Protocol of the Session on October 8, 2003

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst bei Ihnen, meine Damen und Herren, dafür bedanken, dass Sie nicht der Versuchung erlegen sind – mit der Ausnahme eines Abgeordneten, der der weiteren Debatte das Interesse nicht schenken will –, hier im Parlament Schuldzuweisungen vorzunehmen. Ich bin skeptisch gewesen, als ich den Text der Großen Anfrage gelesen habe und dass wir hier im Parlament darüber debattieren wollen. Umso erfreuter bin ich, dass wir in eine, wie ich finde, sehr konstruktive Beratung des Sachverhalts eingestiegen sind. Ich halte auch die Schuldzuweisungen, die insbesondere Herr Tittmann hier geäußert hat, erstens nicht für sachdienlich und zweitens für falsch, weil sie suggerieren, dass eine Untersuchung ergeben könnte, dass eine Behörde oder vielleicht ein Mensch Verantwortung für das hätte, was hier tatsächlich passiert ist.

Es ist natürlich wesentlich schwieriger, Angehörigen und der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass hier nicht einzelne Menschen Fehler begangen haben, sondern dass wir einen Fehler haben im System der Abstimmung unterschiedlicher Behörden. Dabei bitte ich Sie, auch nicht unberücksichtigt zu lassen, dass es sich bei psychiatrischen Erkrankungen um schwer

erkennbare, schwer therapierbare und schwer vorhersehbare Erkrankungen handelt, die selbst Psychiater mit fundierten wissenschaftlichen Ausbildungen vor große Probleme stellen. Wir stellen das immer wieder fest.

Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich nicht in die Lage versetzt sein möchte, beruflich darüber zu entscheiden, ob jemand auf Dauer oder auf Zeit in einer geschlossenen Unterbringung sein Leben verbringen sollte. Wir dürfen dabei nämlich nicht außer Acht lassen, dass es sich hierbei um die einschneidendste Maßnahme handelt, die wir als Staat ergreifen können, nämlich jemanden auf Dauer oder auf Zeit, wie Herr Tittmann es genannt hat, wegzusperren, denn die einzige Möglichkeit, diese Straftat zu verhindern, wäre gewesen, dass vielleicht schon 1990, vielleicht im Jahr 2000, vielleicht im Jahr 2002 irgendjemand gesagt hätte, diese Frau ist im öffentlichen Gemeinwesen so gefährlich, dass wir sie auf Dauer hätten wegschließen müssen. Diese Verantwortung konnte keiner übernehmen, sie hat auch keiner übernommen, aber es ist falsch, daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass dies ein Fehler gewesen ist.

Das meint der Senat, Dr. Güldner, wenn er sagt, es sind sicherlich Abstimmungsprobleme und Fehler aufgetreten, aber jede Behörde für sich hat nach den geltenden Rechtssituationen, die wir noch einmal sehr eingehend geschildert haben, für sich richtig gehandelt. Das Problem, das wir haben, ist in der Tat das, ob man nicht bei einer größeren Informationsdichte, bei einem breiteren Informationsaustausch zwischen den einzelnen Behörden und Betroffenen hätte erkennen können, dass zum Zeitpunkt der erneuten Anzeigeerstattung bereits wieder ein psychiatrischer Hintergrund besteht und das Eingreifen anderer Behörden erforderlich gemacht hätte.

Es wäre sicherlich für alle Betroffenen leichter gewesen, wenn man in so einer Situation hätte sagen können, diese Institution oder diese Person hat sich falsch verhalten. Der Senat meint eben, dass wir, und das ist mit Organisationsverschulden in dem Sinne gemeint, nicht feststellen können, dass sich Einzelne falsch verhalten haben. Ich finde, der Senat hat auch in der gebotenen Weise reagiert, indem er unmittelbar nach Bekanntwerden der Tat eine solche gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet hat, die darüber nachdenken soll, wie solche Abstimmungsmängel in Zukunft vermieden werden können. Das hilft den Opfern in diesem Fall selbstverständlich nicht mehr.

