Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich zwei Gymnasialklassen der Wilhem-Raabe-Schule aus Bremerhaven,
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich dem Abgeordneten Frank Schildt zu seinem heutigen Geburtstag die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen. Ich wünsche Ihnen für Ihr neues Lebensjahr alles erdenklich Gute!
Wahl der Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des nichtständigen Ausschusses „Erleichterung der Volksgesetzgebung und Weiterentwicklung des Wahlrechts“
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD bringen heute den Antrag ein, einen nichtständigen Ausschuss „Erleichterung der Volksgesetzgebung und Weiterentwicklung des Wahlrechts“ einzusetzen. Wir wollen diesem Ausschuss den Auftrag geben, nach
sorgfältiger Prüfung diesem Hause Vorschläge zu unterbreiten für die Senkung des Wahlalters auf 16, für die Ausweitung des Wahlrechts der EU-Bürger auch auf den Landtag, für die Einführung des Kommunalwahlrechts für hier lebende Ausländer, die nicht aus einem EU-Land kommen und für die Erleichterung von Volksbegehren und Volksentscheid.
Meine Damen und Herren, es ist Kern des politischen Programms der rot-grünen Koalition, dass wir besonders darauf achten wollen und dass wir unsererseits einen Beitrag dafür leisten wollen, dass lebendiges demokratisches Leben in unserem Land erleichtert und unterstützt wird. Dafür müssen wir an vielen Punkten ansetzen. Keiner soll glauben, dass diese Aufgabe jemals erledigt wäre. Auch unser Teil ist nur ein Teil.
Die Bürger sind die Hauptsache, aber wir, die Bürgerschaft und die Regierung, können etwas tun durch öffentlich nachvollziehbare politische Kontroversen, durch Stärkung bürgernaher Institutionen wie die Beiräte, durch offensive Auslegung der Informationszugangsrechte für Bürger, durch Orte der Beratung in Konflikten wie runde Tische, durch Wachsamkeit, was die Pressefreiheit angeht, auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, durch politische Bildung und natürlich Bildung überhaupt, aber eben auch – und damit komme ich zum Thema des heutigen Antrags – durch die Ausweitung und Gewährung demokratischer Grundrechte, und dazu gehört sicherlich im Kern das Recht zu wählen und gewählt zu werden.
Hier wirken die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar ein, und gerade bei der letzten Wahl in Bremerhaven haben wir gesehen, dass tatsächlich jede Stimme zählt. Wir sind davon überzeugt, dass die Ausweitung der Bürgerrechte bei Wahlen und Abstimmungen zur Stärkung und zum Zusammenhalt unseres Gemeinwesens durch Auseinandersetzung und Identifikation beitragen wird. Wir haben uns deshalb vorgenommen, diese Rechte erneut veränderten Realitäten anzupassen und auszuweiten, soweit es sinnvoll und möglich ist.
Wir wissen sehr wohl, dass wir uns ehrgeizige Ziele gesteckt haben. Wir wissen um die Schwierigkeiten des Geländes und die Notwendigkeit sorgfältiger Prüfung natürlich gerade auch in verfassungspolitischer Hinsicht. Dafür soll der Ausschuss auch der Ort sein. Wir ahnen auch, dass einige von Ihnen uns vorab heftig auf Grenzen und Risiken hinweisen werden, aber, meine Damen und Herren, der Bundeskanzler Willy Brandt hat vor fast 40 Jahren nicht einfach „Mehr Demokratie“ gerufen, sondern er hat gesagt: „Mehr Demokratie wagen“. Mehr Demokratie heißt immer, einen Schritt ins Ungewisse zu machen, im Vertrau
Ich möchte heute zu den Kernpunkten des Einsetzungsbeschlusses nur kurz die Philosophie umreißen, mit der wir Grünen in die Diskussion gehen werden.
