Protocol of the Session on December 15, 2005

Der Ausschuss hat nun ein Jahr lang getagt. Wir haben zu Beginn des Ausschusses Stellungnahmen des Senats eingeholt, der verschiedenen Ressorts, die sich mit dem Gesetzentwurf befasst haben. Wir haben aber auch im Ausschuss öffentliche Anhörungen durchgeführt. Dazu haben wir Vertreter anderer Kommunen eingeladen, insbesondere aus Baden-Württemberg, aus Niedersachsen und Hessen. Diese Vertreter haben uns berichtet, wie in ihren Ländern insbesondere Kommunalwahlen stattfinden, welche Ergebnisse sie dort erzielen, insbesondere was Wahlbeteiligung angeht und wie weit die Menschen von der Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens Gebrauch machen und wie die Zufriedenheit mit diesem Wahlrecht ist.

Wir haben uns aber auch angeschaut, wie die Wahlsysteme und das Wahlrecht in anderen Bundesländern funktionieren. Dazu haben wir uns als Vergleich Vertreter aus Bayern und aus Berlin eingeladen. Ein besonderer Punkt war damals sicherlich auch in der Anhörung, inwieweit gerade bei größeren Städten vom Kumulieren und Panaschieren Gebrauch gemacht wird, also Städten in Größenordnungen von Bremen und Bremerhaven.

Es gilt allerdings nicht nur zu prüfen, inwieweit es politisch sinnvoll ist, das Wahlrecht zu novellieren, sondern wir haben natürlich auch betrachtet, inwieweit es überhaupt rechtlich möglich ist, dass wir das Bremer Wahlgesetz an andere Verhältnisse anpassen. Dazu haben wir zwei Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Prämisse war dabei einvernehmlich zwischen allen Fraktionen und Herrn Wedler, der ebenfalls in diesem Ausschuss vertreten war, dass wir nicht die Bremische Landesverfassung ändern wollen, dass wir also gerade für die Stadt Bremen nicht die Realunion zwischen Stadt und Land aufheben wollen.

Diese verfassungsrechtlichen Gutachten kamen zum Ergebnis, dass es insbesondere bezüglich der Einführung von Wahlkreisen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gab. Diese ergeben sich zum einen aus Artikel 75 Absatz 1 Landesverfassung, wonach nach einer Meinung des Gutachters die Einführung von Wahlkreisen rechtlich ausgeschlossen ist,

da die Verfassung schon eine Systementscheidung zur Einrichtung von Wahlbereichen getroffen hat, es dem einfachen Gesetzgeber damit nicht mehr möglich ist, darüber hinaus auch Wahlkreise einzuführen. Da es neben diesen rechtlichen Problemen schon in der Landesverfassung selbst verankert ist, stellt sich die Frage der Überhangmandate, inwieweit das Verhältnis zwischen Bremen und Bremerhaven ausgewogen bleiben kann und nicht die Bremerhavener Wähler indirekt Einfluss auf die Zusammensetzung einer anderen Gebietskörperschaft, nämlich der Stadtgemeinde Bremen, nehmen können.

Darüber hinaus gibt es ein weiteres Problem in Verbindung mit der Fünfprozentklausel, die bei uns in der Verfassung festgeschrieben ist. Ein ganz besonders großes rechtliches Problem, das wir hier in der Stadt beziehungsweise im Land Bremen haben, ist die Wahl der ausländischen Unionsbürger, die zwar ein Wahlrecht für die kommunale Vertretung haben und dort sowohl aktiv wählen als auch passiv gewählt werden können, aber eben kein Wahlrecht für den Landtag haben. Das in einem Wahlrecht zu vereinbaren stellte vor erhebliche verfassungsrechtliche Probleme, so dass der eine Gutachter zu der Auffassung kam, dass es verfassungsrechtlich nicht möglich ist, Wahlkreise einzuführen. Der andere Gutachter sah erhebliche Bedenken, sah aber eine Möglichkeit, diese zu überwinden.

Die Fraktionen der SPD und der CDU haben sich in ihrer Auffassung den verfassungsrechtlichen Bedenken angeschlossen und sehen keine Möglichkeit, Wahlkreise einzuführen. Bündnis 90/Die Grünen und auch der Abgeordnete Wedler sahen dies anders und sahen eine Möglichkeit, trotz dieser verfassungsrechtlichen Bedenken Wahlkreise einzuführen.

