Protocol of the Session on September 28, 2011

Meine Damen und Herren, da der Senat um Behandlung und um Beschlussfassung in erster und zweiter Lesung gebeten hat und dies interfraktionell auch vereinbart wurde, lasse ich darüber abstimmen, ob wir jetzt die zweite Lesung durchführen wollen.

Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt entsprechend. (Einstimmig)

Wir kommen zur zweiten Lesung. Die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer das unter diesm Tagesordnungspunkt genannte Gesetz in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen! Ich bitte um die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt entsprechend. (Einstimmig)

Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge – Lockerung und Abschaffung der Residenzpflicht für Asylbewerber und -bewerberinnen und Geduldete

Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 20. September 2011 (Drucksache 18/58)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer. Die Beratung ist eröffnet. Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Vogt.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eigentlich gedacht, wir bringen diesen Antrag in die Bürgerschaftssitzung im November ein, aber dann ist Niedersachsen erstaunlicherweise vorgeprescht, obwohl Herr Minister Schünemann ja eigentlich nicht dafür bekannt ist, bei Lockerungen für Asylbewerber und Geduldete an erster Stelle zu stehen. Das haben wir zum Anlass genommen, die Diskussion in die Bürgerschaft eher einzubringen, als wir es eigentlich vorhatten. Wir waren eigentlich erstaunt, dass Herr Schünemann einen ganz ordentlichen niedersächsischen Verordnungsentwurf vorgelegt hat. Danach soll die Residenzpflicht für alle Asylsuchende in Niedersachsen auf das gesamte Bundesland ausgeweitet werden, und zwar ohne Ausnahmen. Damit überholt die dortige schwarz-gelbe Landesregierung die bremische Koalition von links, das ist schon interessant. Doch wie immer liegt auch hier der Teufel im Detail. Im vergangenen Dezember wurde im Bundesrat ein Antrag Bremens zur Abschaffung der Residenzpflicht behandelt. Das hört sich ganz gut an, ist es aber nur zum Teil, denn der Senat hat sich dafür ausgesprochen, dass die Ausnahmen beibehalten werden sollen. Konkret soll die Residenzpflicht aufrechterhalten werden, wenn Asylsuchende aus Sicht der Behörden ihre Mitwirkungspflichten nicht erfüllt haben oder wenn sie straffällig geworden sind. Zum Thema Straffälligkeit komme ich später noch. Erst einmal möchte ich betonen, dass die Residenzpflicht nicht nur eine erniedrigende und entmündigende Regelung ist, sondern auch ein Grundrecht einschränkt. Sie behindert die Betroffenen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte auf Familie und auf Versammlungsfreiheit, sie behindert sie beim Besuch von Bildungseinrichtungen und bei der Ausübung sozialer oder religiöser Tätigkeiten. Diese Rechte können doch nicht von einem oft subjektiv beurteilten Wohlverhalten abhängig gemacht werden! SPD und Grüne haben in ihrem Antrag vom Juni 2010 selbst festgestellt, dass die Residenzpflicht dem Grunde nach eine einschneidende Beschränkung des Menschenrechts auf Reise- und Bewegungsfreiheit und der EU-rechtlich verankerten Grundfreiheiten ist. Das finden wir so weit ganz gut.

(Abg. B o l a y e l a [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage. – Glocke)

Frau Vogt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Bolayela?

Nein, er kann die Frage ja danach stellen!

Ich möchte einmal eines grundsätzlich sagen: Die Residenzpflicht, ich glaube, da sind wir uns auch hier ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

