Protocol of the Session on September 28, 2011

Wenn man das historisch betrachtet – ich habe vorhin darauf verzichtet, das ist das, was Herr Dr. Kuhn schon dargestellt hat –, muss man den Vertrag von Maastricht nehmen. Damals wurde darüber debattiert, wie stark wird Europa zusammengehen. Jaques Delors hat sehr stark dafür gewirkt, dass wir eine noch stärkere Union werden. Das war nicht gewollt. Es war ein ganz klares Anliegen, einen wirtschaftlichen Binnenmarkt und Zusammenschluss zu erreichen, ohne die anderen Dinge auszuschlagen. Wenn man schon damals gesagt hätte, wir wollen auch die Finanzen einschließen und zu einer wirklichen Union wachsen, auch zu einer sozialen, dann wären vielleicht manche Dinge, die jetzt auf dem Tisch liegen, so nicht geschehen.

Einen letzten Punkt, den ich mir notiert habe: Ging alles zu schnell? Sind wir zu langsam? Ich meine, es zeigt sich zurzeit an anderen Stellen. Die Europäische Zentralbank handelt. Die Europäische Zentralbank ist nicht demokratisch legitimiert, sie macht eigentlich keine Politik und wird aber gezwungen, die Politik, die von den Regierungen – auch von der Bundesregierung – nicht vorhanden ist, zu kompensieren. Ich glaube, es geht nicht mehr um Schnelligkeit, sondern um konsequentes und umfassendes Handeln. Man kann über die verschiedenen Maßnahmen streiten, aber es ist ein großer Handlungsbedarf gegeben.

Als Letztes hatte ich angekündigt, dass ich eine ein bisschen weitergehende Perspektive für Europa darstellen will. Herr Rupp hat bereits einiges vorweggenommen, aber das ist in Ordnung. Ich will das trotzdem an dieser Stelle erwähnen, weil ich es wichtig finde.

Die Thematik ist nicht nur als wirtschafts- und finanzpolitische Debatte anzusehen, sondern es ist in

der Tat richtig, wenn wir finanziell stabil, wirtschaftlich erfolgreich sein und die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen wollen, dass man sie informiert. Das funktioniert nämlich zurzeit überhaupt nicht.

Heute musste Bundesfinanzminister Schäuble vorgeladen werden, um überhaupt einmal zu berichten, wie die weitergehenden Planungen sind, um welchen Rettungsschirm es sich handelt und so weiter. Von der Bundesregierung wird keine gute Informationspolitik gemacht. Wenn man stabil und wirtschaftlich erfolgreich sein will, dann muss man die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen und ihnen auch eine Vision Europas darstellen. Ich glaube, dazu gehört die soziale Fortschrittsklausel, die im europäischen Primärrecht verankert werden muss. Diese Klausel bedeutet, dass nicht nur die ökonomischen Grundfreiheiten festgeschrieben werden und einen Vorrang genießen, sondern dass wir auch soziale Grundrechte brauchen.

Das Weitere ist – es ist soeben schon angeklungen – die Stabilitätsstrategie für Wachstum und Beschäftigung. Ich sage das jetzt noch einmal, das Geld, die Kredite, die in Griechenland zur Verfügung stehen, sollen abschirmen, sie werden aber die Verschuldung nicht lösen, deswegen brauchen wir für die Mitgliedsstaaten eine Stabilitätsstrategie, die zu Beschäftigung, zum Wohlstand für alle führt und für soziale Gerechtigkeit sorgt. Die bisherigen regionalen Fonds und Strukturfonds sind da richtig, aber nicht ausreichend. Wir müssen über ergänzende Mechanismen, auch im Bereich des Steuerrechts, das wurde hier bereits erwähnt, noch weitere Dinge machen. Ich hoffe, dass das viele erkennen.

(Glocke)

Das Letzte ist die soziale Perspektive! Auch da geht es um die Mindestlöhne, um gute Löhne, die jeweils an den Durchschnittseinkommen in den Staaten und an Standards für soziale Leistungen orientiert sind, damit wir zukünftig ein soziales und demokratisches Europa haben werden – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin ein bisschen darüber betrübt, dass diese Aktuelle Stunde, die das Ziel verfolgt, sich gegen Populismus auszusprechen, in der Debatte diesen Populismus erzeugt. Herr Rupp, auch wenn es nur in einem Nebensatz war, ich lege Wert auf die Feststellung, dass sich Europa nicht im Krieg befindet, mit niemandem.

