Protocol of the Session on April 6, 2011

Bitte, Herr Staatsrat!

Herr Abgeordneter, es ist mir keine Regel bekannt, nach welchen Kriterien auch zurückliegende Arbeiten durchgesehen werden, aber Personen des öffentlichen Lebens müssen damit leben, dass man sich dafür interessiert und man sich so etwas anschaut, jedenfalls anders als bei anderen. Ich weiß nicht, aber ich glaube, ich kann Ihnen vergewissern, dass im Moment niemand dabei ist, bei Ihnen nachzuschauen.

(Abg. D r. M ö l l e n s t ä d t [FDP]: Ich hatte das auch nicht aus eigener Betroffen- heit gefragt!)

Es liegen keine weiteren Zusatzfragen vor. Wir sind am Ende der Fragestunde angekommen. Derweil sind ziemlich exakt 60 Minuten um, und das bedeutet, dass ich damit jetzt die Landtagssitzung unterbreche und wir um 14.45 Uhr fortfahren.

(Unterbrechung der Sitzung 13.13 Uhr) * Vizepräsident Ravens eröffnet die Sitzung wieder um 14.45 Uhr. Vizepräsident Ravens: Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Land- tag) ist wieder eröffnet. Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich Studenten der Hochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei, und Mitglieder des Sportverein TURA Bremen. Herzlich willkommen in unserem Hause! (Beifall)

Wir setzen die Tagesordnung fort.

Netzausbau vorantreiben

Antrag der Gruppe der FDP vom 16. März 2011 (Drucksache 17/1695)

Wir verbinden hiermit:

Fukushima ist überall – Atomausstieg jetzt!

Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 17. März 2011 (Drucksache 17/1697)

s o w i e

Atomreaktoren abschalten – Energiewende jetzt!

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/ Die Grünen vom 1. April 2011 (Drucksache 17/1726)

s o w i e

Energiewende mit Augenmaß

Antrag (Entschließung) der Fraktion der CDU vom 5. April 2011 (Drucksache 17/1740)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Dr. Loske.

Meine Damen und Herren, die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Zuerst rufe ich den Kollegen Dr. Buhlert auf.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn wir ganz allgemein sprechen würden, bestünde schnell Einigkeit. Wir wollen den Ausstieg aus der Kernenergie so schnell wie möglich. Doch diese Einigkeit ist trügerisch,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das stimmt!)

denn die Frage ist: Was heißt „so schnell wie möglich“, was versteht man darunter, und was hält man auch angesichts der Gefahren, die uns in Japan noch einmal so deutlich vor Augen geführt worden sind, für verantwortbar?

Wir als FDP in der Bremischen Bürgerschaft haben immer wieder deutlich gemacht, dass wir Kernenergie für eine Energieform von gestern für heute und morgen halten, aber nicht für übermorgen, und die Frage gestellt, wie man dorthin kommen kann und auf welchem Weg, wie man das leisten kann. In der Tat wurde uns dann immer wieder vorgehalten, wir würden vieles nicht richtig bewerten und nicht richtig sehen. Angesichts der Katastrophe in Japan muss man bedenken, welche Folgerungen aus Fukushima gezogen werden können und welche Überlegungen angestellt werden müssen.

Man muss zugleich sagen, auch wenn der Atomkonsens, so wie er damals von Rot-Grün beschlossen worden ist, noch in Kraft wäre, würde das nicht heißen, dass heute kein Kernkraftwerk mehr läuft, sondern es würden immer noch Anlagen laufen. Allerdings ist damals bis heute eines versäumt worden, und dabei bleibe ich! Es ist versäumt worden, dafür zu sorgen, dass diese politisch wünschenswerte Sache, nämlich irgendwann auf Kernenergie verzichten zu können, auch realistisch umgesetzt werden kann. In der Tat muss man hierfür einige Weichen stellen. Die Fragen, die sich stellen, sind Fragen nach Speichertechnologien, nach höherer Energieeffizienz,

nach Einsatz von erneuerbaren Energien, nach Abbau von Stand-by-Schaltungen und natürlich nach Ausbau des Netzes. Insofern muss man doch fragen, wie man das erreichen kann. Wenn man Klimaschutz ernst nimmt, kann es auf der einen Seite nicht sein, dass wir Kohlekraftwerke und Gaskraftwerke dafür länger nutzen, und es kann auf der anderen Seite auch nicht sein, dass wir Energie aus Frankreich und Tschechien importieren und damit dafür sorgen, dass die Kernkraftwerke beispielsweise in Temelin gut ausgelastet sind. (Beifall bei der FDP)

Das ist sicherheitstechnisch Augenwischerei! Auf der anderen Seite, muss man auch schlichtweg sagen, ist das volkswirtschaftlich dann auch eine Problematik, denn natürlich hat unser Energiepreis – Energiepreise sind die Brotpreise unseres Jahrhunderts – Auswirkungen auf das, was hier volkswirtschaftlich geschieht, was sich am Ende sogar bis in unsere Leistungsbilanz auswirken wird, denn hohe Energiepreise werden dazu führen, dass Produkte teurer werden, dass das Leben teurer wird. Das trifft vielleicht nicht Leute, die viel verdienen, aber es trifft jeden Hartz-IV-Empfänger, der natürlich am Ende mehr für den Strom bezahlen muss, den er bezieht, und darauf wird er auch in Zukunft nicht in dem Maße verzichten können.

