Protocol of the Session on December 13, 2001

Zur Geschäftsordnung hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grünen bleibt bei der Position, dass es korrekt gewesen wäre, dieses Beamtengesetz zur Beratung an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Ich lese noch einmal aus dem Einsetzungsbeschluss vom 20. Juli 1999 vor. Dort heißt es: „Der Haushalts- und Finanzausschuss hat zudem die Aufgabe, das Personalmanagement und die Reform der Verwaltung des Landes parlamentarisch zu behandeln und zu kontrollieren.“ Das ist ein ganz klarer Beschluss, und bisher war es eigentlich auch üblich, dass in diesem Haus die Haushälter darauf geachtet haben, dass solche Verfahren auch eingehalten werden. Ich habe das verstanden, hier hat sich ja keiner weiter geäußert, dass Sie diesen Antrag wieder ablehnen werden.

Wir bleiben dabei: Das ist nicht korrekt. Es ist auch ein bisschen schade, weil, wie gesagt, unter den Haushältern bisher eigentlich eine andere Umgangsform herrschte, aber sei es darum! Sie leisten Ihrem Anliegen übrigens auch keinen guten Dienst. Wenn Sie zeigen wollen, was für ein schlechtes Gewissen Sie bei dem haben, was Sie da machen, dann müssen Sie es genau so einfädeln, nämlich versuchen, am Rande dessen entlang zu agieren, was bisher hier parlamentarischer Brauch war.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das ist die formale Seite. In der Sache selbst beantragen wir namentliche Abstimmung, weil wir schon wissen wollen, ob wenigstens ein paar Kolleginnen und Kollegen sich entscheiden, ihrer Basis dasselbe zu erzählen wie im Parlament oder umgekehrt. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat zur Geschäftsordnung das Wort der Abgeordnete Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Linnert, namentliche Abstimmung zu beantragen ist Ihr gutes Recht, dazu will ich auch nichts sagen. Das, was Sie aber im Übrigen gesagt haben, kann hier nicht so stehen bleiben. Hier hat niemand ein schlechtes Gewissen. Das ist ein transparentes parlamentarisches Verfahren, das wir hier durchführen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU) ––––––– *) Von der Rednerin und dem Redner nicht überprüft. Im Übrigen, Frau Kollegin Linnert, behandeln wir hier ein Änderungsgesetz zum Bremischen Beamtengesetz, und das fällt nicht unter die Kategorie, die Sie hier vorgetragen haben. Deswegen sind wir auch mit der Überweisung an den Haushalts- und Finanzausschuss nicht einverstanden, sondern werden so verfahren wie verabredet, nämlich heute in zweiter Lesung den Gesetzentwurf und unseren Antrag dazu zu beschließen. – Danke! (Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wir kommen zur Abstimmung.

Meine Damen und Herren, es ist von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt worden, die zweite Lesung zu unterbrechen und den Gesetzentwurf zur Beratung und Berichterstattung an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen.

Wer für die Unterbrechung der zweiten Lesung und für die Überweisung des Gesetzes zur Änderung des Bremischen Beamtengesetzes, Drucksache 15/917, zur Beratung und Berichterstattung an den staatlichen Haushalts- und Finanzausschuss ist, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Bündnis 90/Die Grünen und Abg. T i t t m a n n [DVU])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD und CDU)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) lehnt die Überweisung ab.

Ich lasse jetzt über die zweite Lesung des Gesetzentwurfs abstimmen.

Hier ist von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentliche Abstimmung beantragt worden.

Ich beginne dann mit dem Namensaufruf.

(Es folgt der Namensaufruf.)

Meine Damen und Herren, ich stelle fest, es gab zwölf Neinstimmen, neun Abgeordnete waren nicht da, und der Rest hat mit Ja abgestimmt.

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in zweiter Lesung.

Jetzt lasse ich über den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der CDU abstimmen.

Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der CDU mit der Drucksachen-Nummer

15/1030 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD und CDU)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen Bündnis 90/Die Grünen und Abg. T i t t m a n n [DVU])

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Entschließungsantrag zu.

Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde ist von den Abgeordneten Mützelburg, Frau Linnert und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen folgendes Thema beantragt worden:

Schieflage in der Bildungspolitik – Konsequenzen aus der Pisa-Studie ziehen!

Dazu als Vertreter des Senats Senator Lemke.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Mützelburg.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor gut einer Woche wurde die deutsche Öffentlichkeit durch die Ergebnisse einer internationalen Vergleichsstudie zum Bildungssystem aufgeschreckt, der so genannten Pisa-Studie, die die OECD, eine UNO-Unterorganisation für Bildungs- und Erziehungsfragen, in Auftrag gegeben hatte. Geschockt reagierte die Öffentlichkeit vor allem deshalb, weil die Noten für das deutsche Bildungssystem, die diese Studie erteilt hat, verheerend, vernichtend und äußerst unangenehm für die Bildungspolitiker gewesen sind. 180 000 Schüler wurden international verglichen, 180 000 Schüler, die 15 Jahre alt waren, also in einem Stadium, in dem sie kurz vor dem Übergang in die höhere Schulbildung oder in das Berufsleben gewesen sind.

