Protocol of the Session on February 27, 2014

Ihren Nachhaltigkeitsbegriff würde ich gerne einmal kennenlernen. Was ist daran nachhaltig, eine Uraltregelung zu überprüfen, um dann zu gucken, ob das noch richtig ist, was wir da machen? Was ist daran so schlimm? Mehr hat die EU nicht vorgeschlagen. Darüber allerdings haben Sie sich aufgeregt, und Sie haben alles Mögliche befürchtet, was da sein könnte. Nein! Hier geht es nur darum, als Schritt 1 eine Bestandsaufnahme und als Schritt 2 eine Evaluierung zu machen, ob das noch zeitgemäß, ob das noch sinnvoll ist. Heute ist nicht nur der Tag, an dem wir aufpassen müssen, dass Schlipse nicht abgeschnitten werden, sondern wahrscheinlich wollen Sie auch aufpassen, dass keine uralten, verfilzten Zöpfe abgeschnitten werden.

(Zurufe von der CDU)

Bitte? Das habe ich nicht gehört, das waren zu viele auf einmal!

(Abg. Frau N e u m e y e r [CDU]: Darf ich Ihre Haare abschneiden?)

Ja, bei mir nicht mehr, meine sind schon abgeschnitten!

Das Reisegewerbe hat Frau Bernhard schon erwähnt. Es ist tatsächlich ein absoluter Wahnsinn, wenn man sieht, dass die, die als fahrendes Reisegewerbe unterwegs sind, davon einfach nicht betroffen sind. Das zeigt schon den Unsinn, der in vielen Bestimmungen ist. Dort, wo es, so sage ich einmal, aus Qualitäts- und Sicherheitsgründen sinnvoll ist, möchte niemand den Meisterzwang abschaffen. Den Meisterbrief will sowieso keiner abschaffen. Davon hat niemand etwas gesagt. Wir leben und wohnen in Europa, und wir profitieren so viel von Europa. Hier eine Harmonisierung und eine Freizügigkeit in Europa herzustellen und uns dafür einzusetzen, dass das hergestellt wird, ist wirklich unsere allererste Aufgabe.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Jägers, Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zwei oder drei Anmerkungen noch!

Frau Bernhard, ich verstehe Ihre Argumentation nicht. Sie sagen, juristische Dienstleistungen sollten nicht erbracht werden, dafür müsse man hoch qualifiziert sein. Aufgrund meiner Ausbildung – ich bin kein ausgebildeter Jurist – und meiner langjährigen Tätigkeit als Gewerkschaftssekretär würde ich so manchen Juristen, der mir begegnet – ich bin ehrenamtlicher Arbeitsrichter am Landesarbeitsgericht – locker in die Tasche stecken, bei dem, was der so drauf hat. Wieso kann ich da keine Dienstleistungen anbieten? Das könnte ich genauso. Warum stehen Sie hinter der ständischen Organisation der Juristen, aber bei den Meistern ist das irgendwie Wurst? Die können in Europa untersuchen so lange sie wollen, dann wird das eben abgeschafft, dann kommt das eben weg. Das ist nichts.

Die Argumentation müssen Sie dann wirklich für alle geschützten Berufe anwenden, vielleicht auch für medizinische Berufe. Vielleicht hat jemand so lange irgendwelche medizinischen Fachzeitschriften gelesen, bis er auch in dem Bereich etwas anbieten kann. Auch da muss das dann gelten. Wenn schon, dann bitte gleiches Recht für alle. Vielleicht hat es aber andere Gründe, warum Sie das nicht beachten wollen.

Vor dem Reisehandwerk – ich will niemandem zu nahe treten – wird manchmal gewarnt. In der Zeitung steht ein Artikel, dass eine Dachdeckerkolonne herumfährt, bei Oma Meier klingelt und sagt, da oben seien vier schiefe Dachziegel, die müssten jetzt repariert werden, sonst regnet es nächste Woche durch. Dann kraxeln die auf das Dach und neh

men Oma Meier nachher einen Tausender ab. Das passiert nicht selten.

(Abg. S t r o h m a n n [CDU]: Dachreini- gung!)

Das passiert! Ich glaube, wenn das ein Meisterbetrieb ist, passiert das nicht. Ich glaube nicht, dass das so plump und brutal durchgezogen wird. Von daher spricht einiges dafür – jeder kann einen Reisehandwerker beauftragen wie er mag – sich doch an den örtlichen Handwerksmeister zu wenden und vorher vielleicht bei der Kammer nachzufragen, ob das denn nun richtig ist.

