Protocol of the Session on November 16, 2006

Bedenken Sie bitte, was es für eine katastrophale Erkenntnis unserer Ganztagsschulen ist, einige von Ihnen, die sich im Bildungsbereich auskennen, wissen das: Am Montag einer jeden Woche müssen unsere Schulküchen 50 Prozent mehr Lebensmittel auf den Tisch der Kinder bringen, weil sie ausgehungert aus dem Wochenende kommen! Das ist in unserer Wohlstandgesellschaft in Deutschland unfassbar, aber es ist die Wahrheit! Da müssen wir natürlich durch mehr Arbeit mit den Eltern und Lehrerinnen und Lehrern gegensteuern!

(Beifall bei der SPD)

Nun sagen kluge Menschen, Ernährungswissenschaftler belegen das, ich darf hier Professor Heseker von der Universität Paderborn zitieren, der gerade ganz aktuell in der „Süddeutschen Zeitung“ am 10.11. sagt: „Wir müssen damit früher beginnen. Es kann nicht angehen, dass Kinder in allerfrühesten Lebensjahren bereits so ungesund ernährt werden.“

Übrigens muss ich Ihnen heftig widersprechen, Herr Crueger, das ist im Wesentlichen nicht eine Frage des Geldes, das ist eine Frage der Prioritätensetzung, ob ich mich mit meinen Kindern hinsetze und ihnen beibringe, was eine gesunde Ernährung ist oder ob ich ihnen am Wochenende 5 Euro gebe und sage, geh du zu McDonald’s, dann habe ich meine Ruhe. Das ist ein entscheidender Punkt, nicht der Punkt des Geldes!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Es ist eine Frage, wofür ich mein Geld ausgebe. Was ist mir wichtig in der Verantwortung für mein Kind? Das ist nicht eine Frage, dass wir da nur noch entsprechend Geld benötigen. Damit erreichen Sie gar nichts!

Ich möchte Herrn Brumma ausdrücklich zustimmen, der hier kritisiert hat, dass wir viele einzelne Projekte machen. Das kann man sehr schön auch bei den Schulen sehen, in den Kindergärten ist das sehr ähnlich. Es gibt ganz engagierte Projekte, aber aufgrund dieser Debatte und aufgrund des Berichts, den wir Ihnen vorlegen durften, haben wir selbst festgestellt, es wäre wichtiger, ein Gesamtkonzept zu stricken. Von der Betreuung der Familien, wo wir staatlich noch nicht mit ihnen in Berührung kommen, bis hin zum Kindergarten und zur Schule müsste eigentlich so ein Dach der Gesundheitserziehung entstehen. Das müssen wir differenziert nach gesunder Ernährung und nach Bewegung unterscheiden. Da kann ich Ihnen nur sagen, das haben wir durchaus auch selbst bemerkt, hier ist dringend auch ein Handlungsbedarf, dass wir das entsprechend umsetzen.

Es gibt viele vernünftige Ansätze. Ein Ansatz ist von Herrn Brumma auch bereits genannt worden, den ich mir auch hier aufgeschrieben habe. Wir sind bun

desweit spitze in der Betreuung der Zahnprophylaxe und der Impfungen. Da erreichen wir fast 100 Prozent, 100 Prozent erreichen Sie ja nie, weil es immer irgendwelche Lücken gibt. Da sind wir aber bundesweit spitze, und das sollte uns ein Vorbild sein, auch in anderen Bereichen von Gesundheit, Ernährung und Bewegung noch besser zu werden. Hier haben wir erhebliche Defizite. Ich habe eben darauf hingewiesen, 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen 3 und 17 Jahren gelten nach den Regularien der Ärzte als zu dick. Sie werden in späteren Jahren darunter leiden, dass die Eltern, der Staat, die Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die zuständigen Minister nicht darauf geachtet haben, hier diesen Fehlern zu begegnen.

Ich darf zusammenfassend sagen, der Senat begrüßt ausdrücklich den vorliegenden Antrag. Ich wiederhole mich da noch einmal, nicht überweisen bitte, sondern sofort handeln! – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gern sagen, die Debatte ist, glaube ich, ein bisschen verunglückt, weil wir diese beiden Punkte, das sollten wir auch nicht wieder machen, so miteinander verschränkt haben, dass es eher die Chance gibt, aneinander vorbeizureden.

