Protocol of the Session on April 7, 2011

Ich eröffne die 84. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Medien.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich den Ortsverband Neue Vahr-Sebaldsbrück des Sozialverband Deutschland, ehrenamtliche Mitarbeiter der Martin-Luther-Gemeinde Findorff, eine Klasse Sozialversicherungsfachangestellte und eine Klasse Fachangestellte für Arbeitsförderung des Schulzentrums an der Grenzstraße, die Klasse 9b der Schule in der Vahr, Teilnehmer des Kurses „Aktuelle Tagesthemen“ der Volkshochschule, und ganz besonders begrüße ich herzlichst Herrn Kemal Sen, den Leiter des bremischen Verbindungsbüros in Izmir. Gemeinsam mit der Außenhandelskammer Istanbul und der Handelskammer Bremen unterstützt die Wirtschaftsförderung Bremen GmbH, WFB, von nun an türkische Unternehmen, die sich für den Standort Bremen interessieren, ebenso wie Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Freien Hansestadt Bremen, die sich in der Türkei engagieren wollen. Seien Sie alle herzlich willkommen!

(Beifall)

Gemäß Paragraf 21 der Geschäftsordnung gebe ich Ihnen folgenden Eingang bekannt:

Maßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls weiterentwickeln!, Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 7. April 2011, Drucksache 17/1742.

Gemäß Paragraf 21 Satz 2 unserer Geschäftsordnung muss das Plenum zunächst einen Beschluss über die Dringlichkeit des Antrags herbeiführen.

Wer einer dringlichen Behandlung des Antrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt einer dringlichen Behandlung zu.

(Einstimmig)

Ich schlage Ihnen eine Verbindung mit Tagesordnungspunkt 68, Sofortmaßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls einleiten!, vor.

Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Sie noch darauf hinweisen, dass heute am Rande der Plenarsitzung ab 12.00 Uhr und über die

Mittagspause hinaus Gelegenheit besteht, sich über Möglichkeiten zur Altersvorsorge nach dem ab der kommenden Wahlperiode geltenden Abgeordnetenrecht und über diesbezügliche steuerliche Aspekte zu informieren. Bitte nehmen Sie das in Anspruch, wenn es Sie interessiert!

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Sofortmaßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls einleiten!

Antrag der Fraktion der CDU und der Gruppe der FDP vom 5. April 2011 (Neufassung der Drucksache 17/1727 vom 4. April 2011) (Drucksache 17/1739)

Wir verbinden hiermit:

Maßnahmen zur Sicherung des Kindeswohls weiterentwickeln!

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen vom 7. April 2011 (Drucksache 17/1742)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Rosenkötter.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohr-Lüllmann.

Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie sicher sind unsere Kinder vor dem Drogenkonsum ihrer eigenen Eltern, und wie wird der Staat seiner Aufgabe gerecht, sie ausreichend zu schützen? Diese Frage brauchen wir uns heute leider nicht erneut zu stellen, denn seit einigen Monaten kennen wir die Antwort: Das Kindeswohl ist an dieser Stelle in außerordentlich hoher Gefahr.

Bereits im Oktober vergangenen Jahres hatten wir acht Fälle aufgedeckt, in denen Kinder mit harten Drogen wie Heroin, Kokain, Methadon und vielen anderen Betäubungsmitteln ruhiggestellt wurden. Sie alle kennen die entsprechenden Befunde durch die Haaranalysen, und aus aktuellem Anlass müssen wir uns heute wieder mit dem Thema beschäftigen.

Sie können mir glauben, dass mich der Anlass der Debatte eher wütend macht, weil nämlich der Eindruck entsteht, nach außen wohlgemerkt, ich hoffe, auch nach innen, dass trotz eines toten Kindes, trotz eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses und vieler Bekenntnisse zu einem Neuanfang in der ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Kinder- und Jugendhilfe nach dem Fall Kevin noch immer nicht die richtigen Konsequenzen gezogen werden.

(Beifall bei der CDU)

Das sage ich nicht nur als Politikerin, das kann man auch als Bürgerin sagen. Wir alle stehen nämlich in der Verantwortung, das Bestmögliche zu tun, damit Kinder vor Missbrauch geschützt werden, und wir alle tragen übrigens auch die politische Verantwortung dafür. Wir alle müssen uns in den kommenden Jahren an diesen Versprechungen messen lassen.

Ich möchte an dieser Stelle einige Worte auch zum politischen Umgang mit diesen neun Fällen sagen: Ich empfinde das ehrlicherweise als unerträglich, dass die verantwortliche Senatorin, Frau Rosenkötter, in dieser Frage bis heute abgetaucht ist. Nicht ein Wort des Bedauerns haben wir von ihr vernommen. Nicht ein Wort dazu, wie wir das Problem anpacken und lösen wollen. Ich finde, das ist echt beschämend.

(Beifall bei der CDU)

Politik soll Probleme lösen, Senatorin Rosenkötter, und Ihre Staatsräte lösen hier keine Probleme, sie schauen sich die Probleme an, dafür sind Sie aber nicht gewählt worden, und so funktioniert keine Politik, die die Sicherung des Kindeswohls ernst nimmt.

Ich habe mehrfach an dieser Stelle in diesem Haus deutlich gemacht, dass Kinder im Drogenmilieu besonders gefährdet sind und dass sie unter den besonderen Schutz des Staats gestellt werden müssen, und das ist auch die Lehre aus dem Fall Kevin. Wir müssen sie eng betreuen und alle Hebel in Bewegung setzen, dass die Drogenpatienten auf Beigebrauch verzichten, um sich aus der Sucht befreien zu können. Leider kann ich weder beim Senat noch bei Ihnen in den Fraktionen ernsthafte Bemühungen erkennen. Jetzt haben Sie einen Dringlichkeitsantrag eingebracht, darüber können wir dann gleich noch reden, das ist immerhin mehr als noch vor einigen Wochen.

