Protocol of the Session on November 13, 2002

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit einer gewissen Ruhe herangehen und uns diesen Einzelfall anschauen sollten. In diesem Einzelfall hat der Schuldezernent für sich entschieden, dass er diese Frau zum Praktikum in Bremerhaven zulässt, und bei allen weiteren Fällen, weil sicher auch irgendwann die Debatte kommt, was beim Referendariat passiert oder was passiert, wenn es darum geht, möglicherweise eine Lehrerin mit einem Kopftuch in den Schuldienst zu übernehmen, sind diese Fragen dann neu zu stellen, und sie sind dann auch neu zu entscheiden. Wir treffen mit dem, was in Bremerhaven entschieden worden ist, keine Vorfestlegung, sondern wir sagen, wir werden verschiedenen Rechtsgüterabwägungen gerecht, die man in die eine oder die andere Richtung fällen kann, und um nichts anderes geht es.

(Abg. B o r t t s c h e l l e r [CDU]: Man kann aber auch herumeiern!)

Ich will zum Abschluss noch eines sagen.

(Zurufe von der CDU)

Ich glaube, dass es sehr stark darauf ankommt, sowohl im Interesse der Schülerinnen und Schüler in der entsprechenden Schule als auch im Interesse der Eltern dieser Schülerinnen und Schüler, als auch im Interesse der Frau, die dort gern ihr Praktikum absolvieren möchte, zu einem Diskurs über diese Frage zu kommen, der auch dem Thema gerecht wird und sich nicht in Polemik erschöpft, Herr Röwekamp, wie es von Ihnen hier vorgenommen worden ist.

(Abg. F o c k e [CDU]: So ein Schwach- sinn! – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Ich war selten so zurückhaltend wie heute!)

In diesem Sinne kann ich Ihnen auch nur anbieten, dass wir die schwierige Entscheidung, die in Bremerhaven vom Schuldezernenten getroffen worden ist, auch als Koalition in Bremerhaven gemeinsam begleiten und dass wir als Koalition gemeinsam schauen, wie wir bei dem Thema vorankommen und zu welchen Lösungen und welchen Möglichkeiten des zukünftigen Umgangs wir dann auch auf den jeweiligen Einzelfall herabgebrochen kommen, aber eine generalisierende Position ist mit uns an der Stelle nicht zu vereinbaren.

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mir ging es auch so, was die Ausführungen des Kollegen Röwekamp angeht, dass ich eigentlich in die Debatte gegangen bin und noch von dem beeinflusst war, was man am Samstag bei „Buten un binnen“ in Radio Bremen sehen konnte, nämlich ein, wie ich fand, durchaus sehr akzeptables, sachliches und auch hochspannendes Streitgespräch zwischen dem Schuldezernenten Weiß und dem CDU-Abgeordneten Röwekamp. Sie sind auch hier wieder so eingestiegen, doch am Ende, und da teile ich die Auffassung meines Vorredners, ist es doch so gewesen, dass sehr stark – –.

(Zurufe von der CDU)

Herr Teiser, zu Ihnen komme ich auch gleich noch!

(Heiterkeit – Abg. F o c k e [CDU]: Da- rauf wartet er schon den ganzen Vormittag!)

Herr Röwekamp, die politische Absicht, die durch die Tatsache, dass Sie im Wesentlichen juristisch argumentieren, ein Stückchen in den Hintergrund gedrängt worden ist, und die juristische Debatte mag sehr spannend sein, aber die politische Absicht der CDU ist in Ihrer Rede zumindest im zweiten Teil sehr deutlich geworden!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Glauben Sie nicht, meine Damen und Herren, dass diese politische Absicht nicht auch draußen im Lande deutlich wird!

Es ist in der Tat ja so, dass Rote und Grüne in dieser Debatte ein wenig in eine paradoxe Situation kommen. Beide Parteien, die SPD und die Grünen, haben ja durchaus in ihrer Parteigeschichte auch – ich sage ganz bewusst auch, denn sie haben auch andere, aber auch – antiklerikale Anteile, wenn man einmal in die Historie schaut. Dass wir nun sozusagen wegen der politischen Absicht, die bei Ihnen dahinter zu erkennen ist, gegenüber Ihrer Partei, die ja doch, zumindest bundesweit, eher so ein, sagen wir einmal, Outsourcing-Produkt der katholischen Kirche ist und gewesen ist,

(Heiterkeit und Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Zurufe von der CDU)

dass wir nun gegenüber Ihrer Partei in die Rolle kommen, Toleranz gegenüber religiösen Symbolen an––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

mahnen zu müssen, das hat schon was, meine Damen und Herren!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Wir begrü- ßen den outgesourcten KBW! – Heiterkeit bei der CDU)

Das kann man fortsetzen, Herr Röwekamp, dieser Gedanke ist sehr spannend!