(Beifall bei der FDP)

Wir werden also diskutieren müssen, und deswegen begrüßen wir, dass es dieses Moratorium gibt, was ist realistisch, wie sind die Risiken neu zu bewerten, und wie können wir dann ein realistisches Ausstiegsszenario hinbekommen? Angesichts der Katastrophen, die wir in Japan sehen, die jeder sehen kann, muss man sich dabei auch fragen, wie schnell es gelingen kann, Kernkraftwerke abzustellen. Ich bin aber nicht der Meinung, dass das morgen gelingen wird, sondern noch einige Zeit braucht.

(Abg. Frau D r. S c h a e f e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Wie lange denn?)

Damit diese Zeit nicht so lang ist, kann man das kürzer organisieren als das, was die Bundesregierung im Herbst letzten Jahres vorgeschlagen hat. Dann muss man aber so ehrlich sein und den Menschen sagen, das hat Auswirkungen auf die Strompreise, und es setzt voraus, die Blockadehaltung zu überdenken, dass auch gerade die Grünen die Blockadehaltung überdenken, wenn es darum geht, Täler zu nutzen, um Speichertechnologien zu machen,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Behauptet er gern, ist aber Quatsch!)

dass auch Blockadehaltungen überdacht werden, die es gegen den Netzausbau gibt, dass dort geschaut

wird, dass wir das vorantreiben, denn beim Netzausbau gibt es ganz viele Menschen, die vor Ort sagen, wir wollen diese Stromleitungen nicht bei uns haben. Das kann man verstehen. Es wird an vielen Stellen nicht ohne unterirdische Leitungen gehen, das ist teuer, aber das muss man dann den Menschen auch ehrlich sagen, diskutieren und dafür einen ausgewogenen Prozess schaffen, der sagt, wir können euch die günstige Energie nicht sicherstellen. Wenn ihr als Bevölkerung einen schnelleren Ausstieg wollt, dann müsst ihr auch bereit sein, den Preis dafür zu bezahlen, und das ist ein volkswirtschaftlich nicht geringer Preis, das muss man den Menschen dann auch so ehrlich sagen. Dafür die Zeit zu nutzen, ist redlich und ehrlich, und deswegen unterstützen wir das Moratorium. Andererseits fordern wir in unserem Antrag einen beschleunigten Netzausbau. Dort ist Etliches möglich, damit der Ausstieg schneller passieren kann.

Senator Dr. Loske hat ja den guten Vorschlag gemacht, man möge doch mehr Offshore-Windkraftanlagen aufbauen. Ja, wenn man das tut, muss man sie aber bekommen, die Produktionskapazitäten ausweiten und so weiter. Das kann man alles tun, dann muss dieser Windstrom aber auch bis Süddeutschland transportiert werden können. Dafür fehlen rund 3500 Kilometer im Übertragungsnetz. Dann muss man doch schlichtweg sagen, das muss schnell gebaut werden, und wenn man das nicht innerhalb kürzester Zeit hinbekommt, kann man dort nicht darauf verzichten oder muss, wie jetzt, Importe haben in Höhe von 2 500 Megawatt. Das kann doch nicht Sinn und Zweck des ganzen Unterfangens sein.

Man muss den Menschen auch sagen: Ihr braucht eine ganze Menge mehr Windkraftanlagen, Offshore mag euch nicht so stören, aber auch ohne Windkraftanlagen Onshore wird das nicht gehen! Wenn Sie einmal realistisch rechnen, brauchen Sie pro einem Megawatt eines Kernkraftwerks fünf Megawatt Windkraftleistung installiert, weil die Verfügbarkeit eine ganz andere ist. Dann brauchen Sie noch eine Speichertechnologie, um die Verfügbarkeit sicherzustellen, denn die Verfügbarkeit ist ungefähr ein Fünftel – 1 500 Stunden zu 7 500 Stunden – eines Kernkraftwerks.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Guidos Märchenstunde hier, oder was?)

