Protocol of the Session on July 12, 2012

Kollegen von mir haben einmal versucht, das auf die persönliche Ebene herunterzubrechen. Sie haben gesagt, dass sie durch diesen Vertrag keine Leistung, kein Produkt und keine Rechte erhalten, sie bekommen nichts. Im Gegenzug verpflichten sie sich, nie wieder ihren Dispositionskredit in Anspruch zu nehmen und alle ihre laufenden Ratenkredite schneller abzuzahlen als vereinbart, damit ihr Schuldenstand sinkt. In Zukunft machen sie nie wieder Schulden, nicht für ihr Haus, nicht für ihr Auto oder ihre Waschmaschine. Das alles zahlen sie ab, sofort in bar. Sollten sie Schwierigkeiten haben, den Vertrag einzuhalten, wird ihnen die EU einen Haushaltsplan aufstellen und ihre Ausgaben so kürzen, wie sie es für richtig hält. Dieser Vertrag ist praktisch unkündbar, und sie kommen aus diesem Vertrag auch nie wieder heraus. (Beifall bei der LINKEN)

Die Frage ist: Würde man einem solchen Vertrag zustimmen? Wir sagen, einem solchen Vertrag kann man nicht zustimmen, nicht als Privathaushalt und als Staat oder Land schon gar nicht,

(Beifall bei der LINKEN)

denn das, was hier steht, ist mit den Vereinbarungen des Fiskalpakts genau vergleichbar. Sie besagen nämlich, dass man ab sofort maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an neuen Schulden aufnehmen darf. Da haben wir schon das erste Problem, denn man weiß zum Zeitpunkt der Haushaltsaufstellung noch gar nicht, wie das Bruttoinlandsprodukt im nächsten oder übernächsten Jahr sein wird.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das ist doch nicht Ihr Problem!)

Wie will man das denn einhalten?

Dann sagen sie aus, 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts soll die maximale Verschuldung sein. Jetzt kommt eine Wirtschaftskrise, und schon sind wir sozusagen hinaus aus dem Fiskalpakt, ohne neue Schulden gemacht zu haben. Das ist fragwürdig. Wenn das, was da passiert, nicht funktioniert, dann sagt uns die EU, welche Form von Ausgabenkürzungen wir vorzunehmen haben.

Dieser Vertrag ist eindeutig nicht auf Einnahmeerhöhungen, sondern ausschließlich auf eine Haushaltssanierung durch Ausgabenkürzungen ausgelegt. Wenn man an dieser Form der Interpretation des Fiskalpakts Zweifel hat, dann empfehle ich Literatur von Dr. Andreas Bovenschulte und Professor Dr. Andreas Fisahn zur Frage des Fiskalpakts. Darin steht relativ genau, warum man diesem Fiskalpakt mit einer vehementen und grundsätzlichen Kritik entgegenstehen muss, auch wenn man möglicherweise als Zugeständnis auf der einen oder anderen Seite ein paar Dinge erhält.

Ich will an dieser Stelle sagen, dass die Bedenken, die die Bürgerschaft bei der letzten Sitzung angemeldet hat, und auch die Fragen, die sie aufgeworfen hat, meines Erachtens nicht beantwortet sind. Es gibt bisher keine Finanztransaktionssteuer, kein Investitionsund Wachstumsprogramm, das seinen Namen verdient, und keinen Schuldentilgungsfonds. Es gibt möglicherweise im nächsten Jahr Deutschland-Bonds. Die Mitwirkung, die Bremen beziehungsweise die Bundesrepublik eingeklagt hat, ist noch unklar, und selbst die Frage der Verschlechterung des Konsolidierungspfads steht infrage.

