Protocol of the Session on September 30, 2009

(Beifall bei der LINKEN)

Der Bereich Bildung kommt im Dringlichkeitsantrag, der hier vorliegt, nicht explizit vor. Es ist etwa von Quartiersbildungszentren die Rede, das ist gut, Familienzentren, richtige Ansätze. Natürlich wissen alle Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker und die, die vor Ort unendlich viel leisten, dass dies alles unterfinanziert ist und nicht ausreicht und dass wir, wie wir schon oft gesagt haben, gegen eine Eigendynamik der sich selbst verstärkenden Armutsprozesse kämpfen, die so, wie es bis jetzt möglich ist, nicht aufgehalten werden können.

Wenn wir in die Zukunft der finanziellen Situation blicken, die hier auch im Zusammenhang mit der Bundesebene, von den meisten mitverantwortet werden muss, sieht es noch düsterer aus. Diese Ansätze müssen mit erster Priorität gefördert werden, ich sage einmal, koste es, was es wolle! Wir werden in den Haushaltsberatungen darauf zurückkommen. Dann werden wir sehen, wer Armut wirklich an die allererste Stelle setzt. Damit ist die unmittelbare Armutsbekämpfung gemeint! Gerade das Thema Quartiersbildungszentren setzt ja da an, wo, und das wurde

auch schon gesagt, die Selbstheilungs- und Selbststärkungskräfte gefördert werden können. Das ist alles fachlich bekannt, es muss nur umgesetzt werden. Es braucht Menschen dazu, sowohl in den Schulen als auch zum Beispiel in diesen Familienzentren. Diese Menschen müssen Bildung von Mensch zu Mensch weitergeben, das muss bezahlt werden, und da komme ich noch einmal auf die Vermögenssteuer: Sie sind nicht mit einem Wort darauf eingegangen, ob wir diese gemeinsam im Bundesrat beantragen. Es ist gegen den Strom, gegen den Mainstream, aber dagegen sollten wir gemeinsam als Mehrheit dieses Hauses stehen. (Beifall bei der LINKEN)

Der Antrag ist unzureichend, wir haben einen ergänzenden Antrag gestellt. Abschnitt 2 wird ergänzt um Folgendes bei Nummer 11: In der Schulentwicklung sind Maßnahmen zur individuellen Förderung, zur interkulturellen Öffnung und zur entsprechenden Personalausstattung zu entwickeln und umzusetzen, um bestehende generationenübergreifende Armutsprozesse aufzubrechen und die Chancengleichheit von Kindern mit Migrationshintergrund nachhaltig zu verbessern. Dies steht in unserem Änderungsantrag als eine Anweisung, die vom Parlament erwartet wird. Schließen Sie sich dieser Anweisung an, dann haben wir eine verbindliche Richtung für das, was wir hier mehrheitlich im Hause wollen!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage ein Wort zum Bereich Kultur: Wir haben hier noch nicht die durchschlagenden Wirkungen, und das kann ich natürlich in den Stadtteilen anerkennen. Wir müssen aber befürchten, wenn wir das zum Beispiel bei der Volkshochschule sehen, dass hier eine Personalschrumpfung vorgenommen wird, deren Auswirkungen noch nicht feststehen. Bemühen Sie sich unter diesen schwierigen Bedingungen, umzusteuern! Geben Sie mit uns zusammen auf Bundesebene mehr Mut, mehr Opposition, um in dieser Frage der fortschreitenden Armut Widerstand zu leisten! – Danke schön!

(Beifall bei der LINKEN – Abg. Frau B u s c h [SPD]: Aber wir sind hier noch im Landtag, nicht im Bundestag!)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Frehe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe gerade überlegt, wie ich beginnen soll, und ich möchte einmal bei Ihnen beginnen, Herr Beilken.

(Abg. F e c k e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist schon gleich eine Bewertung!) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Ja, das hat man noch am meisten im Gedächtnis! Zunächst zu dem Begriff Anweisung an eine Regierung: Ich habe gelernt, dass im demokratischen System Anweisungen an die Regierung durch das Parlament nicht möglich sind. Wir schaffen gesetzliche Rahmenbedingungen, wir wählen eine Regierung, aber wir weisen sie nicht an! (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Daher müssen wir uns auch überlegen, was unsere Rolle ist, was wir machen können und was die Regierung machen muss. Wir können für die Regierung Rahmen setzen, wir können sagen, in diese Richtung möchten wir gehen, aber wir müssen auch akzeptieren, dass die Regierung Vorschläge macht, die wir dann zu bewerten und über die wir zu bestimmen haben. So, denke ich, wird etwas daraus.

