Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Ich gehe davon aus, Frau Senatorin Jürgens-Pieper, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen nicht mündlich wiederholen möchten. – Das ist der Fall.
Auf die Antwort des Senats auf Große Anfragen folgt eine Aussprache, wenn dies Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen ist neben den Fraktionsvorsitzenden von den arbeitsmarktpolitischen, wirtschaftspolitischen und bildungspolitischen Sprechern erarbeitet und unterzeichnet worden. Das macht aus unserer Sicht noch einmal
deutlich, dass die Frage der beruflichen Bildung, der Orientierung, die Frage der Qualität der beruflichen Bildung und die Frage der Perspektiven eines beruflichen Aufstiegs zentrale Themen mehrerer Politikbereiche sind. Für die SPD-Fraktion haben wir deswegen auch besprochen, dass wir uns diesen Diskussionsteil aufteilen und Frau Böschen nachher noch weitere Gesichtspunkte aus unserer Sicht erläutern wird. Für den einzelnen Menschen sind die Fragen der beruflichen Bildung elementare Fragen eines Lebens mit einem hohen Maß an Möglichkeiten einer sozial unabhängigen Existenz. Für unseren Wirtschaftsraum sind das zentrale Fragen der Rekrutierung von Fachkräften, der Innovationsfähigkeit in Fragen der Produktentwicklung, der Dienstleistungen und der Arbeitsorganisation. Die ausführlichen Antworten auf unsere umfassenden Fragen zeigen uns, dass bei aller Verantwortung der privaten Wirtschaft für die Berufsausbildung die politische Begleitung durch entsprechende Rahmenbedingungen und verantwortungsvolles Handeln der Ressorts – hier insbesondere der Ressorts Bildung, Wirtschaft und Arbeit – wesentlicher Faktor ist. Es ist ausdrücklich gut, dass der Senat im Rahmen der Bremer Vereinbarung vor Jahren bereits Initiativen ergriffen hat und gemeinsam mit den Sozialpartnern Verabredungen trifft und auf deren Umsetzung achtet. Das hat geholfen und wird auch weiter helfen müssen.
Die Antworten des Senats zeigen auch, dass das Thema keine Eintagsfliege ist, sondern kontinuierlich weiterentwickelt werden muss. Insofern freuen wir uns auch, dass der Senat unsere Idee, einen Aktionsplan aufzulegen, aufgegriffen und ihn für Juli 2013 angekündigt hat. Er wird dann sicher, wenn er rechtzeitig mit allen an der beruflichen Bildung Beteiligten kommuniziert wird, weitere Maßnahmen und Vorschläge enthalten. Ich möchte jenseits dieser allgemeinen Betrachtungen noch einige Stichworte zu einigen der angesprochenen Themen sagen. Stichwort Fachkräfteentwicklung! Die Diskussion über die fehlenden Ausbildungsplätze der vergangenen Jahre wird gegenwärtig mehr durch die Diskussion über die Fachkräftebedarfe verdrängt. Nun sind wir sind noch nicht bei einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Stellen und Bewerbern, und oft passen die Wünsche der Bewerber nicht mit den angebotenen Stellen zusammen. Das Handwerk klagt bereits – wer die letzte Ausgabe der „Bremer Handwerkszeitung“ nicht gelesen hat, kann sich das bei Herrn Präses Feldmann noch einmal anschauen – über weniger Bewerber, unbesetzte Lehrstellen und gleichzeitig höhere Anforderungen in den Berufen. Die Fachkräftedebatte ist für mich noch sehr unspezifisch, weil keiner genau sagt, was wirklich ge
braucht wird. Es wird noch viel spekuliert. Richtig ist aber, dass eine solide Berufsausbildung die Grundlage für die Gewinnung der künftigen Fachkräfte ist. Eine Fachkräfteinitiative ohne Grundlage in einer breiten Berufsausbildung ist nicht denkbar, ebenso wenig ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches berufliches Leben ohne eine solide berufliche Ausbildung. Wir haben über viele Jahre die Wirtschaft gemahnt: Verstärkt die berufliche Bildung, bietet Ausbildungsplätze an! Das hat zum Teil Früchte getragen und ist gut, wie die Bremer Vereinbarung gezeigt hat. Das muss aber weitergehen. Auszubildende auszubilden gehört zu einer sozialen Verpflichtung der Wirtschaft. Das müssen wir weiter einfordern, und hier ist die Wirtschaft weiter gefragt.
