Protocol of the Session on October 12, 2006

(Abg. D r. S c h u s t e r [SPD]: Wie viel verschwenden wir? Wie viel? Nennen Sie einmal Zahlen! Sie nennen keine Zahlen!)

Hier bin ich der Meinung – –. Herr Dr. Schuster, wenn Sie etwas zu sagen haben, dann kommen Sie nach vorn, aber rufen Sie nicht so unqualifiziert dazwischen!

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie hetzen doch nur, Sie können Ihre Zahlen doch gar nicht belegen! – Zuru- fe des Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen])

Herr Präsident! Ist das demokratisch? Und dann wundern Sie sich noch, wenn ich sogenannte Demokraten sage!

Ich sehe es nicht ein, und ich sage es Ihnen noch einmal in aller Deutlichkeit, für ausländische Kinder sind die jeweiligen Staatsregierungen verantwortlich und nicht der deutsche Steuerzahler, das muss hier einmal deutlich genannt werden.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Zahlen die keine Steuern?)

Herr Schmidtmann, Sie brauchen sich für meine Rede hier nicht zu schämen. Schämen sollten Sie sich für Ihre Politik in der Vergangenheit und die zukünftige schändlich betriebene Politik vom Bündnis 90/ Die Grünen. Das wäre richtiger und zweckmäßiger,

als sich für meine Rede schämen zu wollen, dafür brauchen Sie sich mit Sicherheit nicht zu schämen!

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/ Die Grünen]: Doch!)

Schämen sollten Sie sich für Ihre Politik!

(Abg. B a r t e l s [CDU]: Wir schämen uns für Ihre Politik!)

Als nächste Rednerin erhält das Wort Staatsrätin Dr. Weihrauch.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wissen alle, dass ich derzeit sehr intensiv mit dem schrecklichen Fall des kleinen Kevin befasst bin. Es gibt zwar keinen ganz unmittelbaren Zusammenhang der Thematik, die wir jetzt hier heute diskutieren, mit dieser Thematik, aber ich denke, es gibt doch sehr viele Berührungspunkte, und zwar vornehmlich zu der Frage, wie unsere Gesellschaft mit Kindern in ungünstigen und gefährdenden Situationen umgeht. Insofern ist es mir einfach ein Bedürfnis, diesen Zusammenhang hier auch anzusprechen.

Die zentrale Frage aller politischen Diskussionen, die wir im Zusammenhang mit Kinderarmut führen, muss letztlich dazu führen, dass wir Ergebnisse finden, wie Kinderarmut vermieden und verringert werden kann. Wir wissen alle, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, weniger Chancen haben, ihre Potenziale wirklich zu entfalten, und wir wissen alle, dass mit Armut in Kinderjahren die Grundlage für eine schlechtere Gesundheit und vor allem auch für Arbeitslosigkeit und für Niedrigeinkommen im Erwachsenenalter geschaffen wird. Insofern legen wir mit der Kinderarmut letzten Endes die Grundlagen für eine schwierige Situation auch in der Zukunft, das müssen wir uns immer wieder klarmachen.

Wenn wir über Kinderarmut debattieren, dann müssen wir uns auch darüber klar werden, dass sehr viele gesellschaftliche Bereiche und damit auch viele Politikbereiche betroffen sind. Es gibt eigentlich keinen, der davon ausgenommen ist. Die gesellschaftlichen Bedingungen, die zu einer Armut beitragen, liegen in einer gesamtgesellschaftlichen Dynamik, in der wir uns derzeit befinden und von der wir alle betroffen sind.

Welches sind die konkreten Fragen, die wir uns stellen? Ich beginne ganz bewusst mit der Frage nach der Definition von Kinderarmut und der Datenfrage. Wir alle wissen, dass wir eine sehr unbefriegigende Datenlage haben, in Deutschland sicherlich schlechter als in vielen anderen europäischen Ländern. Wir müssen erreichen, dass wir zu standardisierten und vergleichbaren Daten kommen, weil wir nur dann die Dinge, die wir feststellen, auch vergleichen können

mit anderen Gesellschaftsbereichen und anderen Ländern.

