(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Jetzt ist sogar schon etwas schuld, was es noch gar nicht gibt! So einen Blödsinn habe ich ja noch nie gehört! Die Fehler sind hier gemacht worden!)
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn sich hier alles ein bisschen beruhigt hat, können wir vielleicht noch einmal in eine sachliche Diskussion einsteigen.
Ich glaube, dass es nicht überraschend war, dass in dem aktuellen Vergleich unsere Grundschulen mit den anderen Stadtstaaten zusammen die letzten Plätze belegen. Die Stadtstaaten schneiden sowohl bei den erreichten Kompetenzen als auch bei der Chancengleichheit schlechter ab. Erstmals wurden die Großstädte mit aufgeführt, das finde ich in der Studie gut, allerdings muss man bei der Wertung auch wissen, dass die Anzahl der befragten Schulen insgesamt sehr gering war, das ist dann ein Problem bei der Bewertung. Keiner will aber – und das können und wollen wir auch nicht – die Situation hier schönreden.
Wir müssen uns aber auch nicht schämen, wie die CDU das öffentlich gegenüber den Schulen ausspricht. Ich finde, das ist die falsche Wortwahl.
Bremen hat in den letzten Jahren beträchtliche zusätzliche Ressourcen in die Sprachförderung und in die Verbesserung der Lese- und Schreibkompetenzen sowie der Mathematikkenntnisse der Schülerinnen und Schüler investiert. Heute wird bei allen Bremer und Bremerhavener Kindern ein Jahr vor der Einschulung ein Sprachtest und bei festgestellten Defiziten eine verbindliche Sprachförderung durchgeführt. Es wurden die Stundentafeln in Deutsch und Mathematik in der Grundschule erhöht – die sollten wir uns im Übrigen noch einmal anschauen – und die „Offensive Bildungsstandards“ und schulübergreifende Fachkonferenzen in Deutsch und Mathematik implementiert, es gibt Vorkurse für Kinder mit Migrationshintergrund, Leseclubs, Sommercamps und vieles mehr.
Seit dem Jahr 2010 gilt für alle in Bremen Studierenden des Grundschullehramts, dass sie nach dem neuen Lehrerausbildungsgesetz die Fachwissenschaften und Didaktiken der Fächer Deutsch und Mathematik und eines dritten Wahlfachs studiert haben müssen. Diese Maßnahmen zur Reduzierung des fachfremden Unterrichts, der sehr wichtig ist, konnten in der Studie ebenso wenig greifen wie die Sprachfördermaßnahmen, weil sie erst später in Kraft getreten sind. Die anderen Bundesländer sind aber natürlich auch nicht untätig geblieben. Zumeist weitaus von günstigeren Ausgangslagen und Rahmenbedingungen startend haben sie ihrerseits eine Vielzahl von ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Maßnahmen eingeführt, um die Leistungen der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Meine Kollegin hat angesprochen, unverändert gilt für Bremen der hohe Anteil der Risikolagen für die Schülerinnen und Schüler im Land Bremen. Von allen drei Risikolagen sind im Jahr 2010 zwölf Prozent betroffen gewesen, während es in Bayern nur 1,7 Prozent sind. Das kann man bei der Diskussion einfach nicht außer Acht lassen. Im Übrigen ist in allen Bundesländern, das sollte uns in Deutschland insgesamt zu denken geben, eine Kopplung zwischen sozialer Herkunft und erreichten Kompetenzen nachzuweisen. Das Kompetenzgefälle in Bremen ist aber nach wie vor besonders hoch.