180 000 Schüler aus 32 Staaten dieser Erde, insbesondere den europäischen Staaten und außereuropäischen Industrieländern, wurden verglichen. Sie wurden verglichen in Bezug auf ihre Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaften und insbesondere auf wichtige Grundfertigkeiten, das Leseverständnis und die Lesekompetenz. In den Naturwissenschaften und Mathematik schnitten die deutschen Schüler jeweils so ab, dass sie im letzten Drittel, auf Platz 21, landeten, bei der Lesekompetenz ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

sogar auf Platz 25 von Schülern aus 32 Staaten. Lesekompetenz heißt in diesem Fall nicht, einfach einen Text lesen zu können, sondern auch zu verstehen, was man gelesen hat. Da ist das deutsche Abschneiden für eine Industrienation, ein weltweit wichtiges Land in der Entwicklung moderner Technologien, aber auch in der Entwicklung von sonstigen geistigen Ressourcen, ein ganz erschreckendes Ergebnis. Ich glaube, es ist klar, dass ein solches Ergebnis die Parlamente dieser Republik beschäftigen muss, weil die Bildungspolitik Sache der Bundesländer ist und weil nur die Bundesländer politisch handeln können.

Ich habe gesagt, das Ergebnis ist verheerend und erschreckend zugleich. Genauso verheerend und erschreckend waren aber für mich die Reaktionen, die aus dem so genannten politischen Raum in den ersten Tagen auf uns niederprasselten. Die Reaktionen waren nämlich geprägt von alter Gewissheit. Jeder durfte noch einmal das verkünden, was er schon immer sagt, und hält das für die Lösung aus der Misere der deutschen Bildungspolitik.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich darf ein paar Äußerungen zitieren. Ganz eilfertig hat uns der Landesvorsitzende der Bremer CDU verkündet, das Ganze läge an der sozialdemokratischen Schulzentrenpolitik. Hört, hört!

(Abg. R o h m e y e r [CDU]: Nicht so abwegig!)

Die Studie ist europaweit und bundesweit. Es gibt überhaupt keine Untersuchungen für die Länder der Bundesrepublik Deutschland, die bis jetzt bekannt geworden sind, und „sozialdemokratische“ Schulzentren gibt es in den meisten deutschen Bundesländern nicht. Herr Neumann hat gleich die Einführung des Gymnasiums gefordert. Bundesweit sind Gymnasien in allen Ländern zahlreich vertreten, fast zahlreicher als in allen anderen Ländern der Erde. Leider hat die Untersuchung ergeben, dass auch die Gymnasialschüler bei der Lesekompetenz gerade einmal im OECD-Durchschnitt liegen.

Der Industrie- und Handelstag hat uns ganz schnell verkündet, wir bräuchten jetzt ganz viel Wirtschaftslehre in der Schule. Das erzählt er uns auch immer und bei jeder Gelegenheit. Was das mit dem Thema zu tun hat, weiß ich nicht. Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft GEW in Bremen hat uns damit überrascht, dass wir jetzt ganz schnell ganz viele Gesamtschulen einrichten sollen. Auch ein sehr nützlicher und hilfreicher Vorschlag, wobei wir doch noch nicht einmal wissen, wie die Gesamtschulen bisher in diesem Ergebnis abschneiden!

Den Vogel abgeschossen hat der bayerische Ministerpräsident! Er hat gesagt, wir müssen die Zuwanderung begrenzen. Die schlechten Ergebnisse

lägen nur daran, dass wir so viele Migranten im Land hätten, und die drückten den Durchschnitt. Großer Gott! Diese Art von Selektionstheorie: Schiebt bitte all diejenigen ab, die hier einen schlechten Durchschnitt verursachen, statt etwas dafür zu tun, dass wir eine vernünftige Integrationspolitik haben!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Leider, muss ich sagen, habe ich auch in diesem Haus schnelle Antworten gehört. Liebe Frau Kollegin Hövelmann, Sie haben uns gestern schon verkündet, dass die Einrichtung von Ganztagsschulen ein wichtiger Weg ist, um aus der Pisa-Misere herauszukommen. Auch das muss noch untersucht werden, nicht die Frage der Ganztagsschule, sondern es geht um Konzepte, Inhalte und darum, was uns weiterhilft. Eines der verheerendsten Ergebnisse dieser Studie ist ja nicht nur, dass die deutschen Schüler leistungsmäßig so schlecht abgeschnitten haben, sondern genauso verheerend ist, dass in Deutschland die Spreizung zwischen denen, die ganz unten stehen, und denen, die ganz oben stehen, riesengroß ist und Schüler aus sozial benachteiligten und schwachen Familien, etwa aus Familien mit ungelernten Arbeitern als Eltern, so gut wie keine Aufstiegschancen haben, trotz 30 Jahre Bildungspolitik im Zeichen der Chancengleichheit mit dem Sputnikschock. Das ist schon fast 35 Jahre her!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)