Protocol of the Session on June 6, 2012

weil unser Antrag im Gegensatz zu Ihrem Antrag – und hier zitiere ich einmal Johannes Rau – versöhnt, statt zu spalten. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Debatte zum Betreuungsgeld ja gestern schon begonnen. Was wir vom Betreuungsgeld halten, habe ich auch schon gesagt, nämlich nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Betreuungsgeld ist eine rückwärtsgewandte, antiemanzipatorische und kontraproduktive Familienpolitik.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Bei der Begründung weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Die Union sagt, sie will die Erziehungsleistung der Eltern anerkennen. Das gilt aber nicht für alle Eltern, denn Familien, die Hartz IV beziehen, wird das Betreuungsgeld sofort wieder abgezogen. Arme Familien werden doppelt benachteiligt. Bei Leistungsbezug bekommen sie, wenn sie ihre Kinder selbst erziehen, im Gegensatz zu anderen Eltern nichts. Wenn sie zwar keine Sozialleistungen beziehen, aber gerade so über die Runden kommen, ist es ein Anreiz, die Kinder nicht in eine Betreuung gehen zu lassen. Das Betreuungsgeld ist also vor allem eine Prämie für Besserverdienende.

(Beifall bei der LINKEN und bei der SPD)

Die Erfahrungen in Finnland, Norwegen und Schweden haben bestätigt, dass sich das Betreuungsgeld negativ auf Kinder aus armen, bildungsfernen Familien ausgewirkt hat. Das untergräbt den staatlichen Förderauftrag und die Chancengleichheit der Kinder. Das Betreuungsgeld ist ungerecht, denn die Familien, die sich für eine öffentliche frühkindliche Bildung entscheiden, müssen ja auch noch Gebühren dafür zahlen. Ihnen entgeht also nicht nur das Betreuungsgeld, sondern sie müssen obendrein bezahlen und selbst erziehen.

Als weiteres Argument wird immer gesagt, dass durch das Betreuungsgeld Wahlfreiheit hergestellt wird. Das ist Unsinn, denn die Wahlfreiheit hängt doch davon ab, ob sich die Eltern entscheiden können. Zurzeit können sich viele Eltern aber nicht entscheiden, weil sie gar keinen Krippenplatz finden. Eine echte Wahlfreiheit würde bedeuten, dass es für alle, die wollen, einen Betreuungsplatz gäbe, aber davon sind wir noch weit entfernt. Ich habe schon gestern gesagt, dass in Bremen bis zur Umsetzung des Rechtsan––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

spruchs im nächsten Jahr ungefähr 3 500 Plätze fehlen, bundesweit fehlen noch 130 000 Betreuungsplätze. Gerade in Metropolregionen wird immer ein Bedarf von 60 Prozent zusätzlich gerechnet. Viele Kommunen befürchten daher Schadenersatzklagen. Das habe ich gestern auch erwähnt. Das könnte auch auf Bremen zukommen. Anstatt fast zwei Milliarden Euro mit dem Betreuungsgeld zu verpulvern, sollte der Bund das Geld lieber in den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen stecken.

(Beifall bei der LINKEN)

Bremen gehört zwar zu den Schlusslichtern in der Betreuung der unter Dreijährigen, aber auch andere Kommunen stehen teilweise nicht viel besser da. Allein in Bremen werden 26 Millionen Euro pro Jahr mehr benötigt, um die 35 Prozent zu erreichen. Dies haben wir, wie ich gestern schon gesagt habe, gegen die Stimmen von SPD, Grünen und CDU im Haushalt beantragt.

Den Antrag von Rot-Grün finden wir daher im Kern richtig, denn wir teilen die Ablehnung des Betreuungsgeldes. Die unsinnige Politik der Koalition im Bund vereint die Gegner. Jetzt gibt es sogar einen gemeinsamen Aufruf der LINKEN, der SPD, der Grünen, der Gewerkschaften und von vielen mehr gegen das Betreuungsgeld.

Es gibt sogar innerhalb der CDU Kritik. Herr Seehofer befindet sich aber schon im Wahlkampf und muss sich zu Hause profilieren. Das geht aber zulasten der Familien und ist keine ideologische Debatte, wie die CDU in ihrem Antrag schreibt. Wir lehnen den Antrag der CDU daher entschieden ab.

Was den Antrag von SPD und Grünen angeht, stimmen wir ihm größtenteils zu. Wie gesagt, wir teilen die Kritik am Betreuungsgeld, und wir würden es auch befürworten, wenn der Bund mehr investiert. Deswegen stimmen wir den Buchstaben a und c zu. Dem Buchstaben b können wir aber nicht zustimmen. Mit realistischen Zielen kann nur gemeint sein, den Rechtsanspruch aufzuweichen, und das können wir auf keinen Fall mittragen. Dies lenkt außerdem davon ab, dass die Kommunen, in denen die SPD ja oft genug mitregiert, den Ausbau selbst auch verschlafen haben. Daher beantragen wir getrennte Abstimmung. – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich doch etwas bezüglich der staatlichen Angelegenheiten feststellen. Mir den Vorwurf zu machen, ich wäre für eine ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

„Zwangskitaisierung“ – ehrlich gesagt, ist mir der Begriff recht unbekannt und überhaupt nicht geläufig –, ich halte dies auf jeden Fall für ziemlich absurd. Was ich damit meine, worin die staatliche Aufgabe besteht, will ich an dieser Stelle dann vielleicht präziser fassen. Wenn wir sagen, dass es einen Rechtsanspruch auf Betreuung von unter dreijährigen Kindern gibt, dann ist die staatliche Aufgabe darin zu sehen, diesen Rechtsanspruch so umzusetzen, dass jedes Kind – oder seine Eltern –, das diesen Rechtsanspruch wahrnimmt, auch einen Platz bekommen muss. Das ist die staatliche Aufgabe.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Zuruf des Abg. R o h m e y e r [CDU])

Herr Rohmeyer, etwas anders habe ich nicht gemeint, und das wissen Sie auch ganz genau. Deswegen ist es ziemlicher Blödsinn, an den Worten „auch staatlich“ hier eine großartige Kritik anknüpfen zu wollen. Das ist richtig grober Unfug.

