Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, ich bin schon ein bisschen nervös, hier das erste Mal zu sprechen, aber man hat mir gesagt, schlimmer als auf Landesparteitagen der hier vertretenen Parteien kann es hier auch nicht sein.
Die Frage, die sich mir hier heute stellt, ist: Wählen wir hier tatsächlich einen Senat, oder wählen wir eine Landesregierung, die auch ihrem verfassungs––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
gemäßen Auftrag gerecht wird, oder wählen wir eher ein Verwaltungsgremium, das letztendlich keine politischen Entscheidungen mehr trifft, das sich nur die Aufgabe setzt, die Kürzungspolitik der Bundesregierung und die Schuldenbremse hier in Bremen durchzusetzen? Mit Blick auf Ihre Koalitionsvereinbarung und mit Blick auf die neue Ressortstruktur fürchte ich, dass das Letztere der Fall ist. Ich denke, dass der Senat, der sich hier heute zur Wahl stellt, gar nicht entscheiden will, denn ansonsten hätte er in der Koalitionsvereinbarung einiges anders gemacht, und ich glaube, dass es für Bremen eine neue Situation ist.
Bei der Wahl des ersten rot-grünen Senats vor vier Jahren ist uns von den Koalitionsparteien eine Zäsur angekündigt worden. Neue Akzente in der Bildungspolitik und der Kampf gegen die soziale Spaltung wurden uns damals versprochen. Davon ist nicht viel übrig geblieben. Stattdessen ist das Leitthema von SPD und Grünen im Moment einfach nur kürzen, kürzen, kürzen!
(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Sparen wir jetzt gar nicht, oder spa- ren wir uns zu Tode?)
denn hier wird heute ein Senat gewählt, der sich als erste Verpflichtung in der nächsten Legislaturperiode zum Ziel gesetzt hat, eine reale Kürzung der Leistungen von einer halben Milliarde Euro durchzusetzen, und vom ursprünglichen Senat sind hier auch bezeichnenderweise nur noch drei Personen übrig. Mit Bürgermeister Böhrnsen und Finanzsenatorin Linnert sind es auch die beiden, die für den Verlust der politischen Handlungsfähigkeit verantwortlich sind.
Ich will das noch einmal rekapitulieren: Bremen hat 2007 Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht, und zwar wegen weiterer Sanierungshilfen. Damals waren Finanzsenatorin Linnert und Bürgermeister Böhrnsen noch der Meinung, dass Bremen kaum Kürzungsmöglichkeiten habe, und nach eineinhalb Jahrzehnten Sanierung sei hier – und ich zitiere hier mit Erlaubnis des Präsidenten –
„das Ende der Fahnenstange erreicht.“ Bremen sei „heruntergespart bis auf die Knochen“ und habe „definitiv keinen Speck mehr auf den Rippen“. Die Idee,
Bremen könne eine Milliarde Euro einsparen, sei „abwegig, absurd und akademisches Geschwafel,“ und solche Kürzungszwänge würden „Bremen kaputtsparen und ruinieren“. Das waren Ihre Worte vor vier Jahren!
Nach diesen klaren Aussagen hätte ich eigentlich erwartet, dass Herr Böhrnsen und Frau Linnert auch in der Föderalismuskommission II das Ende der Fahnenstange im Sinne von Kürzen und Sparen durchsetzen.
Stattdessen haben Sie sich verpflichtet, die Vorgaben des Sanierungspfads einzuhalten, und selbst Ihre ressorteigenen Prognosen gehen hier mit realen Kürzungen in den Primärleistungen von 900 Millionen Euro bis 2019 aus. Damit halten Sie das, was Sie vor vier Jahren für nicht möglich gehalten haben, offensichtlich für machbar. Ich glaube, wie gesagt, dass Ihre damaligen Aussagen heute auch noch zutreffen. Bremen ist heute nämlich noch viel heruntergesparter als vor vier Jahren und hat noch weniger Speck auf den Rippen! Die Kürzungspläne, die Sie hier im Koalitionsvertrag aufgemacht haben, sind abwegig und absurd und werden Bremen kaputtsparen und am Ende ruinieren.
(Beifall bei der LINKEN – Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Woher nehmen wir das Geld denn? Wer gibt uns denn das Geld?)