Im Bericht des Senats steht, die Bundesregierung hat versichert, dass sie bis zum Jahr 2019 unter Umständen Schadenersatzforderungen beziehungsweise Kosten, die durch die Verletzung des Fiskalpakts entstehen, übernimmt. Was passiert nach dem Jahr 2019? Gerade dann, wenn Ihr Plan aufgegangen ist, Bremen wunderbares Glück gehabt und tatsächlich den Haushalt saniert hat, kommt eine Depression, das Bruttoinlandsprodukt fällt, Sie rutschen aus dem Fiskalpakt und werden zu einer Strafe verurteilt, die Ihre Bemühungen, das alles so hinzubiegen, wieder zunichte macht. Warum stimmt man einem solchen Vertrag zu? Das ist mir unklar.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Haben wir dann noch den Konsolidie- rungspakt?)

Das reißt Ihrer eigenen Politik, die Sie hier propagieren, regelmäßig die Beine weg.

(Beifall bei der LINKEN)

Letzter Punkt! Artikel 79 Bremische Landesverfassung und das Urteil des Staatsgerichtshofs besagen ganz eindeutig, dass der Senat in Fällen von überregionaler oder europäischer Bedeutung, wie wir sie jetzt haben, die Bürgerschaft erstens informieren, ihr zweitens Gelegenheit zur Stellungnahme geben und drittens diese Stellungnahme berücksichtigen muss. Das ist nicht passiert. Wir haben vorher einmal diskutiert, welche Bedenken wir haben. Wir hatten hier noch nicht einmal Gelegenheit zu debattieren, ob die Bedenken, die wir angemeldet haben, überhaupt ausgeräumt sind, und wir haben keinen Be

schluss, der den Senat beauftragt, diesem Fiskalpakt zuzustimmen. Das ist meines Erachtens eine Verletzung der Landesverfassung. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich fange einmal mit dem letzten Punkt an, und ich nehme an, dass Sie ihn auch mit Ihrer Inszenierung „Tschüss, Demokratie!“ gemeint haben, die Sie vor der Tür gemacht haben. Sie behaupten erneut, dass die Bremische Bürgerschaft nicht ausreichend informiert wurde und keine Gelegenheit gehabt habe, Stellung zu der Entscheidung Bremens im Bundesrat zu nehmen. Ich sage Ihnen – ich erkläre es Ihnen gleich noch einmal! –, das ist einfach nicht die Wahrheit, meine Damen und Herren von der LINKEN!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Wir haben hier im April einen Antrag diskutiert, in dem die Bürgerschaft mehrheitlich die Verhandlungslinie Bremens festgelegt hat. Der Senat hat dem Europaausschuss in zwei Sitzungen ausführlich über den Fortgang berichtet. Der Senat hat die Bürgerschaft – und das liegt uns ja heute vor – am 26. Juni 2012, also kurz vor der Entscheidung des Bundesrats und nach den entscheidenden Verhandlungen, über seine Bewertung der Ergebnisse unterrichtet. Der Europaausschuss hat vereinbarungsgemäß am Tag danach getagt. Er hat es beraten und gegen Ihre Stimme und die Stimme des Abgeordneten Timke folgenden Beschluss gefasst: Der Ausschuss unterstützt die in der Mitteilung des Senats niedergelegte Haltung des Senats.

Es handelt sich hier um einen Beschluss, den dieser Ausschuss in Wahrnehmung seiner Aufgabe nach Artikel 105 Absatz 2 unserer Landesverfassung vorgenommen hat, nämlich – ich darf aus den Aufgaben des Ausschusses zitieren – „für die Bürgerschaft Stellung zu nehmen, wenn dies zur Einhaltung der Fristen notwendig ist“. Das war offensichtlich der Fall. Wir haben vollkommen richtig, demokratisch, transparent und ordentlich gehandelt, und ich verbitte mir diesen Vorwurf, wir hätten an dieser Stelle die Verfassung verletzt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Der Senat hat die Rechte der Bürgerschaft in vollem Umfang gewahrt, wir haben unsere Rechte wahrgenommen, und wir haben Ihnen das auch dreimal erklärt, vor der Sitzung nach Ihrer Presseerklärung,

