Protocol of the Session on October 12, 2006

Wir müssen uns auch dazu bekennen: Jeder, der acht Stunden arbeitet, muss davon leben können. Wenn er freiwillig meint, er muss nur vier Stunden arbeiten und kann davon nicht leben, dann ist das ein anderes Problem. Wer aber acht Stunden arbeitet, der muss davon leben können, und zwar auch mit seiner Familie. Für solche Löhne müssen wir sorgen.

Ich glaube, wir müssen sehr vielschichtig in den Reaktionen sein, und man kann jetzt keineswegs, obwohl das eine wichtige Voraussetzung ist, alles nur auf die Bundesebene schieben. Aber wie der DPWV es sagt, wir brauchen eine Anhebung der Regelleistung für ALG II. Wir haben es hier nicht mit Armutsresistenz zu tun. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband schlägt eine zwanzigprozentige Erhöhung vor. Das finde ich vollkommen richtig, denn nur dann schafft man grundlegende materielle Voraussetzungen, um so etwas wie Teilhabe wirklich zu gewährleisten, insbesondere auch für Kinder.

Es ist wichtig, dass wir stärker an das Arbeitslosenproblem herangehen. Wir haben in Bremen dazu vielfältige Maßnahmen ergriffen, aber die Möglichkeiten einer Kommune und eines Landes sind leider begrenzt. Das hängt in vielen Bereichen natürlich von der Bundeskonjunktur und von konjunkturellen Entwicklungen ab, die man, wenn man sie beeinflussen kann, eher auf Bundesebene oder gar auf europäischer Ebene beeinflussen kann. Das sind zwei Aspekte, zu denen man sagen muss, das ist eine ganz klare Bundesaufgabe.

Allerdings, und da hat Herr Bartels, finde ich, viel Gutes gesagt, beispielsweise zur Kinderbetreuung, dass man versucht, Kintertagesstätten auf Familienzentren auszuweiten, zumindest in einzelnen Bereichen. Wir müssen uns die Frage stellen: Was können wir in Bremen leisten? Auch da, das kann man nicht hinten herunterfallen lassen, müssen wir uns aufgrund unserer eigenen Widersprüche – ich will jetzt nicht das Schwarzer-Peter-Spiel machen, die CDU ist böse, und die SPD hätte alles gut gemacht und die Grünen schon gar, nicht, dass es noch kommt, dass sie es noch besser gemacht hätten – der Frage stellen: Was können wir hier tun?

Ein ganz wesentlicher Punkt ist Kinderbetreuung, und zwar im umfassenderen Sinn von Bildungsprozessen, darauf will ich aber hier gar nicht hinaus, ich will aber darauf hinweisen, dass wir im Moment ein Kinderbetreuungssystem haben, das sehr stark Familie und Beruf in den Mittelpunkt stellt. Armutsprozesse finden sich häufig bei Personen, die leider nicht im Beruf stehen, das ist ja der Grund, warum sie arm

sind. Wir müssen hier entsprechend umschichten, und jeder, der sich damit beschäftigt, weiß, wie viel Geld das kostet.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir müssen dazu kommen, nicht nur davon zu reden, sondern auch die Gelder bereitzustellen! Das ist ein ganz wesentlicher Teil, und ich erinnere nur an Debatten, an denen auch unsere Politiker teilweise beteiligt waren, die wir vor anderthalb Jahren hatten, als es ganz locker hieß, auch die Handelskammer hatte sich da hervorgetan, im Sozialhaushalt können wir auf jeden Fall 90 Millionen einsparen.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Genau! Aber locker!)

Genau, locker! Dann ging das Feilschen los, sind es nun 45 Millionen oder weniger, am Ende hat man sich über den Daumen auf 20 Millionen geeinigt und ein Jahr später, Gott sei Dank, realisiert, dass das doch wohl alles unrealistisch war.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Erst einmal ordentlich Stimmung machen!)

Genau, aber die Stimmung wurde gemacht! Da müssen wir herankommen, wir müssen auch die Konsequenz ziehen, dass es Geld kostet, wenn man Armut wirklich bekämpfen will.

Oder die WiN-Programme! Sie zeigen, weil Sie gerade in den Stadtteilen die Menschen mobilisieren und damit auch soziale Problemlagen in den Stadtteilen richtig beheben, dass man diese weniger abbauen und kürzen darf, sondern dass man sie eher ausbauen muss und schauen muss, mit welchen Maßnahmen man da noch Weiteres machen kann.