Neben den rechtlichen Fragen, die der Ausschuss beantworten musste, ging es allerdings auch um die politische Bedeutung von Wahlkreisen, insbesondere ob die von „Mehr Demokratie e. V.“ angeführten Ziele wirklich mit einer Einführung von Wahlkreisen möglich sind. Die Koalition zwischen SPD und CDU sah den Nutzen und auch den politischen Gewinn für Wählerinnen und Wähler durch die Einführung von Wahlkreisen nicht, denn es wird nicht mehr Bürgernähe erreicht, da die Wahlkreise sehr groß sein werden und daher auch relativ wenig persönliche Nähe zwischen Abgeordneten und Wahlkreis stattfinden wird. Dies liegt insbesondere auch an der Fünfprozentklausel, denn durch die Fünfprozentklausel können gerade nicht Einzelbewerber oder Wählervereinigungen ins Parlament einziehen, sondern es bleibt weiter dabei, dass eine Partei über fünf Prozent im Land beziehungsweise in dem Wahlbereich bekommen muss, um ins Parlament einzuziehen. Diesem Argument hat sich auch Bündnis 90/Die Grünen angeschlossen.

Im Ausschuss wurde auch diskutiert, dass natürlich die Einführung von Wahlkreisen dazu führen wird, dass man dann etwas mehr „Kirchturmpolitik“

machen wird, also schaut, wie es in einem einzelnen Kreis aussieht, und nicht mehr insgesamt, wie es im Land aussehen wird. Die Wahlkreise würden auch nicht, wie wir es gewohnt sind, in den Beiratsgrenzen liegen, sondern es würden größere Gebilde entstehen, die nichts mehr mit den örtlichen Verhältnissen zu tun haben, sondern völlig neu gewürfelt durch die Stadtteilgrenzen neu gebildet werden würden. In Bremerhaven würden zwei Wahlkreise gebildet werden, die nichts mit den natürlichen Grenzen zu tun haben. Auch hier in Bremen wären völlig neue Gebilde entstanden. Aus diesen Gründen war mehrheitlich der Ausschuss der Auffassung, dass Wahlkreise für das Land Bremen keinen Sinn machen.

Wir haben uns dann des Weiteren sehr intensiv mit dem Bereich Kumulieren und Panaschieren befasst. Auch hier gab es rechtliche Bedenken, die allerdings eher rechtspolitischer Natur waren als verfassungsrechtliche Bedenken. Insbesondere kam hier zum Ausdruck, dass dieses Wahlrecht ein klassisches Kommunalwahlrecht ist, wir jedoch hier ein Landtag sind und deshalb auch ein Landtagswahlrecht haben möchten und uns nicht kommunalwahlrechtlichen Gegebenheiten anpassen.

Die zweite Problematik betraf das Unionsbürgerwahlrecht. Hier droht durch ein anderes Wahlrecht ein stärkeres Auseinanderfallen zwischen der Stadtbürgerschaft und dem Landtag, so dass eben die Realunion, die ja ein wesentliches Merkmal dieses Stadtstaates ist, bedroht sein könnte. Dies war Auffassung der Koalition zwischen SPD und CDU; Bündnis 90/Die Grünen und auch der Abgeordnete Wedler haben sich dem nicht angeschlossen. Ich verzichte für den Moment noch einmal darauf, diese gegenseitigen Auffassungen hier darzustellen, weil ich glaube, dass das gleich noch stärker in der Diskussion eine Rolle spielen wird und ich ja erst einmal nur als Berichterstatterin hierzu Stellung nehme.

