Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich ehemalige Mitarbeiter von Daimler-Benz/Daimler-Chrysler.
Ich vermute einmal, Sie hören lieber Daimler-Benz! Ferner begrüße ich zwei Klassen des Schulzentrums Butjadinger Straße. Ganz herzlich willkommen!
Meine Damen und Herren, gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Sehr geehrte Frau Senatorin Röpke, ich gehe davon aus, dass Sie darauf verzichten wollen, so dass wir gleich in die Aussprache und in die Debatte eintreten können.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Wenn wir heute Morgen über Pflegeversicherung reden, sollten wir vielleicht auch einmal einen Moment darüber nachdenken, da ja viele junge Menschen hier im Haus heute zu Gast sind: Pflegefall zu sein ist keine Frage des Alters. Das Pflegerisiko er––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.
Wir haben als CDU-Fraktion allein diese Große Anfrage an den Senat gestellt, weil wir bei den Gesprächen mit unseren Senioren immer wieder den Wunsch nach einer Reform der Pflegeversicherung vorgetragen bekommen haben. Ich glaube, das geht den anderen Fraktionen in diesem Haus nicht anders. Wenn man die Presse, auch die ernst zu nehmende Presse, in den letzten Wochen verfolgte, dann kann man nicht umhin kommen festzustellen, dass in der Bevölkerung, die in Jahren reifer ist, eine zunehmende Angst um die Pflegeversicherung existiert. In der „Wirtschaftswoche“ gab es einen dramatischen Bericht über die Angst der Alten, den Kindern als Pflegefall finanziell zur Last zu fallen. An einer anderen Stelle wurde über Suizidzunahme wegen Angst, ein Pflegefall zu werden, berichtet. Die Lage spitzt sich dramatisch zu.
Meine Damen und Herren, die Menschen und insbesondere die älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger sind besorgt, was die Pflegeversicherung angeht. Eine dringend anstehende Reform wird in Berlin nur schleppend betrieben, die Bundessozialministerin erteilt den Plänen einzelner Ländersozialministerien eine Absage, die Pflegeversicherung noch in diesem Jahr grundlegend umzugestalten. Selbst bei der vom Bundesverfassungsgericht vorgeschriebenen Anpassung der Beiträge ist man noch zu keiner Lösung gekommen, die die Familie nach dem Urteil entlasten soll. Zitat der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Renate Schmidt, SPD, vom 22. August 2004, ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten: „Wir werden in diesem Jahr das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beitragsgerechtigkeit zwischen Kinderhabenden und Kinderlosen umsetzen. Dies duldet keinen Verzug.“
Dem „Weser-Kurier“ vom 23. August 2004 kann man entnehmen: „Kritik an Pflegeplänen“. Darin heißt es, ich zitiere: „Das Vorhaben der Bundesministerin,“ diesmal ist es Ulla Schmidt, auch SPD, Sozialministerin ihres Amtes nach, „die Beiträge von Kinderlosen 2005 um einen Viertelprozentpunkt zu erhöhen, halten die SPD-Minister“, gemeint sind die Sozialministerinnen, „aus den Ländern NordrheinWestfalen, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Bremen für nicht ausreichend.“ Die Antwort des Senats vom 17. August dieses Jahres unter Punkt vier ist da noch zögerlicher. Der Inhalt dieses Artikels ist aber deutlich und eindeutig.
Wir wollen einfach, dass dieser von uns mitgetragene Senat sich Gedanken macht, wie die Pflegeversicherung in der Zukunft ausgestaltet werden kann. Die Pläne von Rürup lassen auch keine großen Hoffnungen aufkommen. Die CDU-Fraktion nimmt die Sorgen der älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger sehr ernst. Kein Mensch kann die demographische Entwicklung leugnen, sie ist da, bei jedem Gang durch die Wallanlagen sehen Sie deut
lich mehr alte Menschen mit Hund als junge Menschen mit Kinderwagen. Ich beobachte das jedenfalls im Grünzug West, und ich glaube, Ihnen geht es genauso, wenn Sie dort spazieren gehen. Die Zahlen der Antwort auf Frage zwei belegen das in dramatischer Weise.
In Vorbereitung dieser Debatte habe ich mir zwei Bücher genehmigt und durchgelesen, einmal „Der Methusalem-Komplex“ und dann das Buch der Enquetekommission 2002. Das eine ist ein bisschen reißerisch geschrieben. Das andere Buch, das der Enquetekommission, ist ein bisschen anstrengend zu lesen und auch viel dicker, aber es macht ganz deutlich, wohin die Zukunft geht und wie dramatisch die Situation ist. Wer es immer noch nicht begriffen hat, in was für einer dramatischen Situation der Überalterung dieses Volkes wir sind, den würde ich dringend bitten, diese beiden Bücher zu lesen, dann ist er auf dem laufenden Stand, und dann bekommt das Wort des Bundespräsidenten „Kinderlärm ist Zukunftsmusik“ wieder eine ganz andere Bedeutung für die Ohren.
