Protocol of the Session on June 22, 2005

(Dagegen SPD, CDU und Abg. T i t t - m a n n [DVU])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt den Antrag ab.

Jetzt lasse ich über den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD mit der Drucksachen-Nummer 16/665 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen und Abg. W e d l e r [FDP])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen Abg. T i t t m a n n [DVU])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Im Übrigen nimmt die Bürgerschaft (Landtag) von der Antwort des Senats mit der Drucksachen-Nummer 16/647 auf die Große Anfrage der Fraktionen der SPD und CDU Kenntnis.

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten und zur Änderung des Gesetzes über das Krebsregister der Freien Hansestadt Bremen

Mitteilung des Senats vom 3. Mai 2005 (Drucksache 16/601) 1. Lesung 2. Lesung

D a z u

Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vom 18. Mai 2005

(Drucksache 16/623)

u n d

Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der CDU

vom 21. Juni 2005 (Drucksache 16/661)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Röpke, ihr beigeordnet Staatsrat Dr. Knigge.

Gemäß Paragraph 34 Absatz 1 der Geschäftsordnung findet in der ersten Lesung zunächst eine allgemeine Besprechung statt, ihr folgt in der Regel die Einzelberatung. Ich schlage Ihnen jedoch vor, dass wir den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, Drucksache 16/623, und den Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und der CDU, Drucksache 16/661, mit in die allgemeine Aussprache einbeziehen.

Ich höre keinen Widerspruch. – Dann werden wir entsprechend verfahren.

Die allgemeine Aussprache ist eröffnet.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hoch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Gesetz über ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten, kurz das PsychKG genannt, regelt Hilfen für psychisch Kranke, die wegen der Besonderheit psychischer Störungen und zur Erlangung der Ansprüche psychisch kranker Menschen notwendig sind, unter anderem, um diese Erkrankung eventuell zu heilen, deren Verschlimmerung zu verhüten, Krankheitsbeschwerden zu lindern und Wiedereingliederung zu fördern. Mir ist es wichtig, hier noch einmal ganz deutlich zu betonen, dass auch in diesem Gesetz Ansprüche und Rechte psychisch kranker Menschen geregelt sind, das wird in der Debatte oft nicht beachtet.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Für uns Grüne stand immer bei der ganzen Debatte um diese Änderung des PsychKG im Vordergrund, dass diese Rechte und Ansprüche psychisch kranker Menschen nicht vermehrt eingeschränkt werden.

Doch lassen Sie uns noch einmal kurz zurückblicken und uns noch einmal vor Augen führen, warum es zu einer Initiative kam, dieses Gesetz zu ändern! Im Sommer des Jahres 2003 kam es in der Bremer Neustadt zu einem Tötungsdelikt, bei dem eine psychisch kranke Frau ihre Nachbarin tötete. Daraufhin wurde auch auf die Initiative der grünen Bürgerschaftsfraktion eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe zum Thema Umgang mit gefährlichen psychisch Kranken eingerichtet. Diese hatte dann einen Bericht vorgelegt. Ein wichtiger Punkt war unter anderen in diesem Bericht die Verbesserung der Kommunikation der beteiligten Akteure mit der Polizei und noch andere Maßnahmen, auf die ich hier im Detail nicht weiter eingehen werde.

In diesem Bericht der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe wurde unter anderem vorgeschlagen, das PsychKG dahin gehend zu ändern, dass auch eine ambulante Behandlung ermöglicht werden sollte. Von Anfang an war für uns Grüne die Prämisse an eine Gesetzesänderung, dass eine ambulante Behandlung nur mit Einverständnis der Patientin, des Patienten stattfinden darf. Die zu ändernden Paragraphen sind so auszugestalten, dass es zu keinem Missbrauch führen kann und dies nur freiwillig durchgeführt werden darf. Eine Behandlung gegen den Willen der Patientin oder des Patienten darf, wie bisher, ausschließlich in einer stationären Einrichtung stattfinden.

Wir möchten keinen Rückschritt in der Psychiatrie, sondern wir möchten hier die eingeleiteten Veränderungen in der Psychiatrie weiter fortsetzen. Die psychiatrische Behandlungskultur ist durch eine empfindliche Balance von Heil- und Ordnungsfunktion gekennzeichnet. Diese Balance zu halten muss oberste Priorität haben.

Gerade in letzter Zeit hat es erhebliche Anstrengungen gegeben, die Behandlungskultur zu verbessern und die öffentliche Wahrnehmung psychisch

kranker Menschen positiv zu beeinflussen. Besonders durch das gestiegene Selbstbewusstsein von Patientinnen und Patienten und auch ihrer Angehörigen sind wesentliche Schritte in der Richtung des Dialogs erzielt worden.