Ich glaube, das Ganze macht nur Sinn, wenn man schaut, dass es nicht um irgendein religiöses Symbol geht. Es geht nicht um einen jüdischen Jungen mit einer Kippah, und es geht nicht um ein Kreuz, und es geht um gar nichts anderes, sondern es geht in diesem Fall um den Islam, und nur deswegen ist die Debatte auch so aufgeladen, und deswegen wird sie auch politisch so hochgezogen. Daran kommt man in dieser Situation gar nicht vorbei.

Wenn man aber die Kirche im Dorf oder die Moschee in der Seestadt lässt und wenn man einmal ein bisschen das Ganze nach unten zoomt und sich anschaut, was tatsächlich bei dieser Kontroverse übrig bleibt, dann ist in der Tat im Kern des Streits juristisch betrachtet, Herr Röwekamp, die Frage, und da behaupten Sie etwas, aber da gibt es sehr, sehr viele gute Gründe, die das Gegenteil belegen, ob das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in der Tat auch einschließt die Frage eines – ich glaube, es sind vier Wochen,

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Es sind sechs Wochen!)

ich hatte heute gehört, die Praktikantin fängt heute das Praktikum an, aber das mag alles dahingestellt sein – solchen Praktikums, das nicht von der Schule veranstaltet wird, sondern in der Studienordnung des Lehramtsstudiums zwingend vorgeschrieben ist, und die Universität hat diese Studentin angenommen und hat ihr diese Studienordnung auferlegt, ob dieses Praktikum unter das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts fällt.

Da haben wir eine deutlich abweichende Meinung, Sie haben Ihre! Ich glaube, dass wir für beide Auffassungen gute Gründe haben. Das legt ja auch nahe, was im Moment ansteht, wo wir leider politisch in einigen sehr umstrittenen Punkten immer wieder hinkommen, dass das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage vermutlich am Ende juristisch urteilen muss. Insofern ist es schon verwunderlich, wenn man es einmal auf diesen Rechtsstreit reduziert, wie dann vor Ort politisch reagiert worden ist.

Ich habe einfach den Eindruck, dass es nicht nur um diese rechtliche Frage geht, die Sie da angeschnitten haben, weil – und jetzt komme ich zu Ihnen, Herr Teiser, Sie hatten es vorher schon gern gemocht, dass ich etwas früher auf Sie eingehe – man schon den Eindruck hat, dass es hier um eine ganze

Reihe von politischen Rückspielen geht bei dieser Geschichte, Rückspiele gegen den Dezernenten Weiß, Rückspiele wegen irgendwelcher Sachen in der Koalition in Bremerhaven, weiß der Geier was, Rückspiele gegen das Rathaus wegen der Islam-Woche. Ehrlich gesagt, wenn Sie Rückspiele sehen wollen, gehen Sie morgen ins Weserstadion zu Werder gegen Arnheim, da ist ein Rückspiel, aber das andere kann man schlichtweg vergessen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Ich würde Ihre Argumente jetzt gern einmal hören!)

Ich glaube, dass man nicht bei diesem rechtlichen Streit stehen bleiben darf. Wir sind ein politisches Organ, wir sind hier die gewählten Vertreter im Land Bremen, und ich glaube, wir können stellvertretend für das Bundesverfassungsgericht diesen juristischen Streit nicht ausdiskutieren.

Ich glaube aber auch, dass es nicht angemessen ist, das Ganze nur juristisch zu diskutieren, sondern der entscheidende Punkt ist meines Erachtens, dass wir dahin kommen müssen zu sehen, ob dieses Kopftuch als Symbol, als Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses in wirklich allen Fällen von allen Trägerinnen dieses Kopftuchs mit der gleichen Absicht getragen wird, ob man über einen Kamm sagen kann, dieses Kopftuch, wenn es denn getragen wird, ist quasi ein Mittel der religiösen, politischen Agitation in der Schule, um Schülerinnen und Schüler zu bekehren, zu beeinflussen, wie auch immer! Wenn Sie nicht wie Herr Neumann der Islam-Woche und den Diskussionen fernbleiben, wo Sie mit den Menschen einmal diskutieren könnten, sondern wenn Sie hingehen, dann würden Sie auch feststellen, dass es da eine enorm große Bandbreite gibt von Frauen, die dieses Kopftuch aus den unterschiedlichsten Gründen tragen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich würde einmal sagen, die Bandbreite ist genauso groß wie die Meinungen hier im Hause, und zwar in jeder einzelnen Fraktion.

Das heißt, man muss sich schon etwas näher mit dem Thema beschäftigen. Ich kann Ihnen dies hier sehr empfehlen, das ist ein Buch, das ich hier einmal mitgebracht habe:

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Wollen Sie uns jetzt erzählen, dass das Modeaspekte jetzt sind?)

„Muslimische Frauen in Deutschland erzählen über Ihren Glauben“ – Herr Eckhoff, das ist sicherlich auch ein Thema, das Sie betrifft –, das ist herausgegeben worden von der senatorischen Behörde für Arbeit,

Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales und der Bremischen Evangelischen Kirche. In diesem Buch sind Interviews aufgezeichnet mit muslimischen Frauen und ganz unterschiedliche Motive und Gründe, warum sie dieses Kopftuch tragen.

