Protocol of the Session on March 17, 2004

die Finalitätsdebatte Europas geführt worden, was die Zielbestimmung unseres Integrationsprozesses ist. Der Konvent hat die verschiedenen Traditionen Europas zusammengeführt: die der sechs Gründungseuropäer, der Südeuropäer mit ihren anderen Erfahrungen der überwundenen Diktaturen, Griechenland, Spanien, die pragmatischen Nordeuropäer, die jetzt hinzukommenden Europäer aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, die die Erfahrungen mit der sowjetischen Diktatur über fünf Jahrzehnte erdulden mussten. Wenn man sich schon diese verschiedenen Traditionen und Geschichten der beteiligten Staaten anschaut, sieht man natürlich, dass es nicht einfach sein wird, aber dass darin gerade vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Geschichtsverständnisse und auch Politiken in diesen Ländern auch eine ungeheure Potenz und eine sehr große Chance liegt, daraus ein größeres gemeinsames Europa zu bauen.

Der Europäische Konvent hat eine Verfassung erarbeitet, die für unsere Generation und darüber hinaus ein Optimum dessen ist, was man an Integration erreichen kann, und die auch dynamisch genug ist, aus sich heraus wachsenden Ansprüchen gerecht zu werden. Wir, wie Frau Speckert und Herr Nalazek, setzen jetzt nach den schrillen Tönen Berlusconis unter der italienischen Präsidentschaft und den neuen Beweglichkeiten in Polen und Spanien, die sich andeuten, und auch noch darüber hinaus angedeuteten Kompromissgedanken bei Deutschland und Frankreich auf die intelligente und eher leise Präsidentschaftsführung der Iren. Darauf ist eben schon hingewiesen worden, dass sie eine Diplomatie angefangen haben und auch eine vielfältige Reisediplomatie, mit allen beteiligten Staaten in Europa zu sprechen und sich nicht nur auf bestimmte oder gar große Mitgliedsstaaten zu konzentrieren. Ich glaube, dass eine solche Verhandlungsführung auf jeden Fall besser ist als das, was in den letzten Monaten der italienischen Präsidentschaft passiert ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Kollegen haben eben schon hervorgehoben, dass dieses Konventsergebnis deswegen so gut ist, auch wenn sich Einzelne immer noch etwas darüber Hinausgehendes hätten vorstellen können, weil es ein guter Kompromiss ist. Unter dem Strich hat es deutlich gemacht, es soll mehr Transparenz geben, mehr Bürgernähe, mehr Effektivität und vor allem auch mehr parlamentarische Rechte.

Wenn wir diese Verfassung nicht würden verabschieden können, würden wir auf Nizza zurückgeworfen, und das hätte viele negative Konsequenzen. Wir hätten keine Charta der Grundrechte, die die Menschen auch ein Stück für Europa begeistern kann. Wir hätten weniger Partizipation, wir hätten weniger Klagerechte und vor allem mehr Blockademöglichkeiten. Das kann man nicht wollen! Von da

her sind wir zutiefst davon überzeugt, dass diese Verfassung eine gute Grundlage für alle weiteren anstehenden Fragen in Europa ist.

Wir hier im Hause und auch der Bremer Senat haben sich bisher für die Verabschiedung dieser Verfassung entschieden eingesetzt. Wir glauben, dass wir damit eine richtige und auf Europas Zukunft zielende Politik machen. Wir möchten, dass dies so weitergeht, deswegen hier und heute der interfraktionelle Antrag! Wir sind davon überzeugt, dass auch das Bundesland Bremen seine Verantwortung in diesem Prozess in den nächsten Wochen weiter verantwortlich wahrnehmen wird. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im Streit um die EU-Verfassung erklärte Kanzler Schröder erst kürzlich, es bestehe noch eine gewisse Chance, dass die Verfassung unter irischer Ratspräsidentschaft bis Ende Juni verabschiedet werden könnte.

