In der vergangenen Woche stellten Bildungsforscher der Öffentlichkeit die bundesweiten Ergebnisse der Pisa-II-Studie vor. Die Ergebnisse sind für Bremen erneut niederschmetternd. Sie stellen der Bildungspolitik der großen Koalition ein schlechtes Zeugnis aus, und für Bremen kann man zusammenfassen: Wir tragen weiterhin die rote Laterne im Bildungsvergleich.
Die Lernpotentiale der Kinder werden in keiner Weise ausgeschöpft. Die Potentiale sind nämlich viel größer, wie die Bildungsforscher belegen. Die Förderangebote, die wir in Bremen für die Schulen und Kindergärten bereitstellen, kommen zu spät. Talente werden nicht erkannt, und unser Bildungssystem ist sozial ungerecht. Der Bildungsweg der Eltern, das Portemonnaie der Eltern und auch die Herkunft der Eltern und der Kinder bestimmen, welche Chancen man in unserem Bildungssystem hat, und das ist Fakt, und das ist ein riesengroßer gesellschaftlicher Skandal. Wir müssen uns den Herausforderungen im Land Bremen stellen, und die große Koalition kann nicht immer weiter behaupten, sie habe noch nicht genug Zeit gehabt. Sie sind schließlich fast zehn Jahre an der Regierung, und bestimmte Ergebnisse konnten auch Sie schon erkennen und hätten auch dort schon deutlich umsteuern können.
Es sind Leistungszuwächse für Bremen gemessen worden. In der Zeitung tauchte ein Artikel auf, wo gesagt wurde: Es waren ja auch ganz andere Schülerinnen und Schüler mit ganz anderen Kompetenzen. Ich finde, dieser Streit ist in gewisser Weise auch müßig. Die Statistiker haben sich bemüht – ich habe es auch noch einmal ganz genau nachgelesen, nach der Berichterstattung im „Weser-Kurier“ – und haben solche Quellen auch berücksichtigt. Da gibt es bestimmte Rechenbeispiele, dann werden Zahlen addiert und adjustiert, und man kann sagen, es gibt gewisse Kompetenzzuwächse im Bundesland Bremen. Ich finde aber den Streit müßig, genau wie ich den Streit zwischen Ihnen, Herr Rohmeyer, dass Sie sagen, Gymnasien seien besser, und Ihnen, Frau Hövelmann, die gesagt hat, die Gesamtschulen hätten auch eine große Leistung vollbracht, müßig finde. In der Tat, die Schulformen in Bremen haben Leistungszuwächse erreicht, aber letzter Platz ist letzter Platz,
Immerhin hinken die Bremer Gymnasiasten ein Jahr hinter den bayerischen Gymnasiasten hinterher. International will ich die Bremer Gymnasiasten und auch die bayerischen Gymnasiasten hier nicht vergleichen. Da spielt Bayern auch nicht in der Champions League, Herr Rohmeyer! Bayern liegt hintenan. Nein, Herr Rohmeyer, da gibt es deutlich andere Länder, die fast alle ihre Schülerinnen und Schüler besser fördern, als wir es tun.
Im internationalen Vergleich tummeln wir uns im Tabellenkeller. Ich möchte das am Bereich Mathematik deutlich machen und noch einmal sagen, mit wem wir uns da gemeinsam tummeln: Es sind Italien, Portugal, Griechenland, Türkei und Mexiko, und bei der Lesekompetenz sind nur noch die Türkei und Mexiko schwächer als wir. Mehr als das Talent und die Begabung bestimmt nach wie vor das Portemonnaie der Eltern den Bildungsweg der Kinder. Kinder aus Akademikerfamilien sind auch in Bremen häufiger auf dem Gymnasium anzutreffen als Kinder mit gleicher Begabung aus einer Familie, in der die Eltern arbeitslos sind oder aus dem Ausland stammen. Verglichen mit einem Arbeiterkind hat der Akademikernachwuchs in Deutschland viermal größere Chancen, das Gymnasium zu besuchen. In Bayern liegt dieser Wert sogar bei 6,7, in Bremen landen wir bei 2,9, was zwar ein besserer Wert ist, der uns hier aber nicht zufrieden stellen kann.