Es gibt, was die Gesundheitsvorsorge betrifft, glaube ich, keinen Dissens im Haus. Es gibt vielleicht unterschiedliche Schattierungen in der Einschätzung, welchen Zusammenhang es eigentlich bei der Frage gibt, ob Armutslagen einen Einfluss darauf haben, wie die Kinder ernährt werden und ob zu Hause gekocht wird. Da würde ich für die grüne Fraktion erklären, dass es natürlich nicht richtig ist, dass es eine ausschließliche Folge von Armut ist, wenn die Kinder montags nicht gut ernährt in die Schulen oder in die Kindergärten kommen, sondern dass da zu Hause andere Prioritätenentscheidungen getroffen werden, die aber weniger mit Schuld zusammenhängen, da habe ich einen Dissens mit Senator Lemke, sondern oft auch mit der Kompetenz, die in den Familien überhaupt noch vorhanden ist, zu kochen und den Lebensalltag zu gestalten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Da gibt es dann wieder keinen Dissens, nämlich in der Frage, könnte man eigentlich über Familienentwicklung von Kindergärten zu Familienzentren den Eltern wieder helfen, ihnen zu zeigen, dass es nicht ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

unbedingt teurer ist, wenn man selbst kocht, und dass es auch Spaß macht und dass man mit den Kindern gemeinsam etwas unternehmen kann. Das ist aber ein ganz langer Weg, und niemals würde ich auf so einen Weg einschwenken zu sagen, das ist eine Schuldfrage in den Familien, sondern da sind Kompetenzen verkümmert, und man muss denen helfen, das wiederzuentdecken. Darüber herrscht aber vielleicht auch weitgehend Einigkeit.

Ich will noch einmal den Wunsch der Grünen hier erklären, warum wir nicht möchten, dass der Antrag der Koalition, der sich letztendlich dafür ausspricht, verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen für Kinder zu machen, hier heute so als ein Schnellschuss – es muss schnell gehandelt werden, haben wir jetzt hier gehört – verabschiedet werden soll. Es ist richtig, es gibt Befürworter, und es gibt Gegner. Die grüne Fraktion hat sich sehr lange mit der Frage auseinandergesetzt. Erst einmal würde ich sagen, es gibt ein gemeinsames Ziel, nämlich die Sensibilität in der Gesellschaft und bei all den Menschen, die dafür zuständig sind, die Situation von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, die Sensibilität zu vergrößern, Hilfeangebote dahin zu geben, wo Kinder und Jugendliche sie brauchen.

Es geht ja nicht um schwarz und weiß. Es ist aber so, dass man, wenn man verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen macht, also die U 1 bis U 9, das Verhältnis zwischen den Kinderärzten und den Familien sehr stark verändert. Man muss sich das vorstellen, was das in der Praxis heißt. Man bringt die Kinderärzte dazu, man verpflichtet sie letztendlich, eine Art von Kontrollschreiben an den Staat zu schicken, wer ist bei mir gewesen und hat eine Vorsorgeuntersuchung gemacht. Das zieht einen großen bürokratischen Aufwand nach sich. Das lässt sich auch nur begrenzt flächendeckend machen, weil wir in Deutschland freie Arztwahl haben. Menschen können also den Kinderarzt wechseln. Wie bekommt man das dann eigentlich geregelt? Das wissen wir nicht so ganz genau. Dafür gibt es auch weltweit keine Beispiele. Das ist ein ganz tiefer Tanker, ob man das wirklich so will. Die Ärzteverbände selbst wehren sich dagegen.

Man muss das, glaube ich, zur Kenntnis nehmen, dass dieser gemeinsame Wunsch, dass ganz früh Kindern geholfen wird, wenn sie Entwicklungsverzögerungen haben, und auch viel sensibler geschaut wird, wenn es Anzeichen für Misshandlungen gibt, möglicherweise durch verpflichtende U 1- bis U 9-Untersuchungen nicht unbedingt gefördert wird, wie wir das hier gemeinsam wollen. Dem wollen wir uns mehr stellen, indem wir auch Fachleute, die da Bedenken angemeldet haben, hören und vielleicht auch gemeinsam versuchen, einen anderen Weg zu finden.