Ich begrüße deswegen in diesem Zusammenhang ausdrücklich, dass die EU derzeit dabei ist, einen Satz umfassender und vor allem vergleichbarer Indikatoren der Armut und von sozialer Ausgrenzung von Kindern zu entwickeln. Das umfasst zum Beispiel wirtschaftliche Indikatoren auf der Ebene der Haushalte und Kinder, das umfasst Indikatoren zur Messung der Beteiligung an der Gesellschaft, etwas, was man vielleicht gar nicht primär mit Armut in Zusammenhang bringt, was aber einen engen Zusammenhang hat. Es umfasst Indikatoren in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Familienbeziehungen, Wohnsituation, soziale Beziehungen, Freizeit und Erholung, zivilgesellschaftliche Aktivitäten, Mobilität und Zugang zu den Dienstleistungen.

Welche Kinder sind betroffen? Wir bringen die Frage von Armut regelmäßig in den Zusammenhang mit den Haushaltseinkommen und mit der Frage der Sozialhilfebezieher, aber welche Kinder in welchen sozialen Zusammenhängen sind tatsächlich betroffen? Wir wissen, dass es Kinder von alleinerziehenden Eltern sind, es sind Kinder aus Großfamilien, es sind häufig Kinder junger Eltern, Kinder aus Migrantenfamilien, es sind natürlich Kinder, deren Eltern arbeitslos oder geringfügig beschäftigt sind, aber auch Kinder aus Familien mit einem behinderten oder chronisch kranken Haushaltsmitglied.

Wir sind im Moment in unserem Ressort dabei, die Daten aufzubereiten. Wir müssen vor allem versuchen, dass wir noch besser stadtteilbezogen die Daten von Haushaltseinkommen, Bildung und Gesundheit zusammenführen können. Es gibt in all diesen Bereichen Gesundheitsberichterstattungssysteme, aber sie werden nicht aufeinandergelegt. Das müssen wir noch besser versuchen.

(Beifall bei der SPD)

Über die spezifische Situation in einer Stadt hinaus ist aber auch verallgemeinerbar, dass Kinder, die in Armut aufwachsen, ungünstigere Entwicklungsbedingungen haben. Wir wissen auch, dass, je länger und je häufiger die Niedrigeinkommensperioden sind, die Armut desto gravierender ist, und je jünger die Kinder sind, um so nachteiliger wird sich die Armut auch auswirken, und zwar langfristig bezogen auf diese betroffenen Kinder.

Ich möchte noch etwas zu den konkreten Auswirkungen sagen, die ich sehe. Wir wissen, dass Gesundheitsprobleme der Eltern – und in diesem Zusammenhang auch mangelnde Aufklärung und Hemmnisse des Zugangs zum Gesundheitssystem bei den Eltern – starke Auswirkungen auf die Kinder haben. Das ist eben schon angesprochen worden, arme Kinder haben auch eine schlechtere Gesundheit. Ich will nur als Stichwort Fehlernährung nennen, vor allem ist dies

Übergewicht, Bewegungsmangel und daraus resultierende Störungen.

Wir wissen auch, dass die Kinder aus armen Familien bei den Einschulungsuntersuchungen besonders häufig Koordinationsstörungen und Konzentrationsstörungen aufweisen, schon im Alter von fünf oder sechs Jahren. Armut und soziale Ausgrenzung der Eltern sind äußerst hinderlich für die kognitive Entwicklung und die schulische Bildung von Kindern. Pisa hat entsprechende Ergebnisse sehr deutlich gezeigt, das möchte ich jetzt nicht weiter ausführen. Armut bedroht auch das psychosoziale Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen.

Welches sind unsere Ziele? Die Ziele sind im Prinzip klar. Wir müssen versuchen, Armut und soziale Ausgrenzung zu vermeiden, und wir müssen vor allem vermeiden, und das ist etwas, was ich vorhin im Hinblick auf die Zukunftsentwicklung angesprochen habe, dass Armut von Generation zu Generation vererbt wird.

(Beifall bei der SPD)

Das werden wir nur durchbrechen, wenn Kinder aus armen Familien gleiche Chancen haben wie Kinder aus bessergestellten Familien. Wir werden uns letztlich auf drei Strategien im Wesentlichen konzentrieren müssen. Wir müssen erstens zu Strategien kommen, die eine Erhöhung der finanziellen Ressourcen der betroffenen Familien haben, und natürlich spielt hier die Sicherstellung von Erwerbstätigkeit und Arbeitsplätzen eine ganz wichtige Rolle, aber auch direkte Sozialtransfers. Wir müssen zweitens Strategien zur Verringerung der Ausgaben von Familien etablieren, etwa indem Kinderbetreuungsplätze anders und stärker finanziert werden.

