Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und von Abgeordneten der Fraktionen der SPD und der CDU vom 17. Januar 2005 (Drucksache 16/508)
Der am 17. Januar 2005 eingegangene Misstrauensantrag ist von allen Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Abgeordneten der SPD und der CDU unterzeichnet und allen Abgeordneten und dem Senat am gleichen Tag mitgeteilt worden. Er hat insofern die in Artikel 110 Absatz 2 der Landesverfassung aufgeführten Erfordernisse für einen Antrag, einem Mitglied des Senats das Vertrauen zu entziehen, erfüllt.
Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Präsident Bush hat Recht, und Angela Merkel hat auch Recht! Lassen Sie uns endlich wieder über Werte reden! Lassen Sie uns reden über Werte in der Politik! Lassen Sie uns über die Werte des Innensenators Thomas Röwekamp reden, und lassen Sie uns darüber reden, welche Werte sich in der bremischen Politik in den letzten Jahren wie verändert haben und wie wir heute die Werte in der bremischen Politik einschätzen!
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Vor drei Jahren, am 11. Dezember 2001, haben wir Grünen nach dem Tod eines Menschen in Hamburg nach der zwangsweisen Vergabe von Brechmitteln durch eine in die Nase eingeführte Magensonde einen Antrag zur Einstellung dieser Praxis in Bremen hier in die Bürgerschaft eingebracht. Die meisten von Ihnen, sehr viele von Ihnen, waren damals schon Abgeordnete und können sich an die Debatte erinnern. Das Protokoll der Debatte vom 13. Dezember 2001 sagt zum Ergebnis der Abstimmung über unseren Antrag, die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln einzustellen: Dafür Bündnis 90/Die Grünen, Dagegen SPD, CDU und Abgeordneter Tittmann, DVU. In meiner damaligen Rede sagte ich am Schluss, ich zitiere mit Genehmigung der Präsidentin: „Sie können heute durch Ihre Stimme verhindern, dass dies weiter stattfindet, ob wir dieses Risiko eingehen oder ob wir dies nicht tun. Sollte nach dieser Entscheidung des Parlaments ein ähnlicher Vorfall in Bremen passieren, wissen wir wenigstens, dass er hätte verhindert werden können. Sie hätten heute diesen Antrag annehmen können.“ Soweit das Zitat aus der Rede von 2001! Laye-Alama Conde ist einen durch und durch sinnlosen Tod gestorben, aber was seinen Tod umso tragischer macht: Er hätte durch eine Abstimmung in diesem Haus vor drei Jahren, durch ein einfaches Handaufheben verhindert werden können. Jetzt, heute, will niemand die politische Verantwortung für diesen Vorgang übernehmen, meine Damen und Herren. Das sage ich bewusst zu Anfang meiner Rede, ein solches Votum hätte den notwendigen Kampf gegen die Drogenkriminalität keineswegs geschwächt. Trotz zwangsweiser Brechmittelvergabe in all den Jahren, trotz markiger Sprüche des schon vierten CDU-Innensenators in noch nicht einmal zehn Jahren sind die Drogendelikte im letzten Jahr in Bremen erneut angestiegen. Wie wir heute sehen, auch an dem vorliegenden Antrag der CDU- und der SPDFraktion in diesem Hause, geht eine effektive Bekämpfung der Drogenkriminalität, so ist nämlich der Titel dieses Antrags von SPD und CDU, auch ohne Zwangsvergabe von Brechmitteln, das sagen Sie heute selbst. Der CDU-Vorsitzende Bernd Neumann lobt plötzlich, dass die neue Abkehr vom Brechmittel ja voll auf bayerischer Linie sei, eine Position, die die Grünen, die von der CDU in dieser Frage immer so hart gescholten werden, schon immer vertreten haben. Wir waren in dieser Frage schon immer auf der gleichen Linie wie Bayern. Sie haben sehr lange gebraucht, bis Sie so weit gekommen sind, meine Damen und Herren! (Bürgermeister D r. S c h e r f : Sie haben am Anfang mitgemacht, 1992, das verdrän- gen Sie! – Zuruf der Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen])
Ich glaube, dass wir uns mit Ihnen, Herr Scherf – ich nehme an, dass Sie in dieser Debatte nachher Stellung nehmen –, auch noch auseinander setzen müssen. Auch Sie haben in all diesen Jahren eine politische Position vertreten, die Sie heute wahrscheinlich hier an diesem Pult noch zu rechtfertigen haben.