Die Alternative zu verpflichtenden U 1- bis U 9Untersuchungen wäre ja, dass man so ähnlich wie bei der Schuleingangsuntersuchung, die in den letzten Jahren ja auch einem starken Spardruck unterworfen worden ist, schon viel früher Familien flächen

deckend anschreibt und sie bittet, beim Gesundheitsamt mit ihrem Kind vorbeizukommen. Auch das ist ein Eingriff des Staates in die Rechte von Familien. Ich finde, dass der Staat das darf. Gerade in skandinavischen Ländern ist man da viel weniger zurückhaltend und sparsam als in Deutschland. Ich würde es befürworten, solche Wege zu gehen. Aber auch das setzt voraus, dass der Staat sich anders aufstellt, als er das heute tut.

Ich möchte gern, dass man über diese unterschiedlichen Modelle spricht, die jeweils auch mit unterschiedlichen Zwangsinstrumenten arbeiten. Ich selbst könnte mir nicht vorstellen, dass man Familien, die nicht erscheinen, polizeilich vorführt, sondern da muss dann ein Hilfesystem in Gang gesetzt werden. Wir möchten darüber sprechen, ehe man sich hier einfach so für verpflichtende Untersuchungen ausspricht. Wir haben den Eindruck, dass Sie der Tatsache, dass das ein sehr tiefer Tanker ist, vor dem Hintergrund der Geschehnisse um Kevin jetzt ein bisschen ausweichen, sondern nach außen hin schnell Taten zeigen wollen, obwohl wir es hier mit einem doch sehr tief greifenden Problem zu tun haben.

Wir möchten auf keinen Fall, dass etwas passiert, was letztendlich dann nicht wirklich geeignet ist, die Situation zu verbessern, sondern wir im Grunde nur eine Art symbolische Handlung vollführt haben. Deshalb noch einmal unser Wunsch, diesen Antrag zu überweisen, damit wir, das muss ja nicht ewig dauern, darüber fachlich sprechen können!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Wedler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das ist wirklich ein tief gehendes Schiff, diese beiden Sachverhalte, mit denen wir uns hier zu beschäftigen haben: Gesundheitsvorsorge für Kinder auf der einen Seite und auf der anderen Seite die verpflichtenden oder, wie das im Bundesrat etwas abgemildert heißt, verbindlicheren Früherkennungsuntersuchungen.

Insofern kann ich Frau Linnert und Frau Hoch, die vorhin hier zu dem Thema gesprochen hat, voll und ganz zustimmen. Ich finde es auch unglücklich, dass diese beiden Themen miteinander verquickt worden sind. Gesundheitsvorsorge wäre ein eigenständiger Bereich gewesen, den man gesondert hätte diskutieren können. Ich sehe das genauso, wie es soeben gesagt wurde, dass es bei diesem Thema inhaltlich praktisch keine Differenzen hier gibt.

Bei dem Thema des Dringlichkeitsantrages „Verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen“ muss man sehr vorsichtig sein. Es ist darauf hingewiesen worden, dass es in diesem Hause sehr heterogene Auffassungen gibt, auch in der Bundespolitik. Ich möchte auf ei

nen Dissens in Ihrem eigenen Antrag aufmerksam machen: Im Vorspann, in Ihrer Erläuterung reden Sie davon, ich darf einmal kurz zitieren: „Die Länder haben am 19. Mai im Bundesrat eine Entschließung für eine höhere Verbindlichkeit der Früherkennungsuntersuchungen im Sinne des Kindeswohls gefasst.“ Das ist etwas anderes, als in Ihrer Überschrift steht, „Verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen“.

Wenn Sie dann noch die Aufforderungen an den Senat sehen, die in dem eigentlichen Antragsteil angeführt werden, dann steht dort im ersten Satz die Formulierung „Verbindliche Früherkennungsuntersuchungen“. Das ist für mein Verständnis weniger als das, was dann kommt, wo von verpflichtenden Früherkennungsuntersuchungen die Rede ist. Ich glaube, das ist ein Schnellschuss, den Sie hier gemacht haben, und ich fordere Sie auf, dem Anliegen, das die Grünen hier vorgetragen haben, doch nachzukommen! Schnellschüsse verbieten sich bei diesem sehr gewichtigen Thema.

Ich finde, die Überweisung in die betreffenden Ausschüsse, die Anhörungen und die Beschäftigung mit diesem Thema sind doch viel wichtiger, als hier jetzt einem schnellen Aktionismus zu folgen, den hier soeben Herr Lemke und, ich glaube, auch Herr Bartels von der CDU-Fraktion gemacht haben. Ich finde es richtig, das Anliegen gründlich zu diskutieren und dann zu Aussagen zu kommen, und ich werde mich auch entsprechend bei der Abstimmung gleich verhalten. Ich würde einer Überweisung zustimmen. Verpflichtende Früherkennungsuntersuchungen würde ich so ad hoc und auf die Schnelle nicht mitmachen wollen.