(Beifall bei der CDU)

Einmal eben so zu tun, als ob wir auch eine militärische Union seien, finde ich, schadet dem gemeinsamen Ansinnen Europas, und deswegen will ich dem an dieser Stelle energisch widersprechen.

(Beifall bei der CDU)

Das gilt übrigens auch, Herr Timke, für Ihre Rede, weil es natürlich so ist, dass mit dem ersten, mit dem zweiten und morgen vielleicht auch mit dem dritten Rettungsschirm für uns Deutsche Risiken verbunden sind. Ich meine, immer dann, wenn man für Kredite anderer bürgt und Rettungsschirme aufspannt, ist dies natürlich mit Risiken verbunden. Die Frage, was passiert, wenn wir das nicht machen würden, beantworten Sie aber nicht.

Natürlich weiß jeder, der den „Spiegel“ und den „Fokus“ und so weiter diese Woche gelesen hat, dass 75 oder 80 Prozent dagegen sind, den Rettungsschirm zu erweitern. Sie sind dagegen, dass wir den Griechen helfen, und die Mehrheit ist auch der Auffassung, wir sollten sie aus der Eurozone ausschließen, vielleicht sogar aus der Europäischen Union. Mit diesem blanken Populismus aber, indem man Stimmungen hinterherläuft, macht man keine Europapolitik.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Europapolitik hat sich von Konrad Adenauer über Helmut Schmidt bis hin zu Helmut Kohl immer dadurch ausgezeichnet, dass man eben nicht den leichten Schwankungen unterworfen ist, sondern einen europäischen Kurs trotz aller Anfeindungen und trotz gegenteiligem Populismus immer beibehalten hat. Ich kann uns nur ermahnen, dies auch in Zukunft zu tun und nicht dem Populismus hinterherzulaufen, Herr Timke, wie Sie es getan haben. Damit ist der deutschen Nation im Übrigen genauso wenig geholfen wie den Bremerinnen und Bremern, die von dem Wohlstand der gemeinsamen Währung und dem Frieden viele profitable Vorteile haben, aber nicht nur auf Deutschland bezogen, sondern im Sinn Europas. Es liegt im deutschen und bremischen Interesse, dass wir diese Krise überwinden. Das ist die Auffassung der CDU-Bürgerschaftsfraktion.

(Beifall bei der CDU)

Man kann sich über den Weg streiten, und man kann sich darüber streiten, Frau Hiller, das habe ich ja auch gesagt, ob es damals richtig oder falsch war, Griechenland aufzunehmen oder nicht, aber das ist ja nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage für mich ist, dass man jetzt erkennt, dass man einen Fehler gemacht hat. Der fundamentale Fehler liegt für mich nicht in der bedenkenlosen Aufnahme Griechenlands in die Eurozone, sondern darin, dass man nicht gleichzeitig mit der gemeinsamen