Dazu beitragen muss aber natürlich auch eine – ich will es einmal so sagen – vernünftige Berufsorientierung. Wir erleben gegenwärtig in der öffentlichen Diskussion viele Debatten über Fehlorientierungen. Es gibt ein Ungleichgewicht zwischen den Stellen und den Ausbildungsplätzen, die angeboten werden, und denen, die nachfragt werden. Ich glaube, das hat auch ein bisschen etwas damit zu tun, dass es eine gesellschaftliche Missachtung gibt zum Beispiel der Arbeit mit den Händen.
Ich will einmal als einen Beleg dafür ein Projekt der Gesamtschule West nehmen, über das im Oktober zumindest in unserer Stadtteilzeitung berichtet worden ist. Auf Initiative der Handwerkskammer sind im Rahmen eines Projekts Abgangsklassen gefragt worden, wie sie ihre Perspektiven sehen. Den Jugendlichen fiel ein – daher finde ich es gut, dass so etwas einmal gemacht wird –: „harte Arbeit, Bier, wenig Geld“. Diese drei Begriffe fielen den meisten der befragten 66 Jugendlichen spontan zum Thema handwerkliche Berufe ein. Das mag man beklagen, aber es ist ein Image, das vorhanden ist und ein Schlaglicht darauf wirft, wie bestimmte Tätigkeiten gesehen werden.
Natürlich müssen die Branchen etwas tun, um selbst attraktiver zu werden. Ich sage aber auch: Hier brauchen wir eine andere gesellschaftliche Debatte in den Elternhäusern, aber auch in den Schulen, denn man muss ja erkennen, dass man über die Energiewende wunderbar einen PowerPoint-Foliensatz machen kann, ihn hinterher von Betriebswirten rechnen und vielleicht auch noch von Bankiers in Kredite gießen lassen kann, aber letztlich wird das Ganze nichts, wenn nicht ein Handwerker auf das Dach geht und die Solaranlage montiert
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. Frau D r. S c h a e - f e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Und auch richtig montiert!)
und dann den komplizierten Prozess des Wechselspiels zwischen der Technik, Heizungs-, Warmwasseranlage und Elektrik in Gang setzt.
Der Blaumann kommt dann zwar in der Öffentlichkeit nicht vor, aber ohne ihn wäre vieles nicht möglich. Die Schlüsselqualifikationen, die darin stecken – das wissen meine Kolleginnen und Kollegen von der IG Metall, die oben auf der Besuchertribüne sitzen, ganz genau –, haben die deutsche Wirtschaft stark und groß gemacht, und das muss weiter gefördert werden. (Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)
Deswegen sagen wir auch – und haben es immer gesagt –, dass wir allen Vorstellungen eine Absage erteilen, die Abstriche bei der Qualität der Ausbildung machen wollen. Wir haben mit der Ausbildereignungsverordnung und ähnlichen Instrumenten gute Hebel, um dies zu organisieren. Gerade kleine Betriebe des Handwerks zeigen, dass das geht: gute Ausbildung auch in kleinen Einheiten! Ich glaube, manch anderer freier Beruf könnte sich daran ein Beispiel nehmen. (Glocke)
Ich will an dieser Stelle aber auch noch einmal abschließend eine Bemerkung machen und eine Berufsgruppe ganz besonders würdigen, die sich dieser Aufgabe, insbesondere der Integration, ganz besonders stellt, nämlich die Ausbilderinnen und Ausbilder in den Betrieben. Sie leisten nach alldem, was die Schulen und die Elternhäuser vorher geleistet oder nicht geleistet haben, bei den Fragen der Berufsorientierung und der Stabilität Großes. Die Rolle der Ausbilder in den Betrieben, sei es in den großen Betrieben oder in den kleinen Meisterbetrieben, ist zu würdigen. Sie leisten Hervorragendes, und sie tun sehr viel dafür, dass die duale Berufsausbildung in diesem Land attraktiv bleibt. Ihnen ist ein besonderer Dank geschuldet. – Herzlichen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die beruf––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
liche Bildung scheint in der Bremer Bildungspolitik die letzte Bastion zu sein, bei der es nicht an allen Ecken und Enden brennt. Bremen nimmt zur Abwechslung nicht automatisch den letzten Platz in nationalen Bildungsvergleichen ein, und Schüler, Lehrer und Eltern gehen nicht durchgehend seit geraumer Zeit in immer kürzer werdenden Abständen zum Protest auf die Straße.
