Protocol of the Session on September 15, 2005

Um weitere Sparvorhaben, die unverzichtbar sind, und die Grünen werden das mit unterstützen, auch ohne Ansehen eigener Klientel, machen zu können, müssen Sie einen anderen Haushalt vorlegen, nämlich einen, der die Fragen, die wir beantwortet bekommen müssen für weitere Sparpolitik, beantwortet. Der Senat ist ja noch nicht einmal in der Lage, obwohl es die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass wir 150 Millionen Euro Defizit in diesem Jahr haben, einen Nachtragshaushalt vorzulegen. Mein Gott, so viel Angst vor einer Bundestagswahl, oder woran hat das nun gelegen?

Noch nicht einmal das laufende Finanzcontrolling bekommen Sie doch vorgelegt. Wir haben doch gar nicht die Grundlagen, um uns über weitere Sparpolitik auseinander zu setzen, und dass Sie die Vorgaben von Artikel 131 a Landesverfassung nicht einhalten, tut mir Leid, es ist ein bisschen technisch, da steckt eine ganze Welt dahinter. Dass wir darüber entscheiden, ob Bremen vor dem Bundesverfassungsgericht noch eine Chance hat, diese Vorgaben halten Sie nicht ein, nämlich die Haushalte so aufzubereiten, dass wir entscheiden können, welche Ausgaben unverzichtbar sind, und endlich zu versuchen, Problembereiche zu wählen, die über die Ressortgrenzen hinausgehen, wenn man sich den Bereich Jugendhilfe anschaut, der zersplittert ist in das Jugendressort, in das Bildungsressort, in das Justiz- und Innenressort!

Wir müssen zu einer Gesamtbetrachtung dieses Komplexes kommen, um dann zu überlegen, wo es sinnvoll organisiert ist und wo man noch Geld einsparen kann. Das liefert der Senat doch gar nicht,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

was wir aber unbedingt brauchen. Deshalb ist das auch so bitter, dass Sie unseren Antrag ablehnen, es ist auch kleingeistig, denn es geht ja gerade darum, dass die Grünen Verantwortung übernehmen wollen für eine Haushaltsentwicklung der Zukunft. Wir haben in der letzten Sitzung des Haushaltsausschusses einen Antrag beschlossen, dass eine Schule in Rockwinkel gebaut werden soll. Diese wird gebaut und wird dann 20 Jahre, glaube ich, 23 Jahre lang aus dem bestehenden Bildungsetat abfinanziert. Wir brauchen eine Übersicht über die Vorbelastung der Ressorthaushalte.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wie wollen Sie denn eine Sparpolitik machen, wenn Sie das gar nicht wissen? Erst dann kann man sich darüber unterhalten, wo noch Spielräume sind, und erst dann kann man auch den anderen Bundesländern sagen, wo können wir denn überhaupt noch. Wir haben doch längst in den Ressorthaushalten, das gilt ja nicht nur für Bildung, das gilt übrigens auch für CDU-Ressorts, Inneres, Verheerungen angerichtet durch Vorverpflichtungen der letzten Jahre, die es überhaupt nicht mehr möglich machen, die vom Senat dann einfach einmal schlankweg beschlossenen Minderausgaben zu erwirtschaften oder weitere quotale Kürzungen einzugehen. Das Parlament braucht eine Darstellung dieser Vorverpflichtungen, und dann werden wir sehen, was man noch hinbekommen kann. Dann haben wir aber auch Argumente den anderen gegenüber, wo auch einfach dann Schicht ist. Es ist unverantwortlich, Bremen in eine Situation zu bringen, in der man weiter martialische quotale Sparquoten auf die Haushalte beschließt, ohne sich wirklich mit den Haushalten en détail so zu beschäftigen, dass man überhaupt abschätzen kann, was zu verantworten ist und was nicht. Den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen, Herr Senator Nußbaum, dass Sie das Parlament nicht in den Stand setzen, sich an einer verantwortlichen Sparpolitik zu beteiligen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Als Erstes lasse ich über den Entschließungsantrag des Abgeordneten Wedler, FDP, abstimmen. Wer dem Entschließungsantrag des Abgeordneten Wedler, FDP, mit der Drucksachen-Nummer 16/748 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Abg. W e d l e r [FDP])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen und Abg. T i t t m a n n [DVU])

Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Entschließungsantrag ab. Ich lasse jetzt über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 16/750, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Bündnis 90/Die Grünen und Abg. W e d l e r [FDP])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD und CDU)

Stimmenthaltungen?

(Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Nun lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD abstimmen.

Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD und CDU)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen Bündnis 90/Die Grünen, Abg. T i t t m a n n [DVU] und Abg. W e d l e r [FDP])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Entschließungsantrag zu.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft von der Mitteilung des Senats, Drucksache 16/650, Kenntnis.

Meine Damen und Herren, wir sind nun am Ende der Vormittagssitzung angekommen, und ich unterbreche die Bürgerschaftssitzung bis 14.30 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung 13.00 Uhr)

Vizepräsidentin Dr. Mathes eröffnet die Sitzung wieder um 14.30 Uhr.

Die unterbrochene Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) ist wieder eröffnet.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine Gruppe ehemaliger Mitarbeiter der Arbeitsagentur Bremen. Herzlich willkommen!

(Beifall)

Mädchen und Frauen vor Zwangsverheiratung schützen

Mitteilung des Senats vom 14. Juni 2005 (Drucksache 16/653)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Röpke.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Garling.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Am 24. Februar 2005 haben wir den Senat um den Bericht „Mädchen und Frauen vor Zwangsverheiratung schützen“ gebeten. Im Rahmen der dazu ausführlich geführten Debatte wurde auch über den „Ehrenmord“ an Hatun Sürücü im Februar in Berlin gesprochen. Hatun Sürücü war eine 23-jährige Türkin, die nach einem Urlaub trotz einer bestehenden Schwangerschaft nicht in die Türkei zurückgekehrt ist, nachdem sie dort unter Zwang mit einem Cousin verheiratet wurde. Sie bekam einen Sohn, machte einen Schulabschluss, legte ihr Kopftuch ab und begann eine Ausbildung als Elektroinstallateurin. Gemeinsam mit ihrem Sohn hatte sie eine kleine Wohnung und wünschte sich sehr, dass ihre Familie die von ihr gewählte Lebensweise akzeptierte.

Am Montagabend dieser Woche gab es im WDRFernsehen eine Reportage über diesen Ehrenmord mit dem Titel „Sie lebte wie eine Deutsche“. In dieser Reportage kamen ihr Bruder und ihre Schwester, ihr Vater, ihre Freundinnen, ihr Freund und Betreuer, an die sie sich gewandt hatte, sowie die Schulleiterin der Schule ihrer Brüder zu Wort. Insgesamt spürte man die große Anteilnahme und Betroffenheit bei allen Beteiligten in der Reportage. Auf einige dort gemachte Aussagen möchte ich hier eingehen. Die Schulleiterin sagte, der Vorwurf gegen Hatun Sürücü war, dass sie wie eine Deutsche lebte, denn das setzte sie mit einer Hure gleich. In dieser Ausprägung hätte es das vor 20 Jahren noch nicht gegeben, die Zeiten seien viel härter geworden. Die Familien kontrollieren die Mädchen so streng, dass sie keine Möglichkeit mehr haben, zu sich selbst zu finden. Hinzu kommt die Angst der Frauen, dass sie ihre Familien verlieren könnten.

