(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen, FDP, Abg. M ö h l e [parteilos] und Abg. T i t t m a n n [parteilos])
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit Jahren wird in Deutschland und auf EU-Ebene über das Thema Zwangsehe und deren Bekämpfung diskutiert. Auch Ihnen sind sicher zahlreiche Berichte von Zwangsheirat bekannt, die Sie sicherlich mit Betroffenheit gelesen haben. So titelte erst jüngst der „Weser-Kurier“ zu diesem Thema: „Die Jüngsten sind erst 13!“ ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
Wir müssen an dieser Stelle aber ganz deutlich zwischen arrangierten Ehen und Zwangsehen unterscheiden. Arrangierte Ehen sind keine Zwangsehen. Sie erfolgen im Kontext eines anderen Eheverständnisses, beruhen auf dem freien Willen der Partner. Sie sind zu respektieren. Eine Debatte über Zwangsheirat, die dieser Unterscheidung nicht Rechnung trägt, pauschalisiert und stigmatisiert mit der Folge, dass sich nicht wenige Menschen mit Zuwanderungsgeschichte durch solche Verallgemeinerungen ausgegrenzt fühlen.
Die Zwangsehe ist dadurch gekennzeichnet, dass sie durch physische und psychische Gewalt zustande gekommen ist. Die Zwangsehe widerspricht dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und verhindert dadurch die Integration. Zudem verstößt eine Zwangsehe eindeutig gegen die Grund- und Menschenrechte und stellt außerdem einen Straftatbestand dar.
Ein freiheitlicher Staat darf keine Gewalt dulden, auch dann nicht, wenn sie im privaten Raum stattfindet.
Betroffene Frauen berichten, dass sie das erzwungene Eheleben als eine Serie von Vergewaltigungen und damit eine Verletzung ihres Rechts auf körperliche und seelische Integrität erlebt haben. In der Folge kommt es zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Rechts auf Gesundheit. Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass die Bildungsrechte von zwangsverheirateten Frauen zu kurz kommen oder ganz auf der Strecke bleiben. Opfer von Zwangsverheiratungen sind vor allem junge Frauen und Mädchen, die aus patriarchalisch geprägten Familien unterschiedlicher religiöser und ethnischer Herkunft stammen. Zwangsverheiratungen sind oft das Ergebnis überkommener Traditionen und Ehrbegriffe mit gravierenden Folgen für die jungen Frauen und Mädchen. Sie müssen in den meisten Fällen die Schul- und Berufsausbildung abbrechen, und nach dem massiven Druck der eigenen Familie folgt die Abhängigkeit von Ehemann und Schwiegerfamilie.
Wenn wir dieses Thema ernst nehmen, können wir Frauen, die ins Ausland verschleppt, möglicherweise im Urlaub zwangsverheiratet, beispielsweise von ihren Schwiegereltern festgehalten werden und daher länger als sechs Monate nicht in Deutschland sind, doch nicht einfach sagen: Tja, da hast du Pech gehabt, jetzt musst du dort bleiben! Wir setzen uns daher mit unserem Antrag für eine dringende und nötige Verbes
serung der gesetzlichen Regelungen aus dem Aufenthaltsgesetz ein. Dort heißt es, wenn der Ausländer ausgereist und nicht innerhalb von sechs Monaten oder einer von der Ausländerbehörde bestimmten längeren Frist wieder eingereist ist, erlischt sein Aufenthaltstitel. Dies ist in den Fällen von Zwangsehen ein unhaltbarer Zustand,
zumal viele dieser Mädchen und Frauen in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Dieser Zustand ist auch nur durch gesetzliche Regelungen zu beheben, und es reicht nicht aus, nur die Verwaltungsvorschriften dahingehend zu modifizieren.
Wir leisten damit einen großen Beitrag, um all diejenigen zu unterstützen, die es schaffen, sich aus den Situationen der Zwangsehe zu befreien, und eröffnen all denjenigen eine Perspektive, die es bisher nicht geschafft haben beziehungsweise gar nicht erst versucht haben, sich zu lösen. Wir unterstützen den Beschluss der Familienministerkonferenz vom Juni, die sich ebenfalls ausführlich mit dem Thema beschäftigt hat und für eine Novellierung des Aufenthaltsgesetzes plädiert. Dies würde ich mir von allen Landesparlamenten wünschen, damit nicht nur mitleidvolle Reden gehalten, sondern die Rechte der betroffenen Mädchen und Frauen gestärkt werden.
Gehen Sie mit gutem Beispiel voran, und unterstützen Sie unseren Antrag! Den Änderungsantrag der LINKEN werden wir jedoch ablehnen, da die Aufforderungen zum einen in unserem Antrag bereits enthalten sind, und zum anderen geht es uns in unserem Antrag nicht darum, irgendwelche Eventualitäten, die irgendwann einmal eintreten, zu bearbeiten. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zuerst einmal möchte ich für unsere Fraktion ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
feststellen, dass wir jegliche Gewalt an Frauen und Mädchen, jegliche Form von Gewalt ablehnen und verurteilen.
Dabei ist es aber im ersten Schritt unwesentlich, ob es sich um Frauen mit oder ohne Migrationshintergrund handelt.