in einigen Fraktionen gar nicht so uneinig, ist ein Paradebeispiel für staatlichen Rassismus. Sie ist 1982 eingeführt worden und insofern ein Fossil restriktiver Asylgesetzgebung in Deutschland. Sie hat die Wurzeln sogar im Nationalsozialismus, und zwar in der NS-Ausländerpolizeiverordnung. Sie wurde auch während der Apartheid in Südafrika angewandt. Die Residenzpflicht ist ein negatives Alleinstellungsmerkmal der Bundesrepublik Deutschland, in keinem anderen Land der EU wurden derartige Beschränkungen für Asylsuchende und Geduldete eingeführt. Die durch die Residenzpflicht erzeugte gesellschaftliche Isolation der Betroffenen ist politisch gewollt, denn Zweck war es 1982, eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Neben der abschreckenden hat die Residenzpflicht aber auch eine kriminalisierende Wirkung. Ein Viertel aller ausländerrechtlichen Delikte im Jahr 2007 ging auf Verstöße gegen die Residenzpflicht zurück. Man muss sich einmal vorstellen: Wenn ich hier als Geduldeter oder als Asylbewerber lebe und einen Freund oder eine Freundin in Lilienthal habe, und ich fahre einmal dorthin, ohne die Ausländerbehörde vorher um eine Verlassenserlaubnis zu bitten, dann begehe ich eine Ordnungswidrigkeit und beim zweiten Mal eine Straftat. Dies wird in der Statistik natürlich nicht separat ausgewiesen. Das führt dazu, dass die Ausländerkriminalstatistik durch Bagatelldelikte unnötig aufgebläht wird. Damit spielt man Berufsrassisten wie zum Beispiel Herrn Sarrazin ganz gezielt in die Hände. Es wurden aber, und das ist das Erschreckende an der ganzen Sache, bereits Haftstrafen wegen dieser Verstöße gegen die Residenzpflicht verhängt! In Bremen, und darum geht es uns ja, sind über 3 000 Menschen von der Residenzpflicht betroffen. Schulpflichtige Flüchtlinge und Geduldete brauchen Verlassenserlaubnisse, wenn sie auf Klassenfahrt wollen. Das ist für viele Betroffene ein unwahrscheinlicher Akt, weil sie bei der Ausländerbehörde oft bürokratische Hürden zu bewältigen haben. Es gab auch genügend Fälle, in denen die Lehrerinnen nachher am Flughafen oder am Bus standen und Schüler zurückschicken mussten.

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Aber nicht we- gen dieser Geschichte!)

Familien werden durch die Residenzpflicht getrennt, weil ganz viele Familien, die in Bremen leben, einfach Verwandte im niedersächsischen Umland haben, und damit werden auch soziale Kontakte behindert. Glücklicherweise bröckelt auch im Bund die Unterstützung für die Residenzpflicht langsam ab. Im Sommer letzten Jahres lockerten Berlin und Brandenburg als erste Bundesländer die Residenzpflicht und haben sogar für Geduldete eine gute Regelung eingeführt – für Geduldete ist das Aufenthaltsgesetz zuständig –, indem sie großzügige, auch längerfris

tige Verlassenserlaubnisse erteilen, wenn betroffene Geduldete das Bundesland wechseln. Auch Nordrhein-Westfalen hat die Residenzpflicht mittlerweile auf das gesamte Bundesland ausgeweitet. Die Ankündigung Niedersachsens, die Residenzpflicht in Bremen auf ganz Niedersachsen auszuweiten und sich dann auch noch mit den anderen Innenministern der angrenzenden Bundesländer ins Benehmen setzen zu wollen, bietet uns hier als Bundesland eine hervorragende Chance, das Problem endlich anzupacken. Wir finden, dass das angesichts der Insellage des Stadtstaates Bremen auch dringend notwendig ist. Es wäre auch schnell und einfach umsetzbar. Deswegen fordern wir das für die Asylsuchenden, also für die Menschen mit Aufenthaltsgestattung, in unserem ersten Antragspunkt. Die neue Gesetzeslage, die seit dem 1. Juni in Kraft ist, ermöglicht außerdem, dass sich alle Bundesländer auf eine Ausweitung einigen. Darauf zielt unser zweiter Antragspunkt. Damit wäre die Residenzpflicht faktisch abgeschafft, zumindest für Asylbewerberinnen und -bewerber, die sich hier noch im Asylverfahren befinden. Weiterhin prekär bleibt allerdings die Lage für Geduldete, das heißt für die Ausreisepflichtigen. Ihre Bewegungsfreiheit wird weiterhin vom Gesetzgeber auf das jeweilige Bundesland beschränkt. Das ist in Bremen natürlich schlecht, und deswegen beantragen wir in Punkt 3 eine erneute Bundesratsinitiative Bremens zur Abschaffung der Residenzpflicht. Sie, ich sage das jetzt einmal in Richtung der Kollegen der Koalition, schreiben ja auch in Ihrem Koalitionsvertrag, dass Sie sich dafür einsetzen wollen, die Residenzpflicht unter Beibehaltung der Wohnsitzzuweisung aufzuheben. Wir bitten Sie deswegen, diesem Antrag zuzustimmen und hier möglichst schnell Abhilfe zu schaffen!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster hat das Wort zu einer Kurzintervention der Abgeordnete Bolayela.

Nach meiner Kenntnis ist dieser Antrag schon von meiner Fraktion im letzten Jahr, vor 13 Monaten, gestellt worden. Ich frage mich, warum Sie darauf kommen, so etwas wieder zu beantragen.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Das habe ich doch gerade eben gesagt!)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Dr. Mohammadzadeh.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat, wie von meiner Vorrednerin auch ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

erwähnt wurde, ist die Residenzpflicht eine gesetzliche Regelung, die auch tief in die Rechte der Menschen eingreift, die sich als Asylsuchende oder Geduldete in unserem Bundesland aufhalten. Sie verpflichtet die Betroffenen nicht nur, ihren Wohnsitz in dem ihnen zugewiesenen Gebiet zu nehmen, sondern sie dürfen nach dem Wortlaut des Gesetzes auch dieses vorgeschriebene Aufenthaltsgebiet nicht verlassen, es sei denn mit der ausdrücklichen Erlaubnis der zuständigen Ausländerbehörde. So weit sind wir uns einig.