Die Situation der beruflichen Bildung ist in Bremen tatsächlich längst nicht so desaströs wie die Lage an den Oberschulen, den Gymnasien oder den gymnasialen Oberstufen. Der Ausbildungsmarkt entspannt sich allmählich, und es gibt die unterschiedlichsten Ausschüsse, Förderprogramme, Initiativen, Vereinbarungen wie die Bremer Vereinbarung, die auch schon genannt wurde, mit den beteiligten Akteuren wie Kammern und Unternehmen. Keine Frage, all das ist nicht unnötig, aber wenn man sich die Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Regierungskoalition anschaut, kann man doch feststellen, dass ein wirkliches Gesamtkonzept für die berufliche Bildung im Bildungsressort einfach nicht existiert.
Das wird auch daran deutlich, dass beispielsweise ein Aktionsplan gefordert wird. Dem stehen wir als CDU-Fraktion auch nicht im Wege, aber wir wünschen uns über mehrere Pläne hinaus, da es immer wieder neue Pläne und Vereinbarungen gibt, dass für die berufliche Bildung endlich einmal tatsächlich eine pragmatische Politik mit konkreten Handlungen und Verbesserungen betrieben wird.
Im Hinblick auf einen wettbewerbsfähigen Berufsbildungs- und Wissenschaftsstandort Bremen gibt es für uns nämlich noch an vielen Ecken und Enden konkreten Handlungsbedarf. Ich möchte Ihnen nur drei kleine Beispiele nennen.
Erstens, circa 20 Prozent der Schüler gelingt es, nach der allgemeinbildenden Schule direkt in eine duale Ausbildung zu wechseln. Das ist schön und gut, aber doppelt so viele wechseln direkt ins sogenannte Übergangssystem, das hier als Auffangbecken fungiert, obwohl viele davon wirklich ausbildungsreif sind. Das in der Antwort angeführte Leitprinzip des Bremer Berufsbildungssystems, kein Abschluss ohne Anschluss, mit dem ausdrücklichen Ziel, Bildungssackgassen zu vermeiden, wird für uns als CDU-Fraktion hiermit zur Farce.
Ein zweites kleines Beispiel! Nach Angaben des Senats ist es weitgehend möglich, Lehrerstellen in der beruflichen Bildung zu besetzen. Angesichts dieser Aussage empfinde ich es persönlich als besonders bedrückend, wenn ich mir eine Vorlage aus dem Unterausschuss Berufliche Bildung vom Sommer 2012 anschaue, in der steht, dass lediglich zwei berufliche Schulen von allen 18 aufgeführten Schulen eine komplette Unterrichtsabdeckung von zwölf Stunden in der Woche erreichen; sieben der 18 aufgeführten Schulen im Land Bremen kommen nicht einmal auf elf Stunden pro Woche. Die unromantische Erklärung dieser Situation lautet: nicht besetzte Stellen, Stauchung und Fachkräftelehrermangel! Kommt uns allen das leider nicht irgendwie schon wieder bekannt vor?
