Dies ist eine soziale Selektion, die Sie nicht in den Griff bekommen, im Gegenteil, Sie verschärfen es noch, und Sie stimmen dem Muñoz-Bericht zu, der die Selektion kritisiert. Er sagt, die Armut wird dadurch zur Bildungsarmut, dass Sie die Selektion machen. Diese Selektion setzen Sie leider fort, Sie verschärfen es anscheinend zum Teil noch, das bleibt ja noch abzuwarten. Wenn Sie den Zensurendurchschnitt in der Grundschule zum Maßstab nehmen, sich für Gymnasien zu bewerben, dann ist ja sogar womöglich der Numerus-clausus-Effekt in der Grundschule noch angestrebt. Es ist gleichzeitig mehr äußere Differenzierung in Rede gestellt worden, das heißt Trennung der Kinder auch dort, wo es schon mit viel Aufwand gelungen ist, und den Aufwand braucht man natürlich. Ressourcen sind nötig, um gemeinsamen Unterricht, wie er zeitgemäß ist, und individuelle Förderung zu verbinden. Dies wird alles sehr infrage gestellt, und Sie selbst haben diesen Zusammenhang hier im Bericht dankenswerter Weise hergestellt, es ist auch schon eine Weile her.
Es gibt einen weiteren Punkt, der betrifft die Quartiere. Dort haben wir den Zustand, dass immer wieder hier und dort etwas angeschoben wird, es dann aber doch vor allen Dingen mit der Finanzierung Probleme gibt. Das erinnert an das Bild einer Kugel, die immer wieder den Berg hinaufgeschoben wird und immer wieder zurückrollt. Wenn die Betroffenen Rabatz machen, wird das Nötigste getan. Das war so beim Quartierbildungszentrum in Huchting, das war so, als der Beirat einen Protestbrief geschrieben hat, das war letztens so, als wir das von der Admiralstraße mitbekommen haben, wo es hoffentlich dann eben nicht auf Kosten anderer Bereiche geht. Wir haben das auch dann in Walle gesehen, wo bei der Grundschule am Pulverberg die Verbindung zur Ganztagsschule das Problem ist, dass dann weniger Förderstunden zur Verfügung stehen, dass das, was früher
mit dem Hort gewährleistet wurde, nicht in gleicher Weise gegeben ist. Dies haben wir in anderem Zusammenhang, bei unserer Armutskonferenz, auch schon gehört. In Arbeitsgruppen wurde das von Betroffenen berichtet. Sie kennen das sicher auch alles, und Sie sind sich ganz genau dessen bewusst, dass es dort hakt und klemmt, und es ist auch Teil dieser Antwort, dass es immer wieder Probleme mit der Finanzierung gibt, bloß hängen Finanzierung und Politik nun einmal zusammen.
Entschuldigung! Das ist der Muñoz-Bericht, den ich zitiert habe, verehrter Kollege! Soll ich Ihnen das noch einmal vorlesen?
Das Zweite ist, um in den Quartieren wirklich voranzukommen, und das sagen Sie im Zweifel dann auch selbst, auch eine Sache der Bereitstellung von Ressourcen. Ich höre das im Einzelfall auch von CDU und FDP, wenn es dann die Einzelfälle sind.
Bevor ich dem Kollegen Frehe das Wort erteile, darf ich Betriebsräte der DaimlerBenz AG aus verschiedenen Betriebstätten begrüßen!
Sie haben diese Anfrage gestellt, und da dachte ich, Sie beziehen sich dann auch auf Ihre eigene Anfrage.
(Beifall bei der SPD, bei der CDU, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der FDP – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das dachten wir alle!)
Ich möchte aber noch eine zweite Vorbemerkung zu der Anfrage selbst machen. Sie haben die Große Anfrage formuliert, und ich kenne es so, dass man bei Großen Anfragen politische Bewertungen des Senats zu bestimmten Fragestellungen abfragt. Dies ist aber eher der Wunsch nach einer wissenschaftlichen Untersuchung zu verschiedenen Fragen, auf die der Senat eben daher auch gar keine Antworten geben konnte. Deswegen bleiben viele Fragen unbeantwortet. Ich glaube nicht, dass das eine geeignete Große Anfrage war.