Meine Damen und Herren, zur Frage, warum der Entwurf für eine EU-Verfassung, den der Europäische Konvent erstellt hatte, im Europäischen Rat im Dezember 2003 gescheitert ist, heißt es: Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stünde die künftige Gewichtung bei den Mehrheitsbeschlüssen. Das vor allem von Spanien und Polen blockierte Prinzip der doppelten Mehrheit besagt, dass Beschlüsse des EURates nur zustande kommen, wenn sie von mehr als 50 Prozent der Staaten getragen werden, die zugleich mehr als 60 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Herausgestellt wird also als Hauptstreitpunkt, als Hauptproblem zwischen Polen, Spanien und Deutschland, Frankreich, das im EU-Vertrag von Nizza irrsinnigerweise verbriefte Stimmrecht für Polen und Spanien. Insbesondere Polen mit knapp 38,2 Millionen Einwohnern fordert die gleiche Stimmgewichtung wie Deutschland, das mit über 80 Millionen Einwohnern weit mehr als doppelt so viele Einwohner zählt.

Dass besonders Polen rücksichtslos und skrupellos Eigeninteressen durchpeitschen will, zeigt Warschau nachweislich auch durch sein maßloses Finanzbegehren gegenüber der EU. Entsprechend dürften weitere Ärgernisse nach dem Beitritt Polens im Mai 2004 noch zunehmen. Bereits jetzt erwägt die EU-Kommission, Verfahren gegen Polen einzuleiten, das seine Werften und Stahlkocher mit europarechtlich verbotenen Subventionen heimlich hochpäppelt und erhält, während hier in Deutschland die SSW-Werft und viele andere Werften rücksichtslos und skrupellos in den Ruin getrieben werden.

Meine Damen und Herren, im vorliegenden Antrag heißt es: „Die Bürgerschaft (Landtag) ist davon

überzeugt, dass insbesondere vor dem Hintergrund der bevorstehenden Erweiterung die Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft sichergestellt sein muss. Die Grundlage für eine Einigung muss nach Überzeugung der Bürgerschaft (Landtag) nach wie vor der vom Konvent erarbeitete Entwurf des Vertrags über eine Verfassung für Europa bilden.“ Propagandisten der EU-Erweiterung erklären, der Verfassungsentwurf verheiße mehr Demokratie, mehr Übersichtlichkeit, mehr Bürgernähe sowie eine Handlungsfreiheit, sprich Effizienz und so weiter, der EU. Der sich Außenminister nennende Grüne Fischer prahlt sogar mit der Vokabel historisch. Prima! Bravo kann ich da nur sagen! Meine Damen und Herren, Männer mit Wissen und Verstand wie der Münchener Politwissenschaftler Werner Weidenfeld, ein langjähriger und hoch anerkannter Analytiker der Europapolitik, kommentiert das Ergebnis realistisch wie folgt, Herr Präsident, ich darf mit Ihrer Genehmigung zitieren: „Der EU-Konvent ist mit dem vorliegenden Ergebnis nur kurz gesprungen, weitere Schwächen des Verfassungsentwurfs sind zum Beispiel das Beharren auf dem Vetorecht in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Gefahr der Machtverschiebung zugunsten eines hauptamtlichen Präsidenten des Europäischen Rats. So wird kritisiert, dieser drohe einem vom EUParlament nur abgenickten Kommissionspräsidenten das Wasser abzugraben.“ Meine Damen und Herren, intransparent und ineffektiv nennt es der Politwissenschaftler Weidenfeld, dass es zum Beispiel auf Druck vieler Staaten keine Trennung des Ministerrats, des Organs der Regierung, in eine Gesetzgebungskammer und in einen mit exekutiven Aufgaben betrauten Rat geben soll. Zudem hat der Konvent in gar keiner Weise, ich betone, in gar keiner Weise aufgezeigt, wo Europa überhaupt endet. Nur der frühere Staatspräsident Giscard d´Estaing sagte klipp und klar, dass die Türkei nicht zu Europa gehöre, und wer für eine Aufnahme der Türkei plädiere, der wolle in Wahrheit die EU zu einer Freihandelszone verwässern, die bis in den Nahen Osten reicht. Recht hat er, meine Damen und Herren, Recht hat er! Meine Damen und Herren, es gibt wenig Gründe, die dafür sprechen, einen EU-Verfassungsvertrag auf Grundlage des Konvententwurfs zu realisieren. Insbesondere mit dem Blick auf die EU-Osterweiterung warnen und mahnen immer mehr Experten, die wahrlich keine unrealistischen Träumer sind, mit den Worten: Schließlich kämen neue Habenichtse hinzu, die einzig und allein auf finanzielle Alimentierung und Besserung ihrer hoffnungslosen, rückständigen Verhältnisse aus sind, wobei selbstverständlich nach Lage der Dinge jedem klar sein dürfte, außer Ihnen vielleicht, dass wie immer Deutschland, also der Steuerzahler, die Hauptlast der Finanzierung trägt, wobei Polen und die Tschechei weitgehend die Rolle unterwürfiger Günstlinge Washingtons spielen und auf das alte Europa, insbesondere

