Wer dem Antrag der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 17/1671, Neufassung der Drucksache 17/1537, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!
Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, der SPD, der CDU, DIE LINKE und des Abgeordneten Dr. Möllenstädt (FDP) vom 1. Dezember 2010 (Neufassung der Drucksache 17/1542 vom 16. November 2010) (Drucksache 17/1561)
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Intersexuelle, auch als Zwitter oder Hermaphroditen bezeichnet, lassen sich biologisch nicht eindeutig in die Geschlechterkategorien von Frau oder Mann einordnen. Schon als Kleinkinder werden sie medikamentös behandelt und/oder ope
riert, mit dem Ziel, sie endgültig einem Geschlecht zuzuordnen. Eine Entscheidung, die fatale Konsequenzen für die Betroffenen haben kann. Dieses Schicksal beginnt oft mit der Operation an den Genitalien, die ohne Einwilligung im Kindesalter vorgenommen wird, und die das sexuelle Empfinden langfristig vermindert oder sogar zerstört. Zudem werden die Hormone produzierenden inneren Geschlechtsorgane durchweg entfernt. Es folgt eine lebenslange Substitution mit körperfremden Hormonen, was erhebliche gesundheitliche Probleme nach sich zieht. Massive psychische und physische Schäden sind das dauerhafte Resultat der Behandlung. Sprechen können die Betroffenen darüber zumeist nicht.
Die grüne Bürgerschaftsfraktion hat zu diesem Thema im April des vergangenen Jahres eine gut besuchte Veranstaltung unter dem Titel „Weder Frau noch Mann – Intersexuelle zwischen Medizin und Menschenrecht“ durchgeführt. Neben Betroffenen kam auch mit Konstanze Plett, eine renommierte Bremer Juraprofessorin zu Wort, denn in der Tat stellte sich an diesem Tag die Frage nach der Wertigkeit der medizinischen Eingriffe. Ist eine frühkindliche Operation ein Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, oder ist er notwendig, um das Recht auf Leben zu sichern? Wir Grüne haben danach den Austausch mit Kinderärzten und Hebammen gesucht, separat von der Veranstaltung, denn hier bestehen gerade bei den Betroffenen hohe Hemmschwellen, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen. Aus medizinischer Sicht ist ein frühzeitiger Eingriff geboten, um dem betroffenen Menschen überhaupt eine Perspektive auf Leben zu geben.
Nach Anhörung dieser unterschiedlichen Ansichten maßen wir Grüne uns heute keine abschließende Bewertung der medizinischen Eingriffe an. Ob es wirklich einen Königsweg gibt, wollen wir auch in der kommenden Legislaturperiode gern weiter diskutieren. Es gibt aber unabhängig davon einen Handlungsbedarf, den wir sehr wohl erkennen, und der – das freut mich besonders – von allen Fraktionen und Gruppen hier im Haus mitgetragen wird. Dass heute alle Fraktionen und Gruppen unter diesem Antrag stehen, sollten die Betroffenen auch als Zeichen dafür nehmen, dass sich die bremische Politik sehr ernsthaft mit ihrem Anliegen auseinandersetzt.
Wir fordern, heute zu überprüfen, ob es tatsächlich diesen zeitlichen Druck nach der Geburt geben muss, das Geschlecht festzulegen, oder ob Eltern hier nicht die Chance haben müssen, ohne Zeitdruck Entscheidungen zu treffen. Denn das Wichtigste ist,
Ich mache an dieser Stelle aber auch gleich darauf aufmerksam, dass allein eine Änderung im Personenstandsgesetz den Druck nicht lindern wird. Denn Sie wissen auch, die spannende Frage nach der Geburt, was es denn nun ist, ist eine, der man sich relativ häufig stellt. Da gibt es neben dem gesetzlichen auch immer einen gesellschaftlichen Druck, der da besteht. Dass es intersexuelle Menschen gibt, sollte allen bewusst sein, und zwar nicht nur dann, wenn es wie im Fall von Caster Semenya eine prominente Sportlerin betrifft. Hier hat auch aus unserer Sicht die Schule als wichtiger Ausbildungsbetrieb eine Verantwortung. Schlussendlich bitten wir den Senat, dieses Thema auch in den Bereich der Ärzte und Hebammen zu tragen, denn auch dort – das sagen auch diejenigen selbst – besteht durchaus Bedarf an Fort- und Weiterbildung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Fecker hat, wie ich finde, den Antrag hier in ordentlicher Weise vorgetragen. Dem ist eigentlich nicht sehr viel hinzuzufügen. Ich glaube, die Überschrift des Antrags, die Rechte intersexueller Menschen schützen und gesellschaftliche Akzeptanz schaffen, sagt die Absicht eigentlich deutlich. Weder können wir hier als Politiker die medizinischen Indikationen, Schwierigkeiten oder Möglichkeiten beurteilen, noch die sozialpsychologischen in der Tiefe nachvollziehen. Ich glaube, dass es deshalb aber umso wichtiger ist, gesellschaftliche Akzeptanz und gesellschaftlichen Respekt für das Problem zu schaffen.