Währung eine gemeinsame Finanz- und Stabilitätspolitik verabredet hat, das ist der fundamentale Fehler. Europa hat natürlich immer etwas mit Geld zu tun gehabt. Die Wurzeln Europas liegen sozusagen im wirtschaftlichen und monetären Interesse, weil die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl als Montanunion und als Vorläufer der Europäischen Union nur wirtschaftliche und fiskalische Ziele miteinander verfolgt hat. Wir haben auch in der Zeit, als wir noch keine gemeinsame europäische Währung hatten, den Umstand gehabt, dass die Bundesbank fast wöchentlich Stützungskäufe gegen andere Währungen tätigen musste, damit die Währungsverhältnisse miteinander stabil waren. Das war damals auch schon sozusagen europäische Währungspolitik. Deswegen hat Europapolitik immer etwas mit Währungspolitik zu tun gehabt. Wir haben bisher aber nicht den Mut und die Kraft gehabt und auch unseren nationalen Egoismus und den aller Mitgliedsstaaten nicht überwunden, um der europäischen Währung gemeinsam Leitplanken für Stabilität und Werthaltigkeit zu geben. Die Krise mit Griechenland hat uns jetzt auf das Problem aufmerksam gemacht hat, dass es die vordringliche Aufgabe der Europapolitik ist, nicht nur den Übergang jetzt zu einem solchen Mechanismus morgen und übermorgen im Bundestag und Bundesrat zu schaffen, sondern dafür zu sorgen, dass es auf Dauer eine europäische Finanz- und Stabilitätspolitik gibt, die eine Wiederholung eines solchen Szenarios unmöglich macht. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe. Ich will dann noch etwas zu dem, was man hätte schon tun oder lassen können, sagen. Wir sind uns ja wohl alle einig, dass die Botschaft, es gibt eine europäische Finanzmarkttransaktionssteuer, eine gute Botschaft ist. Ich möchte nur daran erinnern, dass der Konflikt in Deutschland darin bestand, dass Teile der deutschen Politik schon einmal gefordert haben, sozusagen eine deutsche Finanzmarkttransaktionssteuer zu beschließen. Dass es der falsche Weg ist, zu dieser Debatte nationalstaatliche Lösungen zu finden, ist uns ja wohl auch gemeinsam klar! Es ging von Anfang an und immer darum, gemeinsame europäische Regeln zu finden und nicht in Kleinstaaterei bei solchen Themen zu verweilen. So rettet und schützt man den Euro im Übrigen auch nicht, Frau Hiller! Die dritte Bemerkung, die ich zum Verlauf der Debatte an dieser Stelle noch machen muss, ist, es zeigt sich, Herr Rupp – bei aller Gemeinsamkeit in der Opposition –,

(Abg. T s c h ö p e [SPD]: Oh!)

dass sich unsere politische Verbindung darin erschöpft, diese rot-grüne Regierung zu bekämpfen. Ich habe aber heute wieder festgestellt, Herr Rupp, wir kommen dabei aus ganz unterschiedlichen Richtungen.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das geht aber allen so!)

Für die CDU geht es nämlich nicht darum, die Europäische Union in eine reine Transferunion umzuwandeln, in der diejenigen, die viel haben, denen, die wenig haben, alles geben, was sie brauchen. Ich finde es entlarvend, wenn Sie sagen, es ist falsch, die Hilfen für Griechenland an Bedingungen zu knüpfen. Ich sage, für die Stabilität der gemeinsamen europäischen Währung ist es substanziell, dass wir sie an Bedingungen knüpfen.

(Beifall bei der CDU)

Es macht doch überhaupt keinen Sinn – und wir Bremer wissen doch, wovon wir sprechen –, Geld in ein System zu pumpen, ohne dass sich in dem System etwas ändert. Natürlich muss sich in der griechischen Verschuldungspolitik etwas ändern, so wie sich in der Verschuldungspolitik aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und aller Teilnehmer an der europäischen Währung, den Euro-Mitgliedsstaaten, etwas ändern muss. Einfach zu sagen, wir schaufeln da jetzt Geld hin, und dann ist das Problem gelöst, Herr Rupp, so einfach, wie DIE LINKE sich die Welt macht, ist sie eben nicht,

(Zuruf des Abg. R u p p [DIE LINKE])

um dies an dieser Stelle deutlich zu sagen.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Wir brau- chen höhere Löhne!)

Mit höheren Löhnen ist das Problem auch nicht gelöst!

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Frau V o g t [DIE LINKE])

Es ist auch nicht die fehlende Binnennachfrage hier, die das Problem verursacht hat. Ich meine, Ihre ökonomische Kompetenz konnten Sie ja mit Ihrer Partei schon in einem ganzen Staat beweisen und sind daran gescheitert. An dieser Stelle will ich vielleicht auch noch einmal sagen, dass das nicht die richtige Lösung ist, das dürfte auf der Hand liegen.

(Glocke)

Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren, an dieser Stelle zum Schluss kommen! Ich sage, ich finde das, was jetzt als Erweiterung des europäischen Rettungsschirms verabredet worden ist, ist natürlich ein nationales Risiko, aber es ist für Wohlstand, Frieden, Beschäftigung und auch zur Sicherung der Zukunft der sozialen Sicherheit in Deutschland ein unumkehrbarer und aus meiner Sicht auch alternativloser Weg. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will als Erstes sagen, ich habe mich über die Rede und auch den zweiten Beitrag des Kollegen Röwekamp gefreut. Es war eine klare europapolitische Rede und Aussage.

