Protocol of the Session on September 13, 2006

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Röpke.

Gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort, Drucksache 16/1095, auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Ich gehe davon aus, Frau Senatorin Röpke, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der SPD nicht mündlich wiederholen möchten.

Auf die Antwort des Senats auf Große Anfragen folgt eine Aussprache, wenn dies Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen. – Das ist der Fall.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Karl Uwe Oppermann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Auch wenn Bürgermeister Röwekamp jetzt schon gegangen ist, ich bin außerordentlich dankbar, dass er die eben geführte Debatte wieder in einen sachlichen Zusammenhang gebracht hat. Ich bin auch glücklich darüber, dass wir jetzt im Anschluss über Selbsthilfe debattieren, denn das hängt ein bisschen zusammen. Selbsthilfe, in der Antwort haben Sie gelesen, es gibt mehr als 600 offizielle Gruppen in dieser Stadt und diesem Land. Daneben gibt es noch ganz viele Gruppen, die sich nicht irgendwo angemeldet haben, die ganz allein für sich ihr Problem und das Problem in ihrer Gruppe bewältigen. Wenn Sie annehmen, dass mindestens 15 Menschen in einer Gruppe sind – ich gehöre einer Selbsthilfegruppe an, wir sind 40 –, dann kommen Sie bei 600 Gruppen auf eine Zahl von vielen Tausend Menschen, die sich hier in Selbsthilfe in dieser Stadt engagieren, ohne dass sie das Rampenlicht suchen, meine Damen und Herren.

Das ist der Unterschied: Die Menschen, die Selbsthilfegruppen leiten oder in Selbsthilfegruppen tätig sind, gehen nicht ins Rampenlicht, sie wollen nicht so sehr auf sich aufmerksam machen, weil sie mit ihrem Problem beschäftigt sind, das sie für sich allein lösen wollen. Selbst wenn sie sich auf dem Markt der Möglichkeiten vorstellen, so machen sie ihren Beraterstand oder letztes Mal hier oben im Festsaal in relativer Bescheidenheit, meine Damen und Herren.

Aber dem System der Selbsthilfe, den Frauen und Männern, die sich hier für die Lösung ihres Problems und dem ihrer betroffenen Mitbürger einsetzen, ich denke, denen gebührt genauso wie dem Sport die Anerkennung dieses Hohen Hauses.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

In der Vorbemerkung lobt der Senat die Selbsthilfe ausdrücklich. Die CDU-Fraktion begrüßt dieses Lob und schließt sich dem an. Selbsthilfe und bürgerliches Engagement sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Bürgerschaftliches Engagement ist darauf gerichtet, primär anderen zu helfen, etwas zu verändern in dieser Stadt. Mit Selbsthilfe, das ist auch schon im Namen Selbsthilfe verankert, will ich mir selbst und den Menschen helfen, die das gleiche Problem haben wie ich, und ich will andere, die in diese Notlage kommen, an den Erfahrungen, die ich oder meine Gruppe schon gemacht hat, partizipieren lassen, teilhaben lassen, dass sie vielleicht nicht in so ein großes Loch fallen wie in das, in das manch einer, der sich einer Selbsthilfegruppe anschließen musste, schon gefallen ist.

Die Ergebnisse solcher Selbsthilfegruppen dürfen nicht verloren gehen, sie werden noch gesammelt und weitergegeben, und damit wirkt die Selbsthilfe auch ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

über den Kreis der Betroffenen hinaus. Selbsthilfe hilft also auch der Gemeinschaft, nicht nur, dass sie in erheblichem Maße Kosten einspart, auch darüber wird sehr wenig gesprochen. Ich bekenne, wir haben leider in unserer Großen Anfrage vergessen, danach zu fragen, wie das der Senat einschätzt, was durch Selbsthilfegruppen an Kosten gespart werden, aber vielleicht können Sie ja, Frau Senatorin, in Ihrer Antwort etwas dazu sagen.

Sie macht, das kann ich auch aus eigener Erfahrung sagen und habe ich gesagt, die Menschen, die Probleme haben, glücklicher, auf jeden Fall geht man, wenn man aus einer Selbsthilfegruppe zurückkommt nach Hause, zufriedener nach Hause, als man hingegangen ist, und wenn es nur ein winziges Problem ist. Ich komme in meinem zweiten Beitrag dazu, in was für einer Selbsthilfegruppe ich bin, nicht für alte Männer natürlich.

Meine Damen und Herren, Selbsthilfe wird immer notwendiger, weil sie vorhandene offizielle Organisationen entlastet und Kosten spart. Es kommen immer vielfältigere neue Dinge auf uns zu. Sie kennen doch heute Krankheitsbilder, von denen haben Sie vor ein paar Jahren noch nie etwas gehört, dass es so etwas überhaupt gibt, und auch die Menschen finden sich in Selbsthilfeorganisationen zusammen, lösen ihr Problem, belasten nicht die Krankenkasse.