So gesehen ist es erfreulich, dass tatsächlich alle hier im Haus sich diesem Antrag angeschlossen haben. Wir haben hier im Haus ja schon mehrere Debatten über diese ganzen Fragen der Menschenrechte, der Diskriminierung oder eben der Antidiskriminierung geführt. Ich finde, dieser Antrag ist ein guter Schritt in die richtige Richtung, nämlich deutlich zu signalisieren, dass die Bürgerschaft Diskriminierung egal welcher Art ablehnen möchte. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf 80 000 bis 100 000 wird die Zahl der in Deutschland lebenden Intersexuellen geschätzt. Der Sammelbegriff umfasst eine Vielzahl von Diagnosen. Das gemeinsame Merkmal ist jedoch, dass nicht alle das Geschlecht bestimmenden Merkmale einem Geschlecht entsprechen. Mein Kollege hat es ausgeführt. Chromosomen, Gene, Hormone, Keimdrüsen sowie äußere Geschlechtsorgane können weder eindeutig dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden. Menschen mit einem XY-Chromosomensatz können zum Beispiel aufgrund fehlender Testosteronwirkung weiblich erscheinen, umgekehrt ist auch die Vermännlichung bei XXChromosomen möglich. In anderen Fällen entwickeln sich gleichzeitig männliche und weibliche Geschlechtsmerkmale. Was ist ein Mann, was ist eine Frau? Wer bestimmt das? Was, wenn es Zweifel gibt? Ein Kind mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen, das zur Welt kommt, löst bei den Eltern Verwirrung, Verunsicherung und Angst aus. Wie soll das Leben des Kindes aussehen, wenn es nicht eindeutig geklärt ist, ob es sich um einen Jungen oder um ein Mädchen handelt? Bis vor wenigen Jahren erhielten intersexuelle Kinder sehr früh entsprechend der Doktrin des amerikanischen Forschers John Money, dass intersexuelle Kinder möglichst zwischen dem 18. und dem 24. Monat einem Geschlecht zugeordnet werden müssen, eine entsprechende Behandlung und einen irreversiblen Eingriff. Nach Jahren als Mann oder Frau, teilweise ja gegen den Willen der Betroffenen, entscheiden diese sich dann für das andere Geschlecht und stellen fest, dass diese irreversible Operation nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Heute ist diese eben von mir aufgeführte Doktrin verworfen worden. Tabuisierung und Verheimlichung der Diagnose sollen der Vergangenheit angehören. Betroffene Kinder, ihre Eltern und erwachsene Intersexuelle sollen keine voreilige Entscheidung über die geschlechtsanpassenden Eingriffe treffen müssen. Es wird heute die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung über nicht lebensnotwendige Operationen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben ist, wenn der Mensch sich wirklich selbst entscheiden kann, ob er oder sie es wirklich will. Als Intersexueller ohne einen chirurgischen Eingriff zu leben, ist übrigens durchaus möglich. Natürlich ist es für Eltern schwer, ein Kind zu erziehen, welches weder eindeutig ein Junge noch ein Mädchen ist. Sollte deshalb aber eine irreversible und nicht medizinisch notwendige Operation durchgeführt werden? Meiner Meinung nach nicht! Wir müssen uns für die Beseitigung jeglicher rechtlicher Diskriminierung ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
intersexueller Menschen einsetzen. Die Betroffenen und Angehörigen benötigen in Bremen eine Beratungsmöglichkeit. Ihnen sollte eine professionelle Hilfestellung zur Seite gegeben werden, die bei einer so schwerwiegenden Entscheidung wie einer Operation berät.
Heute herrscht der Zwang in Deutschland eine Woche nach der Geburt eines neuen Kindes, dieses durch die Eintragung im Geburtenregister einem Geschlecht zuzuordnen oder zuzuweisen, auch wenn man es nicht genau weiß. Daher sollte geprüft werden, ob Eltern künftig die Möglichkeit eingeräumt werden kann, das Geschlecht eines neugeborenen Kindes nicht mehr zwingend mit weiblich oder männlich anzugeben, solang die geschlechtliche Identität des Kindes nicht entschieden ist. Zudem sollte geprüft werden, wie Lehrkräfte für das Thema Intersexualität sensibilisiert werden können und wie dies im Rahmen des Schulunterrichts, etwa im Biologieunterricht, verankert werden kann. Das Thema der Intersexualität sollte auch durchaus in den Fokus von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen bei Ärzten, Psychotherapeuten oder Hebammen gerichtet werden, denn das sind geeignete Maßnahmen, um Vorurteile gegenüber intersexuellen Menschen abzubauen und ein Bewusstsein für die Andersartigkeit zu schaffen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir als LINKE tragen ja diesen Antrag mit, und ich will eigentlich nur auf zwei Punkte hier verweisen. Wir finden an diesem gemeinsamen Antrag besonders gut, dass solch ein Thema überhaupt einmal in dieser Deutlichkeit in einem Parlament angesprochen wird. Das ist ein Forschritt, und daraus, glaube ich, werden die nächsten vielleicht auch erst einmal kleineren Schritte erfolgen. Das Zweite, was wir besonders begrüßen, ist, dass in unseren gemeinsamen Forderungen auch darinsteht, dass der Beratungsbedarf für verunsicherte Eltern auf jeden Fall berücksichtigt werden soll. Ich glaube, dass es bei dem Problem eines der wichtigsten Punkte ist, dass es da endlich auch die Möglichkeit gibt, dass Eltern sich Rat holen, nicht allein gelassen werden und damit möglicherweise falsche Entscheidungen oder nur rein medizinische Entscheidungen treffen. Das finden wir an diesem Antrag sehr gut, und daher werden wir natürlich zustimmen. – Danke!