Wir müssen angemessenen und preiswerten Wohnraum zur Verfügung stellen und natürlich darauf achten, dass wir auch zukünftig Gesundheitsleistungen für alle verfügbar machen, unabhängig davon, wie dick das Portemonnaie des Einzelnen ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen außerdem Strategien entwickeln, die auf die Prävention und das Wohlergehen der Kinder ausgerichtet sind. Wir müssen integrative Bildung gewährleisten, Stärkung der Handlungskompetenz der lokalen Netze, Stärkung der Familien und die Entwicklung von Diensten zum Kinderschutz.

Wir werden uns also gemeinsam darüber verständigen müssen, wie wir ganz konkret Maßnahmen zur Verringerung und Vermeidung von Kinderarmut erreichen können, und wir werden uns über die Möglichkeiten verständigen müssen, die sich uns bieten, um die Folgen, die ich eben genannt habe, zu verringern.

Ich will nur wenige Schlagworte nennen, die man programmatisch entwickeln muss. Ich will auch an erster Stelle noch einmal die Datenlage nennen, weil wir bei den knappen Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, sehr viel zielgenauer arbeiten müssen, als wir es sicher in der Vergangenheit getan haben. Zielgenau heißt, dass wir die Betreuungsleistungen und die Leistungen, die wir erbringen können, sehr viel stärker an den tatsächlichen Bedürfnissen der konkret betroffenen Bildungsgruppen orientieren.

Die anderen Punkte sind aber auch genannt worden: Arbeitsplätze und Erwerbstätigkeit sind Punkte, natürlich Transferleistungen, die werden wir nach wie vor diskutieren müssen, die Kinderbetreuungszeiten und auch die Platzquantitäten verbessern und ausbauen! Der Zugang zu Bildung ist ein zentrales Thema, aber auch die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben, kulturelle, sportliche, Freizeitveranstaltungen. Den Wohnraum habe ich angesprochen, der Zugang zu Gesundheitsdiensten und anderen sozialen Diensten und die Stärkung der Handlungskompetenz der Kinder sind von mir genannt worden.

Ich glaube, dass es entscheidend sein wird, stadtteilbezogen zu arbeiten. Das Land Bremen hat die große Chance, dass mit den zwei Städten wirklich in einem relativ konkreten Rahmen solche Programme entwickelt werden können. Wir brauchen Stadtteilentwicklungsprogramme und Netzwerkbildungen, Foren, die sich mit diesen Fragen befassen. Ich will auch das Programm „WiN“ in diesem Zusammenhang ausdrücklich nennen, das Programm „Die soziale Stadt“, und ich bin sehr froh darüber und begrüße es sehr, dass im nächsten Halbjahr verschiedene Veranstaltungen geplant sind.

Ich hoffe sehr, dass wir in diesen Veranstaltungen sehr konkret diskutieren werden und dass wir aus diesen Veranstaltungen auch Erkenntnisse hinaustragen, wie wir am Ende zu einer konzertierten Programmatik in Bremen kommen. Wir als Ressort sind jedenfalls sehr daran interessiert und werden daran intensiv mitarbeiten. – Danke schön!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Aussprache geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 16/1146, auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Kenntnis.

Ich darf jetzt noch auf der Besuchertribüne recht herzlich Mitglieder des Schulprojekts „Highschool of Sea“ des Alfred-Wegener-Instituts mit der Geschwister-Scholl-Schule aus Bremerhaven begrüßen.

Seien Sie ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten vereinbart, heute um 12.30 Uhr mit der Mittagspause zu beginnen. Es ist jetzt vor 12.21 Uhr. Wenn Sie damit einverstanden sind, rufe ich keinen weiteren Tagesordnungspunkt mehr auf, denn der nächste Tagesordnungspunkt wäre die Geschäftsordnungsdebatte. Das würden wir nicht mehr schaffen. Deswegen schlage ich Ihnen vor, dass wir jetzt in die Mittagspause eintreten.

Ich sehe Ihr Einverständnis.

Ich unterbreche die Sitzung der Bürgerschaft (Land- tag) und bitte Sie, um 14.30 Uhr wieder pünktlich zu erscheinen.

(Unterbrechung der Sitzung 12.21 Uhr)

Präsident Weber eröffnet die Sitzung wieder um 14.30 Uhr.

Ich eröffne die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine Besuchergruppe der CDU-Fraktion und eine Besuchergruppe der SPD-Fraktion sowie eine Besuchergruppe der Arbeiterwohlfahrt aus Kattenturm.

Seien Sie alle ganz herzlich willkommen!