in der Sitzung und hinterher noch einmal! Wenn Sie das hier noch einmal wiederholen, sage ich Ihnen ganz persönlich, Herr Rupp, das ist entweder dreist oder dumm, und ich sage das hier so deutlich, weil ich mich auch sonst nicht scheue, meinen Respekt vor der Arbeit von Kollegen auszudrücken, aber das geht wirklich nicht, was Sie hier machen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Ich will jetzt gar nicht darüber diskutieren, dass DIE LlNKE natürlich nicht hier und auch nicht anderswo gegen Schuldenbegrenzung ist, das ist doch völlig klar. Erstaunlich ist, dass sie auch genauso wie die extreme populistische Rechte in Deutschland gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus ist, einen Pakt also, der bessere und nachhaltige Hilfe, Unterstützung und Solidarität möglich machen wird.

(Abg. R u p p [DIE LINKE]: Wollen wir jetzt auf diese Ebene gehen, weil Ihnen nichts Besseres mehr einfällt?)

Das ist ein Pakt, der uns überhaupt in die Lage versetzen wird, auch über längere Zeit in größerem Umfang anderen Ländern zu helfen, solange wir das können. Gegen diesen Pakt sind Sie genauso.

Beide Extreme, die Gauweiler von links und von rechts, berühren sich in der Behauptung, dies würde unwiederbringlich deutsche Souveränität abgeben. Verfassungsrechtliche Fragen werden in Karlsruhe geprüft. Ich will hier politisch ganz klar sagen, und das ist der Kern der europäischen Integration, den Sie bis heute entweder nicht verstehen oder aber, was ich fürchte, nicht verstehen wollen: Wir geben mit der europäischen Integration, mit allen Verträgen bis hin zum Lissabon-Vertrag, nicht unsere Souveränität ab, und irgendwie ist sie dann weg und woanders, sondern wir teilen unsere Souveränität – oder mit einem guten englischen Wort –, wir poolen sie, wir führen sie mit anderen zusammen, um in der globalen Welt überhaupt wieder handlungsfähig zu sein. Das ist der Kern der europäischen Integration!

Das hat gemeinsame Verantwortung und Vereinbarung gegenseitiger Rücksichtnahme zur Folge. In diesem Sinne gehören für mich ESM und Fiskalpakt zusammen, nämlich Hilfe und eigene Anstrengung und Verpflichtung, Solidarität und Eigenanstrengung für Solidität, genauso wie wir das mit unseren Vereinbarungen mit Bund und Länder hier in Deutschland gemacht haben. In diesem Sinne, sage ich, brauchen wir mehr Europa, und die nächsten Jahre werden auch zeigen, dass wir dorthin kommen werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Der Kern Ihres Antrags ist natürlich erstens das Festhalten am Schuldenmachen und zweitens die Wei

gerung, Verantwortung für ganz Europa zu übernehmen, und zwar nicht nur wir, sondern alle gemeinsam, das kann nicht einer machen, sondern man muss sich auf die anderen verlassen können. Deswegen ist es richtig, mit dem Fiskalpakt auch von anderen zu erwarten und zu verlangen, dass sie sich an Vereinbarungen halten und umdenken.

Absurd ist Ihre Darstellung unserer Verhandlung, das will ich nur ganz kurz machen. Lassen Sie mich nur drei Punkte sagen! Erstens, Einführung einer Finanztransaktionssteuer: Das ist ein zentraler Punkt, darüber reden wir jetzt schon seit Jahren. Es ist jetzt zugesagt, dass sie kommt. Zweitens, das Investitionsund Wachstumsprogramm!

(Zuruf des Abg. R u p p [DIE LINKE])

Ja, da gibt es noch große Fragezeichen, aber trotzdem ist es eine Kehrtwende im Denken, dass wir das erreicht haben!

Drittens, die konkreten bundesdeutschen Dinge, die wir praktisch noch dazubekommen haben, weil sich andere Länder für ihre Kommunen zu Recht eingesetzt haben, und die Deutschland-Bonds, auch das ist ein Durchbruch.

