Protocol of the Session on June 4, 2008

Es besteht überhaupt keine Veranlassung, aus diesem Urteil zu schließen, man könne die Fünfprozentklausel in Bremerhaven nicht fortlassen. Es wird nicht dazu aufgefordert, sie dort einzuführen, wo sie nicht besteht, so wie Sie das unterstellen, das ist völliger Unsinn.

Die Liberalen werden diesem Antrag aus den genannten Gründen nicht zustimmen, weil wir überhaupt nicht erkennen können, was Sie dazu motiviert, das jetzt hier zu betreiben.

(Beifall bei der FDP)

Die Abschaffung der Fünfprozentklausel ist ein wichtiges Instrument zur stärkeren Teilhabe unserer Bür

gerinnen und Bürger an politischen Entscheidungen.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss! Teilhabe an der Politik vor Ort führt zu mehr Transparenz. Wir wollen das, die Koalition will dies offensichtlich nicht. Wir werden die Auseinandersetzung mit Ihnen über diesen Punkt gern suchen, aber in der Sache werden Sie uns von der Richtigkeit Ihres Vorhabens nicht überzeugen.

(Beifall bei der FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Bödeker.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Ich bin ein- mal auf die Meinung des Senats gespannt!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst eine Anmerkung zum Kollegen Tittmann machen! Es ist schon erstaunlich, wenn Kollege Tittmann hier über Demokratie spricht. Ich kann mich erinnern, dass die DVU in Bremerhaven mit 2410 Stimmen mit einer Liste eingezogen ist. Auf der hat Kollege Tittmann gestanden. Er hat der DVU das Mandat in der Stadtverordnetenversammlung und hier gestohlen und spricht für mehr Demokratie. Das ist das wahre Gesicht von Herrn Tittmann.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der Linken)

Ich bin seit inzwischen 13 Jahren Fraktionsvorsitzender in Bremerhaven in der Stadtverordnetenversammlung.

(Zuruf von der SPD: Lange genug!)

In Bremen habe ich öfters den Eindruck, dass man hier glaubt, die Stadtverordnetenversammlung wäre ein „Beirat de luxe“, das ist sie nicht. Die Stadtverordnetenversammlung beschließt ihre Angelegenheiten, selbst den Haushalt, allein. Nur die Frage der Genehmigung ist die Frage Bremens, nicht die Frage der Ausgestaltung des Haushalts, aber, liebe Bürgermeisterin Linnert, da werden wir, denke ich, auch einmal am 11. Juni entscheiden und dann zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.

Wichtig ist, die Verwaltungsaufgaben erledigen wir selbst, und wir erledigen auch die Wahl der Dezernenten und des Oberbürgermeisters selbst, wir richten selbst Fachausschüsse ein, wir gestalten die politische Arbeit. Deswegen sagt man ja, auch wegen der kommunalen Polizei und der kommunalen Lehrerschaft: Bremerhaven ist die freieste Gemeinde in

Deutschland. Das bedeutet eine große Anforderung an die Stadtverordnetenversammlung.

Ich hatte hier gerade eben das Gefühl, wir haben bei der Wahlrechtsreform nur die Fünfprozentklausel in Bremerhaven eingeführt.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Abgeschafft!)

Das ist ein Teilbereich gewesen. Es gab ja Dinge, von denen man gesagt hat, sie können nicht eingeführt werden. Ich erinnere an die Wahlkreise, über die wir auch lange diskutiert haben, und ich erinnere auch daran, dass wir natürlich die Frage der Beeinflussung der Listen, des Listenwahlrechts im Land Bremen und Bremerhaven verändern und dass wir jetzt ja auch eine Beteiligung der Bürger an den von den Parteien aufgestellten Listen ermöglicht haben.

Ein kleiner Aspekt war die Fünfprozenthürde,

(Abg. M ü l l e r [Die Linke]: Kollateral- schaden!)

und, Herr Müller, ich lasse mir nicht in die Schuhe schieben, das wäre jetzt hier so eine Nacht-und-NebelAktion! Erst einmal waren Sie – damals waren Sie noch drei, bei Ihnen laufen die Leute ja auch scharenweise davon – dabei, als wir in der Stadtverordnetenversammlung diese Diskussion geführt haben. Sie haben dagegen gestimmt, das ist richtig. Aber tun Sie nicht so, als ob heute ein Antrag hergezaubert worden wäre, der plötzlich da ist, und einmal eben schnell etwas durchgeht.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Vollkommen hirnrissig ist natürlich auch die Behauptung, die Bremerhavener Abgeordneten haben sich nicht rechtzeitig gemeldet. Die Abgeordneten von der SPD und von der CDU, damals in der Großen Koalition, haben sich selbstverständlich gemeldet. Wir haben gesagt, wir sehen ein Riesenproblem in der Frage der Fünfprozentklausel für Bremerhaven, und deswegen ist bei uns, bei den Christdemokraten, auch in das Wahlprogramm hineingeschrieben worden, dass wir anstreben, es abzuschaffen. Man kann dafür sein, man kann dagegen sein, aber man soll hier nicht Unehrliches behaupten, indem man den Eindruck erweckt, wir hätten das nicht vorher angekündigt.

