Protocol of the Session on August 22, 2002

am jetzigen Stufensystem festhalten, heißt nicht festhalten an der Orientierungsstufe, sondern heißt, die Grundschule weiterzuentwickeln, auf sechs Jahre, meinetwegen auch nur auf fünf Jahre, sie zusammenarbeiten zu lassen mit den Sekundarschulen, auch mit den Gymnasien, so dass mittelfristig daraus ein einheitliches Bildungs- und Schulsystem von der ersten Klasse bis zur zehnten, besser nur bis zur neunten Klasse, wie in Skandinavien, entsteht, wo alle Schüler differenziert zusammen unterrichtet werden können, damit anschließend möglichst viele auf eine gymnasiale Oberstufe gehen und nach zwölf Jahren Abitur machen können. Das ist die Perspektive und Vision, die wir in dem Zusammenhang haben. Ich glaube, ohne eine solche Perspektive mit einem anderen und besseren Unterricht, anderen und besser ausgebildeten Lehrern geht es nicht.

Jetzt komme ich noch einmal zur Frage der Zentralprüfung und all diesem Kram. Wir können zentrale Lernziele haben, zentrale Vorgaben haben und zentrale Überprüfungen. Ich bin sehr dafür, Vergleichbarkeit zu fordern. Aber zentrale Prüfungen verbessern nicht die Leistungen, wenn nicht die Voraussetzungen geschaffen sind, wenn nicht die Ziele definiert sind und die Schulen darauf ausgerichtet sind, die Kinder auch entsprechend auszubilden, sonst fallen sehr viel mehr als heute durch. Das kann nicht unser Wunsch sein, sondern wir wollen mehr Kinder zu besseren Abschlüssen bringen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dann gehe ich einen Schritt weiter als Sie, Herr Bürger! Zentrale Bewertungen führen auch dazu, dass wir meiner Meinung nach, und das sage ich jetzt hier ganz persönlich, wegkommen müssen von den Standards, die jedes Bundesland für sich setzt. 16 Bundesländer, und jedes hat noch einmal seinen eigenen Flickenteppich! Wir brauchen da schon eine bundeseinheitliche Rahmenkompetenz für diesen Bereich des Bildungssystems, der sich dann auch deckt mit einer bundesweiten Finanzierung, wie sie ja für Ganztagsschulen vorgesehen ist.

Das beraubt nicht die Länder der Kompetenz, das gibt nachher den einzelnen Schulen, die kommunal wie in Bremen sein sollten, sogar eine größere Chance zur Selbständigkeit und Profilentwicklung, wenn es einen einheitlichen Rahmen gibt. Das wünsche ich mir, und das ist eine Perspektive für ein Bildungssystem, die nichts mit dem zu tun hat, was Sie hier abgeliefert haben an kleinlichem Hickhack, um Koalitionsspiele bis zur Bürgerschaftswahl durchzuführen. – Ich danke Ihnen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster erhält das Wort der Abgeordnete Rohmeyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich will nur auf einzelne angesprochene Stichpunkte eingehen. Es wird so getan, als wollten wir eine Selektion, die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen.

(Zurufe von der SPD: Umgekehrt! – Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Immer die alte Leier! Ist Ihnen das nicht selbst peinlich, Herr Rohmeyer?)

Meine Damen und Herren, ich habe es bewusst verquert, weil Ihre Argumentation da schon völlig verquert ist. Ich sage Ihnen ganz genau, und es wird gleich wieder Protest geben von der linken Seite des Hauses, wir wollen eine gute vierjährige Grundschule, an die sich anschließt bei Abschaffung der Orientierungsstufe ein gegliedertes, den Einzelnen förderndes, durchlässiges Schulsystem aus Hauptschule, Realschule und Gymnasium.