Offen gelassen haben wir ausdrücklich im Ausschuss den Bereich Bremerhaven und die Beiräte. Unserer Auffassung nach ist es nicht Aufgabe eines Ausschusses des Landtags, für Bremerhaven und für die Beiräte zu entscheiden, wie sie ihr Wahlrecht haben möchten. Wir sind da offen. Wenn die Beiräte gern ein verändertes Wahlrecht haben möchten oder die Stadtverordnetenversammlung sich entschließen sollte, eine Wahlrechtsänderung anzustreben, haben wir dies ausdrücklich offen gelassen. Dann wird sich der Landtag damit auseinander setzen und die gewünschten Änderungen durchführen. Von uns aus wollten wir weder in die Beiräte noch nach Bremerhaven hineinregieren. Wir haben aber bisher von beiden, sowohl von dem Gesamtbeirat als auch von der Stadtverordnetenversammlung, das Signal gehört, dass derzeit dort keine Änderungen gewünscht werden.

Ich möchte abschließend sagen, der Ausschuss hat sich in der Mehrheit dafür entschieden, derzeit keine Änderung des bremischen Wahlrechts durchzu

führen. Ich glaube aber, dass es richtig und auch wichtig war, diesen Ausschuss in der Bremischen Bürgerschaft einzurichten. Wir haben wichtige verfassungsrechtliche Bedenken geprüft, die im Entwurf von „Mehr Demokratie e. V.“ gegeben waren. Wir haben sehr sachlich, sehr gut debattiert. Ich möchte auch ausdrücklich der Initiative „Mehr Demokratie e. V.“ danken. Ich finde es sehr wichtig, dass sie diese Initiative eingebracht hat, dass wir die Diskussion geführt haben, dass wir das Für und Wider geprüft haben.

Wir sind in unserer Abwägung zu einem anderen Ergebnis gekommen. Ich gebe aber auch offen zu verstehen, dass man beide Seiten vertreten kann und jeder für sich seine persönliche Abwägung hier treffen muss. Die große Koalition hat sie getroffen. Dazu stehen wir auch, aber wir entziehen uns hier keiner Diskussion, sondern gehen diese Diskussion sehr offen an. Es geht hier um Inhalte, es geht hier darum, auch etwas verändern zu wollen, und deshalb möchte ich mich, wie gesagt, noch einmal ausdrücklich sowohl bei den Mitgliedern im Ausschuss bedanken, die eine sehr sachliche, eine sehr gute Diskussion geführt haben, als auch ausdrücklich der Initiative „Mehr Demokratie e. V.“ danken sowie Frau Schneider von der Bremischen Bürgerschaft, die diesen Ausschuss sehr gut betreut hat.

(Beifall)

Ich glaube, dass dieser Ausschuss zum einen sehr viel zum Staatsverständnis von Bremen beigetragen hat, dass wir eine besondere rechtliche Konstellation, eine besondere verfassungsrechtliche Konstellation hier in Bremen haben, die wir auch wahren sollten und die auch ein Teil unserer Selbständigkeit hier in Bremen ist, dass wir uns aber offen zeigen sollten, immer nachzufragen, inwieweit wir Bürgerinnen und Bürger stärker hier in Bremen beteiligen können. – Vielen Dank!

(Beifall)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Da, wo Frau Hannken aufgehört hat, möchte ich gleich weitermachen. Ich möchte nämlich mit den positiven Dingen in diesem Ausschuss beginnen. Sie haben quasi schon die Steilvorlage geliefert. Ich wollte auch noch einmal aus Sicht der Opposition bestätigen, dass dieser Ausschuss in einem sehr angenehmen, sehr fairen und sachlichen Klima stattgefunden hat, dass sowohl die Vorsitzende als auch der stellvertretende Vorsitzende, wie ich finde, diesen Ausschuss sehr gut geleitet haben und dass wir uns wirklich über die ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

ganzen Monate hinweg von der Frage haben leiten lassen – auch wenn wir dann am Ende zu einem anderen Ergebnis gekommen sind –, wie die Argumente in Bezug auf die Veränderung des Wahlrechts zu werten sind.

Ich finde auch, dass man keinesfalls sagen kann, das war verschenkte Zeit oder verschenkte Arbeit in diesem Ausschuss. Der Ausschuss hat eine ganze Reihe von wirklich wichtigen Erkenntnissen gebracht. Deswegen ist der Ausschuss alles andere als umsonst gewesen, auch wenn heute in dieser Bürgerschaft keine Mehrheit für den von den Grünen und von Herrn Wedler von der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zustande kommen wird, was wahrscheinlich nachher der Fall sein wird, jedenfalls rechnen wir nicht mit Überraschungen nach dem, was im Vorfeld schon geäußert worden ist.

