Protocol of the Session on November 11, 2010

Ich eröffne die 76. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag). Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Medien.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine Gruppe der Integrationskurse des Paritätischen Bildungswerkes. Seien Sie ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Gemäß Paragraf 21 der Geschäftsordnung gebe ich Ihnen folgenden Eingang bekannt:

Transport von Kernbrennstoffen über das Land Bremen verhindern, Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 10. November 2010, Drucksache 17/1536.

Gemäß Paragraf 21 Satz 2 unserer Geschäftsordnung muss das Plenum zunächst einen Beschluss über die Dringlichkeit des Antrags herbeiführen.

Wer einer dringlichen Behandlung des Antrags seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt einer dringlichen Behandlung zu.

(Einstimmig)

Ich schlage Ihnen eine Verbindung mit den Tagesordnungspunkten 18 und 76, Atomtransporte durch das Land Bremen, vor.

Ich höre keinen Widerspruch. Die Bürgerschaft (Landtag) ist damit einverstanden.

Nachträglich möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Fraktion DIE LINKE ihren Antrag unter Tagesordnungspunkt 28, Beschäftigungsquote von Personen mit Migrationshintergrund beim Land Bremen und in den landeseigenen Betrieben erhöhen, inzwischen zurückgezogen hat.

Des Weiteren möchte ich Ihnen mitteilen, das nachträglich interfraktionell vereinbart wurde, den Tagesordnungspunkt 16, Affenversuche an der Bremer Uni endlich stoppen!, für diese Sitzung wegen Erkrankung des Antragstellers auszusetzen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich auf dem Rang Herrn Siegfried Propper begrüßen. Herr Propper war in dieser Woche am 9. November Ehrengast der Fraktionen der Bremischen Bürgerschaft. Wir danken ihm dafür, dass er uns zum Gedenken an die Gräuel des Nazi-Regimes am Mahnmal in der Dechanatstraße redete. Herr Propper wurde als Siebenjähriger von den Nazis in das Konzentrationsla

ger Theresienstadt verschleppt. Er überlebte, aber er musste als kleines Kind die Trennung und den Tod von seinen Angehörigen verkraften. Sehr geehrter Herr Propper, ich danke Ihnen sehr für Ihre bewegende Ansprache zum Gedenken an die Reichspogromnacht vor 72 Jahren. Die Schilderung Ihrer Familiengeschichte hat uns alle tief bewegt. Dass Sie der Freien Hansestadt Bremen trotz allem treu geblieben sind, sehr geehrter Herr Proper, ehrt Sie in einem ganz besonderen Maße! Herzlichen Dank dafür!

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Masterplan Industrie Bremen

Mitteilung des Senats vom 22. Juni 2010 (Drucksache 17/1361)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Günthner.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einiger Zeit hat die Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen einen Masterplan Industrie beantragt. Dieser Masterplan liegt nun vor. Ich will gar nicht so sehr auf den Masterplan selbst eingehen, da empfehle ich jedem Interessierten tatsächlich, sich diesen Plan anzuschauen. Ich halte ihn für einen sehr gelungenen und vor allen Dingen auch sehr datenreichen, fundierten Plan.

Deutschland ist ein Industriestandort, dazu gehört auch Bremen. Das ist gut so! Ich glaube, dass die Diskussion über den Abgesang der Industrie ein jähes Ende gefunden hat, da man heute weiß, dass die Robustheit gerade in einer Krise der Wirtschaft auch mit den Stärken der Industrie zu tun hat. Ohne Industrie würde es keinen Zulieferbereich und keinen Mittelstand in der bestehenden Form geben. Deswegen ist das Bekenntnis in dem Masterplan an erster Stelle, Herr Senator Günthner hat es vorgetragen, deutlich richtig.

Im Übrigen kann man heute auch auf der Wirtschaftsseite des „Weser-Kurier“ lesen, dass auch der Bürgermeister sich ganz deutlich für den Industriestandort Bremen ausgesprochen hat. Das ist gut so!

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, dass die Industrie nach wie vor vor der durchgreifenden Aufgabe steht, eine Ökologisierung der Industrie hinzubekommen. Das bedeutet Material- und Energieeffizienz sowie Fehlervermeidung.

Das sind aber Bereiche, die die Industrie – und jeder kluge Ökonom weiß das – jedenfalls in weiten Teilen von allein umsetzt. Es wäre Unfug zu glauben, dass man mit Materialverschwendung heutzutage noch gute Geschäfte machen könnte. Es wäre auch Unsinn zu glauben, dass Energieverschwendung einen ökonomischen Reiz hätte. Das Gegenteil ist der Fall! Ich glaube also, dass man in dem Bereich guter Hoffnung sein kann, dass die Umgestaltung der Industriegesellschaft vorangeht.

