Protocol of the Session on November 13, 2002

Das verfassungsrechtliche Gebot der Neutralität fordert jedenfalls bei Unterrichtspersonen an Grundund Hauptschulen den Verzicht auf das Tragen eines islamischen Kopftuches im Unterricht, so das Bundesverwaltungsgericht in seinem sorgsam abwägenden und gründlichen Urteil. Ebenso, meine Damen und Herren, wie das Bundesverwaltungsgericht hatten sich bereits der Verwaltungsgerichtshof Mannheim, das Oberverwaltungsgericht Lüneburg und sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden.

Meine Damen und Herren, diese staatliche Neutralität gilt nicht nur gegenüber dem so genannten islamischen Kopftuch. Jedes Symbol religiösen Bekenntnisses in staatlichen Schulen greift in die Religionsfreiheit der Kinder und ihrer Eltern ein. Daher hat auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Urteil vom 21. Dezember 2001, das die uneingeschränkte Zustimmung auch der Sozialdemokraten gefunden hat, geurteilt, dass ein Lehrer nicht verpflichtet werden darf, in einem Klassenraum mit einem Kruzifix zu unterrichten.

(Abg. Frau B e r k [SPD]: Wie haben Sie das denn so lange ertragen!)

Wir reden, meine sehr verehrten Damen und Herren, daher über ein hohes Gut unserer Grundrechte, in das nicht leichtfertig und unausgewogen eingegriffen werden darf.

(Beifall bei der CDU)

Nun höre ich ja immer wieder, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei für diesen Fall nicht einschlägig, weil es sich nicht um eine Lehrerin, sondern um eine Praktikantin handelt. Meine Damen und Herren, es kommt nicht darauf an, in welcher Funktion, ob als Praktikantin, als Referendarin, als Lehrerin, als Beamtin, als Angestellte, die Trägerin des islamischen Kopftuches als religiösem Bekenntnis vor die Schülerinnen und Schüler tritt.

Nach den eindeutigen Begründungen der Gerichte, und zwar nicht nur des Bundesverwaltungsgerichts, sondern auch des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, kommt es allein darauf an, dass diese Person in öffentlichen Schulen Anerkennung der Schüler genießt und Einfluss auf deren Entwicklung nehmen kann.

Meine Damen und Herren, ich habe einen fünfjährigen Sohn, David mit Namen, der im nächsten Jahr die Grundschule in Bremerhaven besuchen wird. In seinem Kindergarten sind sowohl Erzieher als auch Praktikanten, als auch Auszubildende eingesetzt, Praktikanten auch gleich welcher Dauer. Für ihn sind alle Erwachsenen im Kindergarten eine Autoritätsperson und ein Vorbild. Er unterscheidet nicht danach, ob es sich um einen Praktikanten, einen Referendar oder einen Erzieher handelt. Diese Menschen nehmen Einfluss auf die Entwicklung unserer Kinder, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Ihre Ratschläge und Weisungen werden zumindest meistens befolgt. Ihre Taten und ihr Auftreten sind Vorbild und einflussstark. Ein sechsjähriges Kind, meine Damen und Herren, kann nicht unterscheiden, ob dieser Einfluss von einem Erzieher, einer Lehrerin, einer Praktikantin oder einer Referendarin ausgeht. Es nimmt ungeachtet der Funktionen diesen Einfluss an, und deswegen sind die Aussagen der Ausländerbeauftragten Marieluise Beck vom Bündnis 90/Die Grünen und Wolfgang Weiß von den Sozialdemokraten falsch, wonach die Religionsfreiheit der Kinder und ihrer Eltern bei einer Praktikantin lediglich am Rande berührt werde, meine Damen und Herren! Sie berühren die Religionsfreiheit der Kinder und Eltern in ihrem Kernbereich.

(Beifall bei der CDU)

Sie verstoßen gegen die hoch geschätzte staatliche Neutralitätspflicht in den Schulen.