Deshalb ist hier ein Gesetz wichtig, wenn es verabschiedet wird, das keine Kultur des Misstrauens zulässt und ganz klar in der Ausgestaltung bei den Paragraphen ist. Diese Klarheit haben wir in dem vorgelegten Gesetz vermisst und Ihnen deshalb unseren Änderungsantrag vorgelegt. CDU und SPD haben in den letzten Monaten zwar immer wieder gesagt, dass sie eine ambulante Zwangsmedikation nicht wollen, doch die nötige Klarstellung dafür im Gesetzestext blieb aus. Gestern haben sie dann einen Änderungsantrag eingebracht, der von der SPD schon lange in den Medien angekündigt wurde, jedoch dann, denken wir, im Koalitionsgezerre hängen geblieben ist. Wir finden unseren Änderungsantrag viel weitgehender und auch besser. Den Antrag der großen Koalition bewerten wir als gerade noch ausreichend. Deshalb werden wir, falls Sie unseren Antrag ablehnen werden, Ihrem Antrag zustimmen.

Zum Schluss möchte ich noch ein paar Anmerkungen über die breite Debatte im Vorfeld dieser Gesetzesänderung machen! Wir Grünen fanden es gut, dass es diese breite Debatte gegeben hat, auch über Bremen hinaus. Wir haben uns intensiv mit den Stellungnahmen auseinander gesetzt. Das ist gelebte Demokratie, wenn so intensiv um Positionen und Formulierungen gerungen wird, meine Damen und Herren.

Wie ein Gesetz aber in der Praxis umgesetzt wird, ist ebenso ein wichtiger Punkt. Ich denke, das ist dann auch Aufgabe der Besuchskommission, die auch nach dem PsychKG eingesetzt wurde. Ich als Mitglied dieser Besuchskommission kann sagen – und ich denke, ich kann auch für meine Kollegen von der CDU und von der SPD sprechen –, wir werden diesen Auftrag annehmen und ihn auch wahrnehmen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohr-Lüllmann.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich brauche jetzt zu Beginn der Debatte nicht mehr darauf hinzuweisen, warum wir dieses Gesetzesänderungsverfahren angestrebt haben, das hat die Kollegin Frau Hoch gerade deutlich gemacht. Zudem möchte ich auch bei dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten im weiteren Verlauf vom PsychKG sprechen, sonst wird es zu kompliziert.

Anlass war also das Tötungsdelikt in der Neustadt im Jahr 2003, als eine Frau dort von ihrer psychisch

kranken Nachbarin erstochen wurde. Anlässlich, das hat Frau Hoch gerade gesagt, dieser Tat kam es dann zu dieser ressortübergreifenden Arbeitsgruppe. Die Empfehlung dieser Arbeitsgruppe sah unter anderem vor, dieses Gesetzesänderungsverfahren anzustreben.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass es hier um eine Fachgruppe ging, die über 30 Personen stark war, um es einmal so zu sagen, in der Personen aus allen Fraktionen saßen, Fachleute wie zum Beispiel die Chefärzte der Psychiatrie der Stadt, das Ressort, die Juristen, die Polizei und so weiter. Es waren im Grunde alle Fachleute vertreten. Es folgten dann Protokolle, Korrekturen, Zwischenberichte. Zu allem konnte man im Übrigen noch einmal schriftlich Stellung nehmen. An jeder Stelle gab es also noch einmal die Möglichkeit zur Beteiligung innerhalb des Verfahrens. In einem Zwischenbericht dieser AG wurde dann unter anderem vorgeschlagen, eine langfristige Maßnahme in Erwägung zu ziehen, eben die Änderung des PsychKG. Ich will also sagen, es war ein langer Weg, bis uns nun heute hier diese Gesetzesänderung beschlussfertig vorliegt.

Vorgesehen ist in der Gesetzesnovelle, dass das Gericht die stationäre Unterbringung einer psychisch kranken Person aussetzen kann mit der Auflage einer ambulanten oder teilstationären Behandlung. Das Gericht kann diese Aussetzung widerrufen, wenn der Patient oder die Patientin die vom Gericht verordnete Auflage einer ambulanten oder teilstationären Behandlung nicht erfüllt. Als Vorteil wird gesehen, dass die psychisch Kranken in größerem Umfang ein selbstbestimmtes Leben führen können, wenn sie einer ambulanten oder teilstationären Behandlung zustimmen und durch diese Behandlung selbstverständlich keine Selbst- und Fremdgefährdung mehr ausgeht. In der Praxis bedeutet das die Übertragung der Zuständigkeit auf die psychiatrischen Behandlungszentren. Die Einrichtung hat die Aufgabe, die Einhaltung der Behandlungsauflage zu überwachen. Dies ist ein übersichtliches, kontrollierbares Verfahren, das natürlich nur funktioniert, wenn das Behandlungszentrum entsprechend zuverlässig, zeitnah und umfassend in das Verfahren eingebunden ist.

Ziel des Gesetzes war in erster Linie die landesrechtliche Ausgestaltung eines Bundesparagraphen 70 FFG, Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Eine Aussetzung der stationären Unterbringung war danach nach Bundesrecht bereits möglich. Neu ist lediglich die landesrechtliche Ausgestaltung in unser psychiatrisches Hilfesystem. Wenn ein Verfahren also ambulant ansetzen soll, ist die Durchführung und deren Zuständigkeit selbstverständlich zu beschreiben, damit wir für alle Beteiligten und insbesondere für die Patienten Rechtssicherheit erreichen, die in diesem System natürlich nicht verloren gehen sollen, also ein kontrolliertes und für alle Beteiligten maximal sicheres Verfahren.