Vor allem schneiden die Kinder mit beiden im Ausland geborenen Elternteilen sowohl in Deutsch als auch Mathematik viel schlechter ab als Kinder ohne Zuwanderungshintergrund. Große Leistungsunterschiede ergeben sich insbesondere für Kinder mit Eltern aus der Türkei oder aus Ex-Jugoslawien. Ich finde, das müssen wir uns genauer anschauen. Wenn man in die Studie hineinschaut und sieht, die Differenz ist immer noch sehr hoch, wenn die zu Hause gesprochene Sprache primär Deutsch ist, und Frau Professorin Dr. Stanat sagt dazu zum Beispiel in einem Interview, dass sie sich dies auch nicht erklären kann, dann müssen wir, glaube ich, auch darüber diskutieren, welche Maßnahmen oder welche Konsequenzen wir aus dieser Studie ziehen. Dies können aber selbst die Autoren der Studie im Augenblick nicht. Auch wenn die Wirkung unserer bereits genannten Maßnahmen noch abgewartet werden muss, haben wir anscheinend auch noch nicht überall die richtigen Antworten gefunden, um den speziellen Bedürfnissen der Schülerschaft wirklich gerecht zu werden. Bei den Kindern, die von den Risikolagen betroffen sind, reicht offenbar die Konzentration auf den reinen Bildungsaspekt nicht aus, sie brauchen mehr und vor allem ganzheitliche Unterstützung. Deshalb haben wir in den letzten Jahren unter anderem die Ganztagsschulen ausgebaut oder Projekte wie QUIMS, Qualität in multikulturellen Schulen, oder Quartiersbildungszentren initiiert. Wenn man sich die Ganztagsversorgung im Grundschulbereich anschaut, zum Beispiel für das Jahr 2011, also dem Zeitpunkt zur Erhebung der Studie, dann hatten wir einen Versorgungsgrad von 24 Prozent. Damit würden wir, wenn wir einmal ein Ranking für die Ganztagsversorgung im Grundschulbereich machen, auf Platz zwölf liegen. Ich finde, das ist nicht ausreichend.
In diesem Jahr liegen wir mittlerweile bei 41 Prozent, auch durch die neu eingerichteten Schulen, aber
ich glaube, der weitere Ausbau von Ganztagsschulen ist voranzutreiben. Wir müssen auch in die Ganztagsschulen genauer hineinschauen, in die Arbeit der Ganztagsschulen, um den Kindern zu helfen, die von zu Hause aus weniger Unterstützung erfahren. Ein Bundesprogramm für den weiteren Ausbau der Ganztagsprogramme wäre da im Übrigen sehr hilfreich.
Auf jeden Fall muss auch der vorschulische Bereich stärker in den Fokus. Es gibt Wissenschaftler, die sagen, dass die Sprachentwicklung eines Kindes im Alter der Einschulung bereits zum großen Teil abgeschlossen ist. Da hilft dann in der Tat nur früheres Fördern, und das geht nur mit einer gemeinsamen Anstrengung.
Eine Reaktion auf das schlechte Abschneiden durch hektischen Aktionismus wäre meines Erachtens aber nicht gut. Wir haben in den letzten Jahren eine Menge richtiger Dinge in der Schulpolitik gemeinsam umgesteuert, vieles reformiert, und man muss den Schulen jetzt auch Zeit für diese Entwicklung geben.
Unser Vorteil ist aber, dass die Kompetenzen Lesen, Zuhören und in Mathematik in unserem Land flächendeckend erhoben wurden, das heißt, alle Grundschulen in Bremen und Bremerhaven sind mit einer vierten Klasse von der Studie erfasst, und da bietet sich doch die Chance, dass die Ergebnisse der vorliegenden Studie und der vielen Vergleichstests den Schulen und den unterrichtenden Lehrkräften doch klare Hinweise darauf geben, wo jeweils ihre Stärken und Schwächen liegen. Die Schulen müssen meines Erachtens nun intern und mit behördlicher oder meinetwegen auch externer Unterstützung die Ergebnisse der Vergleichsstudien und Tests aufbereiten und zur Grundlage eines Qualitätsmanagements machen, und das ist doch der eigentliche Sinn des Unternehmens.