Der Kollege Hermann Kleen von der SPD hat in der Debatte vor drei Jahren gesagt, ich zitiere: „Wir werden diesen Antrag ablehnen, weil wir die Verabreichung des Brechmittels in Bremen nicht einstellen wollen, weil wir die Verhältnisse in Bremen kennen.“ Hermann Kleen fuhr damals fort, „dass die Ärzte des Instituts für Rechtsmedizin zwar mit Nasensonden arbeiten, wenn der Beschuldigte nicht freiwillig trinkt, aber körperlichen Widerstand niemals mit Gewalt brechen. Wenn es nicht gelingt, einen sich heftig Wehrenden zu fixieren, dann muss auf die Maßnahme notfalls verzichtet werden.“
Das, was der Kollege Kleen damals nach bestem Wissen und Gewissen in dieser Debatte sagte, war damals auch schon identisch mit einer internen Dienstanweisung von Dr. Birkholz, dem Leiter des Ärztlichen Beweissicherungsdienstes in Bremen. Nicht identisch allerdings, auch damals schon nicht, war sie mit der rechtlichen Grundlage für diese Eingriffe in Bremen, nämlich der Verfügung des leitenden Oberstaatsanwalts vom Mai 1995, in der von einer Einschränkung bezüglich der sich wehrenden Personen keine Rede war. Es war vor allem auch nicht identisch mit dem, und das wissen wir heute, was zum Beispiel in der Nacht des 27. Dezember 2004 zwischen zwei und drei Uhr in der Frühe, aber nicht nur zu diesem Zeitpunkt dann tatsächlich im Polizeigewahrsam passierte.
So sehr die genaueren Umstände der qualvollen Prozedur in dieser Nacht auch noch der Aufklärung im Detail bedürfen – hier warten wir noch auf das Ergebnis der Obduktion und der abschließenden Berichte der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft –, zwei Fakten hat niemand in diesem ganzen Verfahren bestritten: erstens, dass Laye-Alama Conde sich auf das Heftigste gegen die Einnahme des Brechmittels wehrte, das steht auch so in der Pressemitteilung der Polizei, und zweitens, dass ihm trotzdem, entgegen genau diesem Punkt, dass es dann nicht durchgeführt werden soll, das Brechmittel und größere Mengen Wasser eingeflößt wurden. Ein dritter Fakt ist ebenfalls nicht zu bestreiten, ungeachtet der einzelnen Schuldfragen im Detail: Laye-Alama Conde war, bevor er in die Obhut des Staates kam, gesund, und heute, vier Wochen später, ist er tot.
Bevor wir uns also die näheren Umstände dieser Nacht und die dann folgende politische Reaktion von Innensenator Röwekamp näher anschauen, lassen Sie mich noch einen Moment innehalten! Verbrechensbekämpfung und Strafverfolgung sind elementare Kernbereiche staatlicher Leistungen. Wir können sie weder aufgeben noch können wir diese Lei
stungen privatisieren. Wir können alles Mögliche privatisieren und streiten uns oft und gern darüber, ob es sinnvoll ist. Innere Sicherheit zu gewährleisten ist ein Punkt, der immer beim Staat liegen und bleiben wird und den wir nicht an andere übertragen können. Ohne die verdammt schwierige Arbeit von Polizei und Justiz würde schlichtweg das Recht der Stärkeren herrschen. So würden in einigen Landstrichen Sachsens heutzutage wahrscheinlich Neonazis und Skinheads für das sorgen, was sie für Recht und Ordnung halten. In einigen Innenstädten unserer Städte würden diejenigen den Ton angeben, die ihr Leben auf Kosten anderer führen wollen.
Das, was hier theoretisch klingt, ist im praktischen Einsatz anstrengend und oft lebensgefährlich. Deshalb ist es Kernbestand grüner Innen- und Haushaltspolitik, Polizei mit ihren wichtigsten Ressourcen auszustatten: ausreichende und gut ausgebildete und ausgerüstete Beamtinnen und Beamte. Wenn man die Arbeit der Polizei etwas näher betrachtet, kann man auch Ansatzpunkte finden, warum bei dieser zudem nicht besonders gut bezahlten und gleichwohl sehr anstrengenden Arbeit immer wieder Stress und Frust entstehen. Ein Innensenator muss diese Gefühle kennen und verstehen, und er muss seinen Beamten bei dieser Arbeit den Rücken stärken. Gleichzeitig muss ein Innensenator – und hier beginnt die Geschichte des Versagens des aktuellen Innensenators nach dem 27. Dezember – mit aller Autorität seines politischen Amtes Grenzen setzen, wo die Grundfesten unserer rechtsstaatlichen Ordnung überschritten werden, meine Damen und Herren!