Wer davon redet, das kommt erst im Jahr 2013, und wir wissen nicht, in welchem Umfang, der hat wirklich nichts davon verstanden, wie man solche politischen Durchbrüche organisiert, wie man sie beginnt und was sie bedeuten. Wenn Sie sagen, die Finanztransaktionssteuer wird nur hier bei uns beschlossen, und wir wissen nicht, wann es kommt, ja, so ist das in Europa! Nicht Berlin entscheidet über Europa und schon gar nicht Bremen für Berlin oder sonst wer, sondern 27 Mitgliedsstaaten entscheiden darüber. Es wird noch ein bisschen dauern, bis es kommt, aber ich sage Ihnen, wenn wir gemeinsam dafür eintreten, wird es kommen.

Insgesamt ist dies ein Ergebnis, das eigentlich besser ist, als ich es mir hätte erhoffen können.

(Abg. Frau V o g t [DIE LINKE]: Das haben Sie aber im April noch etwas anders gese- hen!)

Ich sehe in einer gemeinsamen Verantwortung für Europa keine Veranlassung, irgendetwas an unserem Beschluss des Europaausschusses, den wir für die Bürgerschaft gefasst haben, nämlich Zustimmung zu der Linie des Senats, zurückzunehmen. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Gottschalk.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

DIE LINKE kritisiert in ihrem Antrag eine mangelnde Beteiligung der Bürgerschaft und zu geringe Gegenleistung des Bundes für die Zustimmung zum Fiskalpakt. Im Kern richtet sich Ihre Kritik, Herr Rupp, aber dagegen, dass Bremen dem Fiskalpakt überhaupt zugestimmt hat. Ich möchte deshalb im Folgenden auch primär auf diesen Vorwurf eingehen.

Zunächst ist es grundsätzlich richtig, der Fiskalpakt ist mit Gefahren verbunden. Man sollte diese Gefahren aber erstens nicht einseitig dramatisieren, man sollte sich die Frage schon differenzierter und, Herr Rupp, auch ein klein wenig dialektischer anschauen. Zweitens darf man bei der Bewertung dieses Fiskalpakts nicht einfach ein anderes und im jetzigen Umfeld viel größeres Risiko übersehen oder ausklammern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wäre denn passiert, wenn die SPD, die Grünen und die von ihnen regierten Bundesländer am 29. Juni diesem Fiskalpakt nicht zugestimmt hätten? Dann wäre mit ziemlicher Sicherheit auch das zweite Projekt gescheitert, über das am selben Tag abgestimmt worden ist, nämlich der sogenannte Europäische Stabilitätsmechanismus, kurz ESM.

Der ESM ist der zentrale Ansatz zur Bewältigung künftiger akuter Finanzkrisen in der Eurozone. Durch ihn soll die Finanzierung der Mitgliedsländer auch dann sichergestellt werden, wenn die Finanzmärkte kein Geld mehr geben wollen oder wenn sie dieses Geld nur noch gegen horrende Zinsen bereitstellen möchten. Der ESM ist deshalb zugleich auch eine dringend benötigte Brandmauer gegen die Spekulanten in diesen Finanzmärkten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es ist so, dass sich auch an diesem ESM einiges kritisieren lässt. Es gibt überzeugendere Lösungen, ich nenne hier nur Eurobonds, den vom Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungspakt oder den systematischen Umbau der Europäischen Zentralbank zu einer Zentralbank, wie wir sie in den USA, in Großbritannien, Japan oder in der Schweiz haben.

Diese Alternativen haben nur ein wesentliches Manko: Es gibt dafür in Deutschland derzeit keine Mehrheit. Mehrheitsfähig war einzig und allein der ESM, und auch dessen Mehrheit war bedroht, und zwar durch massiven Widerstand der schwarz-gelben Koalition und den massiven Widerstand in dieser Koalition, die mittlerweile völlig irritiert ist über die Erzählungen ihrer eigenen Bundeskanzlerin. Die Bundeskanzlerin hatte in der Abstimmung über den ESM, wie das Ergebnis gezeigt hat, keine Kanzlermehrheit im Bundestag.