Ist das gerecht, frage ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen? Es gibt in allen Industrienationen einen Zusammenhang zwischen Elternhaus und Bildungschancen, aber in Deutschland ist diese Koppelung besonders eng. Immer neue Studien haben in den vergangenen Jahren den Einfluss elterlicher Bildung und Einkommensverhältnisse auf die Schulkarriere belegt, vom Vorschulalter über die Grundschule bis hin zu den Fünfzehnjährigen in der Pisa-Studie. Selbst an den Universitäten wächst in den letzten zwei Jahrzehnten der Anteil der Studenten aus dem gehobenen Elternhaus. Die zweite heftige Pisa-Erkenntnis lautet: Bis zu 30 Prozent der fünfzehnjährigen Schüler können nur auf Grundschulniveau rechnen und verstehen nicht einmal einfachste Texte. Dafür ist Bremen leider repräsentatives Beispiel.
Während die Pisa-Siegerländer es schaffen, auch leistungsschwache Schüler zu guten schulischen Abschlüssen zu führen, bleibt dieses wichtige Bildungspotential bei uns ungenutzt. Genau daran lässt sich etwas ablesen, das bei Pisa eben nicht getestet worden ist: die Wertschätzung von Bildung in einem hoch entwickelten Land wie der Bundesrepublik Deutschland. Anscheinend ist es so, dass andere Länder dem Bereich gesamtgesellschaftlich eine wesentlich größere Bedeutung einräumen, als wir es tun. Auch da
muss ein gesamtgesellschaftlicher Prozess starten, in dem alle an einem Strang ziehen müssen. Bildung muss das Topthema in Deutschland und in Bremen werden! Bildung muss absolute Priorität haben!
Andere OECD-Staaten setzen aus volkswirtschaftlichen, sozialpolitischen und auch aus demokratieförderlichen Gründen darauf, alle Kinder optimal zu fördern, und das gelingt uns in Bremen wenig. Wir müssen ein solides Fundament bauen. Deswegen wollen wir die Kinder so früh wie möglich individuell fördern. Der schickste Loft mit bester Aussicht nützt nichts, wenn der Bau auf einem wackligen Fundament steht. Wir brauchen eine frühere intensive Sprachförderung für alle Kinder, und wir haben gute Chancen, dies in Bremen zu erreichen, denn über 96 Prozent der Bremer Kinder besuchen einen Kindergarten. In Bremen ist das eine Zahl mit über 80 Prozent. Sprachförderung muss beim Start in den Kindergarten beginnen, nicht erst ein Jahr vor der Schule, auch nicht erst zwei Jahre. Wir haben immer wieder gesagt: Alle Länder, die international erfolgreich sind, beginnen schon ab dem dritten Lebensjahr mit einem Riesensprachprogramm, und daran muss sich Bremen orientieren!
Sprache ist der Schlüssel für einen erfolgreichen Bildungsweg. Die Sozialdeputation einschließlich Herrn Bensch, der ja jetzt neu in der Bürgerschaft ist, war damals in England. Auch Herr Pietrzok und Herr Oppermann haben daran teilgenommen. Wir haben dort erfolgreiche Kindergärten gesehen, die als Familienzentren arbeiten. Auch in diese Richtung muss die Reise gehen. Hier hat die Koalition doch schon die guten Beispiele gesehen, hier ist wertvolle Zeit verschenkt worden.
Die Ideen, die wir aus England mitgebracht haben, diese Ansätze hätte man in Bremen in den letzten Jahren schon problemlos umsetzen können, ohne jetzt die Pisa-Studie auf den Tisch gelegt bekommen zu haben. Wir haben damals schon darüber diskutiert, Herr Oppermann, dass man Familien stärker unterstützen muss, um die Kinder früh abzuholen und den Eltern auch Unterstützungsleistungen zukommen zu lassen.
Kernpunkt meiner Aussage ist, dass die individuelle Förderung in allen Schulen in den Vordergrund rücken muss. Lehrerinnen und Lehrer müssen dafür aus- und weitergebildet werden. Ich glaube auch, dass Deutschland nicht um eine Strukturdebatte herumkommt, Herr Rohmeyer. Das ist nicht nur meine persönliche Schlussfolgerung, sondern das sagen auch die OECD-Forscher. Erfolgreiche Bildungsnationen gehen mit der Unterschiedlichkeit der Schüler konstruktiver um.