Dafür wird er von den allermeisten Polizistinnen und Polizisten Achtung und Respekt erhalten, und dafür hat er auch eine partei- und fraktionsübergreifende politische Zustimmung in diesem Hause.
Damit sind wir wieder in der Nacht des 27. Dezember. Eines des Drogenhandels verdächtiger Mann wird verhaftet und mit ins Polizeipräsidium genommen. Unbewaffnet und gefesselt ist er ab diesem Zeitpunkt nicht nur Tatverdächtiger, das ist er aufgrund der Umstände auch, selbstverständlich, aber er ist gleichzeitig auch vollständig seinen Bewachern und dem hinzugezogenen Arzt ausgeliefert. Er muss ihnen vertrauen. Sie tragen eindeutig die praktische und der zuständige Senator die politische Verantwortung für seine Unversehrtheit auf der Basis der Strafprozessordnung und einer Reihe von internen Vorschriften.
Liest man nun sowohl die offiziell bekannten Informationen als auch das zur Verfügung gestellte Gedächtnisprotokoll des hinzugezogenen Notarztes und fügt beides zusammen, so kann man sich ein wenig in die Lage dieser Nacht hineinversetzen. Der Notarzt, dessen Bericht selbst der Innensenator als
im Kern glaubwürdig bezeichnet, wurde bei der Rettungsleitstelle bereits mit den Worten „Patient nicht ansprechbar, Atemstillstand“ – so das Zitat – angefordert. Die Szenerie besteht aus einem bereits erschöpften und mit Brechmitteln und Wasser vollgepumpten Menschen, an dem mit Magensonden und Venenkanülen herumhantiert wird. Zusammenbrüche werden ausschließlich für Simulation gehalten. Statt dann das grausame Spiel zu beenden, werden immer neue Versuche gemacht, Drogenkügelchen zu bergen, die, so eine jüngste Stellungnahme der Richter und Staatsanwälte in der Gewerkschaft ver.di hier in Bremen, wenn überhaupt, allenfalls für eine Geldstrafe ausgereicht hätten. Bereits das heftige Wehren gegen die Magensonde und Brechmittelbehandlung hätte den sofortigen Abbruch der so genannten Exkorporation bedeuten müssen.
So verschlechtert sich der Gesundheitszustand des Betroffenen rapide, was immer noch kein Ende von Wasser über die Nase in den Magen, oder war es die Lunge, ein- und auspumpen bedeutet. Als schließlich der von der anwesenden Staatsmacht aus Beamten und Arzt des Beweissicherungsdienstes irritierte Notarzt eingreift und den Patienten retten will, ist es, wie wir heute wissen, zu spät. Im Krankenhaus wird über die Rettungsleitstelle der Feuerwehr ein Patient im „Zustand nach Ertrinken“ angemeldet. Der Betroffene fällt ins Koma, wird später für hirntot erklärt und stirbt eindeutig als Folge dieser Behandlung zur Beweissicherung im Bremer Polizeipräsidium.
Der Präsident der Ärztekammer Bremen, der Arzt Dr. Klaus-Dieter Wurche, nimmt in dem in der nächsten Woche erscheinenden „Bremer Ärztejournal“ Nummer 02/05 für die Bremer Ärzteschaft Stellung zu diesem Fall. Bereits eine Uno-Resolution von 1982, eine Erklärung des Weltärztebundes von 1993, der Ärztekammer Bremen von 1996 und des Deutschen Ärztetages von 2002 sagen zusammengefasst, so der Ärztekammerpräsident Dr. Wurche: „Die Vergabe von Brechmitteln an verdächtige Drogendealer zum Zwecke der Beweissicherung ohne Zustimmung des Betroffenen ist ärztlich nicht zu vertreten.“ Das gewaltsame Einbringen von Brechmitteln mittels Magensonde stellt ein nicht unerheblich gesundheitliches Risiko dar. Diese Stellungnahmen, so der Ärztekammerpräsident in seinem Editorial zur Ärztezeitung, die nächste Woche erscheint, so Zitat mit Genehmigung der Präsidentin, „sind wiederholt den zuständigen Behörden bekannt gemacht worden“.