Der Ausschuss ist deswegen so wichtig gewesen, weil er uns, glaube ich, noch einmal viele Erkenntnisse gebracht hat über unser Wahlrecht in Bremen, nämlich auch darüber, dass unsere Landesverfassung, unser Wahlrecht doch sehr viele Einschränkungen haben in Bezug auf Veränderungsmöglichkeiten. Das Wahlrecht ist relativ starr und unflexibel, und eine Reihe von bremischen Eigenheiten unserer Landesverfassung und unseres Wahlrechts stehen dem entgegen, dass wir – und das war ursprünglich eine Idee, die wir auch im Prinzip verfolgt haben – die Wahlrechtsänderung aus Hamburg hier in Bremen eins zu eins übernehmen konnten. Es stellte sich heraus, eine Eins-zueins-Übernahme der Wahlrechtsänderung aus Hamburg war nicht möglich. Beispiele, warum das nicht möglich ist, will ich nur kurz erwähnen. Die beiden getrennten und getrennt behandelten Wahlbereiche Bremen und Bremerhaven stehen dem im Wege, die Fünfprozenthürde, die Realunion in Bremen zwischen der Bremischen Bürgerschaft (Land- tag) und der Stadtbürgerschaft, das Unionsbürgerwahlrecht und viele Gründe mehr.

Dieser Ausschuss hat aber auch die Erkenntnis gebracht, und hier fangen jetzt die inhaltlichen Unterschiede an, dass wir dieses Wahlrecht – das, ich glaube, neben dem Saarland in Deutschland einzigartig in seiner Einschränkung ist, den Wählern Möglichkeiten zu geben auszuwählen – erstens verändern können und wir dieses Wahlrecht auch verändern müssen, denn diese etwas antiquierte Variante des bremischen Wahlrechts, der Wähler hat eine Stimme, die er einer Partei geben kann, und damit sind seine Mitbestimmungsmöglichkeiten zu Ende, kann verändert werden, und die muss auch verändert werden, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben deswegen einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, zusammen mit Herrn Wedler, der

nachher auch noch sprechen wird, der alle rechtlich möglichen und politisch gebotenen Änderungen und Erweiterungen der Rechte der Wählerinnen und Wähler umfasst, und haben ihn heute der Bremischen Bürgerschaft zur Abstimmung vorgelegt. Es ist erstaunlich, dass immer wieder gesagt wird, und das klang auch in der Rede von Frau Hannken an, dass wir es hier im Prinzip mit einem Kommunalwahlrecht zu tun hätten und dass die Personalisierung einerseits und der regionale Bezug andererseits im Wahlrecht eines Landtags oder Bundestags nichts zu suchen hätte. Das Gegenteil ist natürlich der Fall. Wir alle wissen, dass es im Bundestagswahlrecht Wahlkreise gibt, dass die Hälfte der Bundestagsabgeordneten direkt gewählte Personen in einer Personenwahl in einem Wahlkreis sind, die ihren Wahlkreis im Bundestag vertreten, und das ist auch in den meisten Landtagswahlrechten so.

Von daher ist es etwas abenteuerlich, wenn man sich den Abschlussbericht anschaut. Hier wird noch einmal die Stellungnahme des Senators für Justiz und Verfassung zitiert, der sagt, es sei ausdrücklich nicht Aufgabe der Landesparlamente, bestimmte Bereiche in diesem Land zu vertreten. Es ist in nahezu allen Landtagswahlrechten so, dass wir Wahlkreisvertreter haben, die direkt in den Landtag gewählt werden, und bei der Bundestagswahl, das weiß jeder, haben wir eine Erst- und eine Zweitstimme. Selbstverständlich gibt es dort auch diese Möglichkeit für die Wähler, direkt Personen in das Parlament zu schicken, und es ist sehr schwer zu verstehen, warum man mit solchen etwas sehr an den Haaren herbeigezogenen Argumenten versucht hat, hier den Wählerinnen und Wählern diese Möglichkeit zu verwehren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der sich deutlich für Kumulieren und Panaschieren, diese beiden schwierigen Begriffe, die nichts anderes heißen, als dass ich mehrere Stimmen einem Kandidaten oder einer Kandidatin geben und diese auch auf verschiedene Listen verteilen kann, das ist es eigentlich schon. Warum dies hier in Bremen nicht gehen soll oder von der Mehrheit hier im Hause nicht gewünscht ist, ich glaube, überzeugende Argumente hierfür sind weder in den Ausschussberatungen noch in der öffentlichen Debatte darüber gefallen.