Wir werden uns als Gesellschaft in Zukunft nicht mehr alles leisten können. Daneben kommen aber auch immer neue Aufgaben auf uns zu, ich sagte es gerade. Deswegen ist es gut, dass die Selbsthilfe in Bremen und Bremerhaven gut aufgestellt ist und eine lange Tradition hat. Auch die Förderung der Selbsthilfe durch die beiden Kommunen hat Tradition. Ich behaupte, das Geld, das wir für die Selbsthilfegruppen ausgeben, ist gut angelegtes Geld mit einer guten Rendite für die Gesellschaft. Der für 2007 vom Gesundheitsamt angekündigte – und er hat so einen ganz langen Namen – Gesundheitsselbsthilfebericht wird dies sicher belegen, und ich bin ganz gespannt auf diesen Bericht. Das ist übrigens der erste Bericht, der sich sehr ausführlich mit der Selbsthilfe, mit der gesundheitlichen Selbsthilfe in Bremen und Bremerhaven, auseinandersetzt. Ich bin ganz gespannt darauf, was er uns alles sagen wird.

Wenn Selbsthilfe auch etwas ganz Persönliches ist, ohne eine Struktur der Förderung geht es jedoch auch in der Selbsthilfe nicht. In der Antwort zu Frage eins finden Sie die im SGB V und SGB IX festgelegten Regeln und Vorschriften. Selbsthilfe benötigt Unterstützung, und da muss man den Wohlfahrtsverbänden dankbar sein, dass sie vielen Selbsthilfegruppen zur Seite stehen, sie betreuen, bei der Lösung des Papierkrieges behilflich sind, und das ist auch eine Anerkennung wert.

Die Bremer Krankenkassen und Ersatzkassen nehmen bundesweit eine Vorreiterrolle bei der Förde

rung der Selbsthilfegruppen ein. Allerdings werden die in dem Krankenkassengesetz vorgeschriebenen 51 Cent pro Versichertem und pro Jahr noch nicht erreicht. Ich melde mich dann gleich wieder zu Wort.

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Schuster.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In vielem kann ich mich Herrn Oppermann anschließen, deswegen will ich versuchen, es auch relativ kurz zu machen. Ich glaube, der Bericht unterstreicht in der Tat sehr prägnant die Bedeutung von Selbsthilfe für verschiedene Prozesse, gerade auch im Bereich chronisch kranker und behinderter Menschen. Das Wichtige daran ist, und da unterscheide ich mich dann ein bisschen von Herrn Oppermann, dass das staatliche Interesse daran weniger daher rührt, dass wir dadurch sogar noch Geld sparen. Das ist ein positives Abfallprodukt dieser ganzen Sache. Ein anderer Gedanke ist aber viel wichtiger: Selbsthilfe fördert richtig Heilungsprozesse, sie verbessert die Lebenslagen der Betroffenen richtig und schafft gegenseitige Unterstützung und Gemeinschaft.

Das sind Effekte, die man allein staatlich nicht erzielen könnte. Nur wenn es gelingt, die Menschen selbst zu aktivieren, werden diese Effekte eintreten. Das ist das Positive an Selbsthilfe, und deswegen müssen wir auch sehen, dass dies weiter gewahrt bleibt, weil es einfach eine bessere Problemlösung zur Folge hat. Darin begründet sich meines Erachtens auch die Notwendigkeit und die Sinnhaftigkeit, dass diese Selbsthilfe auch staatlich gefördert wird.

Auch da gibt es eine natürliche Grenze, denn Selbsthilfe kann nicht staatlich durchorganisiert werden. Es geht aber darum, die Rahmenbedingungen für Selbsthilfe so zu schaffen, dass sie effektiv erfolgen kann, und da müssen wir sehen, dass wir das in Zukunft auch weiter gewährleisten.

(Beifall bei der SPD)

Das zweite Element der Selbsthilfe hat Herr Oppermann auch angesprochen. Selbsthilfe ist gleichzeitig auch ein Element bürgerschaftlichen Engagements. Weil häufig bekannt wird, dass so etwas gut funktioniert und hilft, hat sie eben nicht nur für die direkt schon Betroffenen eine hohe Bedeutung. Sie wird häufig auch zu einer Anlaufstation für Beratung, weil man ganz einfach Vertrauen hat, wenn man Problemlagen hat, die andere auch haben und versuchen, selbst zu bewältigen. Auch das ist ein Faktor, weswegen es sinnvoll ist, dass organisierte Selbsthilfe staatlich gefördert und unterstützt wird. Dies tun wir

auch. Das zeigt die Antwort. Ich bin auch sehr gespannt auf den angekündigten Bericht.

Es zeigt sich auch, die Selbsthilfe wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verändern müssen. Ein wesentlicher Punkt ist, dass sich Problemlagen schlicht verschieben, dass in neuen Bereichen Selbsthilfegruppen entstehen werden. Das ist zumindest zu erwarten. Wir müssen fördern, dass diese Selbsthilfe entsteht.