(Beifall bei der CDU)

Ich will Ihnen noch einmal kurz das Wort Durchlässigkeit erläutern. Das gibt es heute in der Theorie, aber leider nicht in der Praxis. Nur, ich sage Ihnen ganz klar, den Auftrag, die Durchlässigkeit zu erhöhen, haben wir der Behörde des Senators für Bildung schon gegeben. Durchlässigkeit bedeutet, dass Schüler bei den entsprechenden Leistungen natürlich von der Hauptschule auf die Realschule, auf das Gymnasium wechseln können. Wie gesagt, in der Theorie gibt es das, die Praxis hat eine Durchlässigkeit in die andere Richtung hier in Bremen entstehen lassen, eine einseitige Durchlässigkeit. Wir wollen die Durchlässigkeit für diejenigen, die die entsprechenden Leistungen bringen, natürlich in die andere Richtung auch in der Praxis haben, meine Damen und Herren.

Dazu gehört, dass die einzelnen Schülerinnen und Schüler ihren Begabungen entsprechend gefördert werden, und dazu gehört auch eine Debatte, die jetzt gerade in Bremerhaven übrigens eine besondere Aktualität bekommen hat, dazu gehört auch, noch einmal zu sprechen – das haben wir hier im Landtag auch schon getan – über Sitzenbleiberregelungen, Versetzungsregelungen. Wie wir hören, soll es jetzt in Bremerhaven den Feldversuch geben – den wird es nicht geben, weil wir strikt dagegen sind, das sage ich Ihnen ganz klar –, dass dort das Sitzenbleiben bis zur Klasse neun in der Hauptschule abgeschafft werden soll. Damit kann man natürlich auf diesem Wege gegen die hohe Sitzenbleiberquote etwas machen, meine Damen und Herren, man löst aber das Problem nicht, wenn Sie einfach das Sitzenbleiben abschaffen. Es muss etwas für die Förderung der Schülerinnen und Schüler getan werden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Mützelburg, ich muss Sie daran erinnern, es geht ja etwas unter, Sie haben dieses Gremium, das ich jetzt ansprechen will, ja auch selbst schon abgeschrieben, die Kultusministerkonferenz, die nach Vorlage von Pisa einen Maßnahmenkatalog mit zwölf Punkten vorgestellt hat, der auch für Bremen gilt, den die Behörde auch umsetzt. Sie wollen jetzt hier einen Bildungszentralismus in Deutschland haben, der ein schlechtes System in ganz Deutschland gebracht hätte, wenn ich Ihre Vorstellungen hier eben richtig verstanden habe.

(Zurufe von Bündnis 90/Die Grünen: Nein!)

Sie können das hier gern richtig stellen, Herr Mützelburg, aber dann stellen Sie sich hier nicht hin und sagen, Sie wollen hier auf einmal ein zentralistisches System einführen. Ich bin froh, dass wir in Deutschland einen Bildungsföderalismus haben.

(Zurufe vom Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn Sie hier von den Grünen alle gleichzeitig dazwischenrufen, kommt hier vorn sehr wenig an. Ich habe gehört, Sie wollen zentrale Bildungsstandards haben. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz klar, wir wollen uns am deutschen Meister orientieren. Die auf den vorderen Pisa-E-Plätzen lehnen sich ja nicht zurück und sagen, wir sind wunderbar. Sie arbeiten schon daran, dass sie noch besser werden, Frau Hövelmann!

(Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: Der deutsche Meister heißt Bo- russia Dortmund!)

Der deutsche Meister bei Pisa-E heißt aber nicht Borussia Dortmund, Herr Mützelburg!

Es geht uns wirklich darum, ich will das nur noch einmal sagen, weil Sie so getan haben, als ob in Bayern ein entsprechend schlechtes Schulsystem ist: Meine Damen und Herren, die Qualität der bayerischen Schulausbildung, und das, denke ich, sollte Ihnen wirklich zu denken geben, liegt um Längen vor dem, was hier in Bremen leider zurzeit noch Usus ist. Ich sage Ihnen auch ganz klar, unser Ziel ist es, dass wir uns in einem ersten Schritt daran orientieren und dann im zweiten Schritt das nachholen müssen, was entsprechend in der Zwischenzeit in den vorderen Pisa-E-Ländern getan wurde.