(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. (A) (C)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es um Sexualität geht, hat die Medizin in ihrer Geschichte immer dazu tendiert, ausgehend von der Norm Sexualität und Haltung zur Sexualität, Normalität und Abweichung von der Normalität, also auch Krankheit zu definieren. Das galt in der Vergangenheit ja beispielsweise auch für die Homosexualität. Dass Homosexualität keine Krankheit ist, ist inzwischen allgemein akzeptiert und auch in der Medizin akzeptiert.
Für den Bereich der Intersexualität hat das sehr viel länger gedauert und noch bis in die kürzeste Zeit hinein. Die Beiträge, die hier ja aus den verschiedenen Fraktionen vorgetragen worden sind, haben ja auch sehr klar angesprochen, dass es noch bis in die jüngste Zeit hinein eine Haltung in der Medizin gegeben hat, die eine solche Sexualität als Krankheit definiert hat. Deshalb hat sie sowohl medikamentös als auch operativ darauf reagiert und das ohne, dass es dabei zu den entsprechenden – heute eigentlich zum Standard gehörenden – Einvernehmlichkeiten mit den Operierten oder Therapierten gekommen ist. Das hat sich zum Glück inzwischen auch im Bereich der Intersexualität geändert. Wir haben hier in Bremen beispielsweise vor nicht allzu langer Zeit eine Veranstaltung unter dem Titel „Weder Frau noch Mann“ im Frauenkulturzentrum Belladonna zu dem Thema gehabt. Im Sommer vergangenen Jahres hat sich der Deutsche Ethikrat mit der Zwischengeschlechtlichkeit unter dem Titel „Intersexualität – Leben zwischen Geschlechtern“ beschäftigt, und auch in der Gesundheitspolitik ist dieses Thema inzwischen angekommen.
Die obersten Landesgesundheitsbehörden haben im letzten Jahr das Bundesgesundheitsministerium mit großer Mehrheit darum gebeten, bundesweit eine Beratungsstelle gezielt für intersexuelle Menschen und ihre Angehörigen einzurichten. Darüber hinaus haben wir das Bundesgesundheitsministerium gebeten, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung den Auftrag zu geben, im Rahmen der Sexualaufklärung auch Materialien zu diesem Thema zu erstellen. Wir brauchen beides. Wir brauchen die Materialien und wir brauchen eine nationale Beratungsstelle, weil alle Auseinandersetzungen und empirischen Daten zu diesem Thema im Ergebnis zeigen, dass insbesondere die Betroffenen und deren Angehörige erheblichen Beratungs- und Aufklärungsbedarf haben und häufig keine kompetente Anlaufstelle für beide zur Verfügung stehen. Dass
das durchaus katastrophale Lebenssituationen sind, Herausforderungen, mit denen weder die Betroffenen noch ihre Angehörigen in einer menschenwürdigen Weise umgehen können, ist, glaube ich, ziemlich klar. In Deutschland leben nach Schätzungen bis zu 120 000 Menschen mit nicht eindeutigem Geschlecht. Für diese Menschen und ihre Angehörigen brauchen wir eine bundesweite Beratungsstelle.
Danach ist zusätzlich geboten, die Aufklärungssituation für betroffene Angehörige, aber auch, darauf ist hier heute schon hingewiesen worden, für die Ärzte, die Psychotherapeuten und die Hebammen, die mit solchen Menschen und ihren Angehörigen zu tun haben, zu verbessern. Wir brauchen auch Aufklärung in Ausbildungseinrichtungen. Wir brauchen Aufklärung für Beratungsstellen und qualifiziertes Informationsmaterial. All das liegt noch vor uns, und das zeigt, wir haben zur Normalisierung dieses Bereichs, zu einem menschenwürdigen Umgang mit dieser Thematik noch eine Strecke vor uns. Ich denke, wir sind hier auf dem richtigen Weg. Ich finde es sehr ermutigend, dass dieses Thema hier im Parlament ganz anders als noch vor 30 oder 40 Jahren überhaupt gar keine kontroverse Diskussion ausgelöst hat, sondern es eine vollständige Einigkeit zu diesem Thema gibt. Das macht Mut, und ich hoffe, dass wir deshalb auch schnell zu den gewünschten Ergebnissen kommen. – Ich danke Ihnen!
Wer dem Antrag der Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen, der SPD, der CDU, DIE LINKE und des Abgeordneten Dr. Möllenstädt (FDP) mit der Drucksachen-Nummer 17/1561, Neufassung der Drucksache 17/1542, zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!