Meine Damen und Herren, in der Antwort auf Frage drei zeigt der Senat all die Möglichkeiten auf, die zu einer deutlichen Verbesserung der Situation in der Pflege führen würden, ich komme darauf zurück. Gleichermaßen zeigt er deutlich auf, welche Wirtschaftskraft in der Zukunft von der Pflege ausgehen kann und ausgehen wird. Das BAW-Gutachen macht deutlich, welcher wirtschaftliche Nutzen von Investitionen in Pflegeeinrichtungen in Bremen und Bremerhaven ausgehen könnte und bereits ausgeht.
Jeder neue Pflegeplatz, der in unseren beiden Städten geschaffen wird, bedeutet einen neuen Arbeitsplatz, und von Arbeitsplätzen haben wir ja gestern und in der letzten Debatte geredet. Arbeitsplätze brauchen wir dringend, dringender als vieles andere, und dann muss man eigentlich sagen, viel ist seit dem Gutachten, das seit 2003 vorliegt, nicht geschehen. Einige private Anbieter haben neue Heime gegründet. Es sei ihnen gegönnt, dass sie damit auch Geld verdienen, aber der Mut, so etwas einzurichten, gehört eigentlich belohnt. Vielleicht sollten wir alle mehr Mut dazu haben, nicht nur ein High-Tech-Standort zu werden, City of Science, sondern auch ein Standort, an dem man sagt, hier in Bremen ist die Pflege besonders gut geraten, hier ist ein Pflegestandort Bremen, der über die Quantität hinaus Qualität aufweist.
Unser Ziel muss es sein, Rehabilitation vor Pflege und das Ambulante vor dem Stationären einen deutlichen Schritt nach vorn zu bringen. Das schließt auch die Anschlussrehabilitation nach einem Krankenhausaufenthalt ein. Da ist noch vieles zu tun. Die geriatrische Rehabilitation hilft dem Menschen, seine Selbständigkeit und Eigenkompetenz zu verbessern oder sogar wiederzuerlangen. Das ist menschlicher, und das ist für uns alle gut. Das müssen wir nach Meinung der CDU-Fraktion vorantreiben, nicht
einmal, weil es möglicherweise Kosten sparen würde, sondern weil es vor allen Dingen menschlicher und humaner ist, wenn Menschen, die eine schwere Erkrankung hinter sich haben, wieder auf eigenen Beinen ihr eigenes Leben so weit wie möglich gestalten können, unter menschenwürdigen Umständen, ohne Angst, älter zu werden. Darauf kommt es doch an, und das ist eine Hoffnung, die wir alle in uns hegen. Deshalb müssen wir an der Angebotsvielfalt arbeiten, und diese Angebotsvielfalt sollte sich aus Familienpflege, ambulanten Diensten, Heimund Kurzzeit- und Tagespflege zusammensetzen.
Es muss mehr Anreize für die Nutzung von teilstationären Angeboten geben, und daran mangelt es noch, denn es gibt unbestritten eine Schnittstellenproblematik. Noch immer stehen die Betroffenen meist ohne ausreichende Unterstützung vor der schwierigen Aufgabe, aus den vorhandenen Angeboten prinzipiell möglicher Hilfen die richtigen und wichtigen für ihre Betroffenen auszuwählen. Ohne ein solches Angebot wird im Zweifelsfall das teure Heim gebucht, was vielleicht noch gar nicht notwendig ist. Bei allen Mühen, die man sich in den Heimen gibt, verliert der Mensch doch ein Stück Lebensqualität. Zu den Heimen und der Bürokratie, der sie unterliegen, kommen wir in der nächsten Zeit mit einer weiteren Großen Anfrage, die von der Koalition bereits eingebracht worden ist, und die Debatte werden wir dann führen.
Eines will ich aber für die CDU-Fraktion heute schon sagen: Respekt vor denen, die Heime betreiben und sich Angriffen wie dem vom Sozialverband Deutschland vom 27. August 2004 aussetzen müssen! Dort wurden Horrorzahlen von 10 000 Toten pro Jahr durch mangelnde Versorgung in den Heimen in die Welt gesetzt, und dann mussten sie doch wieder relativiert werden. Doch das ist so wie mit den Gänsen: Wenn Sie eine Gans rupfen und die Federn durch das Dorf wehen, ist es unmöglich, alle Federn anschließend wieder aufzusuchen. So ist das auch mit Berichten!
Meine Damen und Herren, Respekt aber auch vor denen, die an den Menschen die Pflege nach bestem Wissen und Gewissen ausführen! Dafür den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Heimen und in der Pflege ein Dankeschön!
Wir müssen auch Antworten auf folgende Fragen finden: Ambulant vor stationär ist gewünscht, sogar vom Gesetz gewollt, aber warum wird so wenig dafür getan? Rehabilitation vor Pflege ist gewünscht, warum wird die Zuständigkeit hier nicht vereinfacht? Noch ist für die Rehabilitation die Krankenversicherung zuständig, für die Pflege die Pflegeversicherung. PLAISIR, und das ist jetzt ein schwieriges Wort, weil es eine Mischung aus Amerikanisch und Französisch ist, ich gebe Ihnen nur einmal die Übersetzung, informatisierte Planung der erforderlichen Pflege, das ist ein Software-Programm, soll ein einheitliches Instrument zur Sicherung der Pflegequa
lität sein. Dieses Verfahren ist gescheitert, weil man mit dem kanadischen Rechteinhaber nicht zurechtkam. Wir brauchen dringend solch ein Programm, das die Pflegenden davon befreit, viel zu viel Zeit für beweispflichtige Unterlagen aufzuwenden, sondern diese Zeit sollte denen zugute kommen, die zu pflegen sind.