Meine Damen und Herren, deswegen ist es rechtswidrig, ein Verstoß gegen die staatliche Neutralitätspflicht und ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit gemäß Artikel 4 Grundgesetz, wenn in einer Schule im Lande Bremen eine Praktikantin während des Unterrichts das islamische Kopftuch trägt. Auch ihr Grundrecht auf Ausbildung nach Artikel 12 des

Grundgesetzes findet seine Schranken in der Religionsfreiheit der Kinder und ihrer Eltern.

Es ist jedoch, meine Damen und Herren, nicht nur rechtswidrig, sondern auch politisch widersinnig, dieses Tragen des Kopftuches vor sechs- bis zehnjährigen Kindern zu dulden. Hier werden die unterschiedlichen Ansätze der Integrationspolitik von SPD und Grünen auf der einen und der CDU auf der anderen Seite erkennbar. Während die CDU auch im weltoffenen und toleranten Bremen Wert darauf legt, dass sich Bürgerinnen und Bürger anderer religiöser und weltanschaulicher Traditionen und Überzeugungen dem hiesigen Werte- und Gesetzeskanon anpassen, schrecken SPD und Grüne erkennbar vor einer nachhaltigen Veränderung dieser Werteordnung nicht zurück, wie dieses Beispiel deutlich macht.

(Beifall bei der CDU)

Diese kurzsichtige parteipolitische Taktik ist es nicht wert, meine Damen und Herren, die Grundfeste unserer Demokratie, die staatliche Neutralität in Glaubens- und Gewissensfragen und die hart erkämpfte offene und tolerante Haltung der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in Frage zu stellen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist, meine Damen und Herren, auch bildungspolitisch unverantwortlich. Es reicht eben nicht aus, in Anbetracht des Abschneidens bremischer Schülerinnen und Schüler beim Ländervergleich der PisaStudie die Verantwortung für die bildungspolitische Misere im Lande Bremen auf sich zu nehmen, Veränderungen anzukündigen und sogleich in einer wichtigen und entscheidenden Frage wieder bremische parteipolitische Sonderwege zu gehen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Damit schaden Sie dem Ansehen unseres Bildungssystems.

(Beifall bei der CDU – Unruhe bei der SPD – Glocke)

Ich komme zum Schluss! Meine Damen und Herren, wer eine religiöse Erziehung seiner Kinder wünscht und seinen religiösen Überzeugungen im Unterricht Ausdruck verleihen will, der kann das in zahlreichen Bildungseinrichtungen auch im Lande Bremen tun. Es gibt zum Beispiel konfessionelle Schulen fernab der staatlichen Neutralitätspflicht, wo religiös beeinflusst unterrichtet werden kann. Die staatliche Pflichtschule muss jedoch nach Auffassung der CDU von jeder religiöser Beeinflussung frei bleiben, und deswegen, meine Damen und Herren, fordert die CDU-Fraktion Bildungssenator Willi Lemke und den Schulstadtrat Wolfgang Weiß auf: Wahren Sie die religiöse Neutralität auch an den Schulen in Bremen und Bremerhaven! Dulden und fördern Sie nicht den Unterricht mit religiösen Symbolen in staat

lichen Schulen! Lassen Sie Unterricht von muslimischen Frauen mit Kopftüchern nicht zu!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Günthner.

Herr Präsident, meine Damen, meine Herren! Herr Röwekamp, ich hatte im ersten Teil Ihrer Rede noch den Eindruck, Sie versuchen, sich wirklich sachlich mit dem Thema auseinander zu setzen, im zweiten Teil der Rede sind Sie dann gänzlich in Polemik abgeglitten, die ich diesem Thema nicht für angemessen halte.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Da haben Sie wohl eine andere Rede ge- hört!)

