Protocol of the Session on February 24, 2011

Ich eröffne die 82. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Medien.

Gemäß Paragraf 21 der Geschäftsordnung gebe ich Ihnen folgende Eingänge bekannt:

1. Fachspezifische Unterrichtserteilung weiter stärken, Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 23. Februar 2011, Drucksache 17/1675.

Gemäß Paragraf 21 Satz 2 unserer Geschäftsordnung muss das Plenum zunächst einen Beschluss über die Dringlichkeit des Antrags herbeiführen.

Wer einer dringlichen Behandlung des Antrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt einer dringlichen Behandlung zu.

(Einstimmig)

Ich schlage Ihnen eine Verbindung mit Tagesordnungspunkt 35, Fachfremd erteilten Unterricht an Schulen abstellen, vor.

Ich höre keinen Widerspruch. – Dann können wir so verfahren.

2. Fachlichkeit des Unterrichts stärken, Dringlichkeitsantrag der Gruppe der FDP vom 23. Februar 2011, Drucksache 17/1676.

Ich lasse zuerst über die dringliche Behandlung dieses Antrags abstimmen.

Wer mit einer dringlichen Behandlung des Antrags einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt einer dringlichen Behandlung zu.

(Einstimmig)

Ich schlage Ihnen auch hier eine Verbindung mit Tagesordnungspunkt 35, Fachfremd erteilten Unterricht an Schulen abstellen, vor.

Dagegen erhebt sich kein Widerspruch. – Dann werden wir so verfahren.

Des Weiteren möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Fraktion der CDU ihren Dringlichkeitsantrag außerhalb der Tagesordnung unter Tagesordnungs

punkt 63, Hartz-IV-Kompromiss zustimmen, mit der Drucksachen-Nummer 17/1664 inzwischen zurückgezogen hat.

Bevor wir nun in die Tagesordnung eintreten, darf ich auf der Besuchertribüne recht herzlich eine Gruppe der Innova Privat-Akademie begrüßen. Seien Sie ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

8,50 Euro Mindestlohn bei Aufträgen und Arbeit für die öffentliche Hand

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 16. Februar 2011 (Drucksache 17/1659)

D a z u

10 Euro Mindestlohn bei Aufträgen und Arbeit für die öffentliche Hand

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE vom 22. Februar 2011 (Drucksache 17/1674)

Wir verbinden hiermit:

Gesetz zur Änderung des Bremischen Gesetzes zur Sicherung von Tariftreue, Sozialstandards und Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 16. Februar 2011 (Drucksache 17/1660) 1. Lesung

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Lühr.

Wir kommen zur ersten Lesung der Gesetzesvorlage.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tschöpe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Anschluss an den parlamentarischen Abend gestern, wo wir einen längeren Vortrag darüber gehört haben, wie die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft vor allen Dingen dadurch gesichert sei, dass Deutschland sehr rationale und geringe Lohnstückkosten habe, wurde ich von einer geschätzten Kollegin dieses Hauses angesprochen, wie es eigentlich sein könne, dass die Sozialdemokraten diese Lohnstückkosten jetzt nach oben treiben wollten mit der Forderung nach einem Mindestlohn. Leider bin ich bei der Erklärung unterbrochen wor

den, habe aber auf die heutige Debatte verwiesen, und dass ich das heute gern erklären möchte.

Forderungen der Arbeiterbewegung wurden zu ihrer Zeit immer als anmaßend, wirtschaftsfeindlich oder unbegründet gebrandmarkt. Zwischenzeitlich sind das Wahlrecht für alle Männer und Frauen unabhängig von ihrem Grundbesitz, die Versammlungs- und Koalitionsfreiheit und das Streikrecht Basisgrundrechte unserer Verfassung. Die Fünf-TageWoche, der Acht-Stunden-Tag, der Arbeitsschutz, die Absicherung gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit, der Kündigungsschutz sind heutzutage nicht mehr wegzudenken. Sie sind wesentliche Bestandteile unserer sozialen Marktwirtschaft. Ihre soziale, aber vor allen Dingen auch ihre ökonomische Bedeutung ziehen heute nur noch ordoliberale Exoten und gelegentlich die FDP in Zweifel. Eine der frühen Forderungen der europäischen Arbeiterbewegung ist zumindest in Deutschland jedoch immer noch nicht erfüllt: ein fairer Lohn für gute Arbeit.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

20 von 27 Mitgliedstaaten der EU haben einen gesetzlichen Mindestlohn. In den drei skandinavischen Ländern gilt durch die Tarifbindung von über 90 Prozent ein tarifvertraglicher Mindestlohn. In den USA gilt im Übrigen das Mindestlohnsystem schon seit 1938. Deutschland ist somit eines von vier Ländern der EU, in der kein allgemein verbindlicher gesetzlicher Mindestlohn existiert. Ein kleiner Ausflug in die Geschichte: Bereits 1894 hat die Stadt Amsterdam öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben, die ihren Beschäftigten einen angemessen Mindestlohn zahlten.

Im November 2009 haben die SPD und die Grünen hier im Haus einen Mindestlohn von 7,50 Euro im Tariftreue- und Vergabegesetz verankert. Damals hat auch die CDU zugestimmt, dagegen waren die FDP und der Abgeordnete Timke, enthalten hatte sich DIE LINKE. Diese Regelung von vor zwei Jahren wollen wir nunmehr ändern. Statt 7,50 Euro soll der Mindestlohn in Zukunft 8,50 Euro betragen, und ich betone ganz ausdrücklich, diese Anpassung folgt bewusst keiner statistischen Indizierung von Lebenshaltungskosten, sondern sie ist vor allem eine Frage der Haltung. Wir sind der Meinung, dass jemand, der den ganzen Tag arbeitet, von den Früchten dieser Arbeit leben können muss, ohne auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dies ist vielfach nicht so. Unterhalb eines Lohnes von 8,50 Euro bleibt man auch mit einem Mindestlohn arm trotz Arbeit. In Deutschland haben zuletzt fast 1,4 Millionen Geringverdiener rund 7,5 Milliarden

Euro an zusätzlicher Hartz-IV-Unterstützung vom Staat bekommen müssen.

Hier sei an dieser Stelle, Frau Nitz, ein kurzer Einschub und eine kurze Bemerkung zum Antrag der LINKEN erlaubt! Ich teile mit einer Ausnahme, nämlich der Ausnahme der Zahl 10 Euro, voll umfänglich die Antragsbegründung der LINKEN. Seit Herrn Erlansons denkwürdigem Auftritt zum Thema Hartz IV wissen wir hier um die heilige Dreifaltigkeit der LINKEN: Mindestlohn 10 Euro, 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und 500 Euro Hartz IV. Mich erinnert das ganz ehrlich an den Slogan „überholen ohne einzuholen“ von Walter Ulbricht. Die wirtschaftlichen Folgen dieser ökonomischen Maxime sind hinreichend bekannt: Mögen andere im Gefühl baden, die Avantgarde zu sein. Wir wollen konkrete und realistische Verbesserungen für die Menschen erreichen.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Die Bremer Sozialdemokraten stellen sich in der Frage des Mindestlohns ganz bewusst an die Seite des DGB und der Arbeitnehmerkammer.

(Beifall bei der SPD)