Frau Bernhard, das wird Sie interessieren: Die Bereiche, in denen die Meisterpflicht abgeschafft worden ist, sind mittlerweile tariflose Bereiche, weil da keine Handwerksmeister mehr sind, die sagen: Unser Selbstverständnis ist, wir bilden aus, und wir verständigen uns mit den Gesellen in der Handwerkskammer, das ist sozusagen unser Ansehen als Handwerksmeister. – Das gibt es nicht mehr. Im Fliesenlegerhandwerk sind die Tarifverträge tot. Bei den Glasern – ich kann Ihnen alle aufzählen – sind sie tot, weil die Meister nicht mehr in die Innungen gehen, weil es schlicht keine mehr gibt. Da können Sie und auch Herr Saxe sagen: ständische Organisationen, Hunderte von Jahre alt, irgendwelche Zöpfe müssen ab. – Nein! Wenn der Zopf Tarifvertrag abgeschnitten wird, verstehe ich keinen Spaß mehr. Das finde ich nicht in Ordnung, das finde ich nicht gut!

(Beifall bei der CDU)

Ich habe etwas zu den Ausbildungszahlen gesagt. 12 Prozent zu 5 Prozent – das spricht eine deutliche Sprache, deutlicher geht es nicht. Wer das wegredet und sagt: „alte Zöpfe weg“, versteht von Ausbildung nichts und weiß nicht, wie Betriebe laufen, wie kleine und handwerkliche Betriebe geführt werden, wie die Meister und die Gesellen da zusammenarbeiten. Nur weil Regelungen alt sind, sind die nicht schlecht. Bestimmt nicht!

(Beifall bei der CDU – Zurufe vom Bünd- nis 90/Die Grünen)

Noch einen Hinweis an die Handwerksmeister. Wenn die Meisterseite meint, sie müsse innungsweise die Arbeitgeberverbände verlassen, um keine Tarifverträge mehr abzuschließen, tun sie sich kein gutes Werk. Dann kommen nämlich die Liberalisierer um die Ecke und sagen: Nein, das brauchen wir alles nicht mehr. – Das bestätigen die auch selber, weil sie aus den Verbänden austreten und damit ihre eigenen Organisationen zerstören. Auch da muss man gucken, dass der Meister oder der Schuster bei seinem Leisten bleibt und den Laden zusammenhält.

Herr Dr. vom Bruch – ich habe das ja schon oft gesagt – die SPD-Fraktion ist sehr diskussions- und mei

nungsfreudig. Nicht immer haben wir in allen Punkten – das wird auch bei Ihnen ab und zu vorkommen – die gleiche Meinung. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab. Dass ich dafür Sympathien habe, sagt ja die Position des Deutschen Gewerkschaftsbundes und unserer gemeinsamen Bundesregierung. Von daher stimmen wir Ihnen nicht zu.

(Heiterkeit bei der CDU)

Noch einmal: Für uns stehen die Positionen fest, die können Sie im Koalitionsvertrag und in den Unterlagen des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Konferenz nachlesen. Sie wissen doch, wie die Spielregeln hier sind!

(Heiterkeit bei der CDU – Abg. R ö w e - k a m p [CDU]: Wir wissen, an wem es scheitert!)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Bernhard, Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mit keinem Wort gesagt, dass die Reglementierung der Berufe aufgehoben werden soll. Ich habe auch nicht gesagt, dass das irgendjemand machen kann. Es gibt ja Ausbildungen, und wir haben eine ganze Reihe von Ausbildungsberufen. Es ist ja nicht so, dass diese alle viel schlechter sind. Das ist ja überhaupt nicht der Punkt.

Wir haben es hier tatsächlich mit einer Standesdiskussion zu tun. Sie diskriminieren und grenzen die anderen Handwerkerinnen und Handwerker aus. Das ist das Problem. Es geht um Wettbewerb, es geht um Konkurrenz, und es geht letztendlich darum, wer sozusagen die Marktoberhoheit hat. Ich wäre die Letzte, die sagen würde, wir bräuchten an der Stelle keine Tarife. Das wäre ja vollkommen in Ordnung.

Aber nehmen Sie folgendes Beispiel. Das Amt des Notars oder des Steuerberaters ist in Bayern sehr reglementiert, da wird streng darauf geguckt. Wenn es in einer Stadt fünf gibt, heißt es: Wenn einer stirbt, darf einer nachrücken. – Das ist der Punkt. Das ist hier in Bremen glücklicherweise nicht der Fall. Hier kann man sagen: Nach so und so langer Berufsausübung bin ich in der Lage, auch als Notar meine Dienste anzubieten. Das ist auch völlig in Ordnung. Ich halte die bayerische Regelung insofern für falsch.

Nicht anders funktionieren die Handwerksbriefe. Das ist ja genau dieser Zwang. Es heißt: „Wir wollen als Kammer reglementieren und bestimmen, wen es betrifft und wen nicht. Obwohl andere Menschen über diese Qualifikation verfügen, sind wir dafür, dass sie ausgestoßen werden.“ Das ist der Punkt.

