Protocol of the Session on August 22, 2002

Die Abschlussprüfungen, die Sie fordern, sind kein Sinn an sich! Die Frage ist, was man damit erreichen möchte. Wenn man damit erreichen möchte, dass man die „falschen“ Schülerinnen und Schüler aussortiert und in die entsprechenden Kästchen setzt, dann ist das nicht richtig. Wenn man allerdings mit Abschlussprüfungen und Vergleichsarbeiten, die wir ja übrigens beschlossen haben in der Deputation, erreichen möchte, dass man sehr frühzeitig eingreifen kann, in der dritten Klasse, nach der sechsten Klasse, nach der neunten Klasse, um nicht erreichte Ergebnisse zu verbessern, um zu sehen, wie man fördern und fordern kann, dann ist dies richtig. Als Mittel der Qualitätssicherung halte ich Abschlussprüfungen nicht für der Weisheit letzten Schluss, aber auch nicht für von Übel. Es ist nur nicht die Lösung an sich, und von daher bauen Sie hiermit eine Chimäre auf.

Das Gleiche sage ich Ihnen übrigens auch zu den Ganztagsschulen. Wir können beobachten, dass die Länder, die sehr gut abschneiden, ein Ganztagsschulsystem haben. Sie haben allerdings von keinem einzigen Sozialdemokraten bisher gehört, dass die Einrichtung der Ganztagsschulen der Weisheit letzter Schluss sei. Natürlich kann man auch den ganzen Tag schlechten Unterricht machen, man kann auch den ganzen Tag schlechte Politik machen! Das kommt gelegentlich vor!

(Abg. T e i s e r [CDU]: Das zeigt ja die Studie!)

Ganztagsschulen sind eine Blüte, eine große wesentliche Blume im Strauß, den wir binden müssen, um die Ergebnisse in den Bremer Schulen zu verbessern. Hier haben wir in der Deputation für Bildung schon eine ganz Reihe Schwerpunkte gesetzt. Ich weiß gar nicht, warum keiner meiner Vorredner darauf eingegangen ist und die Gelegenheit nutzt, auf die ergriffenen Maßnahmen – gerade am 15. August übrigens beschlossen – einzugehen.

Wir haben den Bereich Sprachförderung im KTHBereich behandelt. Wir haben den Bereich Sprachtests behandelt. Deshalb, Herr Tittmann, werden wir Ihren Antrag ablehnen. Das Ganze ist schon vollzogen! Es sind Kurse eingerichtet worden, und sie wirken. Es ist eine Abteilung für Qualitätsentwicklung und -sicherung in der Behörde eingerichtet worden, ein weiterer wichtiger administrativer Schritt übri

gens, um die Qualität zu erhöhen. Die Einrichtung von Deutschintensivkursen und Leseintensivkursen müssen wir hier ebenfalls nennen. Weitere Konsequenzen werden folgen.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja, wann denn? Wann wird der Senat seine Konzepte vorlegen, das wol- len wir wissen!)

Liebe Frau Kollegin Linnert, Sie haben die Anfrage im Juli gestellt. Dazwischen lagen die Sommerferien und übrigens auch der Schulstart, der sehr gut gelungen ist. Das kann man hier vielleicht auch einmal sagen. Viel Arbeit in der Behörde!

(Beifall bei der SPD)

Die CDU hat ja ein Sorgentelefon eingerichtet und konnte sich wahrscheinlich einen zusätzlichen Urlaubstag gönnen, weil nicht so viele Leute angerufen haben.

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: 142!)

Es ist sehr gut gelungen. Die Behörde hat intensiv gearbeitet. Nun verstehe ich, dass Sie verärgert sind, keine Antwort zu bekommen, aber von Juli bis August ist Ferienzeit.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Es gab eine Antwort, Frau Hövel- mann!)

Ich habe nachgesehen, Sie haben die Anfrage im Juli gestellt. Wir haben am 15. August in der Deputation einige Maßnahmen beschlossen, die sich übrigens auch auf Teile Ihrer Anfrage beziehen. Die Antwort des Senats, vermute ich einmal, wird im September vorliegen, und dann werden wir das Ganze hier noch einmal diskutieren.

Ich plädiere sehr dafür, dass wir von den Blockaden wegkommen und nicht mit den alten Kampfbegriffen hier agieren, sondern sagen, Leistung und Gerechtigkeit schließen sich nicht aus. Das machen uns die Sieger bei Pisa vor.