Darum, meine Damen und Herren, ich will das hier nur noch einmal deutlich sagen, der Flickenteppich, der hier angesprochen wurde, trug vor Jahren noch die Überschrift Schulvielfalt.

(Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja, habe ich gesagt, daraus ist Schulbeliebigkeit geworden!)

Es ist keine Schulbeliebigkeit geworden, Herr Mützelburg, aber ich sage Ihnen auch ganz klar, es gibt natürlich, da haben wir ja auch schon Ansätze gemacht, und da müssen wir noch viel stringenter weitergehen, Schulversuche wie zum Beispiel einen Schulversuch sechsjährige Grundschule. Da muss man sich genau fragen, ob man diesen Versuch noch weitermacht.

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Es gibt zwei übrigens!)

Ich weiß! Wir werden es uns in Zukunft nicht leisten können, in der einen Schule dies, in der anderen Schule jenes zu machen.

Nur, meine Damen und Herren von den Grünen, Sie haben das hier eben so eingeworfen, Sie haben selbst ganz erheblich zu diesem Flickenteppich beigetragen. An uns liegt es zum Beispiel nicht, dass es nicht das flächendeckende zwölfjährige Abitur für alle Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums gibt. Meine Damen und Herren, Sie von der SPD haben dafür gesorgt, dass es dies nicht für alle gibt, sondern dies noch auf Schulversuchsebene gemacht wird. Wir sind zum Beispiel sofort bereit, diesen Flickenteppich zu beseitigen. Sie wissen, es liegt an Ihnen, nicht an uns, dass dieser Flickenteppich hier weiter fortgeführt wird! – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Hövelmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die große Koalition ist auch in diesem Feld zum Erfolg verurteilt, und zwar geht das nur gemeinsam. Ich möchte die Gelegenheit doch nutzen, öffentlich ganz freundlich und ruhig darauf hinzuweisen, dass das, was Sie eben gesagt haben, Herr Rohmeyer, nicht den pädagogischen, wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Es ist komplett unstrittig, und zwar in der bundesdeutschen Debatte genauso wie in der internationalen, dass das Sitzenbleiben und das Zurückstellen – wobei wir in Bremen übrigens Weltmeister sind, da treffen wir uns dann mit den von Ihnen gern zitierten Bayern – nicht nur pädagogisch ineffektiv ist und für den Lernfortschritt überhaupt nichts bringt, sondern auch extrem teuer ist. Wenn wir dies zur Kenntnis nehmen, dann müssen wir uns doch damit auseinander setzen! Wir werden dieses Thema ja auch am runden Tisch Bildung behandeln.

Ich bitte an dieser Stelle nur sehr deutlich darum, das Thema Bildung, Entwicklung auch des Systems der Qualität des Unterrichts in Bremen sehr ernsthaft zu betrachten und dabei nicht die Gräben in den Köpfen so zu haben, dass wir uns immer nur

nach hinten orientieren, sondern ich möchte mich erfolgreich in die Zukunft orientieren.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Es soll in Zukunft besser werden, und ich möchte nicht von denen lernen, die das noch nicht erreicht haben, was ich mir wünsche. Das ist ein sehr freundlicher und unaufgeregter Appell an den Koalitionspartner: Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, uns mit den Ergebnissen von Pisa intensiv inhaltlich auseinander zu setzen! Ich habe Sie ja schon ein paar Mal aufgefordert, dass wir einmal eine gemeinsame eintägige Klausur der Koalitionsmitglieder der Bildungsdeputation zu den Ergebnissen von Pisa organisieren.

(Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: Das muss doch das Parlament nicht interessieren!)

Bisher hat das nicht geklappt, darum bitte ich hier öffentlich, und ich glaube, Herr Mützelburg, Sie sehen mir das nach, ich musste die Gelegenheit noch einmal nutzen. Ich appelliere an Ernsthaftigkeit!

(Abg. M ü t z e l b u r g [Bündnis 90/Die Grünen]: Wir sind doch hier keine Selbst- erfahrungsgruppe der Koalition!)