Ich möchte Ihnen noch etwas Weiteres sagen, Herr Röwekamp, und ich glaube, das ist auch für das Thema, das hier im Landtag behandelt wird, sehr wichtig: Wenn es in der Bremerhavener Koalition Probleme gibt und wenn es unterschiedliche Auffassungen gibt, und die gibt es offensichtlich bei dem Thema, dann sind diese in allererster Linie in Bremerhaven auszutragen und anschließend dann möglicherweise, wenn es auch das Land betrifft, im Land. Aber den Versuch, die Koalition in Bremerhaven dadurch zu stören, dass dieses Thema im Landtag in der Art und Weise, wie Sie es hier vorgetragen haben, debattiert wird, den halte ich für absolut untauglich.

(Beifall bei der SPD – Abg. M ü t z e l - b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist wirklich eine tolle Koalition!)

Ich finde auch, dass Sie es sich ein bisschen einfach gemacht haben. Es ist eine hochkomplexe Frage, das merkt jeder, und Sie haben ja auch die entsprechende Rechtsauffassungen unterschiedlichster Art dazu wiedergegeben. Ich glaube kaum, dass es sich irgendjemand in dieser Frage einfach macht, bei der Rechtsgüterabwägung entsprechende Entscheidungen dann zu fällen oder aber nicht zu fällen. Es machen sich alle schwer dabei. Es hat sich die Bundesausländerbeauftragte dabei schwer getan, es hat sich der Schulstadtrat in Bremerhaven entsprechend schwer getan, und es tun sich, glaube ich, auch alle Fraktionen dieses Hauses in dieser Frage schwer. Es ist nicht so, dass man schlankweg sagen kann, die Roten und Grünen sind für Kopftuch, und die Schwarzen sind treu dagegen.

(Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: So hätten sie es gern!) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. (A) (C)

Ich finde, damit vereinfachen Sie die Debatte in einer Art und Weise, die der Debatte überhaupt nicht angemessen ist, meine Damen und Herren von der CDU!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Dann höre ich Sie hier vortragen, Herr Röwekamp, dass das, was der Schulstadtrat gemacht hat, rechtswidrig sei. Was in diesem Land rechtswidrig ist oder nicht, entscheiden immer noch deutsche Gerichte, und bisher hat kein deutsches Gericht entschieden, dass das, was Herr Weiß gemacht hat, rechtswidrig ist.

(Zurufe von der CDU – Glocke)

Sie können so viel geifern, wie Sie wollen, das hilft in der Frage nicht weiter! Vor allem, meine Herren von der CDU, die Damen bei Ihnen geifern ja nicht ganz so viel. Das ist ja schon einmal erfreulich.

(Zuruf von der CDU: Nein, das ist nicht so wie bei Ihnen! – Abg. B o r t t s c h e l l e r [CDU]: Auf welchem Niveau sind Sie jetzt eigentlich angekommen?)

Es gehört in der Sozialdemokratie zum guten Wesen, dass wir für eine Trennung von Staat und Kirche sind

(Abg. B o r t t s c h e l l e r [CDU]: Das ist ja völlig neu!)

und natürlich auch für eine Trennung von Staat und Kirche weiterhin sind. Ich finde, dass man gerade mit der Frage Kopftuch dann auch weitere Fragen verknüpfen muss. Es geht nicht nur um ein Kopftuch, Herr Röwekamp, sondern – Sie haben es ja auch so ganz lax am Rand gestreift – es geht auch um Kruzifixe, und da habe ich dann doch die klare Position der CDU sehr vermisst, die bis heute noch dafür kämpft, dass in Bayern die Kruzifixe hängen bleiben, obwohl auch da höchstrichterlich entschieden worden ist, dass die Kruzifixe herunter müssen. Da hat Herr Röwekamp aber schon ziemlich darum herumgeeiert.

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Wir reden hier über Bremen, Herr Günthner! – Abg. B ö h r n s e n [SPD]: Hier wird über Grundsätzliches gesprochen! – Starke Unruhe – Glocke)

Herr Kollege, bitte fahren Sie fort in Ihren Ausführungen!