Wenn man das also im Kopf hat, weiß man, dass man ungefähr bei den leistungsstarken Windkraftanlagen pro Kernkraftwerk weit mehr als 1 000 Windkraftanlagen aufstellen muss. Die stellen Sie nicht einmal eben so hin! In ganz Bremen stehen keine 100 Anlagen. Insofern muss man doch realistisch sein und den Leuten sagen, welche Perspektiven das hat. Wir brauchen also Speicher, wir können auch Stromkabel aus Norwegen hierher bekommen, damit wir dort die Speicherkapazitäten nutzen können, aber wir brauchen es.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Man kann auch einmal sagen, man hat sich geirrt mit der Kernkraft, Herr Dr. Buhlert!)

Dann will ich zu den anderen Vorschlägen kommen, und warum ich auch der Meinung bin, dass wir dieses Moratorium realistisch brauchen. Wir müssen überlegen, welche Sicherheitsmaßnahmen tatsächlich noch notwendig sind und getroffen werden müssen. Da gibt es leider nach jeder Katastrophe Dinge, die überlegt werden müssen. Wir müssen darüber diskutieren, wie das mit der Nachwärmeabfuhr und wie es mit Notstromaggregaten aussieht. Wie sieht es mit Möglichkeiten aus, Notstromaggregate irgendwohin zu schaffen, wenn sie versagen? Wie sieht es mit Wasserauffangmöglichkeiten aus? Das ist ja eines der Probleme, die wir gerade sehen, dass dort schwach radioaktives Wasser in den Pazifik gepumpt wird, um das stärker verseuchte Wasser auffangen zu können. Eine grauenvolle Vorstellung!

Wie sieht es mit genügend Süßwasservorräten in der Nähe aus, denn Kühlung mit Meerwasser, das hat wohl jeder gelernt, führt zu Salzkrusten, das kann es auch nicht sein! Das ist eine Frage, die wir hier eher in Norddeutschland haben als bei den süddeutschen Kraftwerken. Sicherlich gibt es auch Fragen der Geologie, die neu gestellt werden können. Ich glaube aber, dass diese Probleme, die zu den Ausfällen in Fukushima geführt haben, nämlich ein Tsunami mit einem Erdbeben der Stärke neun, hier an den Standorten nicht so gegeben sind. Auch da muss man aber schauen, wie die Auslegung ist, ob unsere Erwartungen realistisch gewesen sind. Das muss man überlegen.

Man muss überlegen, wie es mit den Druckentlastungsstrecken aussieht. Gibt es da Gefahren für Wasserstoffexplosionen? Ist diese Wasserstoffexplosionsgefahr, die wir ja alle im Fernseher live verfolgen konnten, gegeben, und kann man diese reduzieren? Auch da gilt es, neu nachzudenken. Man muss über Schadenskombinationen nachdenken, und man muss in der Tat noch einmal darüber nachdenken, ob die Betreiber zuverlässig sind. Ich glaube nicht, dass wir einen so unzuverlässigen Betreiber haben wie die Japaner.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wenigstens fängt die FDP endlich an nach- zudenken, das ist ja schon einmal etwas!)

Wir müssen aber nachschauen, was das Ganze denn heißt.

Am Ende werden wir wieder diskutieren müssen und weiter diskutieren müssen, wie wir denn zu Entsorgungsmöglichkeiten kommen. Es ist in der Tat – es wird auch in der Debatte wieder genannt werden – die Entsorgungsfrage nicht geklärt. Sie muss geklärt werden, aber dass sie immer noch nicht geklärt

ist, liegt zu einem guten Teil daran, dass der rot-grüne Atomkonsens dazu geführt hat, dass diese Frage zehn Jahre nicht bearbeitet worden ist, und das war sträflich.

(Beifall bei der FDP – Abg. Frau B u s c h [SPD]: Ich würde mich jetzt schon ein biss- chen schämen! – Abg. F e c k e r [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Halten Sie es doch ein- mal wie Herr Brüderle mit der Ehrlichkeit!)

Ich bitte abschließend noch einmal um Zustimmung zu unserem Antrag! Es besteht seit langer Zeit Einigkeit, dass Kernkraftwerke so schnell wie möglich durch den Einsatz von regenerativen Energien und vermehrter Anstrengung beim Energiesparen ersetzt werden sollen. Allerdings besteht nach wie vor ein Streit darüber, was realistisch möglich ist. Ich sage, Sie versprechen den Menschen hier auf ihren Wahlplakaten und in Ihren Reden Dinge, die unrealistisch sind. Seien Sie redlich, und sagen Sie den Menschen, dass das, was Sie wollen, nur mit höheren Kosten zu finanzieren ist! Dann müssen wir dafür sorgen, dass es dazu kommt, dass hier dann politisch entschieden wird, welche Risiken tragbar sind. Wir haben da eine Debatte,

(Glocke)

und die können wir offen führen. Streuen Sie aber bitte den Leuten nicht weiter Sand in die Augen! – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP – Zuruf vom Bündnis 90/ Die Grünen: Das sagt der Richtige!)