Wir reden heute viel über Kundenorientierung in allen Fällen. Kunde ist in diesem Fall der Mensch, der gepflegt wird, und der hat Anspruch auf Leistung, die, von welcher Stelle auch immer, für ihn gezahlt wird. Wir sind bei dem Problem der demenziell erkrankten Menschen und ihrer Angehörigen noch keinen Schritt weiter. Wir haben in diesem Haus mehrfach über demenzielle Erkrankungen gesprochen, aber weitergekommen sind wir dort eigentlich noch nicht.
Meine Damen und Herren, es fehlen uns im System die Einzahler, egal wie die Finanzierung der Pflegeversicherung künftig vor sich gehen wird.
Ich komme sofort zum Schluss, Herr Präsident! Mehr Leistung gönnen wir uns für die Pflege nur, wenn wir mehr Geld zur Verfügung stellen können, das ist die Problematik. Die Lohnkosten oder Lohnnebenkosten sollen sowohl von der Bundesregierung in Berlin als auch von der Opposition nicht weiter belastet werden, also müssen durch mehr Einzahler, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung haben, mehr Beiträge in die Kasse der Pflegeversicherung kommen. Die aktuellen Arbeitslosenzahlen haben Sie gestern und vorgestern der Presse und der Berichterstattung entnehmen können, und da ist keine Trendwende in Sicht. Das Dilemma wird also weitergehen.
Bedenkenswert erscheint der CDU-Fraktion auch folgende Frage: Warum gibt es Länder auf dieser Erde, die fast ohne stationäre Einrichtungen der Altenhilfe auskommen? Was machen wir in Deutschland anders oder falsch, und warum ist Pflege bei uns in Deutschland ein so großes Problem? – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich bin ganz froh, dass wir heute dieses Thema diskutieren. Am vergangenen Freitag war im Bundestag Thema das so genannte Kinderberücksichtigungsgesetz, das für die Pflegeversicherung eingebracht wurde, und von daher sollten wir einiges, glaube ich, heute noch einmal klarer darstellen.
Mit dem Pflegeversicherungsgesetz vom 26. Mai 1994 wurde eine fünfte Säule im System der Sozialversicherung geschaffen. Damit wurde das Risiko der Pflegebedürftigkeit solidarisch in Form einer Teilkaskoversicherung abgesichert. Ich erwähne hier, dass es lediglich eine Teilkaskoversicherung ist, da gibt es ja immer Irritationen. Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass bei dieser Einführung der Pflegeversicherung die Arbeitgeber nicht beteiligt wurden, denn die Arbeitnehmer verzichteten auf den Buß- und Bettag, der für den Arbeitgeberanteil geopfert wurde.
Inzwischen erhalten über zwei Millionen Menschen in Deutschland Leistungen aus der Pflegeversicherung. In Bremen, wie in der Anfrage beantwortet wurde, sind es derzeit 10 000 Menschen. Die Zahl entwickelt sich dramatisch bis hin zu 14 000 oder 15 000 im Jahr 2020, wie es in der Antwort des Senats steht.
Die Pflegeversicherung dazu beigetragen, dass pflegebedürftige Menschen in deutlich geringerem Umfang als zuvor in die Abhängigkeit von Sozialhilfeleistungen gelangt sind. Die Pflegeversicherung ist ein Kernsicherungssystem, und es stand vor kurzem in der Zeitung, dass diese Pflegeversicherung auch von sehr vielen jungen Leuten begrüßt und akzeptiert wird, es ist also nicht so, dass eine Ablehnung vorhanden ist.
Was ist das Positive daran? Hier wird Solidarität und Eigenvorsorge in Balance gebracht. Es gibt auch keinen vollständigen Erbenschutz, deshalb kann man nicht von einer Erbenversicherung sprechen, weil das Vermögen, das über bestimmten Grenzen liegt, herangezogen wird, von daher ist diese Argumentation falsch.
Inzwischen besteht aber deutlicher Handlungsbedarf, erstens wegen der finanziellen Situation, zweitens hinsichtlich des Bundesverfassungsgerichtsurteils, dass Erziehende ab 1. Januar 2005 besser gestellt werden müssen, und drittens hinsichtlich ihrer qualitativen Weiterentwicklung.
Meine Damen und Herren, wir müssen in Deutschland eine Debatte führen, was uns die Pflege wert ist und wie wir sie organisieren wollen. Wir müssen als Ziel haben, dass Alte und Pflegebedürftige möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben führen dürfen und dass Angehörige weder materiell noch emotional überfordert werden.