Schließlich habe ich noch eine dritte Vorbemerkung: Kinderarmut ist auch immer Elternarmut. Die Verbesserung der Situation von armen Familien muss daher multidimensional untersucht werden. Es gibt zumindest drei Ebenen: Die eine ist die Einkommensebene, da geht es um Erwerbseinkommen oder Sozialleistungen. Die zweite ist die der Teilhabe, das ist Ihr Zusammenhang, wie aus Einkommensarmut im Grunde genommen auch Teilhabearmut wird und in diesem Fall Bildungsarmut werden kann. Die dritte ist die Frage der Würde und der Gleichstellung, die auch immer in diesem Zusammenhang beachtet werden muss, also zum Beispiel wenn Migrations- oder Ausländerrecht Menschen benachteiligt, und sie deshalb am Bildungsprozess nicht so teilnehmen können wie andere.
Die Förderung von Kindern kann daher immer weniger als nur eine Aufgabe der Eltern gesehen werden. Es ist aber auch falsch – und das, meine ich, ist immer nur Ihre Perspektive –, dass es nur eine staatliche Zuständigkeit gibt. Wir müssen Bildung und Armut als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen, sie ist eine Aufgabe von Eltern, Nachbarn, Kindereinrichtungen, Vereinen, Jugendfreizeiteinrichtungen, Schulen und der Jugendhilfe. Sie ist aber auch eine Frage von uns als Bürger in dieser Gesellschaft.
In einer Zeit immer extremer werdender Einkommensverteilung mit zunehmender Armut immer größer werdender Bevölkerungsanteile kann die Segregation dieser Bevölkerungsanteile nicht allein durch staatliche Maßnahmen verhindert werden. Wir alle sind gefordert, in der Nachbarschaft, als Mitglieder von Vereinen, als Sponsoren, als Elternvertreter in Kindertagesheimen und Schulen dafür zu sorgen, neben den armen Eltern und professionellen Erziehern, Lehrern, Sozialarbeitern und Jugendpolitikern, dass keine Ausgrenzung armer Kinder erfolgt. In einem Prozess der Vergesellschaftung von Bildung – und das ist das, was wir hier gegenwärtig in der Gesellschaft und Erziehung haben – kommt es darauf an, wie Kinder gemeinsam lernen, wie sie Verhaltensregeln übernehmen und wie sie soziale Zusammenhänge gestalten und erlernen können. Staatliche Eingriffe bei Erziehungsversagen der Eltern müssen dabei die Ultima Ratio sein. Das haben wir auch immer in der Kinderschutzdebatte hervorgehoben. Ebenso ist die Behandlung der Erziehung und Bildung als Privatsache des Elternhauses eine überkommene Vorstellung. Staatliche Aufgabe ist es einmal, Einkommensarmut zu entschärfen und durch Umverteilung die Chancen armer Kinder zu verbessern, eine Infrastruktur bereitzustellen, die die Teilhabechancen ärmerer Kinder verbessert, und außerdem eine auf Vermeidung und Beseitigung von Benachteiligungen gezielte Politik zu initiieren.
Diese drei Ebenen müssen wir immer parallel bedenken, und diese drei Ebenen der Politik werden hier von der rot-grünen Regierung auch verfolgt. Unter diesen drei Prämissen müssen wir bei der Großen Anfrage beurteilen, was der Senat gegen die sogenannte Vererbung der Armut durch schlechte Erziehungs- und Bildungschancen tut und auch in der Lage ist zu tun. Eine Verengung der Armutsproblematik allein auf staatliches Handeln dagegen stellt einen Tunnelblick dar, den ich hier als falsch zurückweisen möchte. Ich möchte drei Thesen entwickeln – ich hoffe, ich schaffe das in der Zeit –, die ich ein bisschen ausführen möchte.
Die Stärkung der Kinder gegen die Armutsfolgen kann nur durch eine gute Infrastruktur von gemeinsamen Erziehungs- und Bildungseinrichtungen erfolgen, die möglichst von allen Kindern wahrgenommen wird, insofern keine Selektion erfolgt. Was tut die Landesregierung dazu? Wir haben zusammen als Parlament mit der Landesregierung Index- und Schwerpunktkindergärten geschaffen, die gerade schon in Gang gekommen sind und die Kinder aufgenommen haben. Wir wollen den Ausbau der Krippenplätze von 20 auf 35 Prozent erhöhen. Das sind solche strukturellen Maßnahmen. Die Schwerpunktkindergärten werden mit zweiten Erziehern ausgestattet, die insbesondere auf besondere Benachteiligung ärmerer Kinder eingehen können.