Dass die Schuldenbremse im Grundgesetz steht, kann auch nicht als Entschuldigung herhalten, denn Sie haben sie aktiv im Bundesrat eingebracht, und es wäre jetzt irgendwie ganz gut gewesen, diese Schuldenbremse nicht auch noch in die Landesverfassung aufzunehmen. Damit haben Sie sich nämlich dem absoluten Kürzungszwang unterworfen.
Sie nehmen der Politik hier jeden Gestaltungsraum, das möchte ich Ihnen einmal sagen, denn eine Kommune, die pleite ist – und wir sind auch eine Kommune, die pleite ist und bei der man nichts mehr entscheiden kann –, in der nichts mehr zu verteilen ist, weil man sich nicht bemüht, ist einfach ein richtiges Problem. Wir denken, dass das auch eine Entdemokratisierung ist, denn ich weiß gar nicht, worüber wir uns hier eigentlich in den nächsten vier Jahren streiten sollen. Die angekündigten Kürzungen werden nicht dazu führen, dass Bremen seinen verfassungsgemäßen Verpflichtungen gegenüber den Bremer Bürgerinnen und Bürgern noch irgendwie gerecht wird. Par
lamente werden dann überflüssig, wenn es nichts mehr gibt, worüber man entscheiden kann, und zwei Bürgermeister, die sich selbst damit überflüssig gemacht haben, werden dem Wählerauftrag nicht gerecht, das möchte ich an dieser Stelle auch einmal sagen.
Auch Bildungssenatorin Jürgens-Pieper hat es in den letzten vier Jahren nicht geschafft, eine gerechtere und bessere Bildungspolitik in Bremen einzuführen. Die SPD ist hier an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert. Der 2007 im Koalitionsvertrag angekündigte große Wurf an den Schulen kam nicht zustande. Die damals vereinbarte längere gemeinsame Beschulung ist nicht zustande gekommen. In Bremen sind immer noch wichtige Aufgaben nicht umgesetzt, wie die frühe Sprachförderung, sie ist immer noch nicht verzahnt, sie ist immer noch drittmittelfinanziert, ist immer noch nicht wieder in Sachen Bildung in die Schulen zurückgeführt worden, und die personelle und räumliche Ausstattung vieler Schulen in vielen Stadtteilen lässt arg zu wünschen übrig.
Ich muss hier an dieser Stelle aber auch einmal sagen, Frau Senatorin Jürgens-Pieper hatte in den letzten Jahren auch in einer Position meinen Respekt, weil nämlich die Große Koalition seit 1993 im Bereich Bildung so viel gekürzt hat, dass ich schon damals, vor zehn Jahren dachte: Ist dieser letzte PISA-Platz eigentlich eingeplant, und warum? Frau Jürgens-Pieper hat sich in den letzten vier Jahren immer dafür stark gemacht, dass im Haushalt Mittel für Bildung umgeschichtet werden, und das rechne ich ihr an dieser Stelle hoch an.
Das Problem ist nur, in der jetzigen Koalitionsvereinbarung haben Sie diese Kürzungen mit dieser 1,2-Prozent-Quote festgesetzt. Das bedeutet langfristig einen Lehrerstellenabbau von bis zu 450 Stellen. Das ist in meinen Augen hoch problematisch, weil wir damit den Aufgaben hier nicht gerecht werden, gerade wenn wir sagen, Bildung ist die Grundvoraus-setzung von Beteiligung an gesellschaftlicher Teilhabe und Beteiligung am Arbeitsleben. Damit verdichtet sich soziale Ungleichheit, und damit verspielt man die Chancen der Jüngsten, vor allen Dingen in bestimmten Stadtteilen, wahrscheinlich nicht in Schwachhausen.
Ich muss aber an dieser Stelle auch noch einmal sagen: Ein Kelch ist da glücklicherweise an uns vorbeigegangen, eine grüne Bildungssenatorin mit neuen Privatschulen für Bioladen-Eliten, und ich hoffe sehr, dass Sie diesem Druck auch standhalten.
(Unruhe beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Es lebe das Vorurteil! Es lebe das schlichte Den- ken!)