Das hat allerdings an einem Punkt eine ganz deutliche Bedeutung, und das will ich an dieser Stelle auch sagen: Es gibt Bereiche, in denen staatliches Handeln in der Industrie vonnöten ist. Aus meiner Sicht insbesondere in der Lebensmittelindustrie! Ich finde es unerträglich, wenn Klebeschinken und Pilz-Tütensuppen ohne jeden Pilz auf den Markt kommen. Ich finde es unbedingt nötig, dass gerade in dem Bereich eine größere Ehrlichkeit in der Lebensmittelindustrie stattfindet. Frosta würde ich davon als positives Bremer Beispiel ausnehmen, weil dieses Unternehmen aus meiner Sicht tatsächlich eine kluge Geschäftspolitik in dem Bereich betreibt.

(Beifall bei der SPD)

An der Stelle, und das lassen Sie mich vielleicht als Randbemerkung sagen, wird auch deutlich, wie wichtig eigentlich solche Institutionen wie die Verbraucherzentrale Bremen sind, die tatsächlich immer wieder darauf hinweisen, in welchen Bereichen ganz offensichtlich betrügerische Absichten gerade in der Lebensmittelindustrie stattfinden. Da muss entgegengewirkt werden. Wir brauchen eine viel deutlichere gesetzliche Kennzeichnungspflicht, und ich glaube auch, dass man für die ganzen Zusatzstoffe eine viel klarere, deutlichere gesetzliche Regelung braucht.

(Beifall bei der SPD)

An der Stelle ist also aus meiner Sicht staatliches Handeln notwendig. Um es vielleicht auch noch abschließend zu sagen – wir haben ja eine Debatte mit drei Mal fünf Minuten Redezeit, ich möchte dann auch gern noch einmal hören, was die Kollegen erzählen –: Ich glaube, dass Bremen ein ausgezeichneter Industriestandort ist. Wir sind eine Autostadt mit wirklich guten Bedingungen. Luft- und Raumfahrttechnik sind innovativ, vorwärtsweisend und zukunftsträchtig. Es gibt sehr viele positive Bereiche, das stellt der Masterplan dar.

Ich habe auch in einigen Anmerkungen gehört, der Masterplan sei nicht konkret genug. Ich glaube, das ist grober Unfug. Das, was in dem Masterplan an Maßnahmen für die Industrie aufgeführt wird, ist aus meiner Sicht positiv zu vermerken. Es ist ja so, das muss man sich meiner Auffassung nach deutlich machen, die Windenergiebranche ist eine Industriebranche. Wenn man ein Offshore-Terminal plant und baut, dann

bedeutet das eine riesengroße Investition, eine gewaltig große Anstrengung, gerade für ein Haushaltsnotlageland. Es hilft aber der Windenergieindustrie deutlich, so gesehen ist es eine ganz konkrete Maßnahme. Der Ausbau der Cherbourger Straße ist eine Infrastrukturmaßnahme, da ist klar, dass das kompliziert und schwierig ist. Vielleicht hätte es auch schneller gehen können, das mag sein. Auch daran wird aber weiter gearbeitet, es ist im Masterplan aufgeführt. Nur um einmal zwei ganz konkrete Maßnahmen vorzustellen. Ich empfehle an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen, die sich für Wirtschaftspolitik interessieren, sich den Masterplan sehr gründlich anzuschauen, da er wirklich eine zukunftsweisende Handlungsoption enthält und ausgesprochen gründlich und gut nachweist, wo der Stand der Industrie in Bremen ist. Aus der Diskussion gestern habe ich entnommen, Herr Dr. Schrörs, dass Sie meinen, die Struktur der Bremer Wirtschaft sei irgendwie nicht optimal. Ich halte das für ziemlich gefährlich. Denn ich glaube, dass die Krise in Bremen positiv oder relativ gut überwunden werden konnte, hat gerade damit zu tun, dass der Strukturwandel in vielen Bereichen deutliche Fortschritte gemacht hat.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben aus der Werftenkrise gerade auch aus Bremen-Nord heraus – –. Wenn ich mir überlege, der Bremer Vulkan ist kaputt gegangen, die Wollkämmerei besteht nicht mehr, und trotzdem gibt es wirtschaftliche Erneuerung und wirtschaftlichen Aufschwung in vielen Bereichen. Die Krise wäre jedenfalls nicht so gut zu überwinden gewesen, wenn die Wirtschaftsstruktur nicht stimmen würde. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Ella.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Regel handelt es sich bei einem Masterplan um eine Übersicht geplanter Schritte zur Umsetzung einer Strategie oder zum Erreichen eines oder mehrerer Ziele. Der hier vorgelegte sogenannte Masterplan Industrie kommt dem leider nur in Ansätzen nahe. Der Senat war sich nicht zu schade, die Vorlage mit allerlei Statistiken, Tabellen und anderen Daten vollzustopfen. Er hat aber dabei leider vergessen, substanzielle Ziele festzulegen.

