Protocol of the Session on September 12, 2012

Das Meldegesetz ist insgesamt schlecht gemacht und muss grundsätzlich überarbeitet werden.

Es ist so, dass die Meldeämter natürlich Daten erheben und weitergeben dürfen und müssen, zum Beispiel gibt das Stadtamt Daten an das Finanzamt und so weiter. Wichtig ist nach unserer Meinung aber, dass hier nach dem Zweck der Datenweitergabe differenziert werden muss. Es gibt bereits nach heutiger Gesetzeslage Abfragen, die fragwürdig sind, so ist es auch beispielsweise nach dem Bremer Meldegesetz möglich, sogenannte automatisierte Gruppen––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

auskünfte zu beantragen. Bei Gruppenauskünften ist es möglich, mit relativ geringem Aufwand riesige Datenmengen abzufragen.

Ein Adressbuchverlag geht beispielsweise zum Meldeamt mit einer Namensliste von 100 000 Bremerinnen und Bremern und lässt sich diese Daten dann in einem automatisierten Prozess bestätigen beziehungsweise aktualisieren. Das ist nur möglich, wenn es ein öffentliches Interesse gibt. Wir fragen uns – und insofern freuen wir uns auch darüber, dass es im Bundestag so eine einheitlich geschlossene Haltung der Opposition gab –: Worin besteht das öffentliche Interesse bei privatwirtschaftlichen Akteuren? Die massenhafte Datenweitergabe zu Werbezwecken muss deshalb zukünftig auch im Bundesmeldegesetz ausgeschlossen werden.

Wir finden es außerdem falsch, wenn Religionsgemeinschaften oder Parteien ihre besondere rechtliche Stellung dazu nutzen, Einwohnermeldedaten anzufragen. Auch das geschieht heute schon. An öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften dürfen beispielsweise Namen, Adressen und Geburtsdaten explizit auch dann übermittelt werden, wenn diese Personen gar nicht der abfragenden Religionsgemeinschaft angehören.

Parteien können ebenfalls zu Wahlkampfzwecken bei den Meldebehörden Daten einkaufen. Die FDP, die sich immer gern als Bürgerrechtspartei geriert, hat das bei der letzten Wahl zur Bremischen Bürgerschaft gemacht und alle Neu- und Jungwähler angeschrieben. Dort fragen wir uns ganz klar: Muss das sein? Nein, auch hier muss es ein klares Verfahren geben, das solchen FDP-Spam nur dann erlaubt, wenn ausdrücklich von den Betroffenen eingewilligt wird!

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist das sogenannte Opt-in-Prinzip.

Deshalb hoffen wir, dass es am Freitag im Bundesrat zu einer klaren Ablehnung kommt, und ich begrüße an dieser Stelle ausdrücklich die klare Position, die Herr Bürgermeister Böhrnsen in dieser Frage eingenommen hat.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir hoffen, dass es im Vermittlungsausschuss tatsächlich zu einem Gesetzentwurf kommt, der auch die Interessen der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt und nicht zu einem Kompromiss führt, der wieder nur halbe Sachen macht. Es sind nämlich nicht nur ein paar kleine Änderungen nötig, sondern ein Umdenken im Sinne derjenigen, deren hoheitlich erhobene Daten von den Kommunen nach einem solchen Gesetz verkauft werden müssten. Das heißt für uns ganz klar: Das Prinzip der Einwilligung muss her. Jede Bürgerin und jeder Bürger muss für die Wei

tergabe der eigenen Daten an Firmen, Konzerne, Parteien und Religionsgemeinschaften definitiv einwilligen, sonst dürfen sie nicht weitergegeben werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Fecker.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wäre es nicht der Deutsche Bundestag und ein Verfassungsorgan, dann könnte man getrost von einem Stück aus dem Tollhaus sprechen, über das wir heute debattieren. Meldegesetze des Bundes und der Länder sind zentrale Gesetze, denn sie regeln unter anderem, welche Daten der Staat über eine Person erhebt und wie er damit umgeht. Diese zentrale Bedeutung vorausgeschickt wundere ich mich schon über das Interesse der Mitglieder des Deutschen Bundestags an einer solch zentralen Gesetzgebung.