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch ein richtiger Skandal, dass es in einer Stadt wie Bremen möglich ist, dass es in Gebieten, die wir problematische Wohngebiete nennen, Eigeninitiativen gibt, die Kindern, die kein Geld haben, Fahrradtouren anbieten, dass aber die Fahrradtouren letztlich daran scheitern, dass die paar Groschen nicht da sind, um die Fahrräder zu leihen, weil diese Kinder häufig kein Fahrrad haben!

(Beifall bei der SPD)

Dass es dann nirgendwo in dieser Stadt Gelder gibt, dass man so etwas machen kann, Selbsthilfe in diese Richtung zu unterstützen, um eben eine Teilhabe zu gewährleisten, daran müssen wir kräftig arbeiten.

Das ist eine richtige Aufforderung für die kommenden Haushaltsaufstellungen, die Haushaltsstruktur so zu verändern, dass diese Prozesse auch möglich sind.

Ähnlich geht es im Bereich Bildung zu. Da sind wir gemeinsam auf dem Weg, Ganztagsschulen, die eine ganz wesentliche Funktion in diesem Bereich erfüllen können, auszubauen. Dies muss verstärkt fortgesetzt werden. Wir wissen alle, wie viel Geld das kostet und wie schwierig es ist, aber wir müssen diesen Weg fortführen, wir müssen ihn trotz der Haushaltsnotlage, in der wir uns befinden, verstärkt fortführen und dafür entsprechend Gelder freisetzen.

Ich bin hoffnungsvoll, dass diese Debatte – Herr Perschau hatte ja auch gestern betont, dass Sie das C in Ihrem Parteinamen sehr ernst nehmen – ein Ausgangspunkt ist für eine sicherlich in vielen Punkten noch zu differenzierende Debatte über dieses Thema. Der Debatte müssen dann allerdings auch sehr schnell weitere Handlungen folgen, weil wir, wenn wir dieses Problem nicht aufgreifen, als Stadt insgesamt verlieren. Das ist keineswegs nur ein Problem der sogenannten Armen, sondern ein Problem der gesamten Stadt, und wir wollen alles dafür tun, dass diese beiden Städte weiter lebenswert bleiben, und wir werden weiter dafür kämpfen! – Danke schön!

(Beifall bei der SPD)

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, begrüße ich auf der Besuchertribüne recht herzlich Seniorinnen und Senioren aus Bremerhaven.

Seien Sie ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Als nächster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Falls es Ihnen entgangen sein sollte, nur einmal zur Erinnerung: Ich habe am 21. Oktober 2005 einen DVU-Antrag mit der Drucksache 16/785 und der Überschrift „Kinderarmut durch gezielte Familienförderung bekämpfen“ in die Bremische Bürgerschaft (Landtag) eingebracht. Dieser DVU-Antrag enthielt unter anderem konkrete Vorschläge zur effektiven Bekämpfung der ausufernden Kinderarmut im Lande Bremen. Sie aber, meine Damen und Herren der sogenannten demokratischen Fraktionen – –.

(Glocke)

Herr Abgeordneter Tittmann, lassen Sie das jetzt einmal sein! Das ist unparlamenta

risch, es gibt nicht sogenannte demokratische Parteien, also bitte!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Tut mir leid, ich muss das so bezeichnen! Sie haben diesen Antrag also, wie alle DVU-Anträge, mit fadenscheinigen Begründungen undemokratisch abgelehnt. Heute kommt der CDUFraktion urplötzlich die Erleuchtung, und sie macht sich ein Jahr nach dem DVU-Antrag auf einmal Sorgen um die Kinderarmut im Lande Bremen und bringt leider nur eine nichts bringende große Alibi-Scheinanfrage mit der Überschrift „Kinderarmut im Lande Bremen“ ein. Meine Damen und Herren, das ist ja richtig niedlich, richtig putzig! Das aber, meine Damen und Herren, ist an Scheinheiligkeit, Unehrlichkeit und Abgebrühtheit nun wirklich nicht mehr zu überbieten.

Ich habe im Namen der Deutschen Volksunion damals schon lauthals deutlich erklärt, dass Kinderarmut kein Naturgesetz ist, sondern das Ergebnis einer verfehlten, gescheiterten, unsozialen, asozialen Familienpolitik der etablierten Parteien! Die steigende Kinderarmut, gerade im Lande Bremen, ist eine tickende Zeitbombe, und, Frau Hoch, diese Zeitbombe entschärfen Sie auch nicht, indem Sie pro forma eine lächerliche Alibi-Brotsuppe verteilt haben. Das sind klägliche Brotkrümel, die Sie da populistisch verteilt haben. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Ihre damalige rotgrüne Chaosregierung trägt doch mit ihrer unsäglichen, unsozialen Familienpolitik große Mitverantwortung, Mitschuld an der steigenden Kinderarmut in Deutschland! Die ins Uferlose steigende Kinderarmut ist ein eindeutiges Armutszeugnis der jeweiligen Regierenden, sei es ehemalig Rotgrün oder jetzt Schwarzrot.