Ich habe mich deswegen darüber gefreut, weil es heute in der CDU/CSU nicht mehr selbstverständlich ist, dass eine solche Rede gehalten wird. Es ist ja das Bedrohliche an der Situation, dass wir bangen, ob es morgen zu der Mehrheit kommt, denn die Rede, die Herr Timke hier vorgetragen hat, ist ja wortwörtlich so auch von Herrn Schäffler von der FDP oder von Herrn Gauweiler von der CSU zu hören. Das Problem der gegenwärtigen Bundesregierung ist doch, dass kein klarer Kurs mehr besteht. Ich freue mich über das, was Sie gesagt haben, ja, aber dieser Kurs besteht nicht mehr.

Ich habe vermisst, und darin liegt auch ein großes Problem, Herr Röwekamp, dass Sie zu den Finanzmärkten und dem, welche Bedeutung die Regulierung der Finanzmärkte hat, und dies nicht irgendwann, sondern in absehbarer Zeit, nicht Stellung genommen haben. Wir können hier noch so viele Dinge im Voraus beschließen, wir werden es nicht schaffen, diese ungeheure Macht des Geldes, die nun einmal da ist, wirklich einzudämmen, der Punkt fehlte bei Ihnen. Ich hoffe, dass es jetzt nur der Zeit geschuldet war, ich bin mir aber nicht ganz sicher.

(Vizepräsidentin S c h ö n übernimmt den Vorsitz.)

Interessant ist ja, Herr Rupp, dass Sie es nicht so richtig geschafft haben zu begründen, warum DIE LINKE morgen im Bundestag nicht zustimmt. Sie haben gar nichts gegen die Erweiterung des EFSF gesagt, Sie haben nur gesagt, man müsste dies auch mit diesem und jenem verbinden, man hätte Zeit, und man müsste es noch liegen lassen.

Wir haben nicht die Zeit, es liegen zu lassen und all die schönen Dinge, die Sie wollen, auch noch mit zu beschließen. Sie müssen hier schon sagen, ja, das machen wir heute, um Turbulenzen und große Risiken zu vermeiden. Dann werden wir sicherlich debattieren, wie es weitergeht, und auch die Frage der Beteiligung von Privaten, das ist auch Teil des neuen ESM, angehen, die dort dann diskutiert und geregelt wird.

Sich aber heute aus der Verantwortung zu stehlen und zu sagen, wir stimmen dem nicht zu, das ist die Position der LINKEN, die auch etwas mit ihrer Europapolitik zu tun hat, und das haben Sie heute auch noch einmal gesagt. In Wahrheit haben Sie Ja zu Europa gesagt, wenn Europa genau so ist, wie Sie es sich vorstellen. Wenn es nicht so ist, wie Sie es sich

vorstellen, dann wollen Sie mit diesem Europa auch nichts zu tun haben, aber das funktioniert nicht.

(Zuruf von den LINKEN)

Doch, das war so! Das ist die Formulierung, die Herr Röwekamp zitiert hat, solange Europa Kriege führt, solange Europa Lohndumping hat, ist das nicht unser Europa, das haben Sie so gesagt. Ja, wir haben unterschiedliche Auffassungen über Politik hier im Land, im Bund und in Europa, da gibt es Auseinandersetzungen und Mehrheiten, aber zu sagen, wenn es nicht so läuft, wie wir es uns vorstellen, dann ist das nicht Europa, das ist ein grundlegender Fehler, den DIE LINKE immer macht, und deswegen sind Sie immer eine nicht europäische Partei, um es vorsichtig auszudrücken.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der CDU)

Ich bin ganz überrascht, wie viele GriechenlandExperten es gibt. Jeder weiß ganz genau, wie es in Griechenland läuft. Sie wissen jetzt ganz genau, wie es mit den Lkw- und Taxifahrern ist. Überlegen Sie nicht, ob bei der Vererblichkeit von solchen Lizenzen vielleicht auch ein bisschen Korruption mit im Spiel ist?

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Ja, natür- lich!)