Das ist jetzt nicht das Reden für eine Einheitsschule, die Sie der grünen Bürgerschaftsfraktion hier immer unterstellen wollen, das ist das Modell einer Schule, die es schafft, die Kinder dort abzuholen, wo sie sind, die sich der Herausforderung stellt, mit Vielfalt, wie es der Bildungssenator eben gesagt hat, konstruktiv umzugehen, um den Kindern die Chancen zu geben, die sie verdienen. Die Jugendlichen haben doch einen Anspruch darauf, nach ihren Möglichkeiten hier gefördert zu werden, und diesen Anspruch lösen wir derzeit in diesem Bundesland von allen Bundesländern am schlechtesten ein, und daran müssen wir arbeiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Position ist, das gegliederte Schulsystem lädt dazu ein, Schüler abzuschieben, anstatt sie zu fördern. Wir verschwenden damit viel Zeit, die man viel sinnvoller nutzen könnte. Wir müssen die Kinder dort abholen, wo sie sind, und sie nicht frühzeitig auf Bildungswege festlegen. Die derzeitigen fünften und sechsten Klassen leiden nämlich unter der frühen Auslese der Kinder mit Gymnasialempfehlung. Das ist eine Entwicklung, die jetzt durch die Strukturänderung, die die große Koalition eingeleitet hat, an den Schulen zu beobachten ist und worüber die Schulleitungen auch berichten. Es gibt jetzt fünfte, sechste Klassen, denen die Leistungsspitze fehlt, weil die Kinder nach der Klasse vier in die Gymnasien gegangen sind, und sie sagen: Das hat die Probleme der Orientierungsstufe sicherlich nicht gelöst.
Ich glaube, dass die sechsjährige Grundschule, über die wir hier auch schon einmal diskutiert haben, die daherkommt mit einer gescheiten Verzahnung mit dem Bereich Kindergärten, ein sehr sinnvolles Fundament hätte bilden können, aber bisher ist die sechsjährige Grundschule in Bremen eine Insellösung. Herr Rohmeyer möchte sie am liebsten abschaffen, aber die große Koalition hat mit der Einführung der Wahlmöglichkeiten jetzt nach Klasse vier für das Gymnasium die bildungspolitischen Probleme nicht gelöst. Es wird sortiert, und das ist einer der Faktoren, zu denen die Bildungsforscher uns gesagt haben, damit verschärft man auch, dass die soziale Schere weiter aufgeht. Das ist auch ein Thema, dem wir uns hier stellen müssen.
Ich finde es jetzt sehr erstaunlich, dass sich angesichts der Pisa-Ergebnisse auf Bundesebene die CDU und die SPD – mit Herrn Rohmeyer hatte ich ein Streitgespräch bei der „taz“ über das Thema „Welche Kompetenzen soll der Bund und sollen die Länder haben“ – darauf geeinigt haben, dass man den Ländern künftig die weitestgehende Hoheit in Sachen Bildungspolitik geben will. Wir meinen, der Bund muss auch künftig in Kooperation mit den Ländern
Programme zur Qualitätsverbesserung – ich komme zum Schluss, Herr Präsident! – in Schulen umzsetzen. Der Bund muss mit an Bord sein!
Ich erinnere nur an das erfolgreiche Ganztagsschulprogramm. Das hätten wir doch ohne den Bund überhaupt nicht geschafft. Ich finde, es ist eine ganz fatale Entwicklung, dass wir hier zur bildungspolitischen Kleinstaaterei kommen. Das ist nichts anderes als bildungspolitische Kleinstaaterei, dass man meint, man könne den Tanker mit 16 Kapitänen in eine konstruktive und richtige Richtung fahren, Herr Rohmeyer.
Ich finde, man darf es nicht als Erfolg feiern, dass jetzt die Länder die Hoheit bekommen sollen über den Bereich Bildung.
Es ist ein Schlüssel zum Erfolg, wenn man gemeinsam mit Bund und Ländern verbindliche Bildungsziele vereinbart. Es muss Qualitätskontrollen geben, es muss aber auch eine große schulische Autonomie geben. Wie gesagt, wir werden so nicht in der Champions League spielen, wenn wir nicht den Holzweg der großen Koalition mit der frühen Selektion und der mangelnden Förderung im frühkindlichen Bereich verlassen. – Danke schön!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Letzte Woche kam die Mitteilung, die Grünen hätten eine Aktuelle Stunde zu Pisa beantragt. Frau Stahmann hat aber heute nichts Neues erzählt, das hat sie nämlich schon in der Vergangenheit erzählt, was sie heute erzählt hat.
Darum, meine Damen und Herren, werden Sie das eine oder andere von mir hören, Frau Kollegin Stahmann, was Sie auch schon einmal von mir gehört haben. Ich möchte Sie aber mit ein, zwei anderen Erkenntnissen beglücken. Ich fange zunächst einmal an.