Auch ganz selbstkritisch kann man sagen: Wir müssen damit beginnen – das haben wir ja zumindest für den Bereich Integration mit dem Ausschuss Migration und Bildung angefangen –, die vielfältigen Fördermaßnahmen in den Kompetenzbereichen Deutsch
Viele Fragen bleiben trotzdem offen. Ich hoffe, dass Sie auch versucht haben, sich die 300 Seiten durchzulesen, und nicht nur die Zusammenfassung gelesen haben. In unserer gemeinsamen Runde mit den bildungspolitischen Sprechern haben wir aber festgestellt, dass trotzdem viele Fragen offenbleiben, Herr Dr. vom Bruch. Diese müssen wir in der Tat wie verabredet mit den Autoren der Studie für Bremen spezifisch noch einmal diskutieren. Ich glaube, es ist der einzige richtige Weg, jetzt nicht in Aktionismus zu verfallen, sondern sich sachlich mit der Materie zu beschäftigen und alle Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. So weit erst einmal, vielen Dank!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss ehrlich sagen, ich war von dem Ergebnis dieser erneuten Studie nicht überrascht, wie wahrscheinlich kaum jemand von uns, denn das, was dem zugrunde liegt, wissen wir eigentlich seit Langem. Es spiegelt im Grunde auch die soziale Situation im Land Bremen beziehungsweise die soziale Situation in allen drei Stadtstaaten wider, die in dieser Studie wieder erwartungsgemäß wie auch bei den internationalen Vergleichsstudien schlecht abschneiden. Die Frage ist: Was kann man tun? Dabei geht es – da gebe ich Herrn Dr. vom Bruch recht – um eine Qualitätsdiskussion, aber ich muss einschränkend sagen, natürlich ist das auch eine Gelddiskussion, Herr Dr. vom Bruch!
(Abg. D r. v o m B r u c h [CDU]: Aber eben nicht nur! – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber eben nicht nur!)
Wenn Herr Röwekamp jetzt sagt, die Fehler sind hier gemacht worden, dann kann ich auch sagen, wo sie begonnen haben, nämlich zu Zeiten der Großen Koalition.
Damit meine ich jetzt nicht nur die ganzen Lehrerstellen, die gestrichen worden sind, sondern ich meine zum Beispiel auch die im Jahr 2005 vereinbarte Än––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
derung des Sozialstrukturausgleichs, die einfach dazu geführt hat, dass genau in den Stadtteilen, in denen alle drei Risikolagen am häufigsten aufeinandertreffen, Förderunterricht gestrichen werden musste und Deutsch als Zweitsprache dort nicht mehr flächendeckend stattgefunden hat. Jeder, dessen Kind in eine dieser Schulen gegangen ist – und mein Sohn ist damals in Gröpelingen zur Grundschule gegangen –, hat erlebt, wie sich die Standards, die guten Bildungsstandards, die sich die Schulen teilweise unter Aufbietung von sehr viel Freizeit und sehr viel persönlichem Engagement durch die Lehrkräfte erarbeitet hatten, innerhalb eines Jahres verschlechtert haben. Da muss man, Herr Röwekamp, auch so ehrlich sein, das haben Sie auch mit zu verantworten.
Die Frage ist: Was kann man tun? Einige Dinge liegen auf der Hand, weil das eigentlich schon die erste PISA-Studie gezeigt hat, und das sagt auch die OECD: Längeres gemeinsames Lernen wäre wichtig. Da haben Sie sich allerdings im Jahr 2009 mit dieser unsäglichen Debatte über den Schutz der Gymnasien verweigert, meine lieben Kollegen von der CDU. Längeres gemeinsames Lernen ist, glaube ich, aber nicht alles, denn Staaten wie Kanada und Finnland zeigen auch, dass längeres gemeinsames Lernen eben auch nur dann etwas nützt oder bessere Erfolge bringt, wenn die soziale Ausgewogenheit an den Schulen einfach hergestellt ist. In Kanada hat man es anders gelöst: Die Schulen sind in den Vororten, und dort werden Kinder aus unterschiedlichen sozialen Schichten – sofern sie sich nicht in die Privatschulen entziehen, wenn sie sehr wohlhabend sind, den Haken gibt es immer, das muss man fairerweise sagen – gemeinsam unterrichtet. Das ist auch erfolgreicher.
Es gibt allerdings auch angesichts dieser Diskussionen, die man im internationalen Feld und die auch die OECD immer führt, auch Dinge, die man hier regeln könnte, die sind aber teuer. Ich habe eben schon einmal die Sprachförderung erwähnt, Deutsch als Zweitsprache. Bei der Sprachförderung ist viel in die Wege geleitet worden, aber ich sage es immer wieder: Es sind Dinge und Projekte, die oft Drittmittelprojekte sind, die sich dann im zweiten und dritten Jahr damit beschäftigen, Anträge zu stellen, ob die Förderung weiterläuft, sie ist nicht ineinander verzahnt.