(Beifall bei der LINKEN und beim Bünd- nis 90/Die Grünen)

Gucken wir uns einmal die Arbeitskämpfe des 19. Jahrhunderts an. Es sind doch insbesondere die proletarischen Berufe gewesen, die sich dahinter geklemmt haben, und die Handwerker waren doch diejenigen, die sich historisch auf die sehr rechte, konservative Seite gestellt haben. Die Zünfte waren es doch, die in keinster Weise damit klar gekommen sind. Das ist doch historisch. Kommen Sie mir an der Stelle nicht mit irgendwelchen alten Zöpfen, die wir unbedingt behalten müssen!

Ich bestehe noch einmal darauf, dass man seitens der EU nichts anderes gesagt hat – das kann ich hundertprozentig verstehen –, als dass wir die Situation neu bewerten müssen. Um nichts anderes geht es, und schon tritt die Panik an Land. Das, finde ich, ist der Punkt. Wir gucken es uns an. Ich habe vorhin Beispiele dafür genannt, wo wir völlig unsinnige Varianten haben, wo bestimmte Menschen, bloß weil sie den Brief für ein bestimmtes Gewerk haben, Dinge in anderen Gewerken tun dürfen, was ich, ehrlich gesagt, in keiner Weise verantwortlich finde. An der Stelle können Sie mir nichts erzählen von Gefahrengeneigtheit und Ähnliches. Das ist in keiner Weise ein Unterschied.

Ich finde, es ist eine üble Unterstellung zu sagen, ausländische Handwerker und Handwerkerinnen seien schlechter und müssten sozusagen aufs deutsche Handwerk gucken.

(Beifall bei der LINKEN und beim Bünd- nis 90/Die Grünen)

Das ist ein völlig falscher Nationalismus an der Stelle. – Danke!

(Beifall bei der LINKEN und beim Bündnis 90/Die Grünen – Widerspruch bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Professor Stauch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ja, ich werde versuchen, das noch einmal zusammenzuführen, und zwar obwohl es nicht ganz einfach ist. interjection: (Heiterkeit)

Genau das werde ich versuchen; ich werde versuchen zu begründen, wo die Mängel in dem Antrag der CDU sind, zugespitzt.

Also, Herr vom Bruch, Sie haben in dem Antrag geschrieben, es sei falsch, den Meistertitel als eine Berufsbeschränkung zu bezeichnen. Das ist richtig falsch.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das ist richtig falsch, weil der Meistertitel natürlich eine Berufsbeschränkung ist. Sie sagen zur Begründung: Es gibt auch alternative Qualifikationsnachweise. – Das heißt aber nicht, dass es keine Berufsbeschränkung ist. Es ist eine subjektive Zulassungsvoraussetzung. Unser Grundgesetz sagt in Artikel 12: Nur überragende Gründe des Gemeinwohls rechtfertigen eine solche Beschränkung. – Das fordert auch unser Grundgesetz, und ich kann Ihnen sagen, eine solche Beschränkung hat beim Meistertitel stattgefunden. Im Jahre 2004 ist deshalb der Meisterzwang von 94 Gewerken und Berufen heruntergefahren worden auf 41; für 53 Fälle ist der Meisterzwang abgeschafft worden. Das ist letztlich die Überprüfung der Zulassungsbeschränkung.

(Zuruf)

Sie wollen im Prinzip eine Wiedereinführung auch für die 53 Abgeschafften.

(Abg. D r. v o m B r u c h [CDU]: Das habe ich ja gesagt, es hat sich nicht überall bewährt!)

Das zeigt im Grunde die überschießende Tendenz in Ihrem Antrag, die nicht richtig ist. Man muss im Einzelfall prüfen, ob es eine Rechtfertigung für diese Berufszulassungsbeschränkung gibt. Das kann man nur im Einzelfall entscheiden, und das geht nach Gefährlichkeit und nach den besonderen Umständen. Das kann man nicht pauschal sagen, weder in die eine Richtung noch in die andere Richtung. Ich glaube, die Entscheidung im Jahre 2004 ist richtig gewesen.

(Abg. W i l l m a n n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Genau!)

Das, was die Europäische Union jetzt macht, die Richtlinien, müssen wir uns noch einmal genauer angucken! Ich sage es noch einmal nur ganz knapp: Da steht in Artikel 59, eine Transparenzrichtlinie: Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, die Berufsreglementierungen in ihrem Staatsgebiet zu benennen, zu begründen, zu prüfen und alle zwei Jahre neu zu melden. Das ist der Gegenstand. Das ist exakt die Überprüfung der Notwendigkeit der Berufsbeschränkung. Das findet statt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Europäische Union hat auch klargestellt, dass die Befugnis zur Aufrechterhaltung oder zur Beschränkung der Berufszulassung innerstaatliches Recht der Mitgliedstaaten ist. Die Befugnis ist allein nationalstaatlich gegeben. Wir reden hier nicht gegen die Europäische Union, sondern die Kompetenz bleibt bei uns im Nationalstaat. Unser Bundestag wird darüber entscheiden, was in der Handwerksordnung weiterhin als Meisterzwang festgestellt wird und was nicht.