(Beifall bei der FDP)

Das gesamte Textwerk des Senats hat 81 Seiten. Die Strategie, also die wesentlichen Kernpunkte ei

nes Masterplans, findet sich erst ab Seite 58. Wir haben also gut 70 Prozent Datenmaterial, welches in weiten Teilen bereits zuvor bekannt und leicht zu finden war. In einen Masterplan, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehören aber vor allem Ideen, Strategien und Konzepte. Wenn wir nun hinter dem Zahlenmaterial die neuen Ideen suchen, finden wir leider nicht viel. Vor allem gibt es dort Allgemeinplätze, die in der Wirtschaftsdeputation oder hier im Plenarsaal ständig zu hören sind. Ich zitiere nur einige: „Weiterentwicklung und Verstetigung der Cluster und Netzwerke.“

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Und was ist daran falsch?)

Das kann hier im Saal vermutlich jeder, Frau Busch, bedenkenlos unterschreiben. Wie das aussehen soll, bleibt allerdings unklar. „Initiierung von technologieorientierten Gründungen“ kann auch jeder unterstützen, Frau Busch. Das wird schon gemacht, wenn auch bei Weitem nicht gut genug. Was aber soll denn anders werden, was wollen Sie konkret erreichen? Dort steht: „In Bremen und Bremerhaven soll ständig ein sofort verfügbarer, das heißt, bedarfsgerechter Vorrat an städtischer Industriefläche für Ansiedlungen zur Verfügung stehen.“ Das hätte jetzt aber wirklich niemand gedacht, liebe Senatoren, das ist ja einmal eine wegweisende Maßnahme der Industrieförderung. Ganz besonders schön ist auch folgende geplante Maßnahme: „Unterstützung der betrieblichen Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation durch Instrumente des Bundes und der EU.“ Eigene Instrumente hat der Senat offenbar nicht und eine Idee, wie sie aussehen könnten, wohl genauso wenig. Die überall zur Verfügung stehenden Instrumente des Bundes und der EU zu nutzen, das ist kein Masterplan, der in die Zukunft weist. Das sind einfach nur Textbausteine, damit das Papier nachher mehr Seiten hat.

(Beifall bei der FDP)

Neue Schwerpunkte sind nicht zu finden! Nach den Themen Windkraft und Offshore ist die Luft heraus aus dem Wirtschaftsressort. Zum wichtigen Cluster der Nahrungsindustrie, Herr Möhle sprach es kurz an: keine Ideen! Wieso nicht zum Beispiel ein Ziel formulieren, ökologisches und gesundes Essen zu fördern? Manch ein Unternehmen – ein Name ist auch genannt worden – in Bremerhaven ist auf einem guten Weg und hat eine Vorreiterrolle eingenommen. Der Senat aber mit seiner wirtschaftsfeindlichen Haltung veranstaltet lieber einen Veggie Day: Die wirtschaftlichen Potenziale der Nahrungsmittelindustrie will man offenbar nicht nutzen.

(Beifall bei der FDP – Unruhe beim Bünd- nis 90/Die Grünen)

Auch in den anderen wichtigen Bereichen nichts als Altbekanntes, nur neu zusammengewürfelt: A 280 ist ein uraltes Thema, die bessere Anbindung der Häfen wird seit Jahrzehnten gepredigt, einen neuen Ansatz oder eine konkrete Planung findet sich aber nicht, und bei der Existenzgründungsförderung lesen wir wie immer das Gleiche. Wie gezielt Technologiegründungen gefördert werden sollen, wie man zum Beispiel das für Industriebetriebe so notwendige Wagniskapital einsammeln könnte, dazu findet sich nichts. Defizite bei der industriellen Forschung in Bremen werden erst gar nicht behandelt.