Wir haben gesagt, lassen Sie uns Abstand nehmen von der Idee der Wahlkreise, weil die verfassungsrechtlichen Bedenken, die dort genannt worden sind, zumindest die Gefahr beinhalteten, dass ein solches Gesetz einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhält. Wir wollten lediglich mit Punkten auf der sicheren Seite des Verfassungsrechts in diese Debatte gehen, und Kumulieren und

Panaschieren ist auf jeden Fall etwas, das auf der sicheren Seite des Verfassungsrechts ist. Da, glaube ich, gibt es keine Zweifel.

Das Kumulieren ermöglicht schlichtweg den Wählerinnen und Wählern ein zusätzliches Recht, eine zusätzliche Möglichkeit bei der Wahl, innerhalb der Liste einer Partei, wie sie von der Partei gewählt und vorgelegt wird, zu unterscheiden. Ich kann die fünf Stimmen, die ich habe, einfach nur dieser Liste geben, wie bisher auch, oder ich kann sagen, das ist ein Kandidat, eine Kandidatin, den oder die fand ich bisher besonders gut, dort gebe ich fünf Stimmen, drei Stimmen oder zwei Stimmen, und ich möchte eben an der Auswahl der Menschen, die hinterher das Volk im Parlament vertreten, auch beteiligt sein. Das so genannte Panaschieren heißt einfach nur, ich habe eine differenziertere Wahlmöglichkeit, ich kann sagen, eigentlich finde ich die SPD richtig gut, aber die Grünen sind auch nicht schlecht, also gebe ich denen drei und denen zwei Stimmen oder genau das Gleiche mit der CDU oder der FDP. Ich kann also differenzierter abstimmen und meine Stimmen splitten, was letztendlich auch eine weitere Möglichkeit ist, auf die Zusammensetzung der Bürgerschaft weiter Einfluss zu nehmen.

Das ist im Grunde genommen eine relativ bescheidene Reform. Insoweit würde ich darin übereinstimmen, dass es nicht etwas ist, wo wir uns nun zwischen revolutionär unterschiedlichen Positionen bewegen. Ich finde es aber schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass man den Menschen diese Reform vorenthält und ihnen sagt, sie sollen weiterhin mit dieser einen Stimme wählen nach dem Motto „Friss Vogel oder stirb“, du wählst entweder SPD, CDU oder Grüne und Schluss, und alles andere bestimmen die Parteien. Das, finde ich, ist der modernen Bürgergesellschaft und der modernen Bürgerstadt nicht angemessen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Willy Brandt hat gesagt: Mehr Demokratie wagen! Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung gesagt: Mehr Freiheit wagen! CDU und SPD in der Bremischen Bürgerschaft haben sich mehr an Konrad Adenauer gehalten: Bloß keine Experimente, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir reden hier sehr viel von Bürgerstadt. Bürgerstadt definiert sich aber nicht nur über Freiwilligenarbeit und Ehrenamt. Bürgerstadt definiert sich über eine erleichterte Volksgesetzgebung, über die Senkung der Hürden für Volksbegehren und Volksentscheid, also über mehr direkte Demokratie für die Menschen, sie definiert sich über verbesserte Verfahren beim Bürgerantrag, über die Senkung des Wahlalters und eben auch über die Möglich

keit, den Wählerinnen und Wählern mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten bei Wahlen zur Bürgerschaft zu gewähren. Wir wissen aus allen Umfragen, dass die Wähler dies sehr schätzen und dass sie im Grunde genommen auch warten, dass die Bürgerschaft einen solchen Schritt gemacht hätte.

