangebote annehmen. Ich möchte auch Schluss damit machen, dass ich hören muss, dass Studentinnen keinen Rechtsanspruch haben, in ein Frauenhaus zu gehen. Das darf nicht sein.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Dort müssen wir uns auch Gedanken machen, wie wir das jenseits der Finanzierungsmodelle, die Bremen einmal eingeschlagen hat, realisieren können. Ich hinterfrage sie ganz stark. Hamburg und Berlin machen eine institutionelle Förderung, Bremen macht eine Platzfinanzierung. Wir haben auch das Problem, dass wir viele Frauen haben, die von außerhalb kommen und Plätze hier belegen. Die Studentinnen kommen auch bei uns ins Frauenhaus, aber das Frauenhaus muss dann in der Finanzierung manch anderen Weg gehen. Das ist auch nicht in Ordnung. Ich möchte eine transparente Finanzierung haben. Ich möchte, dass diejenigen, die beim Frauenhaus klingeln, Frauen mit ihren Kindern, Hilfe bekommen, egal ob sie arbeitslos, Akademikerin oder Studentin sind. Dort dürfen wir keinen Unterschied machen. Ich halte diese Angebote für wichtig, und es ist gleichzeitig traurig, dass wir sie heutzutage brauchen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

In der kommenden Sitzung der Bürgerschaft wird der Senat einen Bericht nach zehn Jahren ressortübergreifender Arbeitsgruppe Kampf gegen häusliche Beziehungsgewalt vorlegen. Dort werden wir Bilanz ziehen und werden auch zugeben, dass wir bei der Vielzahl unserer Beratungsangebote noch einmal genauer hinschauen müssen. Wir haben in Bremen – das spielt bei jeder Debatte, wenn ein neues Beratungsangebot beantragt wird, das muss ich Ihnen als Senatorin immer wieder sagen, eine Rolle – eine Menge Beratungsinstitutionen. Ich glaube aber auch, dass wir hinschauen müssen, wie wir bestehende Sachen vernet

zen und vielleicht auch noch einmal Strukturen neu organisieren. Man muss über Beratungsangebote der Frauenhäuser, aber auch über niedrigschwelligere Angebote, die keinen Angstcharakter haben und bei denen Frauen nicht das Gefühl haben, wenn sie Hilfe suchen, dass ihnen gleich die Kinder weggenommen werden, diskutieren.

Das ist auch eine Angst, die Frauen haben, wenn sie den Kontakt zu unserem Amt aufnehmen. Wir brauchen dort einen Mix. Ich will gern mit Ihnen – und so sehe ich auch den Antrag, der heute vorliegt – gemeinsam daran arbeiten, dass wir unsere Beratungsstrukturen verbessern, verantwortungsvoll mit den Geldern umgehen, aber immer unter dem Blick, dass diejenigen, die uns brauchen, auch die Hilfen bekommen. Mein Appell als Frauensenatorin an die Frauen in Bremen, denen Gewalt passiert, ist: Es ist nicht in Ordnung, wenn Sie geschlagen werden. Melden Sie sich, wenden Sie sich an die vorhandenen Einrichtungen, gehen Sie zur Polizei! Wenn Sie geschlagen werden, ist das kein Fall für das Sozialamt. Es ist auch ein Fall für Polizei und Justiz, und Sie haben Rechte. Dass Opfer ihre Wohnungen verlassen müssen, empfinde ich als schlimm, eigentlich muss es darum gehen, dass die Schläger gehen.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der CDU)

Es hat einfach niemand verdient, von jemand anderem aus welchen Gründen auch immer geschlagen zu werden, und wenn das zu Hause in der Ehe oder Lebensgemeinschaft passiert, ist das eine ganz traurige und schlimme Angelegenheit. Ich wünsche mir aber auch, dass couragiert entgegengetreten wird, wenn eine unbekannte Frau oder auch Männer angegriffen werden. Das passiert auch. Gewalt kann das Parlament, der Senat, nicht tolerieren. – Danke schön!

(Beifall)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Als Erstes lasse ich über den Antrag der Fraktion DIE LINKE abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktion DIE LINKE mit der Drucksachen-Nummer 18/85 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür DIE LINKE)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und Abg. T i m k e [BIW])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Jetzt lasse ich über den Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der CDU abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der CDU mit der DrucksachenNummer 18/119, Neufassung der Drucksache 18/114, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

(Einstimmig)