Erstens, Wahlrecht für die 16- und 17-Jährigen! Es hören uns heute Morgen einige zu. Wir wissen aus früheren grünen Versuchen, das Wahlalter zu senken, dass natürlicherweise auch und vielleicht gerade unter jungen Menschen dieses Alters die Meinungen sehr auseinandergehen. Viele sind unbedingt dafür, einige haben, sympathischerweise, wie ich finde, Skepsis sich selbst gegenüber. Leider verliert sich diese Skepsis später oft, einige interessiert die Sache am Anfang noch wenig. Aber gerade diese Diskussionen mit den jungen Leuten haben mich immer in der Auffassung bestärkt, dass es heute nicht nur möglich, sondern sinnvoll ist, jungen Menschen ab 16 Jahren das grundlegende politische Recht zu wählen zu geben.
Unser Ausgangspunkt dabei ist, dass heute aus vielen Gründen der Reifeprozess junger Menschen anders abläuft als etwa in meiner Jugend, was allerdings natürlich auch schon eine Weile her ist. Wir sind der Überzeugung, dass das Urteilsvermögen als Grundlage politischen Handelns sich heute früher und anders herausbildet und dass es durch die Möglichkeit zu wählen weiter gefördert und geschärft wird. Mir ist auch klar, aber da sind wir uns sicherlich einig, dass dies Erfordernisse für die schulische Bildung nach sich ziehen wird.
Zweitens: Die EU-Bürger, also in Bremen lebende Bürgerinnen und Bürger aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, haben heute schon das Recht, die Stadtbürgerschaft, die Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven und die Beiräte zu wählen. Wer aus Budapest, Malmö oder Amsterdam kommt und hier zeitweise lebt, wählt die Stadtbürgerschaft, aber trotz der sehr engen Verflechtung beider Organe nicht diesen Landtag. So hat es die Bürgerschaft 1997 in Ausführung des EU-Vertrages von Maastricht beschlossen.
Die Grünen hatten damals schon vorgeschlagen, auch das Wahlrecht zum Landtag zu gewähren, weil wir der Ansicht waren, dass das europäische Recht uns nicht vorschreibt, dass wir den Landtag wählen lassen können müssen, das ist schon richtig, aber uns sehr wohl die Möglichkeit eröffnet, es zu tun. Wir wollen das erneut prüfen, denn die Europäische Unionsbürgerschaft hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Der neue Grundlagenvertrag, der heute hoffentlich unter Dach und Fach gebracht wird, spricht ausdrücklich davon, dass eine Unionsbürgerschaft zu
Ich darf an dieser Stelle mit Genehmigung des Präsidenten und mit Vergnügen den letzten Satz aus der Doktorarbeit unserer früheren Kollegin Catrin Hannken aus der CDU-Fraktion zitieren, die über dieses Thema promoviert hat: „Der durch das Nationalstaatsprinzip geprägte Volksbegriff wird modifiziert und durch ein neues europäisches Verständnis ergänzt werden. In der Folge dieses Prozesses muss dann folgerichtig den ausländischen Unionsbürgern neben dem Wahlrecht auf kommunaler Ebene auch die Möglichkeit eröffnet werden, sich an den Wahlen zu den Landtagen und zum Deutschen Bundestag zu beteiligen.“
Sehr gut, Frau Kollegin Hannken a. D., so ist es! Wir wollen jetzt den nächsten Schritt in dieser Entwicklung machen. Entscheidend bei dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass dieses alte, hergebrachte, deutsche Dogma „Volk gleich Staatsangehörigkeit gleich Wahlrecht“ längst durchlöchert ist und dass die Realität europäischer und internationaler Integration weiter daran nagt und dass es daran zerbröckelt.
Was für die EU-Bürger sinnvoll und möglich ist, sollte deshalb, und damit komme ich zum nächsten Punkt, auf der kommunalen Ebene auch für NichtEU-Ausländer möglich sein, die bei uns leben. Sie leben zum großen Teil schon sehr lange hier, im Schnitt 16 Jahre. Übrigens ist dieses Wahlrecht in vielen Ländern heute schon gegeben. Diese Menschen sind alle von den Entscheidungen der kommunalen Selbstverwaltung voll betroffen, ob es die Frage der Schulen, der Kindergärten, der inneren Sicherheit ist. Sie sind von unserer Herrschaft betroffen, können aber nicht mitwirken. Das widerspricht grundlegenden Prinzipien der Demokratie.