Das Zweite, das ich Ihnen sagen möchte, ist, dass wir keinen Überbietungswettbewerb machen dürfen. Natürlich wird uns immer einfallen, wie man noch mehr machen kann, wenn man auf Finanzen keine Rücksicht nehmen muss. Wir sind dafür, dass wir Politik gestalten, die machbar und solide ist und die auch auf Dauer durchgehalten werden kann!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich möchte dies an einem Punkt Ihres Änderungsantrags verdeutlichen, der in der Tat sehr kurzfristig kam,

(Abg. Frau N i t z [DIE LINKE]: Ihr Antrag ja nicht! – Abg. Frau T r o e d e l [DIE LIN- KE]: Quid pro quo!)

aber ich muss eingestehen, unserer kam auch relativ spät, deswegen möchte ich daran keine Kritik üben, vielleicht können Sie aber akzeptieren, dass es sehr schwierig ist, sich kurzfristig damit auseinanderzusetzen.

Nun, zum Sozialticket, einer Debatte, die wir hier schon geführt haben! Sie fordern, dass das Sozialticket für den Preis des Anteils, der in den Regelsätzen steht, abgegeben wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Als wir diese Debatte geführt haben, habe ich Ihnen das Beispiel Dortmund dargestellt, wo dies so gemacht wird. Dortmund kann dieses Sozialticket im Grunde genommen auf Dauer nicht durchhalten. Wir wollen aber unser Sozialticket auf Dauer durchhalten, deswegen haben wir einen vernünftigen Kompromiss gemacht, das ist solide Politik!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ein Letztes noch zu Ihnen, Herr Beilken, zur Vermögenssteuer: Wir haben darauf hingewiesen, dass wir vieles, das habe ich in meiner Rede noch einmal dargestellt, weil es Bundesrecht ist, hier nicht verändern können. Natürlich kann man auch hier einen Schauantrag stellen, wir wollen jetzt die Vermögenssteuer einführen. Sie kennen die neue Bundesregierung in Ihrer Zusammensetzung, und ich bin sicher, dass diese Bundesregierung und auch die Bundesratsmehrheit sofort aufspringen und diese Vermögenssteuervorschläge übernehmen wird. Ich finde es besser, wie wir es bei der Sozialhilfe gemacht haben, im Bundesrat zu versuchen, Koalitionen für reale Chancen zur Verbesserung der Sozialhilfegesetzgebung zu finden, und auf diesem Wege etwas weiterzuqualifizieren.

Ich möchte es noch an einem anderen Beispiel aus Ihrem Antrag deutlich machen. Sie fordern, die HartzIV-Gesetzgebung – schon diese Bezeichnung stört mich – oder die Hartz-Gesetze zu beseitigen. Wenn wir diese beseitigen, beseitigen wir die Grundsicherung für Erwerbslose und Arbeitssuchende, dann ist nämlich nichts mehr da. Genauso kann man sagen, man will die Rente mit 67 abschaffen, dann haben sie aber gar keine Rente mehr. Abschaffen macht keinen Sinn!

Es gibt einen zweiten Halbsatz von Ihnen, den, möchte ich gerechterweise sagen, armutsfeste Transferleistungen einzusetzen. Ich denke, wir sollten uns damit solide auseinandersetzen.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Viel zu kompliziert! Schöne Parolen sind viel einfacher!)

Da wäre zum Beispiel ein Konzept, das die Sozialrichterinnen und die Sozialrichter oder die Präsidenten der Landessozialgerichte an Vorschlagspapieren zur Änderung des Sozialgesetzbuches II gemacht haben, mit dem man sich auseinandersetzen muss. Sich damit auseinanderzusetzen und zu schauen, wo haben wir denn gesetzliche Normen, die zum Beispiel zu wenig gewähren, die falsch formuliert sind, die rechtlich unsicher sind, und das dann weiterzugeben, wäre der richtige Weg.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Damit würde es auch langfristig gelingen, armutsfeste Sozialleistungen zu erzielen.

Dann in Ihrem dritten Punkt, eine Entprekarisierung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zu fordern. Na ja, Prekariat ist ein Modewort, das eingeführt worden ist, das aber zum Ansatzpunkt zu machen! Ich würde eher sagen, wir brauchen arbeitsmarktpolitische Instrumente, die effektiv und nicht

selektiv sind, die langfristig Menschen in Beschäftigung bringen, das ist das Ziel!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Frau N i t z [DIE LIN- KE]: Und sie dürfen ruhig armutsfest sein!)

Dann zum Kollegen Dr. Buhlert: Ein Armutsbericht, der eine Fülle von differenzierten Zahlen auflistet und der die Möglichkeit schafft, die Lebenslagen in Bremen genauer zu betrachten, als Pamphlet zu bezeichnen, finde ich ziemlich daneben!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Frau G a r l i n g [SPD]: Das ist armselig!)