Ich darf einmal ganz kurz mit Genehmigung des Präsidenten aus dem Vorwort zitieren, das geschrieben worden ist von Hilde Adolf, unserer ehemaligen Senatorin, und Louis-Ferdinand von Zobeltitz, Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche, die im Vorwort zu diesem Buch herausstellen, was auch mir sehr wichtig ist:

„Für die Herausgeber“, so das Zitat, „war es wichtig, die Religiosität der muslimischen Frauen in der ganzen Breite“ – und die ist wirklich sehr, sehr breit – „des im Islam vorhandenen Spektrums individueller Zugänge zum Glauben abzubilden. Diese beeindruckende Vielfalt steht gegen alle Versuche, den Islam als monolithischen radikalisierten Block zu beschreiben, sondern die Zeugnisse der Frauen offenbaren die Offenheit und Individualität und die Unterschiede, mit denen sich die Frauen auf dieses Stück Stoff, wie es oft auch genannt wird, einlassen.“

Ich glaube, wenn man das weiterdenkt und wenn man den Dialog weiterführt, wird man darauf kommen, dass wir am Ende ein Kriterium in den Vordergrund stellen müssen – und das scheint mir ein Fingerzeig zu sein, neben der Aufforderung zum Dialog mit den wirklich Betroffenen –, ein Argument, nämlich dass wir schauen müssen, ob dieses Kopftuch zu irgendeinem Zeitpunkt und in irgendeiner Weise missbraucht wird, und zwar auch nur leicht missbraucht wird, um genau den Punkt der Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu beeinflussen.

(Glocke)

Herr Abgeordneter, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung?

Ja, gern!

Bitte, Herr Kollege!

Herr Güldner, können Sie mir dann vielleicht einmal beantworten, was Sie einer jungen, couragierten, kraftvollen Frau islamischen Glaubens erklären wollen zu ihrer Leistung, dass sie sich in ihrer Familie gegen die Tradition, gegen das Tragen des Kopftuches entschieden hat, wie sie Ihre Ansicht verstehen soll, wenn Ihr Kind im Unterricht einer Lehrerin gegenübersteht, die ein islamisches Kopftuch trägt? Was antworten Sie dieser selbstbewussten, couragierten Frau, die mit den Traditionen ihres Landes gegen erheblichen Widerstand gekämpft hat und die nun in einer staatlichen Schule mit einer Kopftuchträgerin konfrontiert wird?

Darauf will ich Ihnen gern antworten! Das Missverständnis liegt schon in der Frage, Herr Röwekamp. Ich glaube, ich habe genug Gespräche mit Menschen aus diesem Kulturkreis geführt und auch mit Frauen, die Kopftuch tragen. Das Missverständnis ist: Wenn wir eine muslimische Frau ohne Kopftuch sehen, dann ist sie emanzipiert, offen, modern und wird nicht unterdrückt. Wenn wir eine Frau mit Kopftuch sehen, dann glauben wir, und das ist das Missverständnis, dass dies nicht der Fall ist. Wenn Sie sich dies aber, es gibt so eine Menge Literatur auf dem Markt, wirklich einmal anschauen, können Sie diese Vereinfachung nicht aufrechterhalten, weil es sowohl das Modell der traditionellen, sagen wir einmal, eher unterdrückten Frau ohne Kopftuch als auch das der wirklich sehr emanzipierten und beruflich engagierten Frau mit Kopftuch gibt, und dass wir einfach mit diesen Vereinfachungen, die dies ignorieren, nicht weiterkommen, Herr Röwekamp.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich möchte gern am Ende für eine Lösung dieses momentanen Streits plädieren. Die Fraktion der Grünen ist mit dem Schulstadtrat Weiß in Bremerhaven einverstanden, der meint, dass in diesem Fall ein vorgeschriebenes Praktikum von vier Wochen unter Aufsicht einer Lehrkraft für diese Frau absolut möglich sein muss und dass sie dieses Praktikum ableisten können soll. Neben der juristischen Diskussion, die wir nur bedingt beeinflussen können, sollten wir gleichzeitig den direkten Dialog mit den Betroffenen, dazu gehören nicht nur die Muslime, sondern dazu gehören natürlich auch die Eltern aller Kinder, die in die Schule gehen, dazu gehören die Lehrer, bei denen es genauso unterschiedliche Meinungen gibt wie hier im Hause, ganz offen angehen, aber vermeiden, meine Damen und Herren, dass wir auf den Schultern einer einundzwanzigjährigen Lehramtsstudentin den Wahlkampf, quasi den Kulturkampf, in Bremen und Bremerhaven glauben entscheiden zu können, meine Damen und Herren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Nächster Redner ist der Abgeordnete Tittmann.