Das ist die Chronik: Erst im Oktober haben wir diese Kinder ausfindig gemacht, und heute, ein halbes Jahr später, sind 16 Kinder hinzugekommen. Von 24 Kindern, die getestet worden sind, sind 22 Kinder positiv getestet worden. Durch Haaranalysen sind ganze Cocktails von Rauschmitteln und Betäubungsmitteln in den Haaren nachgewiesen worden. Das sind Stoffe, die schon bei Erwachsenen zu schwersten Gesundheitsschädigungen und Abhängigkeiten führen. Die Kinder sind im Alter von einem Jahr bis elf Jahren. Säuglinge sind unter solchen Betäubungsmitteln und Rauschmitteln derart betäubt, dass sie weder lächeln noch schreien können.

In einem Interview mit dem „Weser-Kurier“ im Oktober letzten Jahres höhnt der Staatsrat, die CDU

müsse sich auf die Oberschenkel klopfen, oder so ähnlich hat er gesagt, dass das Ressort diese Kontrollen macht. Wie zynisch ist das eigentlich, Herr Staatsrat, und wie zynisch dürfen Sie eigentlich sein? Die Haaranalysen sind in Wahrheit ja nicht eine Intervention oder eine Frühintervention, damit Kinder geschützt werden, nein, sie sind das Ergebnis, das deutlich macht, dass das Hilfesystem nicht funktioniert, sonst hätten wir diese Kinder nämlich nicht!

(Beifall bei der CDU)

Jetzt höre ich hier im Radio, in „buten un binnen“ und in Zeitungen, dass die Aussagekraft der Haaranalysen wieder in Zweifel gezogen wird. Ich hoffe, dass Sie das heute noch ausräumen können. Die aktuellen Fälle beweisen, dass wir hier dringend handeln müssen, und Frühintervention ist hier das Wort der Stunde, weil wir nämlich verhindern müssen, dass es erst dazu kommt, dass Kinder mit diesen Drogen und Rauschmitteln versorgt beziehungsweise ruhiggestellt werden. Ich bleibe dabei, im Zweifel müssen wir diese Säuglinge und Kinder auch vor ihren Eltern schützen, und für uns als CDU-Fraktion hat das Kindeswohl absoluten Vorrang!

(Beifall bei der CDU)

Ich sage es auch ganz deutlich, Kinder mit diesen Untersuchungsergebnissen leben wirklich sehr nahe am Tod, das muss man wissen. Solange sich Eltern um die Beschaffung von Rauschmitteln kümmern und durch ihre Sucht dermaßen zerstört sind, können sie sich nicht um ihre Kinder kümmern. Wenn man sich ein bisschen darüber informiert, dann erkennt man auch süchtige Eltern. Sie fühlen sich durch ihre Kinder geradezu gestört, und dann kommt es zu solchen Handlungen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass auch Kinder aus diesem Umfeld wesentlich besser in liebevollen Pflegefamilien aufwachsen können als bei den leiblichen Eltern, wenn sie dort durch Drogen ruhiggestellt werden. Daher bin ich nicht bereit zu akzeptieren, dass Kinder quasi ja unter Aufsicht des Staats von ihren Eltern mit Drogen ruhiggestellt und möglicherweise auch abhängig gemacht werden. Das ist nicht nur eine ordnungspolitische Frage, das ist eine Frage der Menschlichkeit, der Verantwortung für die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft, das ist eine sozialpolitische Frage.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben diesen Dringlichkeitsantrag eingereicht, weil wir uns die Probleme nicht länger ansehen wollen. Wir wollen Sofortmaßnahmen und wollen dazu beitragen, das Kindeswohl zu sichern. Um diese offenkundigen Mängel zu beseitigen: Wir haben mit der Gruppe der FDP einen gemeinsamen Antrag

eingebracht, fordern obligatorische Haaranalysen für alle Kinder, die in Familien mit drogenabhängigen oder substituierten Eltern leben, und mit diesem positiven Befund müssen sie dann auch zu ihrem eigenen Schutz aus den Familien herausgenommen werden.

Ihr Dringlichkeitsantrag ist mir jetzt erst sehr knapp vor der Sitzung zugeleitet worden. Ich denke, wir hören uns Ihre Debattenbeiträge an, vielleicht können Sie zu den einzelnen Punkten noch mit uns diskutieren, und ich werde dann in einer zweiten Runde noch auf Ihren Antrag eingehen.

Außer Frage steht für mich, dass Drogenabhängige, das will ich auch noch an dieser Stelle erwähnen, als Patienten behandelt werden, dass hier nicht der Eindruck auftaucht, dass wir irgendetwas gegen das Methadonprogramm haben, aber die bisherigen Lösungen scheinen hier nicht wirksam genug zu sein und vor allem nicht konsequent umgesetzt zu werden.

(Glocke)

Ich will auch noch ganz kurz zum Abschluss sagen, wir brauchen sehr viel mehr Verbindlichkeit, das habe ich kurz in Ihrem Antrag gesehen, wird auch aufgenommen. Aus dem „buten un binnen“-Bericht habe ich gesehen, Herr Dr. Schulte-Sasse, das ist ein relativ typischer Fall, die Ärzte und Krankenkassen sind jetzt irgendwie schuld. Nicht nur die Ärzte und Krankenkassen sind schuld, das ist ein komplexes System, da gibt es sehr viele Beteiligte. Es gibt mehr als die Ärzte und die Krankenkassen, mit denen Sie reden müssen. Ich gehe davon aus, dass das in Zukunft auch der Fall sein muss, denn, wie Sie wissen, die Ärzte haben schon über Jahre –

(Glocke)