Ich glaube auch, dass, wenn man jetzt davon ausgeht, wer eigentlich in welcher Weise betroffen ist, es eine ganze Anzahl von Betroffenen gibt. Da sind zum einen selbstverständlich die Hinterbliebenen, die zu Recht, wie ich finde, Fragen stellen. Die Fragen können auch nicht alle beantwortet werden, wie der Brief des Bürgermeisters ja auch deutlich belegt

hat. Es gibt natürlich die Leute, die in der Betreuung betroffen gewesen sind. Gehen Sie einmal davon aus, dass sich so eine Betreuerin selbstverständlich auch die Frage stellen wird, ob sie denn eigentlich alles unternommen und sich um diese Frau hinreichend gekümmert hat. Es gibt die Polizisten, die die Anzeige aufgenommen haben, die sich fragen, ob sie hätten erkennen können, dass es hier einen viel tieferen Hintergrund gibt, auch aufgrund einer Anzeigenschilderung. Es gibt auch die Polizisten, die den Notruf entgegengenommen haben und am Telefon miterleben mussten, wie das Opfer verstorben ist – auch das ist eine Frage von Betroffenheit –, die hilflos zuhören mussten, wie ein Leben beendet wurde.

Meine Damen und Herren, trotz aller dieser Betroffenheiten, die es gibt, sind Sie der Versuchung nicht erlegen zu sagen, da ist jemand verantwortlich, und da ist jemand schuldig. Ich finde, das ist der konstruktive Beitrag dieser Debatte.

Wir haben in der Arbeitsgruppe darüber nachgedacht, wie man in Zukunft eine breitere Kontrolldichte erreichen kann. Die Frage ist also, was Polizei eigentlich vor Ort wissen kann, was sie kontrollieren muss, wenn eine solche Anzeige erstattet wird. Es ist nun einmal leider so, dass in dem bisherigen Verfahren ein psychiatrischer Hintergrund für den Beamten nicht erkennbar gewesen ist. Es ist deswegen nicht erkennbar gewesen, weil er nicht am Tatort gewesen ist und sich keinen Eindruck von der Täterin verschaffen konnte, wie das bei vorherigen Verfahren der Fall gewesen ist, die dann auch eine Zwangseinweisung zur Folge gehabt haben. Hier handelt es sich um die Anzeigen eines Opfers, das angegeben hat, von einer Nachbarin bedroht und tätlich angegriffen worden zu sein. Selbst eine Abfrage in diesen gängigen Datenverarbeitungssystemen hat eben diesen psychiatrischen Hintergrund nicht ergeben.

Wir sind der Frage nachgegangen, ob das datenschutzrechtliche Hintergründe hat, was ja zumindest möglich gewesen wäre. Insoweit bin ich sehr froh, dass der Datenschutzbeauftragte zwischenzeitlich erklärt hat, dass datenschutzrechtlich nichts dagegen spricht, auch in die polizeilichen Erkenntnisse und Datenverarbeitungssysteme solche Hintergründe zu Täterprofilen und Täterhintergründen aufzunehmen, und wir werden sehr darum bemüht sein, diese Täterprofile und Hintergründe in Zukunft in diese Systeme aufzunehmen. Wir haben darüber hinaus ein ganzes Bündel von Maßnahmen besprochen, wie wir zum Beispiel auch einzelfallbezogen solche Fälle unter den Dienststellen miteinander erörtern wollen.

Ich glaube, dass das der geeignete Weg ist, um für die Zukunft die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung eines solchen bedauerlichen und tragischen Zwischenfalls zu vermeiden. Eine Sicherheit wird es im Ergebnis selbstverständlich nie geben.

Das liegt in der Vielfältigkeit der Erkrankung, das liegt in der Vielfältigkeit des Verhaltens der Erkrankten, die von einer Sekunde auf die andere von brutaler Gewalttätigkeit zu einer Normalität zurückkehren können, und es liegt auch daran, dass selbst Psychologen, Psychiater und Ärzte die Gefährlichkeit und Bedrohung, die von solchen Menschen ausgeht, nicht immer zwangsläufig und sofort und mit hundertprozentiger Treffsicherheit erkennen können.