Ich glaube, ein ganz wichtiger Aspekt ist die Frage der Zusammensetzung der Stadtverordnetenversammlung. Wir haben jetzt darin: SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, FDP, Bürger in Wut, wir haben einen Einzelabgeordneten, Herrn Bargmann, und wir haben irgendeinen Verein von Herrn Tittmann, Protest der Bürger! Wir sind doch gerade in Haushaltsberatungen, und nächste Woche, am 11. Juni, wird die Stadtverordnetenversammlung zusam

menkommen und in schwierigster Lage und Haushaltsnotlage versuchen, einen Haushalt aufzustellen, der funktionsfähig und dann auch genehmigungsfähig ist, so hoffe ich.

(Abg. M ü l l e r [Die Linke]: Was hat das denn mit diesem Antrag zu tun?)

Nein, hören Sie einmal zu! Das ist ja Ihr Problem: Reden ohne zuzuhören!

Natürlich braucht man, um Verantwortung zu tragen, auch klare Mehrheiten. Das ist nun einmal so. Das Problem, das Bremerhaven hat, hat sich ja 1987 das erste Mal gezeigt. 1987 hat ein Herr Frey einmal geschaut, wo es möglich ist, ohne großen Aufwand in einen Landtag zu kommen, nämlich über Bremerhaven in die Bürgerschaft. Jetzt ist genau das passiert, und wir werden am 6. Juli eine Wahl in einem Wahlbezirk nachvollziehen, weil sich dort ein Scharlatan, der nicht einmal in Bremerhaven wohnt, wählen lassen will – und es fehlt im Moment nur eine Stimme, um in die Bürgerschaft einzuziehen –, und Sie werden dann sehen, was das dann hier für eine Brisanz haben wird. Das ist schon immer eine spannende Sache. In einem Flächenland, auch im Kommunalbereich, hat man natürlich ganz andere Möglichkeiten. Deswegen sagen wir, dass auch zur Regierungsfähigkeit Bremerhavens die bewährte Fünfprozentklausel gehört.

Ich denke einmal, ein ganz wesentlicher Punkt ist ja die Organisation in Bremen, nämlich Kommunalvertretung und Landtag, mit der gleichen Wahl werden Bürgerschaft und Stadtbürgerschaft gewählt. In Bremen gibt es die Fünfprozentklausel auch für den Kommunalbereich, in Bremerhaven nicht. Wir sagen in Bremerhaven, da wollen wir eine Gleichstellung haben, und, ich denke, das ist außerordentlich wichtig. Ich glaube, die Argumente sprechen für sich. Die Stadtverordnetenversammlung hat beschlossen, es ist in namentlicher Abstimmung abgestimmt worden, das ist bei einem solchen Verfahren wohl Tradition: 26 Jastimmen von der SPD und der CDU, 17 Neinstimmen vom Bündnis 90/Die Grünen, der FDP, der Linken, von den BIW, vom PdB und vom Abgeordneten Bargmann.

(Glocke)

Also, eine deutliche Mehrheit hat aufgezeigt, dass wir die Fünfprozenthürde für sinnvoll halten. Natürlich gibt es auch eine andere Überlegung, und natürlich ist die Frage des Gesetzgebungsorgans eine wesentliche, und das Verfassungsgericht hat natürlich ein Urteil für Schleswig-Holstein gesprochen. Deswegen bedanken wir uns ausdrücklich auch dafür, dass man sagt, wir wollen noch einmal im Ausschuss diskutieren, wie es aussehen könnte!

(Glocke)

Aber, Herr Dr. Möllenstädt, eines dürfen Sie auch nicht machen: Teile zitieren! Das Urteil sagt ja, dass in dem Bereich, wo die Direktwahl des Oberbürgermeisters, des Bürgermeisters oder des Landrats eingeführt worden ist, die Fünfprozentklausel nicht mehr notwendig ist. Das steht auch darin, das hätten Sie auch mitbetonen sollen, weil das auch eine der Aussagen ist. Deswegen werden wir, denke ich, im Ausschuss sachlich noch einmal die Probleme erörtern. Wir werden diesem Gesetz in erster Lesung zustimmen. Wir werden aber auch der Überweisung zustimmen und noch einmal in aller Ernsthaftigkeit auch alle Bedenken prüfen. Ich denke, das ist vernünftig gelebte Demokratie. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Ehmke.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte nur auf zwei Punkte, insbesondere aus dem Beitrag von Herrn Dr. Möllenstädt, eingehen! Ich habe das zwar eingangs schon einmal gesagt, hier passiert nichts heimlich, still und leise, aber da Sie das doch noch einmal aufgegriffen haben,