Ziel ist übrigens darüber hinaus, Patienten nicht unnötigerweise im Krankenhausbetrieb zu behalten, sie in ein psychiatrisches Versorgungsnetz zu entlassen, das in Bremen übrigens als vorbildhaft und bundesweit anerkannt gilt, darüber hinaus einzigartig in seinen individuellen Betreuungsmöglichkeiten ist, was selbst den Kritikern dieses vorliegenden Gesetzestextes entgegenkommen dürfte. Ich möchte an dieser Stelle auch noch erwähnen: Wir machen es uns insgesamt nicht leicht, denn auch dieses durch Fachleute als vorbildhaft bewertete System wird zurzeit hinsichtlich seiner Schnittstellen aus Qualitätssicherheitsgründen von externen Gutachtern und nicht von uns selbst analysiert und bewertet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den Beratungen der letzten Woche zu diesem gleichermaßen komplizierten und hoch wichtigen Thema habe ich im Übrigen wie noch bei keinem anderen politischen Thema zuvor erfahren können und müssen, welche ungeheure Verantwortung wir in der Politik übernehmen, wenn wir über psychisch kranke Menschen urteilen, beschließen und Gesetze und Vorschriften erlassen. Nie zuvor ist mir, das muss ich auch sagen, im Laufe der Beratungen und auch durch einen unglücklichen Zufall einer schicksalhaften persönlichen Begegnung mit schwer psychisch Kranken bewusst geworden, dass unser politisches Handeln Grenzen hat, wenn wir uns mit den Grenzerfahrungen menschlicher Schicksale beschäftigen. Nach allen Gesprächen, Begegnungen, Erfahrungen und Erlebnissen der vergangenen Woche bin ich, was die Behandlung und den Umgang mit gefährlich psychisch kranken Menschen angeht, ebenso schockiert, erschrocken und auch zum Teil verunsichert.

Ganz sicher aber bin ich mir in folgenden Punkten: Es gibt keine schnellen und einfachen Lösungen! Wir kommen keinen Schritt weiter, wenn wir neue Meldeverfahren einführen oder neue bürokratische Vorschriften erlassen. Nahezu alle Beteiligten sind mit der Situation, mit einem gefährlich psychisch Kranken leben oder auch nur sprechen zu müssen, geschweige denn, ihn sachgerecht und menschlich zu behandeln, völlig überfordert. Die Möglichkeiten, die Angehörige, Bekannte, Nachbarn und Freunde haben, die Betroffenen und sich selbst zu schützen, reichen nicht aus und werden auch durch neue, erweiterte Vorschriften nicht ausreichend gelöst werden können.

Die Mittel und Möglichkeiten, die Ordnungsbehörden und Polizei zur Verfügung stehen, um die Kranken selbst und gefährdete Menschen zu schützen, reichen nicht aus. Welche erweiterten Vorschriften wir auch immer beschließen, wir dürfen niemals außer Acht lassen, dass es echte Gefährdungen gibt, aber natürlich auch immer die Gefahr besteht, dass angebliche Gefahr konstruiert werden kann, um Menschen ungerechtfertigterweise wegschließen zu lassen. Wir können das Risiko nicht ausschließen, aber wir können es zumindest minimieren.

Gestärkt werden muss in jedem Fall die Polizei, die zwar Erfahrungen mit gefährlich psychisch kranken Menschen besitzt, die aber bei jedem neuen Fall an Grenzen stößt und allein gelassen ist. Geschaffen werden muss aber auch in jedem Fall ein sehr qualifiziertes Beratungs- und Betreuungsangebot für die engsten Angehörigen dieser Kranken und ein Schutzkonzept für die betroffenen Menschen im engsten Lebenskreis dieser psychisch Kranken. Wir müssen den Sozialpsychiatrischen Dienst stärken und ihm weitere Kompetenzen geben, wobei wir besonders an dieser Stelle Fachkompetenz, Menschlichkeit und verantwortungsbewusstes Handeln miteinander kombinieren müssen.

Die Psychiatrie muss sich, wie jede medizinische Einrichtung, permanent neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen stellen, sich Veränderungen stellen und muss sich stärker als andere Institutionen öffentlicher Kontrolle stellen, darf niemals Selbstzweck werden und hat stets und ständig nur einem zu dienen, nämlich dem schwer kranken, hoch gefährdeten und auch für andere zur Gefahr werdenden Menschen.

Lassen Sie mich noch abschließend zu den Anträgen kommen! Der Antrag der SPD und der CDU fügt an einer Stelle im Gesetzestext noch eine kleine Verdeutlichung ein. Wir haben hier mit viel Vorsicht diskutiert. Das ist nicht etwa großkoalitionärer Zwist, sondern wir haben uns beide wieder auf ein großes Fachgremium berufen. Wer traut sich schon zu, in diesem Detail selbst urteilen zu können?