Gewundert habe ich mich auch über das Verhalten der CDU/CSU, die zuerst kurzerhand im Innenausschuss die Wirkung einer lange diskutierten gesetzlichen Regelung ins Gegenteil verkehrt, anschließend im Deutschen Bundestag diesem Gesetz zustimmt und sich, nachdem die öffentliche Empörung hochkommt, quasi als Oppositionspartei tarnt und das Gesetz im Vermittlungsausschuss des Bundesrates noch einmal verändern möchte. Diese Chaos-Combo gehört auf die Oppositionsbank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich füge hinzu: Ich würde mich freuen, wenn die Teppich- und Adresshändler der FDP ebenfalls schnellstmöglich von der Regierungsverantwortung erlöst werden würden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die selbst ernannte Datenschutzpartei FDP hat fertig!

(Erneuter Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es geht um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor einer nicht zuletzt wegen der Möglichkeiten des Internets weiter ausufernden Werbe- und Marketingmaschinerie, die längst nicht nur noch einfach lästig ist, sondern beispielsweise auch als Spam massive volkswirtschaftliche Schäden anrichtet und häufig bis zum kriminellen Datenmissbrauch reicht. Es ist auch blanker Hohn, dass angesichts der großen Werbeflut die Meldeämter Adressen von Bürgerinnen und

Bürgern weitergeben dürfen, solange es keinen Widerspruch gibt. Diese Regelung sah der Gesetzentwurf auch im Entwurf vor. In Paragraf 44 Absatz 3 des Entwurfs war geregelt – vor der Abstimmung im Innenausschuss –, dass die Weitergabe von Daten der einfachen Melderegisterauskunft an Adresshändler und zum Zwecke der Werbung nur noch zulässig sein sollte, wenn die betroffene Person hierzu ausdrücklich ihre Einwilligung gibt. Das heißt, Sie als Bürgerinnen und Bürger hätten zum Meldeamt gehen oder ihm schreiben müssen, dass Sie ausdrücklich damit einverstanden sind, dass es Auskunft gibt. Es reicht aber nicht, allein auf das Bundesmeldegesetz zu schauen, Adresshändler machen nämlich nicht an Nationalgrenzen Halt. Deshalb muss die Debatte um das Melderecht auch mit Blick auf die laufende Datenschutzreform der EU weitergeführt werden. Wer wirklich Datenschutz will, kann nicht allein beim Melderecht stehen bleiben, wir müssen auch im Bereich des europäischen Verbraucherdatenschutzes die Lücken schließen. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Bundesregierung auch in diesem Bereich ihren Widerstand gegen die geplanten Änderungen der EU-Kommission aufgeben würde.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Bremer Landesregierung hat bereits umgehend nach dem Ergebnis der parlamentarischen Beratungen des Bundestags erklärt, dass sie dieser Gesetzesnovelle im Bundesrat nicht zustimmen wird. Der Senat hat dabei die volle Unterstützung der rot-grünen Regierungsfraktionen. Wir halten es aber auch für geboten, hier ein klares Bekenntnis der Bremischen Bürgerschaft abzugeben, und werden daher dem Antrag der LINKEN heute zustimmen. Aus unserer Sicht enthält er alle wesentlichen Punkte und findet deshalb unsere Unterstützung. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Senkal.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann es an dieser Stelle sehr kurz machen: Die SPD-Fraktion wird dem Antrag der Fraktion DIE LINKE zustimmen. Auch wir wollen keinen Adresshandel mit Meldedaten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich bin mir sicher, dass wir damit nicht allein stehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Bürger in Deutschland damit einverstanden ist, was die schwarz-gelbe Bundesregierung mit dem neuen Meldegesetz versucht durchzudrücken. Das ist Wirtschaftslobbyismus auf höchster Ebene. Meldedaten, die ein Bürger dem Staat gegenüber angeben muss, an die Werbewirtschaft und Adresshändler weiterzugeben, ohne dass eine Einwilligung des Betreffenden vorliegt, ist vollkommen inakzeptabel.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ferner sollen Bürger, wenn es nach dem Willen von CDU und FDP geht, keinerlei Widerspruchsrecht dagegen haben, wenn Wirtschaftsunternehmen veraltete oder unvollständige Daten bei den Meldestellen abfragen. Die geplante Änderung des Meldegesetzes entlarvt, wem sich die schwarz-gelbe Bundesregierung an erster Stelle verpflichtet fühlt, nämlich den Wirtschaftsunternehmen und Adresshändlern und nicht den Rechten der Bürgerinnen und Bürger auf Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte, denen sich Regierungen in einer Demokratie an erster Stelle verpflichtet fühlen sollten. Die Initiative „Meine Daten sind keine Ware“ hat ihrer Webseite zufolge gestern Abend bereits 195 000 Unterschriften gegen die von der schwarz-gelben Regierung beabsichtigte Änderung des Meldegesetzes gesammelt. Gegen diese Änderung des Meldegesetzes haben sich Vertreter aller 16 Bundesländer im Innenausschuss des Bundesrates ausgesprochen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich von Anfang an konsequent gegen die datenschutzfeindlichen Änderungen der schwarz-gelben Koalitionsfraktionen ausgesprochen. Sie hat den Gesetzentwurf aus genau diesen Gründen sowohl im Innenausschuss als auch im Plenum abgelehnt. Die Bundesregierung hat sich von all dieser Kritik nicht beeindrucken lassen. Deshalb müssen jetzt die Länder das nachholen, was die Bundesregierung versäumt hat. Wir werden uns zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland dafür einsetzen, dass die durch die Bundesregierung geplante Änderung des Meldegesetzes nicht Realität wird. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Timke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Im Juni hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens verabschiedet, mit dem das Bundesmeldegesetz eingeführt werden soll. Das Gesetz wird, sofern es denn irgendwann den Bundesrat passiert, an die Stelle des Melderechtsrahmengesetzes und der daraus abgeleiteten Meldegesetze der Länder treten.