Wer den gewerkschaftlich orientierten Richtern und Staatsanwälten, wer den zahlreichen Professoren der Universitäten und Hochschulen, die sich ebenfalls mit einem Papier zu Wort gemeldet haben, wer auch dem Bremer Ärztekammerpräsidenten nicht traut, der traut vielleicht dem niedersächsischen CDU-Innenminister Schünemann, einem von Innensenator Röwekamp oft zitierten Vorbild. Innenminister Schünemann, CDU, Niedersachsen, antwor
tet auf eine Anfrage der Grünen im Niedersächsischen Landtag im Oktober 2003, ich zitiere: „Die in Niedersachsen gültige Erlasslage sieht die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln via Magensonde wegen medizinischer Bedenken, die die Landesregierung teilt, eben gerade nicht vor.“ Ende des Zitats der Antwort von Innenminister Schünemann, CDU, aus dem Niedersächsischen Landtag!
Vielleicht hätten Sie sich bei den Kollegen in Niedersachsen, die Sie so oft als Vorbild zitieren, einmal ein wenig früher informieren sollen, wie man dort damit umgeht, meine Damen und Herren!
Die Brechmittel- und Wasserbehandlung des 27. Dezember ist aber nur ein Teil des Skandals, der Bremen weit über seine Grenzen hinaus geschadet hat. Erheblich vergrößert wurde der Schaden durch die Reaktion von Innensenator Röwekamp. Zunächst sprechen alle Fakten dafür, dass der gesamte Vorgang nach dem 27. Dezember komplett vertuscht werden sollte. Obwohl das Innenressort durch die Tagesmeldung der Polizei von Anfang an informiert war, wurden weder die Staatsanwaltschaft – immerhin war ja ein Mensch in staatlicher Obhut erheblich verletzt worden – noch die politisch zuständigen Gremien wie zum Beispiel die Innendeputation oder deren Sprecher oder die Öffentlichkeit informiert. Bei der Staatsanwaltschaft, was ich als zynisch angesichts eines Hirntods eines in einer Klinik liegenden Menschen bezeichnen würde, wurde lediglich ein Durchsuchungsbefehl für den Wohnraum des Betroffenen beantragt, aber keine Meldung über die schwere Gesundheitsschädigung in dieser Nacht abgegeben.
Die für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen notwendigen Informationen wurden der Staatsanwaltschaft weder von dem ausführenden Arzt des Beweissicherungsdienstes noch von der Polizei noch vom Innensenator zur Verfügung gestellt. Wie kann jemand politisch verantwortlich für die Durchsetzung von Recht und Ordnung sein, der sich ebenso wie seine Behörde selbst noch nicht einmal an grundlegende rechtsstaatliche Regeln hält, meine Damen und Herren? Dieser Vertuschungsversuch wurde durch mehrere mutige Mitmenschen, die sich an Staatsanwaltschaft und Öffentlichkeit wandten, vereitelt. In Bremen werden sie dafür von einigen, auch von einigen Politikern, in die Pfanne gehauen. Woanders werden sie als so genannte Whistle-Blowers, als mutige Aufklärer geachtet und geschützt, so zum Beispiel in den USA und auch in der EU.
Hatte ich für den Versuch, einen so gravierenden Vorgang zu vertuschen, schon keinerlei Verständnis, so haben die Fernsehauftritte von Herrn Senator Röwekamp nicht nur bei mir, sondern auch bei sehr vielen anderen Menschen das blanke Entsetzen ausgelöst. Wie unsensibel, wie völlig auf dem
falschen Dampfer kann ein Politiker sein, der einen im Sterben liegenden Menschen – ob tatverdächtig oder nicht, spielt in dem Fall ja wohl keine Rolle – eiskalt und zynisch zu eigener Profilierung benutzt? Wie kann ein Politiker ohne Ausdruck des Bedauerns nur seinem Machtinstinkt in Richtung Wählerstimmen und CDU-internem Gerangel um die Führungsposition folgen und im Fernsehen alle Schuld an diesem Vorgang auf den Sterbenden abschieben?
Wie kann er, ohne sich ordentlich zu informieren, das wäre das Mindeste, denke ich, ohne innezuhalten und nachzudenken, amateurhaft und ungeschickt das Ansehen Bremens derart beschädigen, und dies auch noch, nachdem ihm am 5. Januar die notwendigen Informationen vorgelegen haben?
Lassen Sie uns über Werte sprechen, habe ich am Anfang dieser Debatte gesagt. Wer als politisch Verantwortlicher so auf eine Krisensituation, und das war sie unbestreitbar, reagiert, der verkörpert keine bremischen Werte von hanseatischem Anstand und Zurückhaltung, und es ist die große Frage, ob er charakterlich für ein so schwieriges und anspruchsvolles Amt geeignet ist, meine Damen und Herren.