Wir wissen, dass der Weg in die deutsche Staatsangehörigkeit gegenwärtig aus vielen Gründen von einem Teil gegangen wird, der größere Teil bleibt jedoch ausgeschlossen. Wenn wir wollen, dass diese Menschen sich mit unserem Gemeinwesen identifizieren und Verantwortung übernehmen, dann müssen wir ihnen auch Mitwirkungsrechte geben.
Ich weiß, dass das eine schwierige Lage ist, auch auf Bundesebene. Es gab einen Antrag der Länder von 1997, es gibt jetzt wieder einen Antrag, der von Rheinland-Pfalz kommt. Bremen hat ihn unterstützt, aber er liegt auf Eis, wie auch im Bundestag, weil die CDU bisher der Verpflichtung aus dem Berliner Koalitionsvertrag, dort zu prüfen, bisher nicht nachgekommen ist. Wir sind entschlossen, alle Wege zu prü
Zum letzten Punkt, der Volksgesetzgebung! Die rotgrüne Koalition hat sich darauf verständigt, Volksbegehren und Volksentscheide in 2 Punkten fairere Chancen zu geben. Wir schlagen vor, dass statt bisher 10 Prozent künftig 5 Prozent der Wahlberechtigten den Antrag auf ein Volksbegehren unterschreiben müssen und dass auch das Quorum bei der Abstimmung von 25 auf 20 Prozent gesenkt wird. Das macht einfach die Volksabstimmung unabhängiger von Zeitplänen und Festlegungen des natürlichen Gegners von Volksbegehren, nämlich der Regierung. Das hat man gerade in Hamburg studieren können, da wurde das von der Landtagswahl abgekoppelt, und dann ist das Volksbegehren an zu wenig Beteiligung gescheitert. Das wollen wir möglichst vermeiden.
Wir haben in Bremen umgekehrt im letzten Jahr erleben können, welche positive Rolle ein Volksbegehren spielen kann, das mit großem und bewundernswertem Engagement durchgesetzt worden ist. Volksgesetzgebung ist ein Korrektiv zum Parlament, nicht mehr und nicht weniger, aber dies soll sie auch in vernünftiger Weise sein können.
Wir wollen in diesem Zusammenhang auch die Frage prüfen, wie wir in Kenntnis der Urteile des Staatsgerichtshofes präzisieren können, inwieweit die möglichen finanziellen Auswirkungen eines Volksentscheides Grenzen für seine Zulässigkeit bilden, denn es kann ja nicht sein, dass alles, was irgendwann einmal Geld kostet, grundsätzlich von Verfassungsabstimmungen ausgenommen wird. Das macht in unseren Augen keinen Sinn.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss und darf mit Ihrer Erlaubnis mit einer persönlichen Bemerkung abschließen. Meine erste große parlamentarische Arbeit hier in der Bürgerschaft war 1994 die Reform der Bremer Landesverfassung, bei der auch diese Fragen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Wir haben damals einen Erfolg gehabt, aber nicht nur wegen dieses Erfolges erinnere ich heute daran, sondern vor allem, weil diese Arbeit von einer außerordentlich lebendigen und sachlichen Zusammenarbeit und Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition, damals die CDU-Fraktion unter Peter Kudella, geprägt war. Darauf setze ich auch bei der Einsetzung dieses Ausschusses und freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen, damit wir gemeinsam den
besten Weg finden, wie wir unsere Bürgergesellschaft, unsere parlamentarische Demokratie stärken können. – Danke schön!
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir sind bereit, vernünftige Schritte mitzugehen, insbesondere dann, wenn es darum geht, so wie Sie es beschrieben haben, Herr Kollege Dr. Kuhn, tatsächlich zu einer Erleichterung der Volksgesetzgebung, zu einer Weiterentwicklung des Wahlrechts in den beschriebenen Punkten zu kommen. Auch wir glauben, dass es sehr entscheidend ist, dass Bürgerinnen und Bürger sich mit ihrem Gemeinwesen identifizieren und ein breites Spektrum an Mitwirkungsmöglichkeiten am politischen Geschehen in der Freien Hansestadt Bremen haben.