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Er hat es vorher aufgeschrieben!)

möchte ich mir doch den einen oder anderen Hinweis noch erlauben! Nicht mitbekommen kann das eigentlich nur jemand haben, der sich ganz weit entfernt vom politischen Prozess in Bremen befindet. Das mag ja bei Ihnen zutreffen, aber eigentlich wäre das überraschend, denn hier im Hause ist darüber gesprochen worden, in Wahlkampfauseinandersetzungen ist darüber gesprochen worden.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Da waren wir aber nicht dabei!)

Das stimmt, damals waren Sie noch nicht dabei, aber bei Wahlkampfauseinandersetzungen haben Sie zum Teil doch teilgenommen. Auf die Stadtverordnetenversammlung ist hingewiesen worden. Wir haben im Übrigen einen Koalitionsvertrag, aus dem auch immer fleißig von allen möglichen anderen hier zitiert wird. Dann hätte man da auch einmal hineinschauen können. Unser Wahlprogramm: Eindeutige Aussage, nur 30 Seiten, also das konnte man lesen, keine Überforderung an der Stelle! Wenn man all das ablehnt, empfehle ich einfach einmal einen Blick auf die Webseite des Vereins „Mehr Demokratie e. V.“ Die führen nämlich im Detail aus, welche „Sauerei“ da passiert ist: Die Debatte war im Dezember 2006, schon da hätten SPD und CDU angekündigt, dass sie das ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

wieder rückgängig machen wollen. Ganz böse! Sie haben gesagt, im Koalitionsvertrag steht es. In Bremerhaven ist es diskutiert und beschlossen worden. Also, entschuldigen Sie, mitbekommen konnte man das! Heimlich, still und leise war das nicht.

Vor allen Dingen findet hier ein ganz gewöhnliches gesetzliches Beratungsverfahren statt, auch nicht hoppla hopp: Erste Lesung, Überweisung und Beratung im Ausschuss, zweite Lesung! Sie tun ja so, als würden wir hier ohne Debatte in erster und zweiter Lesung kurz vor 18 Uhr etwas durchziehen wollen. Das ist doch überhaupt nicht wahr! Hier findet eine ganz normale parlamentarische Beratung statt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Sie können ja dagegen sein, dagegen habe ich doch nichts, aber tun Sie doch nicht so, als fände hier keine Auseinandersetzung statt!

Zweitens will ich an der Stelle noch einmal betonen – und Herr Kollege Bödeker hat darauf hingewiesen –, Sie hätten das Urteil dann vielleicht einmal ganz lesen sollen! Quasi den Leitsatz zu zitieren und sich mit dem Rest nicht zu beschäftigen, ist sehr schwierig. Sie behaupten, die Fünfprozenthürde stellt den Grundsatz der Wahlgleichheit in Frage. Stimmt! Das bestreitet kein Mensch. Die entscheidende Frage ist: Ist diese Differenzierung verfassungsmäßig gerechtfertigt? Das ist die Frage, mit der man sich auseinandersetzen muss, und dazu empfehle ich den Blick in das Urteil. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten:

„Zwar kommt auch im Kommunalwahlrecht die Wahrung der Funktionsfähigkeit des zu wählenden Organs als Rechtfertigungskriterium für Differenzierung hinsichtlich des Grundsatzes der Wahlgleichheit und der Chancengleichheit in Frage.“ Sie sagen weiter: „Ob das konkret geht, muss unter den Bedingungen des jeweils geltenden Landes- und Kommunalverfassungsrechts dann geprüft werden.“ Aber ja, natürlich, eine Fünfprozenthürde ist eine Differenzierung, eine Beeinträchtigung des Gleichheitssatzes bei den Wahlen, und die Frage, mit der man sich auseinandersetzen muss, lautet: Ist sie im Einzelnen gerechtfertigt?

Das Bundesverfassungsgericht sagt weiter – Sie haben ja gesagt, Sie haben sogar vorgelesen, es gilt für Schleswig-Holstein –, im gleichen Urteil finden wir den Satz: „Eine Wahlrechtsbestimmung kann in einem Staat zu einem bestimmten Zeitpunkt gerechtfertigt sein und in einem anderen Staat oder zu einem anderen Zeitpunkt nicht.“

Das heißt, im gleichen Urteil, das Sie zitieren, wird gesagt, in Schleswig-Holstein geht es nicht. Ob es andernorts geht, das muss dort vor Ort geprüft werden. Genau auf diesen Weg machen wir uns heute.

Die Verallgemeinerung aber, die Sie hier gewählt haben, ist so nicht zulässig.