Ich finde es schon bemerkenswert. Ich habe auch bis zum Beginn der Aus

führungen von Herrn Röwekamp noch gedacht, es geht hier um das, was auch der Kollege Oettinger, der Ihnen ja nicht so ganz fern steht, im Landtag von Baden-Württemberg gesagt hat, nämlich dass es bei allen Fällen, die auftreten, um Einzelfallentscheidungen geht. Ich kann Ihnen gern das Zitat aus der Rede von Herrn Oettinger noch einmal vorlesen, wenn Sie es hören wollen. Ich weise Sie aber trotzdem noch einmal darauf hin, es geht um Einzelfallentscheidungen! Es geht darum, sich jeden einzelnen Fall im Rahmen einer Rechtsgüterabwägung, die Herr Röwekamp präzise vorgenommen hat, anzuschauen. In den Folgerungen kann man unterschiedlicher Auffassung sein, dazu gibt es auch unterschiedliche Auffassungen in der SPD-Fraktion. Es geht darum, das in jedem Einzelfall abzuwägen, und man kann in diesem Punkt nicht generalisierend vorgehen und generalisierend sagen, das ist gut, das ist schlecht. Das ist nicht der richtige Weg. Wir müssen uns jeden einzelnen Fall anschauen, und dafür plädiere ich auch.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Bewerten Sie doch einmal diesen Einzelfall! Bewerten Sie den doch einmal! – Abg. Frau H a m m e r - s t r ö m [SPD]: Höre doch einmal zu, du Eierkopf! – Glocke)

Sehr geehrte Frau Kollegin Hammerström, das war kein parlamentarischer Zwischenruf!

(Abg. Frau H a m m e r s t r ö m [SPD]: Entschuldigung, aber das kam von ganzem Herzen! – Abg. F o c k e [CDU]: Was hat sie denn gesagt? Das ist hier überhaupt nicht angekommen!)

Es geht in diesem Einzelfall, und das hat der Kollege Röwekamp von der CDU ja auch präzise beschrieben, um eine Studentin im Lehramt, die ein zwei- bis dreiwöchiges Schulpraktikum abwickeln muss. Das ist ihr vorgeschrieben. Sie muss dieses Schulpraktikum machen, und diese Studentin ist nicht bereit, ihr Kopftuch für diesen Zeitraum in der Schule abzunehmen. Das steht auch so fest.

(Abg. T i t t m a n n [DVU]: Dann soll sie doch zu Hause bleiben! Ganz einfach! – Vi- zepräsident D r. K u h n übernimmt den Vorsitz.)

Die Frage, die wir nur hier zu stellen haben, und diese Frage ist auch in Bremerhaven entsprechend vom Schuldezernenten abgewogen worden, ist: Lohnt es sich, bei zwei bis drei Wochen und bei diesem speziellen Fall, der erneut einer Einzelbewertung zu unterziehen ist, einen Schulkampf herbeizuführen und in Schulen in die Situation zu geraten, dass eine langfristige Auseinandersetzung stattfindet, die auch in

den öffentlichen Raum hineingeht, bei der es dann nicht mehr um die Frage geht, ob man einer Rechtsgüterabwägung gerecht wird oder nicht, sondern es nur noch um die Frage geht, wer verbrät welche Ideologie, die ihm gerade in den Kram passt?

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit einer gewissen Ruhe herangehen und uns diesen Einzelfall anschauen sollten. In diesem Einzelfall hat der Schuldezernent für sich entschieden, dass er diese Frau zum Praktikum in Bremerhaven zulässt, und bei allen weiteren Fällen, weil sicher auch irgendwann die Debatte kommt, was beim Referendariat passiert oder was passiert, wenn es darum geht, möglicherweise eine Lehrerin mit einem Kopftuch in den Schuldienst zu übernehmen, sind diese Fragen dann neu zu stellen, und sie sind dann auch neu zu entscheiden. Wir treffen mit dem, was in Bremerhaven entschieden worden ist, keine Vorfestlegung, sondern wir sagen, wir werden verschiedenen Rechtsgüterabwägungen gerecht, die man in die eine oder die andere Richtung fällen kann, und um nichts anderes geht es.