Bei der Formulierung „Kinder-TÜV“ sträuben sich mir die Haare. Das kann es nicht sein. Kinder sind keine Sache, die wir mit dem Auto vergleichen können, das regelmäßig zum TÜV gebracht werden muss.

(Abg. Frau W a n g e n h e i m [SPD]: Aber viele pflegen ihr Auto besser als ihr Kind!)

Das ist etwas gänzlich anderes. Also, wenn hier vom Kinder-TÜV die Rede ist, muss ich sagen, Vorsicht, das ist ein Menschenbild, das eigentlich nicht das sein kann, welches wir hier im Hause vertreten und welches ich als FDP-Vertreter auch nicht teile!

Wenn hier auf das Versagen einzelner Eltern oder Erziehungsberechtigter hingewiesen wird, kann man aus diesem Versagen heraus doch nicht eine Verpflichtung für alle anderen machen, die ganz normal und ordentlich mit ihren Kindern umgehen. Es geht ja nicht um die Mehrheit, sondern es ist doch eine Minderheit. Da muss man sehr vorsichtig sein, wenn man hier staatliches Handeln dominieren lässt. Das ist eine sehr tief gehende Diskussion.

Das andere ist auch schon gesagt worden, die Scheinsicherheit, die hiermit erzeugt wird. Es ist klar,

dass Verbote und Gebote zwangsläufig zu Sanktionsmaßnahmen führen müssen. Was machen Sie denn, wenn hier Verweigerungen stattfinden, wenn Eltern die Verpflichtungen ignorieren? Bei der Schulpflicht kennen wir das. Da gibt es eine Pflicht, ja und? Es gibt trotzdem Schulschwänzer, und wir haben dann als Staat die Aufgabe, damit umzugehen. Da wird nur eine Scheinsicherheit erzeugt, über die wir auch nachzudenken haben.

Ich bin als ehemaliger Datenschützer und einer, der von der liberalen Partei kommt, sehr sensibel, wenn es darum geht, Datenschutzrestriktionen oder Datenschutzschranken zu überwinden oder zu zerschlagen. Selbst wenn Sie eine einfache Adresse aus einem Sachzusammenhang heraus an jemand anderen weitergeben, übermitteln Sie natürlich nicht nur die Adresse, sondern auch die gesamten Sachinformationen, die dahinter stehen. Also, das ist ein tief gehendes Datenschutzproblem, das Sie hier ebenfalls mit anstoßen. Ich kann Sie nur dringend noch einmal auffordern, den Dringlichkeitsantrag in die Ausschüsse zu überweisen, dort gründlich zu debattieren und dann hier noch einmal mit einem Bericht zurückzukommen! – Vielen Dank!

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Brumma.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich meine, wir sollten doch noch einmal genauer den Text ansehen! Wir verlangen vom Senat ein Konzept für eine Vernetzung und Kooperation verpflichtender Früherkennungsuntersuchungen. Das wollen wir haben, und ich finde, das ist genau richtig.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU – Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen])

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Ihr Antrag hat aber 3 Punkte!)

Ich denke, Sie sollten hier den Text einmal genauer lesen, und deswegen stehen wir dazu. Man kann natürlich in der Deputation nachher noch einmal diskutieren, das ist ja keine Frage, aber ich finde, wir müssen jetzt endlich ein deutliches Zeichen setzen. Wir können nicht dauernd hier herumeiern!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Bartels.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Wedler, Frau Linnert, das, was Sie hier gesagt haben, ist weder Fisch noch Fleisch. Fangen Sie doch an, über diese Thematik zu diskutieren! Wir tun das seit 2 Jahren. Ich erinnere mich an Debattenbeiträge von Frau Dr. Mohr-Lüllmann, die hier bereits im Jahr 2003 genau das gefordert hat.

Meine Damen und Herren, wenn wir hier jetzt nicht zu einer Entscheidung kommen, dann ist es genau die Unfähigkeit, die wir nicht brauchen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Ich plädiere deshalb dringend dafür, dass wir diese Entscheidung hier heute treffen. Wir sind dazu bereit. Wir haben das ausdiskutiert, aber wir sind natürlich bereit, und ich schließe mich da Herrn Brumma an, das in der Deputation weiter fachlich zu beraten, wie es dann in der Ausgestaltung ist.