Hieran möchte ich mich orientieren! Jeder hier im Hause, der sich damit beschäftigt hat, weiß, dass es länger dauert, etwas zu verändern, und das muss bundesweit geschehen. Ich erinnere noch einmal an die Einäugigen. Wir können uns bundesweit nicht zurücklehnen und sagen, wir geben uns mit bayerischen Ergebnissen zufrieden, sondern ich bin sicher, dass auch der Wettbewerb, in dem wir unter den Bundesländern stehen, sehr viel härter ist. Es glaubt doch hier keiner im Ernst, dass nicht die anderen Bundesländer genauso intensiv an Verbesserungen arbeiten. Ich weiß aus anderen Landtagen, dass in Bayern oder in anderen Bundesländern Pisa nicht

mit großer Zufriedenheit diskutiert wird, sondern dass alle im Interesse der Zukunft der Kinder und Jugendlichen versuchen, das System zu verbessern und zukunftsfähiger zu machen, denn Wissen ist unsere wichtigste Ressource.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das merken wir!)

Dazu gehören auch die Eltern. Wir haben vorhin über den Bereich Schulvermeidung gesprochen, Herr Senator Lemke appelliert ja an die gemeinsame, große, gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir hier haben, und ich möchte die Gelegenheit nutzen, von hier auch noch einmal die Eltern aufzufordern, das häufige Fernbleiben von der Schule nicht als ein Kavaliersdelikt aus der Feuerzangenbowle zu nehmen, sondern den Kindern und Jugendlichen klarzumachen, wer Rechte hat, hat auch Pflichten, dass sie in die Schule gehen müssen und dass es notwendig ist, dem Unterricht zu folgen.

Die Ergebnisse der Pisa-Studie zeigen, dass 14 Tage vor der Untersuchung nur jeder fünfte Schüler regelmäßig am Unterricht teilgenommen hat. Das kann nicht wahr sein! Deshalb ist es eine gesamte Aufgabe, die wir uns hier sehr entschieden vornehmen müssen.

Zur Frage des selektiven Schulsystems hat Kollege Mützelburg etwas gesagt, auch hiermit können wir überhaupt nicht zufrieden sein. Pisa zeigt, dass wir in Deutschland die Kinder zu früh in unterschiedliche Schulsorten einsortieren. Wir kennen ihn ja und haben den beharrlichen Ruf derer wieder gehört, die hier noch eher und konsequenter einsetzen wollen.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Sagen Sie doch einfach, dass Sie nicht gemeinsam zu einem Konzept kom- men! – Glocke)

Frau Linnert, es ist so, SPD und CDU haben unterschiedliche Ansätze in der Bildungspolitik. Das ist übrigens nicht neu, sondern das ist etwas, was lange schon bekannt ist. Die FDP und die SPD hatten auch unterschiedliche Ansätze. In der Ampel, Kollege Mützelburg hat ja aus seinen Erfahrungen im Koalitionsausschuss in der Ampel sehr kenntnisreich und nah berichtet, begann ja der beklagte Flickenteppich Realität zu werden.

Wir werden uns zusammenraufen, das kann ich Ihnen hier von dieser Stelle versprechen, und wir werden mit Sicherheit im September ein Konzept des Senats diskutieren, zu dem übrigens auch eine ganze Menge mehr Geld für den Bildungsbereich und den Sozialbereich, also den frühkindlichen Bereich, dazugehört. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Mützelburg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das kann einen schon aufregen, was hier passiert. Da wird gesabbelt, gesabbelt und gesabbelt, und es ist nichts erkennbar von dem, was für die Zukunft unserer Kinder hier überhaupt nötig ist!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir können auf diese Weise stundenlang weiterreden. Jeder hat noch etwas aus seinem Schmuckkästchen vorzutragen, ob das miteinander zusammenhängt, irgendein Bild ergibt, nein, können wir jetzt schon sagen, es gibt kein Bild, aus dem sich die Qualität des Unterrichts, die Leistungsfähigkeit der Kinder und die sozialen Probleme, die Pisa aufzeigt, tatsächlich lösen lassen. Ich will hier nicht über Bayern reden, ich will hier über Bremen reden, Herr Rohmeyer! Das ist der Kernpunkt.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. E c k h o f f [CDU]: Das wollen wir auch!)