Drittes Beispiel! Haben Sie – ich spreche jetzt insbesondere die Senatorin an – schon einmal etwas von dem Bremer Innovationsprojekt gehört, als dreigliedriges Ausbildungssystem von der Handelskrankenkasse, dem Schulzentrum Grenzstraße und der Apollon Hochschule, das aus meiner Sicht öffentlich leider viel zu wenig Beachtung findet? In Ihrer umfassenden Antwort, die allerdings hauptsächlich nur auf Zitate, beispielsweise aus der Bremer Vereinbarung, die ohnehin im Jahr 2013 schon wieder ausläuft, beruht, findet sich dieses Projekt zu meinem Unverständnis in keinem Satz wieder, obwohl gerade dieses Projekt als Paradebeispiel für eine gute Kooperation zwischen akademischer und beruflicher Bildung fungiert.
Ich glaube, Sie sind sich überhaupt nicht bewusst, wie dankbar Sie beispielsweise diesen drei Beteiligten, die ich gerade genannt habe, sein können, dass mit absoluter Eigeninitiative solch ein Prestigeprojekt für Bremen faktisch auf den Weg gebracht wurde. Besonders an diesem Beispiel wird deutlich, dass es zunehmend gerade im Bereich der beruflichen Bildung auf die Akteure vor Ort ankommt, die jedoch auch im Regen stehen gelassen werden.
Ihnen auf der Senatsbank kann ich sowohl als Abgeordnete – heute 23 Jahre alt – als auch als junger Mensch, der am Anfang seines beruflichen Lebens steht, nicht glauben, dass Sie sich ernsthaft darüber im Klaren sind, dass wir durch den demografischen Wandel, das ist hier auch schon angeklungen, und den damit verbundenen zunehmenden Fachkräftemangel erheblichen Handlungsbedarf im Hinblick auf ein gut funktionierendes berufliches und wissenschaftliches Bildungssystem mit genügend Fachunterricht, gelungenen Übergängen ohne faktische Bildungssackgassen, die es gibt, Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen, der Öffnung der Hochschulen oder der Anerkennung von Leistung haben.
Vielmehr steht die Behörde einem effizienten Pragmatismus in der beruflichen Bildung, den wir dringend brauchen, und dem hohen lobenswerten Engagement der Akteure vor Ort massiv im Wege, bei
spielsweise was die Besetzung von Schulleitungen durch überlange Verfahren angeht und andere Dinge, die ich mir da schon anhören musste. Sie kommen nicht einmal darauf, dass das angeführte Bremer Innovationsprojekt oder auch beispielsweise eine erfolgreiche Wissenschaftspolitik in unserem Nachbarland Niedersachsen – von der CDU geführt, möchte ich anmerken –
auch Beispiele sein können, an denen man sich vielleicht als Land orientieren kann, um über konkrete Modelle oder Veränderungen die Öffnung der Hochschulen zu erreichen.
Ja, da kann man ruhig einmal Beifall klatschen, es ist wirklich ganz toll, was die Kollegen in Niedersachsen machen, wir aber leider nicht schaffen!
Nicht zu vergessen ist, dass Sie sehr großes Glück haben, dass im Bereich des beruflichen Aufstiegs und der beruflichen Situation viel von der christlich-liberalen Regierung auf Bundesebene getan wird, vor allem vom Ministerium für Bildung und Forschung von Frau Professor Dr. Schavan.
Ein Beispiel ist – und das war heute auch schon ein Thema in der Fragestunde – das Anerkennungsgesetz aus dem April 2012. Wir brauchen auch hier wieder einmal, das habe ich schon angemerkt, über ein Jahr länger, um eine entsprechende Regelung auf den Weg zu bringen und stehen somit im Weg.
Zum Schluss bleibt mir nur noch zu sagen, dass wir uns auf der derzeitigen Situation der beruflichen Bildung in keiner Weise ausruhen dürfen. Ich warne auch davor, in der Relation zum sonstigen Abschneiden bei nationalen Bildungsvergleichen die relativ akzeptablen Ergebnisse, die Bremen durchaus erzielt, als absoluten Erfolg darzustellen, das wäre überzogen.