Ich will nun angesichts der knappen Zeit, die mir für meinen Redebeitrag hier zur Verfügung steht, gar nicht näher auf die Frage eingehen, wie denn der Beschluss im Bundestag zustande gekommen ist und warum kurz vor Ende der parlamentarischen Debatte noch einige Änderungen zum Antrag und zum Nachteil der Bürger in den Gesetzesantrag gelangen konnten, die Presse hatte ja über die Vorgänge auch ausführlich berichtet. Fest steht aber, dass die Verabschiedung des Bundesmeldegesetzes durch den Bundestag ein handfester Datenschutzskandal ist, denn der Gesetzgeber missachtet das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Nach dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung hat jeder Bürger das Recht, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen er persönliche Lebenssachverhalte offenbaren will. Dieses Recht wird durch die im Bundesmeldegesetz aufgeführte Melderegisterauskunft unterlaufen, die die Weitergabe von personenbezogenen Daten an Firmen und Privatpersonen regelt. Damit legalisiert der Staat den kommerziellen Handel mit zwangsweise erhobenen Daten – wir reden ja immer von zwangsweise erhobenen Daten – seiner Einwohner und betätigt sich selbst als Adressbroker, der kräftig an diesem Handel verdient.

Unabhängig von den verfassungsrechtlichen Bedenken bei der Melderegisterauskunft gibt es auch weitere wichtige Gründe, diese Form der Datenweitergabe zukünftig zu unterbinden. Dazu muss man wissen, dass zum Beispiel die einfache Melderegisterauskunft Privatpersonen auf Antrag praktisch bedingungslos erteilt wird, ohne dass die Meldebehörde die Identität des Antragstellers überprüft oder den Grund für das Auskunftsverlangen erfragt. Auch wird der betroffene Bürger, also der Einwohner, weder angehört noch über die erfolgte Datenweitergabe seiner melderechtlichen Daten unterrichtet. Die Daten werden außerdem ohne Verwendungsvorbehalt übermittelt, das heißt, dass der Auskunftssuchende die erlangten Daten zum Beispiel frei im Internet verwenden kann.