Es gibt an unterschiedlichen Grundschulen im Osten, im Westen und im Süden unterschiedliche Projekte. Ich denke, hier muss man das vereinheitlichen, und ich finde auch, dass das ein originärer Bereich von Bildung ist, der auch wieder mit Personalmitteln hinterlegt werden muss. Zurzeit befindet sich dies eher im konsumtiven Bereich. Hier sind der Senat und auch die Finanzsenatorin gefordert, denn wenn man das ändern will, wenn man die Sprachförderung ändern will, und zwar von Anfang an, auch in den Kitas, da gebe ich Herrn Güngör recht, dann kostet das einfach Geld.
rade Kindern aus bildungsfernen Schichten und in einem besonders schwierigem sozialen Umfeld, aber auch das, Herr Dr. vom Bruch, ist mit Sicherheit eine Qualitätssicherung, wenn sie vernünftig läuft, mit rhythmisiertem Unterricht, aber auch das kostet leider eben Geld. Deswegen sind Qualitätsstandards auch leider immer Geldfragen. Diese werden hier in diesem Bundesland einfach seit 15 Jahren immer zulasten der Qualität beantwortet, nämlich indem man Personalmittel kürzt, indem man den Haushalt kürzt und auch die Standards dann trotz aller Beteuerungen dementsprechend nicht steigen.
Das Dritte ist – und da wird es jetzt allerdings schwierig, da gebe ich Herrn Güngör auch recht –, es gibt Fragen, die man auch über Qualitätsstandards, selbst wenn jetzt die Senatorin für Finanzen hier das Füllhorn ausschüttet, mit Sicherheit nicht beantworten kann. Das ist auch eine Frage, die sehr schwierig zu diskutieren ist, denn es gibt einfach die besonderen Risikolagen in bestimmten Stadtteilen, das heißt, da tritt an den Schulen eine Situation auf, die nur mit ganztägigem Lernen, nur mit rhythmisiertem Unterricht, mit jahrgangsübergreifendem Unterricht und genügend Fördermaßnahmen vermutlich nicht zu lösen ist.
Es ist eine schwierige Diskussion, der wir uns hier stellen müssen, denn im Zweifelsfall heißt es auch, ich habe eben das Beispiel Kanada erwähnt, man muss hier einmal überlegen – und da schaue ich auch einmal die Herren und Damen von der CDU an –: Wie ist es um den freien Elternwillen hier in Bremen bestellt? Ist er wirklich das Maß der Dinge, oder ist das Maß der Dinge, dass wir Kindern von Anfang an vernünftige Förderungen angedeihen lassen, sodass irgendwann einmal nicht mehr der Geldbeutel der Eltern entscheidend für den Bildungserfolg ist?
Das ist ein dickes Brett, ich weiß, dass ich hier Türen weit aufstoße, auch weil die Presse anwesend ist.
Ich glaube aber, wir müssen uns diesen drei Fragen hier wirklich ernsthaft stellen. Ja, ich weiß, das ist nicht sehr beliebt, es ist eine Diskussion, die bei Eltern nicht sehr beliebt ist, aber faktisch haben wir eine Segregation. Die Eltern, die es sich leisten können, ziehen aus Oslebshausen/Gröpelingen weg oder melden ihre Kinder in Findorff an, weil dort eine Großmutter lebt. Die Kinder, deren Eltern es sich nicht leisten können, und das sind oft Migranten, bleiben dort, sie leiden darunter und bleiben dann im Zweifelsfall auf der Strecke. Deshalb müssen wir Maßnahmen diskutieren, wir müssen über Geld reden,
und wir müssen auch darüber diskutieren, wie wir diese soziale Segregation in Bremen endlich einmal in den Griff bekommen. Da müssen wir auch unliebsame Fragen stellen. Ich sage für meine Fraktion, ich scheue diesen Weg nicht. – Ich danke Ihnen!