Ich möchte hier aber noch abschließend unterstreichen, dass organisierte Selbsthilfe von staatlicher Seite nie als Ersatz für staatliche Leistungen angesehen werden darf, sondern immer nur als Ergänzung.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir dürfen nicht dazu kommen zu meinen, unsere Haushalte sind knapp, wir bekommen das sonst nicht hin, deswegen müssen wir Selbsthilfe initiieren. Selbsthilfe ist deswegen notwendig, weil sie bessere Ergebnisse bringt, aber es ist eben wie gesagt eine Ergänzung und kein Ersatz von staatlichen Leistungen. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Schmidtmann.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich spreche heute über den Antrag zur organisierten Selbsthilfe behinderter und chronisch kranker Menschen in Bremen und Bremerhaven. Meine beiden Vorredner, Herr Oppermann und Herr Dr. Schuster, haben die Große Anfrage ja schon ausreichend vorgestellt und kommentiert, so dass ich nicht weiter ausholen möchte.

Wir Grünen sind auch der Meinung, dass organisierte Selbsthilfe ein sehr wichtiger Beitrag ist, um behinderte und chronisch kranke Menschen zu unterstützen und ihnen zu helfen. Hierzu gibt es in Bremen viele unterschiedliche Träger und Vereine, weitaus mehr als die neun Vereine, die sich 2006 in der Behindertenselbsthilfe zirka 25 500 Euro teilen mussten. Herr Oppermann hat das ja schon ausgeführt, es sind weitaus mehr als 600 Vereine und Selbsthilfegruppen, die sich auch teilweise nicht in Vereinen organisiert haben, die hier tätig sind. Wir Grünen meinen auch, dass diesen Selbsthilfevereinen und -institutionen eine sehr wichtige Rolle zukommt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Diese Selbsthilfegruppen könnten Betroffenen und Angehörigen sehr gute und wichtige Informationen

vermitteln. So muss nicht jeder Einzelbetroffene wieder bei null anfangen, wenn er ein Problem hat, sondern er kann sich einer Selbsthilfegruppe anschließen – Herr Oppermann will gleich auch noch mit Beispielen aufwarten –, er muss nicht wieder bei null anfangen, sondern er ist in einer Gruppe, und da kommt mir der alte gewerkschaftliche Spruch wieder in Erinnerung: Nur in der Gruppe ist man richtig stark, und in der Gruppe fühlt man sich wohl, und in der Gruppe kann man seine Probleme auch viel besser bearbeiten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Daher begrüßen wir Grünen es sehr, dass im nächsten Jahr ein Gesundheitsselbsthilfebericht herausgegeben werden soll. Auch begrüßen wir, dass seit dem 1. Juni 2006 die Freiwilligen- und Selbsthilfearbeit durch eine Sammelhaftpflicht- und eine Sammelunfallversicherung versicherungstechnisch geschützt ist. Dies sind Schritte in die richtige Richtung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Weiter möchte ich aber auch davor warnen, dass die Selbsthilfe unsere Probleme, zum Beispiel in der Pflege von Behinderten und chronisch Kranken, lösen könnte. Herr Schuster hat das auch schon einmal angesprochen. Hier geht es darum, dass die Selbsthilfe nicht die Aufgaben übernehmen kann, die staatlichen Institutionen oder auch professionellen Organisationen zukommen. Sie kann nur begleitend wirken.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Selbsthilfe kann und soll unterstützend und auch präventiv wirken. Daher sind wir Grünen auch der Meinung, dass nicht nur die gesetzlichen Krankenkassen Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen und Kontaktstellen mit ihren Versicherungsbeiträgen unterstützen, sondern dass sich auch die privaten Kassen an diesen Aufgaben beteiligen müssen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es kann nicht so weitergehen, dass sich die privaten Krankenkassen aus dieser Verantwortung stehlen. Daher fordern wir Grünen Sie, die Große Koalition, jetzt auf Bundesebene, auf, auch diese soziale Ungerechtigkeit weiter im Auge zu behalten und bei der Gesundheitsreform mit zu berücksichtigen!

Zum Schluss möchte ich mich im Namen meiner Fraktion bei all denen bedanken, die in der Selbsthilfe für Behinderte und chronisch Kranke arbeiten. Ich möchte ihnen zurufen: Machen Sie weiter mit Ihrer Arbeit, denn die Gesellschaft braucht solche Men

schen wie Sie, wir sind auf Sie angewiesen! – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Karl Uwe Oppermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir im Jahr 420 000 Euro für die Selbsthilfegruppen zur Verfügung stellen, sowohl Gelder der Krankenkasse als auch öffentliche Gelder in Bremen und Bremerhaven. Das ist eine Zahl, die man hier durchaus auch einmal nennen sollte.