Bremen ist bei der Pisa-Studie erneut bescheinigt worden, dass wir, was die schulischen Leistungen der ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
fünfzehnjährigen Schülerinnen und Schüler angeht, bundesweit auf dem letzten Platz sind. Damit ist in Bremen, soweit ich weiß, niemand zufrieden. Wir als CDU-Fraktion nehmen für uns in Anspruch, und wir können das auch belegen, dass wir nach der ersten Pisa-Studie das Ruder im Bildungsbereich innerhalb der großen Koalition mit unserem Koalitionspartner zusammen herumgerissen haben. Wir haben die egalisierende Bildungspolitik, die bis dahin gegolten hat, abgeschafft, und wir setzen jetzt auf Fördern und Fordern aller Schülerinnen und Schüler in Bremen, und zwar der leistungsstarken sowie der leistungsschwachen!
Dass Ihnen das nicht passt, Frau Stahmann, ist ein anderes Thema, aber wir wollen die Schülerinnen und Schüler in Bremen zu besseren Abschlüssen führen und nicht alle über einen Kamm scheren, wie Sie das immer verbreiten.
Wir haben die schulideologischen, schulstrukturellen Debatten der Vergangenheit hinter uns gelassen. Auch das unterscheidet die große Koalition von Ihnen, Frau Stahmann! Wir sagen, wir haben Elternwahlfreiheit eingeführt, wir haben eine Schulvielfalt in Bremen im Schulgesetz festgeschrieben, und die Eltern können in Zukunft wählen, ob sie ihr Kind in einem gegliedertem System oder in einem integrierten Schulsystem beschulen lassen wollen. Für uns ist wichtig, dass am Ende die Leistung zählt, Frau Stahmann, auch das haben Sie wahrscheinlich nicht verstanden bei früheren Debatten der letzten Jahre.
Es gibt eine Diskussion, auch gestern im „WeserKurier“, in den „Bremer Nachrichten“ nachzulesen: Das ist noch einmal die Frage Gymnasium/ Gesamtschule. Sie haben das angesprochen. Da geht es auch nicht darum, das Gymnasium oder die Gesamtschule abzuschaffen. Sie haben hier gerade den Eindruck erweckt. Es geht darum, dass wir auch bei der Gesamtschule sehen müssen, weil diese Schulform in den letzten Jahren immer sehr über den Klee gelobt wurde, dass hier noch Defizite bestehen, dass eine extrem große Streuung da ist und dass das keine besonders große Integrationsleistung ist, wenn im unteren Bereich auch noch ein besonders hoher Teil ist.
Für uns als CDU-Fraktion kann ich da festhalten, dass wir sowohl im Gesamtschulbereich als auch im Gymnasialbereich, wie bei der Sekundarschule in Zukunft noch viel genauer darauf sehen werden. Wir werden alle Maßnahmen evaluieren, um die schuli
schen Leistungen der Schülerinnen und Schüler durch einen besseren Unterricht zu verbessern, meine Damen und Herren.
Wir haben darum in Bremen Maßnahmen beschlossen von der Diagnostik, Vorschuleintritt, über die Leseförderung und Vergleichsarbeiten ab der Grundschule. Mit dem Projekt Vera ist gerade der letzte Teil mit Rechtschreibkompetenzen vorgestellt worden. Dann fortgeführt: Vergleichsarbeiten Sekundarstufe I, zentrale Abschlussprüfungen, individuelle Förderungen! Wir machen es den Lehrern nicht mehr leicht, wie Sie das gesagt haben, Schüler abzuschieben.
(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Natürlich, Herr Rohmeyer, denken Sie an die Sitzenbleiberquote!)
Bei der Zeugnis- und Versetzungsordnung, das wissen Sie sehr genau, Frau Stahmann, sind Hürden eingezogen worden, die es einem Lehrer extrem schwierig machen, einen Schüler einfach so sitzen bleiben zu lassen. Das wissen Sie ganz genau, es passt nur nicht in Ihre Ideologie, und darum sagen Sie es immer wieder. Wir haben hier Hürden aufgebaut, wir haben Qualitätsmerkmale festgelegt. Das reicht noch nicht, da müssen wir weitergehen, da sind wir dann doch vielleicht wieder einer Meinung.
Wir als CDU haben auch einen konkreten Vorschlag gemacht, dass wir zum Beispiel zur Frage Vergleichsarbeiten, zentrale Abschlussprüfung sagen, das, was bis dahin erarbeitet werden muss, muss mit einem zu schaffenden und zu definierenden Bildungskanon dann auch unterfüttert werden, so dass man weiß, bis wann ein Schüler welche Kompetenzen und welchen Lernstand erreicht haben muss. Dies ist eine zentrale Forderung von uns, und wir sind uns hier auch sicher, dass wir diese innerhalb der Koalition umsetzen können, weil dies auch ein Erfolgsmerkmal anderer, führender Bundesländer ist, meine Damen und Herren.