Ich weiß, dass die Antwort des Senats und diese Debatte für die Opfer, insbesondere die Eltern des Opfers, keine befriedigende Antwort sein werden. Wir müssen uns nur untereinander sicher und auch einig sein, dass wir die notwendigen Konsequenzen aus diesem bedauerlichen Zwischenfall gezogen haben. Ich bin sehr dankbar, dass Sie im Parlament, auch in der Opposition, insoweit die Maßnahmen, die wir als Senat ergreifen wollen oder schon ergriffen haben, begrüßen und unterstützen, und hoffe, dass wir insoweit einen Beitrag gemeinsam leisten können, dass es zu einem solchen tragischen Zwischenfall nicht wieder kommt. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güldner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Vielen Dank an Senator Röwekamp für diese Reaktion, weil das genau diese Frage war, die wir uns natürlich auch, und Sie können sich vorstellen, ziemlich intensiv gestellt haben, kann man einerseits die öffentliche Verantwortung für eine solche Tat wahrnehmen, und dazu gehört natürlich auch die Debatte der Konsequenzen, ohne in eine bestimmte Schuldzuweisung und Debatte abzugleiten, und mit dieser einen Ausnahme, vielleicht sollte man das in dieses Mikrofon noch einmal sagen, die durch den Abgeordneten der DVU, Herrn Tittmann, besteht, hat auch dieses Parlament genau dies heute geschafft, das zu tun.

Lassen Sie mich trotzdem noch einige Anmerkungen zu dem machen, was gesagt worden ist, und auch zur Antwort des Senats! Dass keine ärztlichen, psychiatrischen Informationen vorlagen im Jahr 2003, die die Gefährdungssituation illustriert hätten, Herr Senator Röwekamp und liebe Kollegen, die gesprochen haben, das ist nach meinen Recherchen so nicht ganz richtig. Es gibt ein Gutachten aus dem Jahr 2001, in dem zum einen noch einmal die chronisch-paranoide Schizophrenie diagnostiziert und zum anderen auch von dauerhafter Fremdgefährdung gesprochen wird.

Die Frage ist also nicht, ob es diese Erkenntnis der dauerhaften Fremdgefährdung gegeben hat oder ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

nicht, sondern wer hat von ihr gewusst und wer hat entsprechend handeln können, und wenn entscheidende Instanzen nicht von dieser Diagnose gewusst haben, dann haben wir einen zentralen Punkt, den wir in unserem System, Sie haben ja von Systemproblemen gesprochen, Herr Senator Röwekamp, natürlich abstellen müssen. Der Datenschutzbeauftragte sagt, das sei aufgrund der geltenden Rechtslage möglich, die wir gar nicht ändern müssten. Natürlich müssen solche schwerwiegenden Informationen den entscheidenden Stellen, nicht allen natürlich, vorliegen, und das war offensichtlich nicht der Fall.

Der zweite Punkt ist die Frage nach der Einschätzung einer aktuellen Gefahrenlage, die ja nach dem PsychKG notwendig wäre, um tätig zu werden. Ich glaube schon, dass man es so hätte einschätzen können, als dieser Überfall auf das spätere Opfer 14 Tage vor der Tat war, als bereits die Tatverdächtige im Hausflur das spätere Opfer überfällt und als dieses, wie mir der das Opfer begleitende Lebensgefährte ausführlich geschildert hat, bei der Polizei all das deutlich gemacht hat, was dort in diesem Haus passiert, und als die Polizei auch aufgrund ihrer Erkenntnisse sehr wohl von einer Person gesprochen hat, die sie kennt und über die sie die entsprechenden Informationen hat, wenn nicht im ISA-System, dann doch aufgrund der Kenntnis vor Ort, dass 14 Tage vorher dann nicht eben die entscheidenden Stellen eingeschaltet worden sind, die vielleicht hätten die entsprechenden Maßnahmen der Unterbringung treffen können, die die Tat 14 Tage später hätten vermeiden können. Das war also schon eine akute Gefahrenlage, weil es keine Phase war, in der das aus heiterem Himmel passierte, sondern in der es quasi 14 Tage vorher eine Ankündigungstat gegeben hat. In der sachlichen Art, wie wir das hier tun, sollten wir darüber nachdenken, ob dieses Systemproblem nicht so gelöst werden kann.