Aber der Innensenator muss sich auch zuschreiben lassen, dass er die Öffentlichkeit teilweise auch noch Tage nach den Veröffentlichungen des Notarztes falsch informiert hat. Erstens hat Innensenator Röwekamp mehrfach behauptet, in Bremen seien an die 1000 Fälle von Brechmittelvergabe völlig ohne Komplikationen verlaufen. Was unsereinem einfach gelingt, nämlich mit Ärzten zu sprechen, die Menschen nach dieser Brechmittelvergabe behandelt haben, da gibt es in Bremen einige, hätten auch der Innensenator und seine Mitarbeiter tun können, nämlich sich ordentlich zu informieren. Es hätte aber auch gereicht, die Informationen in der Öffentlichkeit wie zum Beispiel Berichte im „Weser-Kurier“ von 1996, als sich ein Arzt in einer vergleichbaren Situation an den damaligen Innensenator Borttscheller wandte, einfach zur Kenntnis zu nehmen. Dann hätte von 1000 Fällen ohne Komplikationen auf gar keinen Fall mehr die Rede sein können.
Er hat zweitens den Tathergang und die Schuldfrage grob fahrlässig in ihr Gegenteil verkehrt, indem er einen bekannten, aber deswegen nicht besseren Versuch der Entlastungsstrategie wählte, der Betroffene sei selbst Schuld, habe die Drogenkügelchen zerbissen und sich dabei selbst vergiftet. Bei der Leitstelle der Senator Röwekamp unterstehenden Feuerwehr wurde deutlich ein Patient im „Zustand nach Ertrinken“ angemeldet und auch aufgezeichnet. Auch die behandelnden Ärzte im Krankenhaus hätten der Staatsanwaltschaft, die dazu berech
tigt wäre, wenn sie denn vom Innenressort rechtzeitig eingeschaltet worden wäre, die tatsächlichen medizinischen Befunde, die die Theorie vom Selbstverschulden widerlegt hätten, sicher gern mitgeteilt.
Drittens ist ein amtierender Innensenator einer christlichen Partei ins Fernsehen gegangen und hat einen im Krankenhaus liegenden hirntoten Patienten als auf dem Wege der Besserung befindlich bezeichnet und gesagt, er sei ganz sicher, „dass dieser nicht sterben werde“. Hierzu erübrigt sich jeder Kommentar.
Viertens suggerierte der Innensenator am 7. Januar 2005 noch im „Weser-Kurier“, der Einsatz vom 27. Dezember sei von einem Richter oder Staatsanwalt angeordnet worden, und er versucht, die politische Verantwortung komplett an das Justizressort abzuschieben. Er weiß zu diesem Zeitpunkt ganz genau, dass weder in diesem Fall des 27. Dezember noch in irgendeinem anderen Fall eine richterliche Anordnung eingeholt oder erteilt wurde, sondern dass die Polizeibeamten ganz selbstverständlich bei Gefahr im Verzug, wie es heißt, ohne Einschaltung der Justiz in eigener Verantwortung agieren. Besonders problematisch bei dem Versuch, die eigene politische Verantwortung auf das Justizressort abzuwälzen, ist die Tatsache, dass das Innenressort die Staatsanwaltschaft nach dem 27. Dezember über das wahre Ausmaß der Folgen dieser Brechmittelvergabe im Dunkeln gelassen hatte, um hinterher dann die Verantwortung nach dort abzuschieben.
Wem angesichts von bremischer Nähe und großkoalitionärer Nächstenliebe all dies für einen längst überfälligen Ministerrücktritt nicht reicht, sondern höchstens für eine gelbe Karte, der muss zwingend die rote Karte ziehen, wenn sich ein Senator via Fernsehen außerhalb der für uns alle geltenden Rechtsordnungen stellt und verkündet: „Schwerstkriminelle, die solche schweren Straftaten begehen, müssen mit körperlichen Nachteilen rechnen.“ Als Jurist und erfahrener Anwalt, aber auch als Rechts- und Innenpolitiker mit Erfahrung kennt Herr Röwekamp das Grundgesetz mit seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit für jedermann, auch für Tatverdächtige.
Er kennt auch den Paragraphen 81 a der Strafprozessordnung ganz genau. Eingriffe bei Tatverdächtigen zu Untersuchungszwecken sind nur zulässig, wenn kein Nachteil für deren Gesundheit zu befürchten ist. Dies ist keine juristische Spitzfindigkeit oder etwa ein Randaspekt unserer Gesellschaft. Diese Bestimmung ist Teil des demokratischen Nachkriegskonsenses, Teil unserer demokratischen Grundordnung zur Abwehr von Staatswillkür, Folter und Machtmissbrauch, nichts weniger ist diese Bestimmung, meine Damen und Herren!