(Abg. T u n c e l [DIE LINKE]: Jetzt kommt es!)

Diese Regelung wird schon seit geraumer Zeit in der Praxis infrage gestellt. Bundesländer wie Bremen, aber auch Nordrhein-Westfalen und jüngst auch Niedersachsen nutzen bestehende Spielräume, um den Asylsuchenden und Geduldeten mehr Bewegungsfreiheit zu schaffen. Berlin und Brandenburg erteilen Dauererlaubnisse für das jeweilige Nachbarbundesland. Selbst bei der Bundesregierung gerät das Thema mit einer Soll-Ausnahme zugunsten berufstätiger Asylsuchender und Geduldeter in Bewegung.

Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag zur vollständigen Abschaffung der Residenzpflicht liegt seit September 2010 vor. Auch die SPD-Bundestagsfraktion hat im Mai dieses Jahres einen Antrag zur Abschaffung der Residenzpflicht eingebracht. Der Antrag, der vorhin von Frau Vogt vorgestellt worden ist, ist meiner Ansicht nach schlicht überflüssig.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. Frau V o g t [DIE LIN- KE]: Nein, eben nicht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der LINKEN, ich muss Ihnen das leider sagen, Sie verschwenden damit die Zeit des Parlaments.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Sie ver- schwenden die Zeit der Leute in der Aus- länderbehörde!)

Jetzt bin ich an der Reihe, Frau Vogt! Sie haben Ihren Antrag ja praktisch von uns abgeschrieben. Ihr Antrag, Sie haben es erwähnt, entspricht doch fast wörtlich dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom Juni 2010, den wir eingebracht haben. Davor haben wir auch eine Kleine Anfrage eingebracht, damit sich die zuständige Behörde in Bremen auch gemeinsam mit Niedersachsen um eine großzügige Nutzung der Spielräume bemüht. Der Senat ist darüber hinaus bereits auf Bundesebene tätig geworden. In diesem Zusammenhang möchte ich auch unserem Senator für Inneres und

Sport, Herrn Mäurer, für seine Bemühungen um den Wegfall der Bewegungseinschränkungen danken, die er seit Dezember 2010 mit Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und auch als Vorsitzender der Innenministerkonferenz unternimmt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Nach all diesen Vorgeschichten kommen Sie und fordern Senator Mäurer auf, das zu tun.

(Zuruf der Abg. Frau V o g t [DIE LINKE])

Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, einen Blick in die Mitteilung des Senats vom 1. Dezember 2010, aber auch in die Bremer Presse zu werfen, ich denke, da wäre Ihnen aufgefallen, dass Ihr Antrag überflüssig ist. (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wenn DIE LINKE, wenn Sie, Frau Vogt, Ihre Energie mit viel Tamtam darauf verwenden wollen, wie vorhin hier offene Türen einzurennen, so sei es Ihnen unbenommen, das ist Ihre Sache.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Handeln Sie doch endlich!)

Der Respekt vor dem Parlament sollte aber Profilierungsversuchen – dem, was Sie hier machen – aufgrund von Dingen, die die anderen bereits erarbeitet haben, Einhalt gebieten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wir wollen hier auch nicht das GuttenPlag Wiki oder die Suchmaschine Plagiatrobot bemühen.

(Zuruf der Abg. Frau V o g t [DIE LINKE])

Uns geht es einfach darum, dass wir hier unsere Zeit nicht mit Beschlussvorschlägen vertun, die inhaltlich längst von der gleichen Koalition beschlossen wurden oder Gegenstand senatorischer Initiativen sind. Deshalb machen wir es kurz und schmerzlos: Wir lehnen Ihren Abtrag ab! – Herzlichen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Tuchel.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Sie ver- schwenden die Zeit! – Unruhe)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben der Rede der Kollegin Frau Vogt entnommen, dass sie ein Schnellschuss war, und das nehmen wir zur Kenntnis!

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Eben nicht!)

Klares Ziel der SPD ist die Abschaffung der Residenzpflicht, das ist so, das bleibt so, und das wird sich nicht ändern. Ihr Antrag ist insoweit irreführend, als die Betroffenen irritiert sind: Was ist an dem Antrag daran? Hat die SPD ihre Meinung geändert? Hat sie sich etwas anderes überlegt?

(Zuruf: Ja!)