Das habe ich auch überhaupt nicht so gemeint, aber es bleibt mir kaum etwas anderes übrig, wenn ich jetzt hier nicht auf die CDU-Positionen einschlagen möchte. – Danke schön!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Senator Lemke.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die politische Verantwortung für das Desaster bei der Pisa-Untersuchung trage ganz allein ich. Ich trage diese politische Verantwortung dem Haus gegenüber, aber was mich viel mehr bedrückt, ich trage diese politische Verantwortung den Bremer Eltern gegenüber, den Kindern gegenüber, denen gegenüber, die in meiner Verantwortung liegen. Das ist die große Last, die ich zu tragen habe. Ich kann es aber nicht allein durch politische Alleingänge, Anordnungen oder einfach durch ein Hebelumschalten oder durch das Drücken eines Computerknopfes beheben, sondern ich kann dies nur verändern und meiner politischen Verantwortung gerecht werden, wenn wir alle uns unserer eigenen Verantwortung bewusst werden,

(Beifall bei der SPD)

auch Sie, meine Damen und Herren, als Abgeordnete, wenn es darum geht zu analysieren und mit ganz klarem Kopf die Ursachen zu erforschen: Wie konnte es passieren, dass die Bremer Schülerinnen und Schüler ein derartig schlechtes Zeugnis ihrem Bildungssenator präsentieren mussten? Natürlich viel wichtiger ist die Konsequenz, die Vorausschau: Wie können wir denn in Zukunft das Schiff so anders steuern, dass wir uns nicht schämen müssen, wenn wir hinausgehen aus Bremer Landen und hinausgehen in Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland oder in Europa?

Sie fragen zu Recht, Herr Dr. Kuhn, warum es keine Antwort gibt. Sie wissen so wie ich, Herr Mützelburg hat das ja gesagt, wir haben unsere Schularbeiten gemacht und dann aber gesagt: Ist es eigentlich sinnvoll, so auf halber Strecke oder kurz vor dem Ende der Diskussion, der Analyse uns hier schriftlich festzulegen?

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Hatten Sie doch schon!)

Ich für meinen Teil, für mein Haus, habe das getan, aber wir haben es dann noch einmal sehr grundsätzlich diskutiert, ob es denn Sinn gibt, das so in schriftlicher Form zu manifestieren und auf halbem Weg oder kurz vor dem Ziel, können wir auch sagen, das schriftlich zu tun.

Wir fanden es richtig, und da gab es eine hohe Übereinstimmung zwischen den Koalitionspartnern und im Senat, zu sagen, nein, es ist nicht klug, jetzt einen Zwischenbericht zu geben, sondern wir wollen noch die nächsten Wochen nutzen. Wir wollen insbesondere auch die Ergebnisse des runden Tisches nutzen. Was gibt es denn für einen Sinn, meine Damen und Herren, wenn wir einen mit 42 hoch kompetenten, an Bildungsfragen interessierten und engagierten Bürgerinnen und Bürgern, mit auswärtigen Experten bestückten runden Tisch einrichten und weit vor Ende des Abschlusses dieser Arbeiten uns schon manifestieren in konkreten Antworten auf Pisa?

Meines Erachtens war es richtig, auch wenn es formal nicht korrekt war. Ich bin ja auch diesbezüglich vom Präsidenten der Bürgerschaft angeschrieben worden, gerügt worden, wenn Sie so wollen. Ich nehme diese Rüge hin, ich sage, es soll möglichst nicht häufig wieder vorkommen, aber in dieser Situation haben wir im Senat gesagt, wir wollen Sie um Verständnis dafür bitten, dass wir noch einige Wochen brauchen.

Etwas verwundert war ich aber, lieber Kollege Mützelburg – in vielen Dingen stimmen wir überein –, als ich aus dem Urlaub zurückkam und in der Zeitung las, dass Sie empört sind, dass wir innerhalb von sechs Wochen keine strukturellen Antworten haben, keine Konsequenzen aus den Pisa-E-Ergebnissen gezogen haben! Ich sollte also die sechs Wochen

Ferienzeit genutzt haben, um die Antworten auf dieses Desaster zu geben.