Sie widersprechen sich selbst. Sie sagen, Sie wollen nicht, dass nach Stadtteilen differenziert wird, sagen aber gleichzeitig, der Blick in die Stadtteile ist ganz sinnvoll. Ich weiß nicht, was soll es denn nun sein? Sollen wir Stadtteile miteinander vergleichen, oder sollen wir nicht schauen, was in den Stadtteilen los ist? Ich denke, man muss differenziert hinschauen, und man muss seine Maßnahmen auch ganz differenziert danach ausrichten.

Ein ziemlicher Hammer war, fand ich, Frau Nitz mit ihrer Aussage, unter Rot-Grün nimmt die Armut zu.

(Abg. E r l a n s o n [DIE LINKE]: Hartz IV!)

Ich möchte einmal feststellen, Armutsprozesse sind nicht ohne Weiteres von Landesregierungen steuerbar. Wenn wir uns schon einmal darauf einigen können! Das Zweite ist – wenn wir uns darauf einigen können –, dass die rot-grüne Landesregierung seit 2007 regiert und Sie, glaube ich, keinerlei Zahlen haben, um nachzuweisen, dass hier in Bremen seit 2007 die Armut zugenommen hat. Das Einzige, was zugenommen hat, ist, dass wir mit dem Armuts- und Reichtumsbericht die Situation offenlegen, dass wir damit Instrumente schaffen, um diese Armut zu bekämpfen. Das ist die Veränderung!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Herr Bartels, Sie wollten sich ja noch einmal melden, ich habe bei Ihnen nicht so richtig verstanden, dass Sie beklagen, dass wir sinkende Beschäftigungsquoten haben. Sicherlich liegt das Hauptproblem zum einen darin, dass die Arbeitslosigkeit zugenommen hat und jetzt, vielleicht auch konjunkturbedingt, wieder zunimmt. Wenn Sie zurückgehen, hat die Arbeitslosigkeit in den letzten anderthalb Jahren abgenommen, und damit hat sich auch die Beschäftigungsquote erhöht. Zwischenzeitlich ist auch das faktische Rentenalter nach oben gegangen, damit ist auch die Beschäftigungsquote erhöht worden. Insofern ist die von

Ihnen gemachte Aussage für die letzten zwei Jahre nicht richtig. Insgesamt besteht aber natürlich immer ein Problem, wenn die Arbeitslosigkeit steigt, aber dann müssen Sie auch sagen, wie man sie bekämpfen kann. Arbeitslosigkeit ist keine Sache, die man durch lokale Politik vollständig in den Griff bekommen kann. Wer das behauptet und suggeriert, ist in meinen Augen verantwortungslos.

Ein Letztes möchte ich noch sagen sowohl zu dem Bereich Bildungspolitik, das betrifft Herrn Beilken, als auch zu dem Antrag zu den Migrantinnen und Migranten. Es geht hier um einen Armutsbericht, nicht um einen Bildungsbericht, und es geht auch nicht um ein Konzept zur Verbesserung der Situation allein von Migrantinnen und Migranten, sondern ausschließlich unter dem Aspekt Armut. Wenn man die rechtliche Situation von Migrantinnen und Migranten verbessern will, braucht man dafür eigene Anträge, die sollte man dann als rechtspolitische Anträge ausgestalten und nicht im Rahmen einer Armutsdiskussion behandeln. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Noch einen Satz: Wie Sie aus dem, was ich gesagt habe, entnehmen können, können wir Ihrem Antrag so nicht zustimmen, auch wenn es Elemente gibt, die vernünftig sind.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bartels.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich hatte angekündigt, dass ich noch einmal zu dem Antrag der Koalition Stellung nehme, aber nun nehme ich auch Stellung zum Änderungsantrag der LINKEN. Frau Kollegin Garling, zunächst noch einmal zu Ihrem Einwurf: Ich finde, wir als Kollegen sollten uns nicht gegenseitig vorhalten, wir würden diese Berichte nicht richtig lesen. Ich glaube, ich habe in meinem doch sehr moderaten ersten Statement deutlich gemacht, dass mir dieser Bericht, wie er dargestellt wurde, durchaus nahegegangen ist. Ich finde es einfach nicht richtig, dieser Armutsund Reichtumsbericht ist doch in Wahrheit auch ein Armutsbericht für 60 Jahre Sozialpolitik hier im Lande!

(Beifall bei der CDU und bei der LINKEN)

Ich hätte mir gewünscht, dass gerade auch vonseiten der SPD mehr Demut in der Debatte gezeigt würde.

Ich muss ganz ehrlich sagen, wer weiß, dass dieser Bericht seit längerem zur Debatte ansteht, und ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

erst gestern Abend einen solchen Dringlichkeitsantrag einbringt, der uns in Wahrheit nicht nach vorn bringt, muss sich darüber im Klaren sein, dass das parlamentarisch schwierig ist, wenn man sich ernsthaft mit dieser Thematik auseinandersetzen will.

(Beifall bei der CDU und bei der LIN- KEN)