Es ärgert mich auch, wenn immer gesagt wird, dass wir in Bremen die Hausaufgaben zu machen hätten, und Berlin sei irgendwie etwas anderes. Nein, das gehört ganz deutlich zusammen, Herr Rohmeyer!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es gehört zusammen, weil auch Berlin dafür sorgen muss, dass die Länder und Kommunen in die Lage versetzt werden, den Rechtsanspruch umzusetzen, denn dort wurde das Gesetz ja schließlich auch gemacht.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Der Rechtsanspruch ist doch Bun- desgesetz, oder nicht?)

Deswegen glaube ich, dass man es gar nicht voneinander trennen kann. Wir haben vom Bund mehr Geld erwartet, als wir jetzt bekommen, und das ist ein Ärgernis, weil es den Ausbau hier in Bremen schwieriger macht. Stattdessen haben wir einen Zehn-PunktePlan der Bundesministerin Schröder erhalten, der zum Himmel schreit an Unfähigkeit, Unausgewogenheit und vor allem auch an Unehrlichkeit. Die Ministerin ist an der Stelle vollständig überfordert.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Da hätten Sie sich nur die Pressekonferenz, die bei PHOENIX live übertragen worden ist, anschauen müssen. Ich habe es getan und war entsetzt darüber, wie ahnungslos dort teilweise gearbeitet wird. Wir haben übrigens insgesamt, und das ist auch ein Ärgernis, wenn man überhaupt schon auf eine solche Idee eines Betreuungsgeldes kommt – –. Man muss sich

noch einmal vergegenwärtigen, es geht darum, dass man Geld dafür erhält, dass man eine staatliche Institution nicht in Anspruch nimmt.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich könnte als jemand, der nicht so oft baden geht, vielleicht ja auch beanspruchen, ein bisschen Geld zu bekommen, weil ich die staatlichen Bäder nicht in Anspruch nehme.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Heimbadegeld!)

Ich glaube, man kann dann ganz viele Möglichkeiten finden, dass man irgendwelche staatlichen Angebote nicht in Anspruch nimmt und sich die dann finanzieren lässt. Dies ist Sinn dieses Betreuungsgeldes, eine nicht in Anspruch genommene staatliche Leistung soll finanziert werden. Dies allein ist ja schon hinreichend verdächtig, dass es nicht dafür gut sein kann, Kinder in die Betreuung zu bringen. Ich will Kinder nicht mit Zwang in die Betreuung bringen, aber ich sage auch ganz deutlich, ich möchte mit ausgiebiger Überzeugungsarbeit erreichen, dass in bestimmten Stadtteilen mehr Kinder, übrigens auch Kinder mit Migrationshintergrund, in die Betreuung gehen, weil die Betreuung in Bremen mittlerweile so gut ist, dass jede Betreuung den Kindern guttut.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Wir haben lange daran gearbeitet, eine fachlich gute Betreuung hinzubekommen. Ich bin kein Experte dafür und auch noch nicht so lange im Amt, aber ich habe eigene Erfahrungen aus meiner Kindheit. Ich kann sagen, damals war die Betreuung insgesamt nicht so gut, und ich würde, wenn ich es mir aussuchen könnte, heute vielleicht noch einmal in die Betreuung gehen, weil sie doch deutlich besser geworden ist.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Da hat wohl jeder seine eigenen Erfahrungen! Was ich damit eigentlich sagen will, ist, dass die Fachlichkeit und Fähigkeit in der Betreuung wirklich sehr gut geworden sind. Schon Frau Senatorin Rosenkötter und einige vor ihr haben daran gearbeitet, dies zu verbessern. Ich finde, man muss an dieser Stelle auch die Arbeit derjenigen in diesem Bereich, die sich ständig fortbilden und immer auf dem aktuellen Stand sind, einmal anerkennen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich finde, dort ist ein Dankeschön aus diesem Haus in die Richtung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kindertagesstätten durchaus angemessen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Wendland.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir Grünen sagen immer, auf den Anfang kommt es an. Eine gute frühkindliche Bildung legt den Grundstein für den späteren Bildungserfolg.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Betreuungsgeld konterkariert doch, dass wir Kindertagesstätten zu noch besseren Bildungseinrichtungen ausbauen können.

(Abg. Frau D r. M o h r - L ü l l m a n n [CDU]: Ist das alles so schädlich für das Kind, oder was?)

In kaum einem anderen Land ist der Bildungserfolg – und der liegt Ihnen von der CDU ja auch so am Herzen – so sehr vom Elternhaus abhängig wie in Deutschland. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, brauchen wir einen guten und verlässlichen Dreiklang aus Betreuung, Erziehung und frühkindlicher Bildung. Das von der CDU hier gezielt ideologisch forcierte Betreuungsgeld ist hingegen eine bildungspolitische Katastrophe für die Kinder in unserem Land.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Es ist mir absolut schleierhaft, wie sich Herr Rohmeyer und die gesamte CDU-Fraktion hier gestern und auch heute hinstellen können, um diesen einfachen Zusammenhang zu ignorieren. Ihr inszeniertes ChaosTheater schürt doch nur die Ängste von Müttern und Vätern!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)