Ich will auch nicht länger darüber reden, dass Sie hier Koalitionsspiele machen. Das war so offenkundig, und das ist langsam so ekelig, denn wir haben es hier nicht damit zu tun, dass Sie sich hier um Kleinigkeiten beharken, sondern es geht hier um etwas ziemlich Großes und Teures, das ist eine der teuersten Sachen, die wir in diesen beiden Städten haben, nämlich um das Bildungssystem, das für die Zukunft ausgerichtet sein muss. Deshalb will ich dazu noch ein paar Sätze sagen, meine Damen und Herren.

Wir haben vor wenigen Tagen die Shell-Studie, ein sehr verdienstvolles Unternehmen, bekommen. Diese Shell-Studie ist hoch interessant in zwei Punkten, was unsere Frage hier betrifft. Sie sagt erstens, die Schüler haben ein großes Interesse, die Jugendlichen, die sind ab zwölf Jahre befragt worden, also welche, die noch gar nicht bei Pisa dabei waren, an guter Bildung. 50 Prozent aller Befragten streben das Abitur an, auch in Bremen machen gerade etwas mehr als 30 Prozent das Abitur, und diese Kinder und Jugendlichen sind durchaus bereit, Leistung zu zeigen. Sie haben einen Anspruch auf Leistung. Wer Leistung zeigen will, der hat auch erst einmal einen Anspruch auf Vorleistungen derjenigen, die dieses System organisieren, nämlich der Politiker, und dann derer, die im Bildungssystem arbeiten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Aber ohne diese Vorleistungen ist einfach die Forderung an die Jugendlichen, zeigt mehr Leistung, ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

absurd, wenn wir nicht erst etwas leisten. Das muss, glaube ich, schon einmal der Ausgangspunkt sein. Was schließe ich daraus? Es sind viel mehr Jugendliche, die Interesse an einem hohen Bildungsstand haben, und genau das ist eigentlich das, was wir alle haben müssten. Das spricht aber genau gegen das, was hier Herr Rohmeyer dauernd propagiert, nämlich gegen frühes Sortieren.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. T e i s e r [CDU]: Deshalb haben die auch so ein beschissenes Ergebnis!)

Wenn viele hoch hinaus wollen, muss man vielen diese Chance erst einmal geben und nicht früh auslesen und sagen, du gehörst da nicht hin. Das macht aber Bayern. Deshalb erledigen wir dieses Bayernthema jetzt auch einmal.

Also noch einmal! Erstens: Wichtig ist, die Qualität in den bestehenden Schulen zu ändern, dazu brauchen wir die Lehrer. Die Pisa-Studie ergibt auch – ich will jetzt nicht weiter über Motivation reden –, dass Deutschland, was die Unterrichtsmethoden, den Umgang mit Kindern, den Umgang mit Kindern aus verschiedenen Bevölkerungsschichten im Unterricht und überhaupt in der Schule angeht, weit hinter den Erfordernissen und Praktiken anderer Länder zurück ist. Also müssen wir hier ansetzen, ansetzen durch Fortbildung der Lehrer, und zwar durch Fortbildung nicht nur in irgendwelchen Kursen, wo sie an irgendwelchen Präsenztagen hingesteckt werden, sondern durch Fortbildung, die sich aktuell mit den Problemen, die in der Schule auftreten, vor Ort beschäftigt, um Probleme zu lösen, um die Lehrer auch zu befähigen, mit den Kindern und Eltern zusammen im Unterricht unter sich die auftretenden Probleme lösen zu können. Das ist nämlich nicht nur abstraktes Wissen, sondern auch konkretes Wissen, das nötig ist.