Dann gab es an unsere Fraktion die Frage: Warum diese Anfrage, warum diese Debatte? Zum einen ist das öffentliche Interesse von Anfang an so, und ich habe das nur an einer Stelle in den letzten Monaten öffentlich gemacht, habe es aber seit dieser Tat intensiv verfolgt, mit den Angehörigen gesprochen und abgestimmt, auch in deren Interesse. Es ist offensichtlich, wenn Sie die öffentliche Berichterstattung verfolgen, auch im Interesse der Öffentlichkeit, das kann man gut verstehen. Weil jeder Bürger und jede Bürgerin in dieser Stadt und in Bremerhaven betroffen sein könnte, besteht selbstverständlich ein öffentliches Interesse an diesen Fragen, das ist überhaupt nicht zu leugnen, und ich glaube, wir haben das von Anfang an in der gebotenen Zurückhaltung und sachlichen Art getan, was Sie zu Recht einfordern.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch zwei Stellen lobend erwähnend, weil wir ja von den Vorbildern lernen müssen! Ich fand es sehr an

gemessen und begrüßenswert, dass der Polizeipräsident in einer Form von Reaktion, die nun nicht im Einsetzen einer Arbeitsgruppe und ähnlichen Dingen besteht, die auch notwendig sind, die Angehörigen eingeladen hat und, wie ich weiß, ein über Stunden gehendes, sehr intensives Gespräch geführt hat, was auf beiden Seiten sehr viel Verständnis geweckt hat. Ich glaube, das ist genau die Art und Weise, wie man auch symbolisch und atmosphärisch mit einem solchen Fall als zuständiger Leiter einer großen Einrichtung wie der Polizei damit umgehen sollte, und ich würde meine Bitte an die Gesundheitssenatorin richten, dass auch die Einrichtungen im Gesundheitsbereich vielleicht durch die politisch Verantwortlichen darauf hingewiesen werden könnten, dass dies genau der richtige Umgang ist, den der Polizeipräsident hier vorgemacht hat.

Ansonsten möchte ich noch den Datenschutzbeauftragten lobend erwähnen. Ich glaube, die Rolle des Datenschutzes in solchen Fällen ist ja ein bisschen die, dass man ihn sehr schnell zum Sündenbock macht: Man hätte ja helfen können, man hätte etwas tun können, wenn es nicht diesen blöden Datenschutz geben würde, der dann alles verhindert und im Prinzip schuld ist, dass man die Informationen nicht weitergibt. Ausgerechnet der Datenschutzbeauftragte macht in seiner Stellungnahme deutlich, und zwar sehr, sehr deutlich, dass es eben nicht die Datenschutzregelungen waren, die hier die entscheidenden Schritte der Behörden verhindert haben, sondern dass man diesen Informationsaustausch, der notwendig gewesen wäre, aufgrund der geltenden Datenschutzbestimmungen hätte einleiten können. Machen Sie also nicht den Datenschutz zum Sündenbock, er ist hier nicht der entscheidende anzusprechende Bereich, sondern ziehen wir die entsprechenden Konsequenzen daraus!

Ich mache noch einmal den Vorschlag, dass wir uns gemeinsam mit den Fachleuten in der Verwaltung darüber verständigen können, ob wir nicht über einen gemeinsamen Antrag der drei Fraktionen hier im Haus die wesentlichen Punkte, in denen wir, glaube ich, Konsens haben, einbringen können, um auch deutlich nach außen zu zeigen, dass wir versuchen, einer Gefährdung der Bürgerinnen und Bürger auf diesem Wege Einhalt zu gebieten. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksachen-Nummer 16/48, auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kenntnis.

Siebter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Siebter Rundfunkänderungs- staatsvertrag)

Mitteilung des Senats vom 9. September 2003

(Drucksache 16/33)

Die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Hier ist Überweisung zur Beratung und zur Berichterstattung an den Ausschuss für Informationsund Kommunikationstechnologie und Medienangelegenheiten vorgesehen.

Wer der Überweisung des Siebten Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge mit der Drucksachen-Nummer 16/33 zur Beratung und Berichterstattung an den Ausschuss für Informations- und Kommunikationstechnologie und Medienangelegenheiten seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend.

(Einstimmig)

Gesetz zur Änderung des Bremischen Besoldungsgesetzes

Mitteilung des Senats vom 8. Juli 2003 (Drucksache 16/15) 2. Lesung

Die Bürgerschaft (Landtag) hat den Gesetzentwurf des Senats in ihrer vierten Sitzung am 10. September 2003 in erster Lesung beschlossen.

Wir kommen zur zweiten Lesung.

Die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer das Gesetz zur Änderung des Bremischen Besoldungsgesetzes, Drucksache 16/15, in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in zweiter Lesung.