Ich denke, dass dem Datenmissbrauch damit Tür und Tor geöffnet sind. Neugierige ehemalige Nachbarn oder auch frühere Mitschüler können so mühelos an die aktuelle Wohnanschrift von Bürgern kommen, und das, wie gesagt, ohne Angabe von Gründen und vor allem auch ohne Wissen der Betroffenen. Gerade solche Anfragen von ehemaligen Nachbarn oder früheren Mitschülern liegen aber nicht im überwiegenden Allgemeininteresse, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur informationellen Selbstbestimmung formuliert hat, sondern es sind reine Privatinteressen. Diese Privatinteressen können nun wirklich nicht über das Recht der informationellen Selbstbestimmung gestellt werden.

Nicht nur harmlose Nachbarschaftsanfragen sind möglich, auch Stalker oder Gewalttäter können die

einfache Melderegisterauskunft beantragen und nutzen, um dann an die Wohnanschriften ihrer Opfer oder auch Zeugen in Strafverfahren zu gelangen, und deshalb halte ich diese gesetzliche Regelung auch für einen schwerwiegenden Fehler. Außerdem kann es nicht sein, dass jeder Bürger mittlerweile die Möglichkeit hat, sich aus öffentlichen Verzeichnissen streichen zu lassen, wie zum Beispiel dem Telefonverzeichnis, die Meldebehörden aber munter personenbezogene Daten auf Anfrage an jedermann herausgeben.

Die Fraktion der LINKEN legt uns heute einen Antrag vor, der darauf abzielt, die im Bundesmeldegesetz vorgesehene Weitergabe von personenbezogenen Daten einzuschränken. Dieser Antrag greift allerdings zu kurz, denn die Kritik des Antrags beschränkt sich lediglich auf die Weitergabe von Meldedaten an die Wirtschaft. Was in diesem Antrag fehlt, ist die kritische Auseinandersetzung mit der Weitergabe von personenbezogenen Daten durch die Meldebehörden an Privatpersonen, die genauso in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Bürgers eingreifen und verfassungsrechtlich deshalb genauso fragwürdig sind wie die Weitergabe der Daten an die Werbewirtschaft. Dazu habe ich weder von Herrn Fecker noch von Herrn Senkal etwas gehört.

Ich bin der Auffassung, dass es mit einem modernen und bürgernahen Meldegesetz nicht vereinbar ist, wenn die Meldeämter ohne Zustimmung der Betroffenen wichtige Daten an private Dritte weitergeben. Deswegen wollen wir Bürger in Wut, dass die einfache Melderegisterauskunft grundsätzlich eingeschränkt wird, und zwar unabhängig von der Frage, ob die zwangsweise erhobenen Daten nun an Firmen oder Privatpersonen weitergegeben werden. Das ist auch das Ziel eines BIW-Antrags, den wir hier in der Bremischen Bürgerschaft noch zu beraten haben.

Der uns vorliegende Antrag der LINKEN ist leider einseitig und halbherzig und führt nicht dazu, dass das Recht der Bürger auf informationelle Selbstbestimmung vollumfänglich geschützt wird. Es ist nicht nachvollziehbar, dass man, wie in dem Antrag gefordert, die Weitergabe der Daten an Unternehmen und Adresshändler zu Recht einschränken will, die Weitergabe derselben Daten an Privatpersonen aber weiterhin zulassen will. Deshalb werde ich mich bei diesem Antrag enthalten. – Vielen Dank!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hinners.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die CDU-Fraktion lehnt natürlich den nicht genehmigten Adresshandel ab, mit nicht genehmigt meinen wir den, der von den Betroffenen nicht genehmigt wurde. Die Abstimmung im Bundestag zu diesem neuen Gesetz ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

war aus unserer Sicht kein Ruhmesblatt für den Parlamentarismus.

(Beifall bei der CDU)

Das neue Gesetz wurde, wie schon angedeutet, in weniger als einer Minute eilig beschlossen. Anwesend waren nur 26 Abgeordnete, es wurde schon darauf hingewiesen, zeitgleich lief das Fußballspiel Deutschland gegen Italien. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition und von der LINKEN, Sie haben hier so massive Kritik geübt: Wo waren denn Ihre Abgeordneten? 26 waren nur dort!

(Abg. H a m a n n [SPD]: Die waren Fuß- ball schauen!)