auf Deutschland und Frankreich, herzlich wenig Rücksicht nehmen werden. Meine Damen und Herren, 2009 wollen auch noch Rumänien und Bulgarien beitreten. Beide orientieren sich gleichfalls an US-Interessen und bringen zudem Millionen Zigeuner in den Genuss der freizügigen EU. Geradezu katastrophale Auswirkungen aber hätte der Beitritt der Türkei, die schon jetzt enorme finanzielle Zuwendungen in vielfacher Millionenhöhe aus Brüssel erfährt, um überhaupt EUReife zu erreichen. Hier stellt sich doch die Frage, was von der Bundesrepublik Deutschland übrig bleibt, wenn zirka zehn Millionen Türken, und diese Zahl ist sehr realistisch, allein nach Deutschland kommen und weitere Millionen nach Mitteleuropa hinzukommen werden, und sie werden kommen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Meine Damen und Herren, eine gigantische Umvolkung und kulturelle Entwurzelung dürfte die Folge sein. Der vorliegende Antrag klammert schwerwiegende Problemfelder auf Kosten und zu Lasten des deutschen Volkes aus und ist deshalb abzulehnen.

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Trüpel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte Herrn Tittmann von der DVU deutlich widersprechen, und zwar in folgenden Punkten:

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Zuruf des Abg. T i t t m a n n [DVU])

Seine Rede, auch hier, die so anti-europäisch war, fußt nur wieder darauf, Sozialneid zu schüren, und er versucht immer wieder, Ausländerfeindlichkeit ins Spiel zu bringen, indem er behauptet, es würde ungeheure Zuwanderung in den nächsten Jahren geben. Ich darf Sie einmal daran erinnern, meine Damen und Herren, dass es auch, als Spanien und Griechenland in die Europäische Union gekommen sind, von rechter und von rechtsextremer Seite immer genau diese Befürchtung gegeben hat. Die Erfahrungen sind aber nicht so gewesen, sondern zum großen Teil ist der Fall gewesen, dass sich die ökonomische und soziale Situation der Menschen in diesen Mitgliedsstaaten verbessert hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das war erklärtes Ziel der Europäischen Union, und ich finde auch, Herr Tittmann, gerade eine Stadt wie Bremerhaven – ich habe es Ihnen beim letzten Mal schon gesagt –, die in den letzten Jahren über––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

proportional von den Strukturfondsgeldern der Europäischen Union profitiert hat, sollte sich dessen bewusst sein und nicht so tun, als ob sie gar nichts mehr bekommen würde, weil angeblich alles nach Polen geht. Was Sie hier betreiben, ist ganz üble Volksverhetzung, und ich weise das auf das Entschiedenste zurück!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU – Zuruf des Abg. T i t t m a n n [DVU])

Auch in der polnischen Volkswirtschaft wird sich in den nächsten Jahren viel zum Positiven wenden, und es wird auch so sein, dass Deutschland und auch andere alte Mitgliedsstaaten natürlich von dieser Osterweiterung profitieren werden. Auch das gehört dazu und ist die andere Seite der Medaille.