Das kostet aber Zeit und Geld. Erstens, Personen, die diese Fortbildung machen, und zweitens kann man nicht immer noch eine Stunde, noch eine Stunde, noch eine Stunde auf den Unterricht oben daraufpacken, auch nicht bei Lehrerinnen und Lehrern, es gibt einen normalen Arbeitstag. Wer Motivation haben will, der verschlechtert nicht die Arbeitsbedingungen, sondern sorgt dafür, dass die Lehrerinnen und Lehrer Zeit dafür haben, auch so ausgebildet zu sein, dass sie mit den Kindern umgehen können.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zweitens: Wenn wir tatsächlich dazu kommen, dass alle Kinder in der Schule, nicht nur die aus sozial benachteiligten Schichten, sondern aus allen Kreisen, so gefördert werden, wie es jeweils ihrer Vorbildung entspricht, wie es auch ihren Wünschen, Ansprüchen und denen der Eltern entspricht – Herr Bürger, da haben Sie ja Recht, 40 Prozent der Eltern

meinen, in der Schule wird nicht genug geleistet, die Anforderungen sind nicht hoch genug, das mag ja richtig sein –, dann gehört dazu eben nicht nur, dass die Lehrer höhere Leistungen von den Kindern verlangen, sondern dass die Schule so organisiert ist, dass die Kinder überhaupt in den Stand gesetzt werden, diese Leistungsanforderungen zu erfüllen.

Wenn ich jetzt nach Pisa höre, in der Schule greift der Frontalunterricht wieder um sich, also vorn steht der Lehrer, erzählt, erzählt und erzählt, und die Kinder müssen irgendwie mitkommen, und wer nicht mitkommt, der hat eben Pech gehabt nach zwei, vier, sechs, acht Wochen oder spätestens beim Zeugnis, dann ist das die falsche Konsequenz.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich sage noch einmal: Leistungsfähigkeit erhöhen heißt Vorleistung, Vorleistung heißt andere Arbeitsweisen in der Schule, anderen Umgang mit den Kindern, Fortbildung der Lehrer!

Jetzt komme ich noch einmal zur Ganztagsschule, meine Damen und Herren. Ganztagsschule ist nicht nur aus sozialpolitischen Gründen eine sinnvolle Sache, sondern Ganztagsschule als Schule, nicht nur als betreutes Angebot, gibt tatsächlich die Zeit, den Platz und vielfältige Möglichkeiten genau zu diesen Förderungen, die wir für alle Kinder wollen. Deshalb hat die Ganztagsschule als Ganztagsschule eine Perspektive. Wir als Grüne würden gern sehen, dass hier zügiger, mehr und schneller in allen Stadtteilen das nicht nur als Angebot, sondern auch als eine richtige Regelform der Schule für alle Kinder vorhanden ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Ganztagsschule erlaubt übrigens auch und zwingt auch zu anderen Arbeitsweisen, nämlich zu Teamarbeit unter den Lehrern, zu einer neuen Arbeitszeit, dann ist nicht mehr „nach eins ist meins“ der Grundsatz, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer, Erzieher und Erzieherinnen müssen zu anderen Tageszeiten in der Schule sein. Daraus lösen sich viele Probleme, die wir jetzt auf dem Papier haben, praktisch, weil nämlich eine solche Organisationsform auch zu einem anderen Umgang mit der Zeit zwingt.

Jetzt als Letztes! Wenn wir dahin kommen, eine Schule für alle, die alle Kinder fördert und die den Wunsch von möglichst vielen Kindern und Eltern erfüllt, einen guten Schulabschluss zu machen, der höher liegt, als der heutige Schulabschluss ist, dann folgert daraus, dass man die Kinder möglichst lange zusammenlässt.

Wir können das Schulsystem nicht von heute auf morgen umstülpen, und erst einmal hat die Qualität Vorrang. Aber ich denke, wir brauchen eine Perspektive für diese Schulen. Diese Perspektive heißt nicht,

am jetzigen Stufensystem festhalten, heißt nicht festhalten an der Orientierungsstufe, sondern heißt, die Grundschule weiterzuentwickeln, auf sechs Jahre, meinetwegen auch nur auf fünf Jahre, sie zusammenarbeiten zu lassen mit den Sekundarschulen, auch mit den Gymnasien, so dass mittelfristig daraus ein einheitliches Bildungs- und Schulsystem von der ersten Klasse bis zur zehnten, besser nur bis zur neunten Klasse, wie in Skandinavien, entsteht, wo alle Schüler differenziert zusammen unterrichtet werden können, damit anschließend möglichst viele auf eine gymnasiale Oberstufe gehen und nach zwölf Jahren Abitur machen können. Das ist die Perspektive und Vision, die wir in dem Zusammenhang haben. Ich glaube, ohne eine solche Perspektive mit einem anderen und besseren Unterricht, anderen und besser ausgebildeten Lehrern geht es nicht.