Ihre Schwester sagte, dass der ausgeübte Druck der Familie von der umliegenden Gesellschaft verstärkt wurde. Ihr Freund, der sich von Hatun Sürücü getrennt hat, obwohl er sie liebte, konnte den Druck nicht mehr aushalten und war erleichtert nach der Trennung. Hatun Sürücü, von ihrem eigenen Bruder getötet, wurde am 14. Februar begraben. Die Männer standen am Sarg und die Frauen abseits. Gestern hat ihr 19-jähriger Bruder vor einem Berliner Gericht ausgesagt, er habe die Tat allein verübt. Er habe den freien Lebenswandel seiner Schwester nicht akzep––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

tieren können und Sorge gehabt, dass ihr kleiner fünfjähriger Sohn drogenabhängig werden könnte. Heute bereut er die Tat. Seit 1996 hat ein Berliner Verein deutschlandweit 49 Fälle von Ehrenmorden dokumentiert.

Meine Damen und Herren, ich möchte uns dieses Thema durch diese Schilderung noch einmal in aller Deutlichkeit ins Bewusstsein rufen. Hatun Sürücü war eine selbstbewusste, allein erziehende junge Frau, deren Wunsch es war, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wir alle sind gefordert, daran mitzuwirken, dass genau dies für alle jungen Frauen in unserer Gesellschaft möglich ist.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Antwort des Senats macht deutlich, dass wir uns auf einem guten Weg befinden. Der Senat unterstützt das Netz der vorhandenen Kontakt- und Beratungsstellen für Migrantinnen, das mit staatlicher Förderung im Land Bremen besteht. Unter anderem genannt sind dabei das AWO-Beratungszentrum für Migranten, das Frauenhaus der AWO Bremen, das autonome Frauenhaus und das Mädchenhaus Bremen e. V. In der Stadtgemeinde Bremerhaven wird diese Aufgabe unter anderem vom Amt für Jugend und Familie wahrgenommen. In den Beratungsstellen wird das schlichtende Gespräch sowohl mit den Eltern als auch mit den Betroffenen selbst geführt mit dem Ziel, bei den Eltern die Einsicht zu erreichen, dass eine Verheiratung gegen den Willen der Tochter nicht nur einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, sondern auch eine strafbare Handlung darstellt.

(Beifall bei der SPD)

Sie versuchen, eine Sensibilisierung zu praktizieren, so dass auf diesem Weg der intensiven Betreuung ein Umdenken erfolgen kann. Wenn erforderlich, werden Polizei und Justiz eingeschaltet.

Um eine bessere Information der betroffenen Frauen herzustellen, hat der Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales in Zusammenarbeit mit dem AWO-Beratungszentrum für Migrantinnen und Migranten das Infoblatt „Zwangsheirat: Hinsehen – Handeln – Helfen“ entwickelt, welches in mehreren Sprachen verfasst und an die Beratungslehrer der Sekundarstufen I und II verteilt wurde. Das Landesinstitut für Schule bietet Mitte September eine Fortbildung zum Thema „Lebenslänglich für die Ehre – Zwangsheirat in Bremen“ an. An der Hochschule für öffentliche Verwaltung wird das Thema Zwangsheirat in der Aus- und Fortbildung für Polizisten behandelt. Darüber hinaus gibt es Fortbildungen für Kontaktpolizisten sowie für Mitarbeiter der bremischen Verwaltung. Es ist außerdem geplant, über den Jahreswechsel hinaus weitere Fortbildungsangebote

für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst zu entwickeln.

Im zweiten Halbjahr ist ein Informationsaustausch mit muslimischen Gemeinden geplant mit dem Ziel der öffentlichen Vermittlung, dass der Zwang zur Ehe mit den Grundsätzen des Islam nicht zu begründen ist. Auf die Bedeutung und Notwendigkeit eines ständigen interkulturellen und interreligiösen Dialogs wird hingewiesen, und es ist noch in diesem Jahr geplant, eine Gesprächsrunde mit Fachkräften und Vertreterinnen und Vertretern der Moscheevereine zum Thema einzuberufen.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich mich für die Antwort des Senats bedanken, weil deutlich geworden ist, dass wir mit den vorhandenen Rahmenbedingungen in Bremen und Bremerhaven eine gute Grundlage für Beratung und Hilfe als Angebot für betroffene Frauen und zur Herstellung von Öffentlichkeit und Aufklärung haben.