Wir haben eine bessere Ausstattung der Kinder in Stadtteilen vorgesehen, die schlechte Sozialindizes
haben, sodass auch hier darauf eingegangen werden kann. Es wird langfristig die Beitragsfreiheit der Kindergärten angestrebt, wie Sie in der Antwort des Senats auf Ihre Große Anfrage nachlesen können. Es findet keine Ausgrenzung behinderter Kinder im vorschulischen Bereich statt, und eine Qualifizierung der Kindertagespflege ist ebenfalls nicht nur konzipiert, sondern wird bereits umgesetzt. Das sind Maßnahmen, die konkret dazu beitragen, dass sich Armut von Kindern nicht weiter vererbt, wenn man das einmal so verkürzt sagen kann. Meine zweite These ist: Verhaltensprobleme sind keine reinen Armutsprobleme, sondern Folgen von Erziehungsversagen. Dies gibt es genauso in Mittelschichten und ist auch dort festzustellen, deswegen verkürzen Sie in Ihrer Anfrage das Problem auf die reine Armutsproblematik. Welche Probleme gibt es da? Zum Beispiel ist ein Problem, das Sie in Ihrer Anfrage meines Erachtens gemacht haben, das Problem der Zuschreibung. Sie stigmatisieren letztendlich arme Familien, indem Sie diese Verhaltensprobleme armen Familien zuordnen.
Wirkliche Ursachen sind die Tatsachen, dass viel mehr Einzelkinder geboren werden, dass eine stärkere materielle Orientierung stattfindet, dass Lebenskrisen der Eltern solche Probleme induzieren und schließlich, dass ein exzessiver Konsum oder eine Sucht stattfindet, dass Gewalt und Missbrauch in den Familien stattfinden. Das sind Gründe für Verhaltensprobleme, und das finden Sie quer durch alle Bevölkerungsschichten.
Was müssen wir machen? Wir müssen mehr Chancen schaffen, damit die Kinder ein anderes Sozialverhalten lernen können, in problematischen Situationen aufgefangen, unterstützt und gefördert werden können. Das ist die richtige Antwort darauf, und genau das wird gemacht. Wir müssen ferner – und da haben Sie zu Recht den Muñoz-Bericht zitiert – darauf achten, dass keine Selektion stattfindet, dass mehr gemeinsame Erlebnissphären stattfinden. Dazu haben wir das gemeinsame Mittagessen für jetzt 1208 Kinder geschaffen, wie Sie auch nachlesen können. Die kulturelle Teilhabe wird in den Kindergärten auch teilweise durch Umlagen ermöglicht; Tagesausflüge und Musikunterricht müssen besser gefördert werden. Ich denke, da kann man noch einiges tun. Auch das Sponsoring von Sportvereinen ist eine sehr wichtige Sache,
damit Kinder unterschiedlicher sozialer Schichten in diesen Sportvereinen zueinander kommen, und damit Differenzen immer weniger eine Rolle spielen.
Schließlich ist eine gezielte Sprachstandserhebung und Sprachförderung in den Kindergärten ausgesprochen wichtig. Wir haben in den Berichten in der Deputation gehört, dass diese Sprachstandserhebung in den Kindergärten früher stattfinden soll und auch eine Förderung künftig intensiver stattfindet. Wir haben aber schon jetzt 4500 Kinder, die getestet worden sind, von denen allein 700 in der Stadt Bremen in die Sprachförderung aufgenommen worden sind. In Bremerhaven ist es sogar ein höherer Anteil, von 1200 Kindern sind dort 486 in die Sprachförderung übernommen worden. Das ist in Bremerhaven sogar ein Anteil von 40 Prozent. Dass der Anteil in Bremen angehoben werden soll, ist völlig unstreitig.
Das wird schwierig! Dann will ich sagen, allein mit diesen Punkten habe ich schon deutlich gemacht, dass die Anfrage ergeben hat, dass der Senat auf dem richtigen Weg ist und einiges getan hat, um genau diese Differenzen, diese Weitervererbung von Kinderarmut über Bildung in die nächste Generation zu verhindern. – Danke schön!
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist notwendig, dass wir uns immer wieder mit dem Problem der Kinderarmut in Bremen auseinandersetzen, aber bitte nicht auf die Art und Weise, wie es die Fraktion DIE LINKE eben gemacht hat! 76 Fragen, deren Beantwortung natürlich ganz viel Zeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beinhaltet, Zeit, die sie für andere Dinge sehr viel notwendiger hätten!
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. D r. G ü l d n e r [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Wir sind ja auch kein Volkshochschulkurs!)
76 Fragen, die man sich selbst beantworten kann, wenn man die Deputationsunterlagen und die Beschlüsse dazu, an denen man selbst mitgewirkt hat, liest!