Meine Damen und Herren, Sie schreiben in Ihrer Großen Anfrage zu Recht: „Kinderarmut wird am Haushaltseinkommen der Eltern bemessen“. Danach leben in Deutschland derzeit sage und schreibe zirka 1,2 Millionen Kinder und Jugendliche in relativ großer Armut, das heißt unter anderem, sie und ihre Eltern sind auf Sozialgeld, Arbeitslosengeld I oder Arbeitslosengeld II angewiesen. Nun frage ich Sie, Herr Dr. Schuster, nach Ihrer großspurigen, großartigen Rede, wer denn nun die unsozialen Gesetze, Hartz IV, Agenda 2010 und so weiter gemacht hat, wer denn eine unsoziale Familien- und Arbeitspolitik betreibt, wer denn Familien niederträchtig mit einer unerträglichen Arbeitsmarktpolitik rücksichtslos in die ausufernde Arbeitslosigkeit treibt! Das sind doch die jeweiligen Chaosregierungen der jeweiligen Regierenden, und sonst niemand. Sie alle sind doch durch Ihre rücksichtslose Politik erst für diese erschreckende und unverantwortliche, steigende Kinderarmut im Land Bremen verantwortlich.

Bremerhaven nimmt in Bezug auf die erschreckende Kinderarmut bundesweit, ich betone bundesweit,

einen erschreckenden, traurigen, skandalösen Spitzenplatz ein. Auch dafür sind Sie als Landespolitiker mit verantwortlich. Darum sage ich es Ihnen auch noch einmal in aller Deutlichkeit: Eine Stärkung realistischer Familienmodelle ist dringend erforderlich, außerdem flexiblere Beschäftigungsangebote, besonders für Alleinerziehende, denn dort, wo der Wiedereinstieg in den Beruf geglückt ist, hat sich auch die Lebenssituation der Kinder erheblich verbessert. Zudem müssen Familien mit Kindern bei den Sozialversicherungen spürbar entlastet werden.

Es muss endlich eine einkommensunabhängige Kinder- und Familienförderung erfolgen. Das heißt unter anderem mehr Kindergeld für deutsche Familien, denn es ist ein Skandal sondergleichen, dass zirka 3 Milliarden Euro Kindergeld im Jahr für ausländische Kinder, die sogar zum Teil im Ausland leben, bezahlt werden.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Sollen die verhungern, oder was? Ist das die Politik?)

Es werden nach Aussage des Bundes der Steuerzahler, die sie ja leider nicht so ernst nehmen, jedes Jahr sage und schreibe 30 Milliarden Euro hart erarbeiteter Steuergelder verschwendet oder, besser gesagt, schamlos verprasst.

(Glocke)

Die Milliarden Euro von Steuergeldern, die für wohltätige – –.

Herr Abgeordneter Tittmann, wenn Sie das auf die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger beziehen, dann ist das Rassenhass, den Sie hier machen!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn Sie das noch einmal tun, Herr Abgeordneter Tittmann, entziehe ich Ihnen das Wort! Ich dulde es nicht, dass Sie jedes Mal in Ihrer Rede Ausländerhetze betreiben.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Ja, ist ja gut!)

Wie bitte? Sie haben sich den Äußerungen des Präsidenten nicht noch einmal mit Wortmeldung zu widersetzen! Das ist die letzte Warnung, Herr Abgeordneter Tittmann!

Meine Damen und Herren, aus zeitlichen Gründen kann ich gar nicht alles auf

zählen, und ich darf es auch gar nicht hier aufzählen.

(Zuruf von der CDU: Gott sei Dank!)

Tatsache ist, dass unsere Bürgerinnen und Bürger für solche eben genannten steigenden Auslandszahlungen, Fremdlasten und unerträgliche und unsoziale Steuererhöhungen immer rücksichtsloser und brutaler abgezockt werden, während mitten in Deutschland Kinder hungern oder sogar verhungern müssen und die Kinderarmut durch eine unverantwortliche Regierungspolitik ins Unermessliche ansteigt.

Meine Damen und Herren, aber für die wichtige Bekämpfung von Kinderarmut in Deutschland ist angeblich kein Geld da! Dabei habe ich schon in unendlichen Redebeiträgen

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: Unerträglichen, ja!)