Jetzt möchte ich noch eine Bemerkung zu Ihrer unverantwortlichen Rede über die Frage eines möglichen Beitritts der Türkei machen. Es sind hier ganz eindeutige Regelungen getroffen, und ich darf Sie noch einmal daran erinnern, dass Helmut Kohl, der ja immer einer der Befürworter war, wenn es klare Konditionierungen für einen solchen Beitritt gibt, vor gar nicht langer Zeit noch einmal daran erinnert hat: Es gibt sehr harte, so genannte Kopenhagener Kriterien, die da lauten Demokratisierung, Abschaffung der Todesstrafe, kulturelle Rechte der Minderheiten, kurdische Sprache in den Schulen, im Fernsehen, im Rundfunk, Trennung von Staat und Kirche, Zurückdrängen der Rolle des Militärs. Wenn die Türkei alle diese Kriterien erfüllen wird, gibt es keinen Grund, nicht ernsthaft in Beitrittsverhandlungen einzutreten.

Es wird im Oktober dieses Jahres einen Bericht der EU-Kommission geben, in dem sie sich dazu verhalten wird, und dann wird eine Regierungskonferenz im Dezember dieses Jahres darüber entscheiden. Es geht hier eben nicht um irgendwelche nicht konditionierten Beitrittsverhandlungen, sondern um ein ganz klares Regelwerk und um das politische Ziel, dass die Türkei sich demokratisiert. Dagegen kann man gar nichts haben, das ist ein absolut richtiges Ziel!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. T i t t m a n n [DVU]: Dann können wir China ja gleich mit auf- nehmen!)

Wenn es auch heute noch zu früh ist, diesen Prozess abschließend zu beurteilen, muss man feststellen, dass es in den letzten Monaten erhebliche Bemühungen in der Türkei gegeben hat, an diesem Demokratisierungsprozess zu arbeiten. Deswegen, Herr Tittmann, sage ich Ihnen und allen anderen, die sich so benehmen wie Sie hier: Das ist unverantwortlich, wie Sie mit dieser Frage umgehen und welche

Ängste Sie schüren, und ich weise das ganz deutlich zurück!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Bürgermeister Dr. Scherf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will es kurz machen. Ich freue mich sehr darüber, dass wir uns mit Ausnahme von Herrn Tittmann darüber einig sind, dass der europäische Einigungsprozess vor einer wichtigen, zukunftsweisenden Entscheidung steht, und ich bin optimistisch, dass nach dem Wahlergebnis in Spanien nun auch mit Polen so etwas wie eine einvernehmliche Lösung zustande kommt. Jedermann in Polen muss wissen, dass er sich in Europa eigentlich nur dann wohlfühlt, wenn er nicht isoliert ist, sondern wenn er orientiert und integriert kommuniziert.

Die Auseinandersetzung mit Herrn Tittmann ist eine Auseinandersetzung mit den Ewiggestrigen in unserer Gesellschaft, eine Auseinandersetzung mit denen, die sich immer nationalistische Lösungen als Lösungen zum Ausweg aus den gegenwärtigen Problemen fantasieren. Wir sind Gott sei Dank längst darüber hinweg! Wir sind uns mit Ausnahme von ihm einig darüber, dass es keine Alternative zur europäischen Einigung gibt, und eine europäische Verfassung wird das auch in Zukunft nachdrücklich unterstreichen. Ich freue mich, dass Senat und die ganz große Mehrheit der Bürgerschaft dort an einem Strang ziehen.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Beratung geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU und Bündnis 90/Die Grünen mit der DrucksachenNummer 16/174, Neufassung der Drucksache 16/150, seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen und Abg. W e d l e r [FDP])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen Abg. T i t t m a n n [DVU])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Gesetz über die Staatsprüfung in dem Internationalen Studiengang Steuer- und Wirtschaftsrecht – Schwerpunkt Steuerrecht –

Mitteilung des Senats vom 20. Januar 2004 (Drucksache 16/121) 2. Lesung

Die Bürgerschaft (Landtag) hat den Gesetzentwurf des Senats in ihrer Sitzung am 24. Februar 2004 in erster Lesung beschlossen.

Wir kommen zur zweiten Lesung.

Die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer das Gesetz über die Staatsprüfung in dem Internationalen Studiengang Steuer- und Wirtschaftsrecht, Schwerpunkt Steuerrecht, in zweiter Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!