Dann hoffe ich natürlich auch, dass Frau Senatorin Jürgens-Pieper sich daran erinnert, dass sie auch noch die Krankenhäuser verwalten darf, und genau da liegt eigentlich für uns das Problem, in diesen neuen Ressortzuschnitten! Nach unserer Meinung sind sie nicht aus fachlicher Sicht zusammengestellt worden, sondern nur aus Proporzgründen, um dem Wahlausgang gerecht zu werden. Aus Gründen der Koalitionsarithmetik erhalten die Grünen jetzt ein halbes Ressort mehr, und das ist genau das Problem! Das Sozialressort ist nämlich nur noch ein halbes Ressort, ohne Arbeit und ohne Gesundheit. Hier können die Grünen in einer ehemaligen Domäne der SPD wildern.
Herr Dr. Güldner, Sie haben im Wahlkampf bereits angekündigt, Sozialleistungen auf den Prüfstand zu stellen. Ich war dabei, das war beim Paritätischen, und angekündigt wurde auch der Kahlschlag bei Projekten. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, wenn das hier darauf hinausläuft, dass Bremen nur noch maximal so viel für den sozialen Zusammenhalt tut, wie es die Bundesregierung vorschreibt, dann sieht es hier in vier Jahren wirklich düster aus, denn dann hat die soziale Spaltung einen ganz anderen Raum eingenommen als in den letzten Jahren auch schon oder in den letzten drei Jahrzehnten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in vier Jahren wird niemand glauben, dass Frau Stahmann das allein zu verantworten hatte. Darauf würde ich an Ihrer Stelle nicht spekulieren, und Frau Stahmann – so viel sei hier einmal persönlich erlaubt! –, ich kenne Sie ja seit etwa 15 Jahren, und ich weiß Ihr Engagement in vielen Sachen sehr zu würdigen: Ich glaube, Sie übernehmen einfach den undankbarsten Job, und ich wünsche Ihnen trotz allem viel Kraft.
(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Aber ich habe Spaß daran! – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das wissen Sie doch noch gar nicht!)
Jetzt, nach diesem Ressortzuschnitt, wird auch noch Arbeitsmarktpolitik einem neoliberalen Wirtschaftssenator zugeordnet.
Das heißt, Arbeitsmarktpolitik wird damit ganz einseitig Wirtschaftspolitik untergeordnet, und Armutsbekämpfung fällt hinten herunter. Das erinnert mich ziemlich an die schwarz-gelbe Politik im Bund, die auf Kosten der Erwerbslosen kürzt. Das Andocken des Arbeitsressorts an das Wirtschaftsressort ist für
mich ein Affront gegen die sozial Benachteiligten in dieser Stadt, das muss ich einmal ganz klar sagen.
Nun einmal zu Herrn Mäurer! Ich denke einmal, eigentlich müssten Sie in beiden Fraktionen mit ihm an der Spitze des Innenressorts nicht zufrieden sein, und ich frage mich, warum Sie ihn noch einmal ins Rennen schicken. Herr Mäurer ignorierte einstimmige Bürgerschaftsbeschlüsse, die er bei der IMK einbringen sollte. Er steht für katastrophale Zustände in der Ausländerbehörde und mehr Repressionen, beispielsweise jetzt bei der Demonstration gegen die NPD am 30. April 2011. An dieser Stelle möchte ich einmal anmerken: Herr Röwekamp hat es als CDU-Innensenator 2006 geschafft, eine Demonstration der NPD nicht stattfinden zu lassen, und er hat keine 1,2 Millionen Euro dafür verschleudert. Herr Senator Mäurer steht für Aussitzen!
(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Was? – Abg. T s c h ö p e [SPD]: Ist das jetzt ein Lob?)
Herr Röwekamp, sie hat drei Minuten stattgefunden, aber es gab irgendwie nicht so ein großes Polizeiaufgebot, und die Leute waren auf der Strecke, und die Demonstration war verhindert!
Ja, ich war auch da, auf beiden Demonstrationen! Auch nicht im schwarzen Block! Ich bin Gröpelingerin, und alle Gröpelinger waren damals auf der Straße.
Herr Senator Mäurer steht aber auch für Aussitzen und Blockieren und für halbherziges Vorsitzen bei wünschenswerten Projekten. Wenn Sie, Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und der SPD, im Bereich der Flüchtlinge Verbesserungen anstreben, dann frage ich mich an dieser Stelle: Glauben Sie wirklich, dass Herr Mäurer da entschlossen vorgeht, nach dem, was er in den letzten vier Jahren gemacht hat?