Wir haben es in Hamburg gesehen, dort haben sich SPD und CDU auch frontal gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger gestellt. Es ist zu einem Volksbegehren und Volksentscheid gekommen, der in relativ kurzer Zeit die nötigen Unterschriften für eine Verfassungsänderung, für eine Wahlrechtsänderung in Hamburg auf die Beine gebracht hat. Es ist hier nur eine Anmerkung – wir sind ja in Bremen –, aber der Versuch der Hamburger Alleinregierung der CDU, nun den Volksentscheid qua Parlamentsmehrheit wieder umzudrehen und der Bevölkerung selbst ihre eigene Entscheidung, den Volksentscheid, wieder wegzunehmen, ist auch kein guter Stil, das ist sogar ein extrem schlechter Stil.

Hier in Bremen hoffen wir sehr, dass der Ball jetzt von diesem Parlament, das offensichtlich nicht in der Lage war, dieses Tor dieser Wahlrechtsreform zu schließen, wieder hinausgeht aus diesem Parlament – er rollt jetzt durch die Straßen in Bremen –, dass die Bürgerinnen und Bürger diesen Ball aufnehmen, dass sie zahlreich unterschreiben werden für dieses neue Wahlrecht, und dann werden wir per Willen der Bürgerinnen und Bürger hier in Bremen dieses Thema wieder auf die Tagesordnung bekommen. Ich hoffe sehr, dass Sie anders als in Hamburg dann, sowohl SPD als auch CDU, diesen Willen auch respektieren werden und die entsprechenden Dinge dann umsetzen werden. Es geht jetzt demnächst los mit dem Sammeln der Unterschriften, und nun entscheidet der Souverän, das Volk selbst, ob diese Wahlrechtsreform kommt oder ob sie nicht kommt. Das Parlament war dazu in seiner Mehrheit nicht in der Lage. Hören wir, was die Bevölkerung dazu meint, und dann werden wir weitersehen! – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tschöpe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion stellt fest, dass der von der Initiative „Mehr Demokratie“ eingebrachte Gesetzentwurf in wesentlichen Teilen verfassungswidrig ist. Er kann deshalb auch heute nicht durch die Bürgerschaft beschlossen werden. Ein Ergebnis der vom Ausschuss eingeholten Rechtsgutachten war, dass Wahlkreise in der vorgeschlagenen Version sowieso, aber auch als Einpersonenwahlkreise unter den Bremer Bedingungen verfassungswidrig sind. Dies war für uns alle, die in die

sem Ausschuss gesessen haben, ein durchaus erstaunlicher Erkenntnisgewinn. Alle Ausschussmitglieder sind offen in die Beratungen über die Einführung von Wahlkreisen hineingegangen und rechtlich klüger wieder herausgekommen.

Die SPD-Fraktion nimmt ebenfalls zur Kenntnis, dass die Reformelemente Kumulieren und Panaschieren verfassungsrechtlich zumindest problematisch sind. Frau Dr. Hannken hat die Problemlage der Realunion angesprochen. Diese rechtlichen Bedenken bestehen, und darauf muss man ausdrücklich hinweisen, für Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung und zu den Beiräten nicht. Wir sehen uns aber auch hier nicht als politisch bevollmächtigt an, das Wahlrecht der Seestadt Bremerhaven inhaltlich zu bestimmen.

(Abg. B ö d e k e r [CDU]: Das wäre auch der Hammer!)

Das wäre formal natürlich möglich, dass der Landtag das Wahlrecht auch in Bremerhaven bestimmt. Ich denke aber, diese Entscheidung, wie Bremerhaven wählen will, soll tatsächlich dorthin, wo Bremerhaven das selbst entscheidet. Das war auch weitestgehender Konsens im Ausschuss.

Von den durch die Initiative „Mehr Demokratie“ vorgeschlagenen Änderungen sind rechtlich ausschließlich die politisch zu bewertenden Elemente Kumulieren und Panaschieren übrig geblieben, und Herr Dr. Güldner hat diese Konsequenz mit dem Gesetzentwurf, der jetzt vorliegt, auch gezogen: Wie geht man denn eigentlich mit den personalisierenden Wahlrechtselementen Kumulieren und Panaschieren um? Hier ist die Argumentation der Opposition natürlich ein wenig platt. Wenn man sagt, mehr Auswahl bedeutet auch mehr –

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Aber richtig!)