Im zweiten Schritt aber lohnt sich ein differenzierter Blick auf das Thema zwangsverheiratete Menschen – wir haben in Einzelfällen auch Jungen mit Migrationshintergrund –, der verschärft die weiterführenden Fragen beleuchtet, zum Beispiel welche besonderen sozialen Erscheinungsformen und -faktoren in ihrem Fall zur Wirkung kommen. Für uns steht außer Frage, Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Zuwanderungshintergrund muss noch nachhaltiger bekämpft werden. Dazu gehört auch das Thema Zwangsverheiratungen. Seit 2005 gibt es einen Gesetzentwurf des Bundesrats, Zwangsverheiratungen nicht mehr nur als schwere Nötigung zu verfolgen, sondern als eigenen Straftatbestand einzuführen. Es ist unverständlich, dass die Beratungen bis heute blockiert werden.
Vor etwa anderthalb Jahren haben wir uns an dieser Stelle mit den Aspekten der Prävention und des Opferschutzes beschäftigt. Wir waren uns damals schon einig, dass Opferschutz unerlässlich ist. Das ist aus mehreren Gründen ein zentraler Punkt: Zum einen ist die Menschenrechtsverletzung der Zwangsverheirateten unweigerlich mit anderen Straftaten und Übergriffen auf das Opfer verbunden. Verschleppung, Freiheitsberaubung, Menschenhandel, Körperverletzung und Vergewaltigung gehen damit oftmals einher. Zum anderen werden weitere Straftaten immer dann ausgelöst, wenn sich ein Opfer gegen sein Schicksal wehrt. Es folgt eine Eskalation, in der der Anspruch auf Selbstbestimmung des Opfers mit der familiären Hierarchie kollidiert. Der Konflikt weitet sich dann aus zum Zusammenstoß mit den Machtstrukturen in der Familie, und dann sehen sich häufig – wie wir immer wieder erleben – die männlichen Familienmitglieder so sehr infrage gestellt, dass sie mit Gewalt reagieren. Für uns heißt das, dass Mädchen und Frauen beim Ausbruch aus dieser Unterdrückung und Gewaltspirale besser unterstützt werden müssen.
Unser Ziel muss es sein, dass Frauen, die gegen ihren Willen ins Ausland gebracht wurden, auch nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten nach Deutschland zurückkommen können. Was mit Frauen und Mädchen, die in eine Zwangsehe gepresst wurden, geschehen ist, kommt einem Trauma gleich. Wir wissen von traumatisierten Opfern aus anderen Gewaltzusammenhängen, dass es fast immer eine ganze Zeit dauert, vielleicht auch für immer, bis diese Betroffenen in der Lage sind, ihre Situation einzuschätzen und rational zu reagieren. Diese Zeit haben diese Frauen und Mädchen aber nicht. Wenn die Uhr der befristeten Aufenthaltserlaubnis, dieses Rückkehrrechts tickt, ehe sie sich über die Möglichkeit einer Flucht klar werden, ehe sie den Mut gefunden haben, aus ihrer Zwangsehe auszubrechen, ist ihnen der Weg nach Deutschland durch das geltende Aufenthaltsrecht verbaut. Bei vielen von ihnen ist dieser Weg der Weg in ihr Geburtsland, meine Kollegin Frau Mahnke hat es erwähnt, sie sind hier geboren, das muss uns klar sein.
Über die Voraussetzungen ihrer Wiederkehr müssen wir uns ebenfalls Gedanken machen. Ist es aus humanitären Gründen zu rechtfertigen, dass wir von den Betroffenen verlangen, auch im Falle von Minderjährigen, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, oder dass die Familie dafür aufkommt, und zwar genau die Familie, die für ihr Schicksal verantwortlich ist? Über diese Gesichtspunkte des Problems müssen wir nachdenken, aber nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag, und eine konsensfähige Lösung finden, die dem Opfer dient. Beinahe vier Jahre sind zu lange für dieses Nachdenken.
Bremen kann einen Beitrag leisten, um dieses Gesetzgebungsverfahren, das ja zurzeit auf Eis gelegt ist, vielleicht wieder in Gang zu bringen, eine Debatte zu eröffnen. Wir bitten deshalb den Senat erneut, dass er darauf drängt, diese Gesetzesänderung herbeizuführen, die einen verbesserten Aufenthaltsstatus, sozusagen ein Rückkehrrecht, das länger als sechs Monate besteht, garantiert. Ich meine, es ist an der Zeit.
Vielleicht zwei Sätze zum Änderungsantrag der LINKEN! Wir werden diesen Änderungsantrag ablehnen. Eine automatische Erteilung einer Niederlassungserlaubnis für jugendliche Migranten oder auch eines eigenständigen Aufenthaltstitels für Opfer der Zwangsverheiratung, finde ich, hat keine po
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition zwischen SPD und CDU hatte das Aufenthaltsgesetz verschärft unter dem Vorwand, Zwangsverheiratungen zu vermeiden beziehungsweise zu verhindern. Deutsche Sprachkenntnisse wurden zum Beispiel als Voraussetzung des Ehegattennachzugs eingeführt. Diese völlig sinnlose Hürde erschwert vielen Paaren die Zusammenführung erheblich und kann Zwangsverheiratungen auch nicht effektiv verhindern. Es gibt wenige gesetzliche Initiativen, die von Zwangsverheiratung Betroffenen und Bedrohten tatsächlich helfen. Aus diesem Grund freuen wir uns sehr, dass sich nun die Bremer SPD und die Grünen des Themas angenommen haben.
Allerdings muss ich sagen, dass wir etwas enttäuscht waren. Ihr Vorschlag ist zwar sinnvoll, aber er geht längst nicht weit genug. Der Antrag betrifft nur einen Teilbereich des Gebiets der interfamiliären Gewalt und Nötigung. Deswegen war unser Änderungsantrag notwendig.